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Dresdner Verhältnisse Zum Skandalprozess um Tim H.

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Polizisten umzingeln einen Blockadepunkt in Dresden am 19.2.2011 (Quelle: AAS / hh, cl)

Es ist eine traurige Tradition: Jedes Jahr im Februar marschieren Neonazis durch Dresden. Sie instrumentalisieren die Bombenangriffe der Alliierten im Zweiten Weltkrieg auf die Stadt, um ihre geschichtsrevionistische Propaganda zu verbreiten und die Deutschen als Opfer dieses Krieges darzustellen. Beobachter dieser Aufmärsche, die Rechtsextreme aus ganz Deutschland und selbst dem Ausland anziehen, beschreiben die Szenerie früherer Jahre als „gespenstisch“: Da ziehen die Nazis durch menschenleere Straßen, in den Händen Transparente mit Aufschriften wie „Wir gedenken den Opfern der alliierten Mörder“ – ein unerträgliches Bild.

Viele Bürgerinnen und Bürger wollten das nicht länger hinnehmen und schlossen sich in dem Bündnis „Dresden nazifrei“ zusammen, um sich der Nazi-Masse entgegenzustellen – mit Erfolg. Seit 2010 gelang es, den rechten Aufmarsch zu blockieren oder zumindest so einzuschränken, dass er seine Route komplett ändern musste.

Keine handfesten Beweise

Das ist auch beim Naziaufmarsch 2011 nicht anders: Tausende Gegendemonstrantinnen und –demonstranten stellen sich den 3.000 Rechtsextremen entgegen, die Situation eskaliert. Einer der Gegendemonstranten ist Tim H. Der nicht vorbestrafte, mittlerweile 36-jährige Familienvater, wird als angeblicher Rädelsführer der Proteste angeklagt. Er habe angeblich mit einem Megafon die Menschenmasse zum Durchbrechen einer Polizeisperre aufgerufen und die Aktion koordiniert – die Staatsanwaltschaft warf ihm Körperverletzung, besonders schweren Landfriedensbruch und Beleidigung vor. Und das Amtsgericht Dresden folgte dem. Tim H. wurde zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.

Das Urteil ist ein Skandal, denn konkrete Beweise für ihre Vorwürfe hatte die Staatsanwaltschaft nicht: So berichtet etwa „Spiegel Online„, dass der Hauptbelastungszeuge – ein Anwohner, der den Vorfall von seinem Balkon aus beobachtet hatte – bereits am ersten Prozesstag sagte, Tim H. sei nicht die Person, die ins Megafon gebrüllt habe. Ebenso wenig konnten vier geladene Polizeibeamte genauere Angaben zum Täter machen, auf einem Polizeivideo ist Tim H. nicht zu erkennen. Das einzige, was das Polizeivideo tatsächlich hergibt, ist der Aufruf „Kommt nach vorne!“, der durch das Megafon gerufen wird- selbst wenn Tim H. der Rufer gewesen ist, was eben nicht feststellbar ist, lässt sich in den Satz doch kein Aufruf zur Gewalt hineininterpretieren.

Bewährung für Nazis, Haft für Nazigegner

Für Verteidiger Sven Richwin wird seinem Mandanten zum Verhängnis, dass er eine ähnliche Statur wie einer der Personen in dem unscharfen Video hat. Entsprechend gründe sich die Urteilsbegründung auf Vermutungen. „Im Zweifel für den Angeklagten“? In diesem Dresdner Prozess galt das nicht.

All diese Punkte, das Fehlen konkreter Beweise, ficht das Gericht nicht an: In seiner Urteilsbegründung stellt sich der Vorsitzende Richter Hlavka komplett hinter die Staatsanwaltschaft: „Was andere getan haben, müssen Sie sich mit anrechnen lassen,“ heißt es in der Begründung, zudem habe Tim H. die Gruppe „aufgeheizt“. Diese Urteilsbegründung als „unverständlich“ zu bezeichnen, ist milde ausgedrückt. So kritisiert etwa Wolfgang Thierse, Schirmherr der Amadeu Antonio Stiftung: „Das Amtsgericht Dresden hat ein höchst befremdliches Urteil gefällt. Einem Angeklagten ausdrücklich die Taten Anderer anzurechnen und ihn gewissermaßen stellvertretend zu einer knapp zweijährigen Gefängnisstrafe zu verurteilen, ist schon sehr irritierend.“ Zumal am gleichen Tag des Urteilsspruchs für Tim H. das Landgericht Dresden eine Verurteilung fünf führender Köpfe der Neonazi-Vereinigung“ Sturm 34″. Wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bildung einer kriminellen Vereinigung kamen diese Angeklagten allerdings mit einer Bewährungsstrafe und Geldstrafen davon. Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Nazis, denen schwere Körperverletzung nachgewiesen wurde, kommen auf Bewährung davon, während ein Nazi-Gegner, gegen den noch nicht einmal handfeste Beweise vorliegen, fast zwei Jahre Haft ohne Bewährung bekommt? „Das sind schon eigentümliche Dresdner Justizverhältnisse“, kommentiert Wolfgang Thierse. Und welches Signal senden die beiden Urteile in Kombination aus? Das fasst Linken-Politikerin Katharina König in einem Kommentar treffend zusammen: “ In Sachsen ist es – gemessen an den Urteilen – offenkundig besser, eine neonazistische kriminelle Vereinigung zu gründen, als Neonazis zu blockieren.“

Engagement wird abgeschreckt

Doch nicht nur das Urteil als solches schockt, sondern auch die Begründung: So machte Richter Hlavka keinen Hehl daraus, dass es ihm auch um die abschreckende Wirkung des Urteilsspruchs gegangen sei: Die Einwohner von Dresden seien es leid, dass das Gedenken „von beiden Seiten, Rechten und Linken, ausgenutzt“ würde. Mit welcher Berechtigung schwingt sich der Richter hier zum Sprachrohr der Dresdner Bürgerinnen und Bürger auf? Woher will er wissen, was die Mehrheit hier will? Das einzige, was ihm hier wirklich gelingt, ist, andere Menschen von ihrem Engagement gegen Rechtsextremismus abzuschrecken.

Als wären all diese Punkte nicht schon skandalös genug, hat die Dresdner Staatsanwalt nun noch einen draufgelegt: Sie legte Berufung ein, um eine härtere Strafe durchzusetzen. Als die Meldung das erste Mal auftauchte, konnte man das kaum glauben, erschien doch schon der Urteilsspruch unfassbar genug. Tatsächlich aber will die Staatsanwaltschaft ein Strafmaß von zwei Jahren und sechs Monaten erreichen.

Solidarität mit Tim H.

Ob der Prozess tatsächlich die vom Richter erhoffte „abschreckende Wirkung“ entfalten wird, kann bezweifelt werden. Schon jetzt ging eine Welle der Solidarität durch das Internet, Spenden für Tim H. wurden eingesammelt und eine spontane Soli-Demo in Dresden auf die Beine gestellt. Entsprechend könnte es sein, dass am 13 Februar, beim diesjährigen Naziaufmarsch in Dresden, viele Nazigegner sich erst recht an den Protesten beteiligen werden, um ein Zeichen gegen die Verurteilung von Tim H. zu setzen. Für diesen geht es nun aber in erster Linie um den Berufungsprozess – der hoffentlich mit einem Freispruch ausgeht.

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