Wer in Sachsen auch nur einmal über Pegida als Journalist*in berichtet hat, weiß, dass die sächsische Polizei im Zweifel lieber Pegida schützt als Gegendemonstrant*innen – und dass sie zu den Gegendemonstrant*innen im Zweifelsfalle die Journalist*innen zählt. Das ist natürlich nicht korrekt, denn die Aufgabe von Journalist*innen ist es ja, als möglichst objektive, nicht aktive, sondern nur teilnehmende Beobachter*innen über die Demonstrationen zu berichten. Aber die „Lügenpresse“-Rufe von „Pegida“-Demonstrationen wirken eben auch auf diese Weise.
Das Narrativ der „Lügenpresse“ und die Folgen in der Polizeiarbeit mit Journalismus
Der freie Journalist Arndt Ginzel und sein Kameramann, die für die ZDF-Sendung „ Frontal 21“ in Dresden berichten wollten, haben mögliche Folgen dieser Praxis dokumentiert, als sie am 16.08.2018 versuchten, über die „Pegida“-Demonstration gegen den Besuch von Bundeskanzlerin Merkel einen Filmbeitrag zu drehen. Der Kameramann filmt zur Demonstration laufende Pegida-Anhänger*innen – in Gruppen, nicht auf einzelne Menschen fokussiert, klassische „Schnittbilder“, auf die später der Redakteur Text sprechen kann. Doch es kommt zu einem Zwischenfall: Ein nicht zu den Journalisten gehörender Passant beschimpft eine Pegida-Gruppe, ein Mann im braunen [sic] T-Shirt fühlt sich angesprochen, und sein Begleiter mit Deutschlandfahnen-Fischerhut wird des Kameramannes gewahr, das er und andere zunächst mit „Lügenpresse“-Rufen bedenken – für Pegida leider „normal“.
Dann wird es skurril: Der #Hutbürger, wie auf Twitter so passend gehashtaggt wird, läuft auf dem Kameramann zu und beschimpft ihn, er dürfe nicht von vorn gefilmt werden, dass sei eine Straftat. Der Kameramann, der ihn ja gar nicht als Einzelperson gefilmt hat, reagiert naheliegend: „Gehen Sie doch einfach weiter“. Doch der Mann denkt nicht daran, droht mit Polizei. Die steht auf der anderen Bürgersteig-Seite und tut an dieser Stelle nichts (weder den Kameramann schützen noch den Hut-Mann unterstützen). Schließlich werden die Presseausweise von Kameramann und inzwischen eingetroffenem Reporter überprüft – und es gibt nichts zu beanstanden. Dann fällt dem Pegida-Fan im braunen T-Shirt ein, eine Anzeige wegen Beleidigung stellen zu wollen – gegen den Reporter, der gerade erst gekommen ist. Und ab da beginnt eine „polizeiliche Maßnahme“ gegen die Journalisten, die nun 45 Minuten an ihrer Arbeit gehindert werden. In diesem Fall ist das ärgerlich für die betroffenen Journalisten, aber es waren andere Kolleg*innen vor Ort, die Berichterstattung sichergestellt haben. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen entsprechende Maßnahmen die einzigen Journalist*innen vor Ort treffen – und damit die Pressefreiheit empfindlich beschnitten und Berichterstattung verhindert wird.
Film vom Vorfall:
#Pegidawirkt – Sächsische Polizeibeamte machen sich zur Exekutive von #Pegida / #AfD -Anhängern und behindern TV-Team, das für @ZDF @Frontal21 dreht. Hier ein Auszug, die polizeiliche Maßnahme dauerte ca. 45 min. Zeitungskollegen aus #Dresden berichten von ähnlichen Vorfällen. pic.twitter.com/m1erCDU9WJ
— Arndt Ginzel (@GKDJournalisten) 18. August 2018
Anzeigen als Strategie
In Sachsen ist das keinesfalls Einzelfall. Wie etwa Alexander Schindler, Redakteur der Sächsischen Zeitung, auf Facebook berichtet, Henrik Merker vom Störungsmelder oder der Blog News-photo.de von der letzten “Pegida”-Demonstration am Montag . Schlimmer geht es auch immer: Fotojournalist Björn Kietzmann berichtet heute vom Freispruch gegen einen rechtsextremen Demonstranten in Leipzig, der 2015 bei einer Legida-Demonstration einen Videojournalisten angegriffen hatte (vgl. Spiegel) – ihm sei kein Vorsatz nachzuweisen. Fotos sprechen eine andere Sprache (vgl. Twitter).
