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Echos der Geschichte Die Parallelen zwischen Shoah und 7. Oktober

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An der Berliner Synagoge am Fraenkelufer erinnern Bilder an die israelischen Geiseln, die am 7. Oktober nach Gaza entführt wurden. (Quelle: picture alliance / dts-Agentur | -)

Ich muss zugeben, als die Organisatorinnen dieser Konferenz mit baten, dass ich hier eine Keynote halte zu den Parallelen zwischen Shoah und dem 7. Oktober, habe ich gezögert. Ich war drauf und dran, abzusagen. Warum ich? Sicher, ich habe den langen, deutschen Weg in die Shoah in meiner Dissertation untersucht und ich arbeite seit der Corona-Pandemie bei der Amadeu Antonio Stiftung in der Antisemitismusbekämpfung. Also ja, selbstverständlich kann ich viel sagen, darüber, was die Shoah war und was nicht – und ich kämpfe seit fast einem Jahr gegen den Antisemitismus, den der 7. Oktober losgetreten hat. Seitdem ist es nicht mehr wie zuvor. Wir haben hier schon eindrückliche Zeugnisse dazu gehört. Ich bin nicht jüdisch. Aber gerade deshalb sehe ich es als meine Verantwortung an, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um Antisemitismus zurückzudrängen. Vielleicht liegt gerade darin meine besondere Verpflichtung.

Dennoch habe ich gezögert. Es lag auch am Titel: Parallelen zwischen der Shoah und dem 7. Oktober. Die Fragestellung drängt sich zwar auf – sie ist aber auch brisant. Gerade hier in Deutschland. Wir haben in den letzten Jahrzehnten erlebt, wie Antisemitismus zu Angriffen auf die Erinnerungskultur führte, zu Rufen nach einem Schlussstrich – solche Forderungen gingen immer mit einer Relativierung der Shoah einher. Und diese Relativierung wurde oft hergestellt, indem aktuelle Ereignisse mit diesem präzedenzlosen Ereignis billig und vorschnell verglichen wurden.

Als die Corona-Schutzmaßnahmen begannen, erlebten wir zahlreiche Demonstrationen auf deutschen Straßen. In Karlsruhe, im Südwesten Deutschlands, sagte auf einer Demo eine 11-Jährige, die ihren Geburtstag wegen der Maßnahmen nicht feiern konnte: „Ich fühle mich wie Anne Frank.” Diese Worte wurden zu Recht kritisiert – und zwar heftig. Aber es ist auch klar, dass die Relativierung der Shoah etwas ist, das von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird, als vermeintlich harmlose Kontinuität. Eine Kontinuität, die gebrochen werden muss.

Heute tragen anti-israelische Demonstranten Transparente auf denen steht: „One Holocaust does not justify another one”. Sie sehen: Parallelen zwischen der Shoah und anderen Ereignissen sind in Deutschland in Mode – gerade in Deutschland. Sie sind oft Ausdruck einer Schuldabwehr. Der zugrundeliegende Gedanke geht so: Wenn auch andere ständig Holocausts begehen, dann waren unsere Vorfahren vielleicht doch nicht so schlimm. Vielen wird diese konsequente Schuldabwehr nicht einmal bewusst sein.

In der Antisemitismuskritik wurden also mit Recht allzu leichtfertige Vergleiche mit der Shoah in Frage gestellt und in ihrer Funktion eingeordnet. Und dann kam der 7. Oktober! Und jetzt stehen viele, nicht nur wir hier, vor der brisanten Frage der Parallelen. Schon allein, weil seit 1945 nicht mehr an einem einzigen Tag so viele Jüdinnen und Juden ermordet wurden. Und der Tag hat nie geendet. Noch immer sind Geiseln im Gaza-Streifen. Bring them home now.

Also: worin liegen die Parallelen, die Gemeinsamkeiten, die Unterschiede? Um diese Frage zu beantworten, kann ein Blick in die Holocaustforschung helfen. Das Frankfurter Institut für Sozialforschung musste in den 1930er Jahren vor den Nazis fliehen. Die Philosophen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer schreiben Anfang der 1940er Jahre, also gleichzeitig zur Shoah, ihr berühmtestes Buch: die Dialektik der Aufklärung. Darin fragen sie sich, wie es kommen konnte, dass gerade in einem so aufgeklärten Land wie Deutschland, dem Land von Schiller, Goethe, Kant und Hegel, der Massenmord an den europäischen Juden organisiert wurde. Ihr letztes Kapitel untersucht die zugrundeliegende Ideologie, den deutschen Antisemitismus. Das Kapitel beginnt mit folgendem Satz:

„Der Antisemitismus heute gilt den einen als Schicksalsfrage der Menschheit, den anderen als bloßer Vorwand.”

Als ich diesen Satz wieder las für die Recherche für diese Keynote, dachte ich, er hätte auch nach dem 7. Oktober geschrieben sein können. Parallelen drängen sich auf, vielleicht könnte man sie Echos der Geschichte nennen. Ich will aber zugleich argumentieren, dass der 7. Oktober in all seiner Schrecklichkeit doch nicht dasselbe wie die Shoah war.

Aber zuerst: Was war die Shoah? Der Historiker Dan Diner schrieb einmal, dass es in der Shoah darum ging, „alle überall” aufzuspüren. Die Nationalsozialisten wollten die totale Vernichtung. Deshalb deportierten sie zum Beispiel die 85 Juden von der Insel Kos am 24. Juli 1944 noch nach Auschwitz-Birkenau, um sie dort zu ermorden. Die Nationalsozialisten glaubten in ihrem mörderischen Antisemitismus, sie würden die Welt von dem Bösen erlösen. Der Holocaust-Forscher Saul Friedländer nennt das deshalb zu Recht Erlösungsantisemitismus. So brutal es ist, diese Erkenntnis auszusprechen.

Auch der Historiker Moishe Postone hat sich zeit seines Lebens mit der Shoah und dem ihn umgebenden gegenwärtigen Antisemitismus, insbesondere in der deutschen Linken seiner Zeit, beschäftigt. Er definiert die Shoah so: „Der rational organisierte Versuch, das europäische Judentum vollständig auszulöschen, das Programm der Vernichtung um der Vernichtung willen.”

Es war gerade diese Komponente, die wiederum Dan Diner dazu brachte, vom Zivilisationsbruch zu sprechen: eine Vernichtung um der Vernichtung willen, das war bis dahin unvorstellbar. Das forderte unser Denken über menschliches Zusammenleben auf existenzielle Weise heraus. In den Gettos, in denen Juden eingesperrt wurden und arbeiten mussten, war die systematische Ermordung in den Vernichtungslagern nicht denkbar. Doch war es das, was den meisten bevorstand. „Das Ereignis Auschwitz” ist ein Zivilisationsbruch, schreibt Diner 1988, weil es „an Schichten zivilisatorischer Gewissheit” rühre. Es geht um eine Zerstörung eines „Mindestmaß(es) vorausgesetzten Urvertrauens”.

Der Historiker Yehuda Bauer sprach deshalb von der Prädenzlosigkeit. Denn der Holocaust, so seine Definition, war „the intended total destruction”. Etwas Vergleichbares hat es bis dahin nicht gegeben. Jetzt sollte es als Warnung dienen, denn so etwas könne durchaus wieder geschehen.

Alle diese Auseinandersetzungen mit der Shoah fokussieren sich entweder auf die Intention oder auf den Effekt. Es geht dabei nicht konkret um Praktiken der Vernichtung, die die Shoah ausmachen sollen. Lange bevor sich hierzulande die Worte Holocaust oder Shoah etablierten, sprach man schlicht von Auschwitz – und obwohl sich gerade in Birkenau die Vernichtung um der Vernichtung willen so gut fassen lässt, war die Shoah doch viel mehr.

Gibt es also Parallelen zum 7. Oktober? Ich würde zögerlich mit Ja und Nein antworten. Der Tag war für Jüdinnen*Juden in der Diaspora wie in Israel eine Zäsur. Es gibt ein davor und ein danach. Dennoch: Es gibt selbstverständlich Unterschiede zwischen der Shoah und dem 7. Oktober. Der 7. Oktober war nicht wie Auschwitz und es ging nicht um „alle und überall” – es ging aber um so viele wie möglich. Am 7. Oktober zeigte sich die genozidale Gewalt, die den Antisemitismus immer angetrieben hat, in all ihrer Brutalität. Und dennoch ging es hier nicht allein um Vernichtung, um der Vernichtung willen. Es gab vielfältige strategische Ziele. Die systematische Verschleppung von Geiseln in den Gazastreifen war eines davon. Die beispiellose sexualisierte Gewalt, die gezielt als Kriegswaffe eingesetzt wurde, ein weiteres.