Wie sich inzwischen herausgestellt hat, war auch der jetzige Dresdner Versuch durch Pegida-Anhänger, journalistische Berichterstattung zu verhindern, kein spontaner Ausbruch, sondern gezielte und offenbar auch wirkungsvolle Strategie, denn die Polizei vermag nach der Anzeige plausibel zu begründen, warum sie die Journalisten festhält (wenn auch unverhältnismäßig lange).
Der #Hutbürger, so musste das Sächsische Innenministerium inzwischen kleinlaut vermelden, ist „Tarifangestellter des LKA Sachsen“. Der Anti-Presse-Pöbler, der so gern mit Strafanzeigen droht, arbeitet also im Landeskriminalamt, auch wenn bisher unklar ist, als was. Zu Pegida geht er offenbar auch schon länger gern, wie ein Foto bei den „Ruhrbaronen“ zeigt. Die Welt berichtet, er sei Tarifangestellter im Ermittlungsdezernat für Wirtschaftskriminalität und trete für das LKA auch bei Gericht auf.
Sein Mitdemonstrant im braunen Shirt, der die Journalisten anzeigt und die „polizeiliche Maßnahme“ nötig macht, ist weder unerfahren noch unbekannt: René S., dessen Facebook-Profil offenen Rassismus zeigt, wohnt in Freital, wo er nicht nur 2015 als Bürgermeister kandidierte, sondern auch einer Mitorganisatoren der Anti-Asyl-Proteste der „Bürgerinitiativen“ „Freital wehrt sich – Nein zum Hotelheim“ und „Freital steht auf“ war, in deren Umfeld auch die „Gruppe Freital“ aktiv war, die Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte plante und durchführte und deren acht bekannte Mitglieder 2017 wegen Rechtsterrorismus zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden (vgl. BTN). Es war der Gerichtsprozess, in dem auch gegen sächsische Polizeibeamte ermittelt wurde, weil Mitglieder der „Gruppe Freital“ immer wieder polizeiinternes Wissen zu haben schienen. Beweisen ließ sich allerdings nichts. Zuletzt war René S. offenbar in der “Bürgerinitiative Freital” aktiv, die von ihm auf Facebook als “ehemaligen Mitglied” spricht.
#Pegizei
Dass den Polizeibeamten, die die Journalisten festsetzen, nun unterstellt wird, dies im Sinne von „Pegida“ getan zu haben, liegt auch an einer Fülle von Vorfällen in Sachsen, bei denen sich Polizeibeamte zumindest als Sympathisanten rechter Szenen herausgestellt haben.
2015 rühmte sich Pegida Dresden bereits guter Kontakte zur Polizei: Lutz Bachmann, Pegida-Gründer, gibt an, regelmäßig Dokumente der Polizei erhalten zu haben. Viele der weitergehreichten Ermittlungsergebnisse seien als geheim eingestuft (Berliner Zeitung). Auch andere Pegida-Mitbegründer prahlen: „Sind auf unserer Seite“, hieß es einmal seitens des Dresdner „Orgateams“, man erhalte sogar „Tipps“ oder werde, wie ein Legida-Vertreter erläuterte, zum Weitermachen ermutigt. Der Pegida e.V.-Mitbegründer Thomas H. aus Dresden erklärt prahlerisch: „Es gibt eben Leute die auch noch so geheime Unterlagen weiter geben weil es einfach jeder, aber auch wirklich jeder in Deutschland wissen soll wie unsere Regierung tickt!“ (AIB).
Der Ehemann der zeitweilligen Pegida-Frontfrau Katrin Oertel arbeitete 2015 selbst für das LKA Sachsen (AIB) und beteiligte sich an Protesten gegen Flüchtlingsunterbringung. Damals wurden disziplinarrechtliche Schritte gegen den Beamten Oertel geprüft und in der Folge auch Konsequenzen gezogen, die aber vom LKA nicht bekannt gemacht wurden (Welt).
Da war 2016 der Leipziger Polizist, der intensive Kontakte zur rechtsextremen und islamfeindlichen Szene pflegte, wie Handydaten bewiesen (Tag24).
Ebenfalls 2016 ging die Polizei in Clausnitz gegen junge Geflüchtete in einem Bus vor, statt gegen den Mob von rassistischen Pöblern, die von außen den Bus bedrängten – ein Video machte den Vorfall bundesweit bekannt (vgl. BTN).
Im September 2016 nennt der Polizeirevierleiter in Bautzen eine Gruppe von 80 Rechten, die 30 junge Geflüchtete attackierten, „eventbetonte Jugendliche“ (vgl. Süddeutsche).