Aber welche Ähnlichkeiten gibt es? Auch am 7. Oktober zeigte sich ein eliminatorischer Antisemitismus. Was sonst sollte die Triebfeder des Mordens an diesem Tag gewesen sein? Das lässt sich allein aus der Konfliktgeschichte nicht erklären. Erkennen wir den Vernichtungswillen erst, wenn jemand ein Konzentrationslager errichtet und an das Eingangstor „Arbeit macht frei” schreibt? Antisemitismus drängt immer zur Tat, zur Gewalt, zum Mord. Weil die Ideologie eine Pseudo-Revolte gegen eine angeblich übermächtige und böse Gruppe suggeriert, von der die Welt zu erlösen sein soll. Auch dieses Erlösungsmoment finden wir in den aktuellen Protesten. Hier in Berlin wurde bei einer Universitätsbesetzung an die Wand geschrieben: „Gaza will free us all”.

Es gibt also Ähnlichkeiten. Das soll nicht heißen, die Protestierenden sind die neuen Nazis, aber es soll auf Echos der Geschichte hinweisen. Hier in Deutschland wurde in der taz von Deborah Hartmann und Tobias Ebbrecht-Hartmann argumentiert: Der 7. Oktober war ein „erneuter Zivilisationsbruch”, denn die Verbrechen zielten „auf den Kern des menschlichen Grundvertrauens, sich in der Welt sicher zu fühlen”. Das Ziel war, den Schutzraum Israel in Frage zu stellen, die Gewissheit, dass man sich auf die Wehrhaftigkeit des jüdischen Staates verlassen kann.

Und dann gibt es noch diese Echos der Geschichte. Für Jüdinnen*Juden bedeuten die Berichte und Videos dieses Tages eine sekundäre Re-Traumatisierung, so hat das die jüdische Autorin Laura Cazés genannt. Die Berichte erinnerten an die Erzählungen der Großeltern, die die Shoah überlebt hatten.

Weltweit hat der Tag einen enormen und zugleich beängstigenden Anstieg des Antisemitismus ausgelöst. Hier in Berlin, aber auch im Westen des Landes, in Nordrhein-Westfalen, wurden Häuser mit Davidsternen markiert, in denen angeblich oder tatsächlich Jüdinnen*Juden leben. Wieder, muss man sagen. Die Betroffenen hat das selbstverständlich an die Nazi-Zeit erinnert.

Zusammen mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und RIAS haben wir eine Kampagne konzipiert, die dieses Echo der Geschichte aufnimmt: Stop repeating stories heißt sie. In drei KI-generierten Videos sieht man jeweils zu Anfang eine ältere Person, die von antisemitischen Vorfällen erzählt. Aufgrund des Alters verortet man diese Erzählung in die 1930er-Jahre. Im Laufe des Videos verändert sich die Person, sie verjüngt – am Ende ist es eine junge Person und man versteht: Diese Geschichte spielt nach dem 7. Oktober.

Schockiert hat mich die Empathielosigkeit und die fehlende Solidarisierung seitdem. Es tut gut zu sehen, wie viele heute hierhergekommen sind, um zu diskutieren, um Menschen aus Israel zuzuhören und die Folgen des 7. Oktobers zu analysieren – und um zu überlegen, was wir gegen diese ja schon omnipräsente Gefahr des Antisemitismus, tun können.

Also ja, es gibt Parallelen zwischen der Shoah und dem 7. Oktober. Es wäre geradezu absurd, diese nicht zu diskutieren.

Ich möchte unter Bezug auf Theodor W. Adorno schließen, mit dem ich heute auch angefangen habe. Adorno kehrte nach Frankfurt am Main zurück. In den 1950er Jahren schrieb er in seinem Buch „Negative Dialektik”, dass uns der Nationalsozialismus einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen habe:

„Unser Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.”

Angesichts des 7. Oktobers sage ich: Wir sind daran gescheitert. Scheitern wir nicht noch einmal!

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Lagebild Antisemitische Allianzen nach dem 7. Oktober

Seit dem 7. Oktober schwinden Berührungsängste zwischen islamistischen, antiimperialistischen und sich selbst als progressiv verstehenden Milieus: Eine folgenschwere Radikalisierung, die insbesondere Jüdinnen und Juden bedroht.

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