Im Oktober 2016 wünscht ein Polizist den Pegida-Demonstranten am Tag der Deutschen Einheit einen „erfolgreichen Tag“. In Verlauf des Tages geht die Polizei nicht gegen die Islamfeinde vor, sondern unterbindet vielerorts Gegendemonstrationen (vgl. Süddeutsche, BTN).
Im September 2017 lief ein Polizeibeamter im Dienst bei einer Demonstration gegen Rassismus in Wurzen mit dem Symbol von „Odins Raben“ an seiner Uniform herum, das auch in der rechten Szene verbreitet ist. Der Polizist wurde dafür abgemahnt – allerdings nur, weil er die „Polizeidienstkleidungsordnung“ verletzt habe (vgl. Spiegel).
Im Dezember 2017 schaffte die sächsische Polizei Panzer an mit bestickten Logos auf den Sitzen, die an Symbolik des Nationalsozialismus erinnerten – zunächst hieß es, dass sei nur zufällig und vom Panzer-Hersteller geplant so, später musste das LKA zurückrudern und zugeben, dass sie das Logo vorgelegt hatten (vgl. Süddeutsche)
Hübsches Logo! Fast wie früher … fehlen nur Adler und Kreuz. Frage mich, wer sich sowas ausdenkt heutzutage im Freistaat #Sachsen ? Und wer hat entschieden, dass so ein Logo da rein kommt? (Blick in den neuen sächsischen Polizeipanzer #Survivor R, Foto LVZ/Knofe) @SMIsachsen pic.twitter.com/z5lN2ZD0q0
— Andreas Raabe (@__anra) 17. Dezember 2017
Und die Reaktionen?
Typisch Sachsen ist leider auch die Reaktion der politischen Führung: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wollte sich vor seine Polizisten stellen, ohne den Abschluss auch nur der ersten Ermittlungen abzuwarten – und tat dies, indem er damit gegen die Journalisten Stimmung machte, die sich, wie die Videoaufnahmen zeigen, die ganze Zeit ruhig und professionell verhalten haben.
Besonders peinlich ist die Aussage natürlich jetzt, wo der Pöbler selbst zur Polizei gehört. Kretschmer schweigt jetzt, hat aber das „Frontal 21”-Team zum klärenden Gespräch morgen in Dresden geladen.
Vielleicht wird dort auch über die Aussagen von CDU-Fraktionschef Frank Kupfer gesprochen. Der kommentierte auf Facebook unter dem Beitrag von „Frontal 21“ zum Vorfall dergestalt, dass seine nicht sehr hohe Meinung vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen offenbar wird (vgl. SZ).
Frank Kupfer ist Fraktionsvorsitzender der CDU im sächsischen Landtag. Dirk Panter, der ihm widerspricht, ist Fraktionsvorsitzender der SPD im sächsischenLandtag.
Viele Studien zeigen, wie wichtig das Verhalten politischer Eliten und den Staat repräsentierender Organe wie der Polizei für die gesellschaftliche Stimmung im Land ist. Das lässt ahnen, wie groß das Problem der Akzeptanz demokratiefeindlicher Aktivitäten in Sachsen eigentlich ist.
Es sollte allerdings nicht verschwiegen werde, dass es auch sächsische Politiker gibt – wie etwa den stellvertretenden Ministerpräsidenten Martin Dulig, die Aufklärung fordern. Sie haben zu tun.
Es ist journalistische Aufgabe von öffentlichen Demos zu berichten. Die Arbeit von Journalisten ist eine ernste Angelegenheit, ich kann hier kein „unseriöses“ Verhalten erkennen. Ich begrüße, dass der Vorfall untersucht wird und der Polizeipräsident ein Gespräch anbietet.
— Martin Dulig (@MartinDulig) 19. August 2018
Update, 24.08.2018
Nach MDR-Recherchen hat der Pegida-Anhänger und LKA-Mitarbeiter, der in Dresden Journalisten bepöbelt hat, Zugriffsrechte für das Zentrale Ausländerregister der sächsischen Polizei. Interne Überprüfungen sollen jetzt auch mögliche Kontakte des Mannes in die rechte Szene ausleuchten. Wie aus Ermittlerkreisen bekannt wurde, kann der LKA-Mitarbeiter in dieser Funktion auf das polizeiliche Erfassungssystem IVO zugreifen, in dem alle Straftaten und Ermittlungsvorgänge eingespeist werden. Außerdem soll er auch über Zugriffsrechte für das Zentrale Ausländerregister (ZAR) verfügen.
Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich inzwischen zum Pegida-sympathisierenden LKA-Mann geäußert – und sich deutlich zugunsten der Pressefreiheit ausgesprochen (Welt).