- Neue Studie des EFBI offenbart desaströses Demokratieverständnis in Ostdeutschland.
- Ein Viertel der Ostdeutschen haben ein geschlossen rassistisches Weltbild.
- Weniger als die Hälfte der Ostdeutschen ist zufrieden mit ihrem Alltagserleben in der Demokratie, zwei Drittel halten es für sinnlos, sich politisch zu engagieren.
- Hohe Zustimmung zur Forderung nach „einer einzigen starken Partei, die die Volksgemeinschaft verkörpert“.
- Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung nennt Ergebnisse erschütternd
„Die Ergebnisse dieser Studie sind erschütternd“, so Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung. Eine aktuelle Studie des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts (EFBI) in Leipzig offenbart ein eklatantes Demokratieproblem in den ostdeutschen Bundesländern.
„Unsere Untersuchung zeigt, dass sich derzeit viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern nicht mehr demokratische Teilhabe und Sicherung der demokratischen Grundrechte wünschen, sondern die scheinbare Sicherheit einer autoritären Staatlichkeit“, so Oliver Decker, der Studienleiter der am Mittwoch in Berlin vorgestellten Studie „Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie“. Untersucht wurde die Einstellung der Ostdeutschen zur Demokratie. Tatsächlich sind die Ergebnisse dieser Studie erschreckend und lassen wenig Mut auf einen optimistischen Blick in die Zukunft zu.
Rassismus: Abwertung als Massenphänomen in Ostdeutschland
Laut der EFBI-Studie haben ein Viertel der Ostdeutschen ein geschlossen rassistisches Weltbild. Außerdem würden rassistische Aussagen nur von einer Minderheit der Befragten abgelehnt, werden. Angesichts dieser Daten müssen wir uns fragen, wie sicher Migrant*innen in Ostdeutschland sind. Auch die Frage, wie geflüchtete Menschen noch guten Gewissens in Ostdeutschland untergebracht werden können, müssen wir uns stellen. POC wissen schon lange, dass ein Urlaub in Ostdeutschland für sie nicht so sicher ist, wie für weiß-gelesene Menschen. Was lange Zeit eine gefühlte Wahrheit innerhalb der Communitys war, wurde nun mit Zahlen belegt.
Warum ist die Abwertung von Migrant*innen gerade im Osten Deutschlands so stark ausgeprägt? Eine Frage, die sich wohl seit der Wiedervereinigung gestellt wird. Dr. Johannes Kiess, an der Studie beteiligter stellvertretender Direktor des EFBI, hat eine Erklärung: „Die Abwertung von Fremdgruppen und die Überbewertung der Eigengruppe sind letztlich zwei Seiten derselben Medaille. Es gehe darum, eigene Schwäche zu kompensieren und zu überspielen.“ Nur mit fehlendem Kontakt oder schiefem Medienkonsum alleine seien diese Werte jedenfalls nicht zu erklären, so der Soziologe Kiess gegenüber Belltower.News. „Aus diesen hohen Zustimmungswerten erwächst auch eine große Gefahr für alle, die als (politisch, ethnisch, oder sonst wie) fremd konstruiert werden. Und das verstärkt natürlich die Homogenisierung noch.“
Sieben Prozent der Ostdeutschen haben ein geschlossen rechtsextremes Weltbild
Die Studie zeigt weiter, ein Fünftel der Befragten haben ein geschlossen chauvinistisches und ganze sieben Prozent ein geschlossen rechtsextremes Weltbild. Besonders ausgeprägt ist die Zustimmung in den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Zwar sei dieser Anteil über die vergangenen Jahre leicht gesunken, aber weiterhin „eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die Demokratie“, so die Wissenschaftler*innnen. Im regionalen Vergleich sticht auch hier Sachsen-Anhalt hervor: Knapp zwölf Prozent haben dort ein geschlossen rechtsextremes Weltbild.
Jeder zweite wünscht sich eine ‘starke Partei‘, die die ‚Volksgemeinschaft‘ insgesamt verkörpert. Statt pluralistischer Interessensvielfalt wird sich eine völkische Gemeinschaft herbeigesehnt. Elemente der Neo-NS-Ideologie würden zwar nicht im selben Maße offen geäußert, antisemitische und sozialdarwinistische Statements finden aber ebenfalls Zustimmung – ein Drittel der Bevölkerung stimmt ihnen vollständig oder teilweise zu. Ein geschlossen antisemitisches Weltbild haben etwa fünf Prozent der Befragten.
Unterschiede in den Bundesländern
Gegen rassifizierte Menschen gerichtete Aussagen wurden in Sachsen von fast einem Drittel aller Befragten vertreten, mehr als in allen anderen Bundesländern. In Sachsen-Anhalt leben mit 10,7 Prozent die meisten Befragten, die eine Diktatur befürworten, in Thüringen fanden sich mit acht Prozent die höchsten Zustimmungswerte zu antisemitischen Aussagen.
Demokratie
Das EFBI befragte rund 3.500 Menschen, auch nach ihrer Zufriedenheit mit der Demokratie. Das Ergebnis: Sie ist erschreckend gering. Die deutliche Mehrheit der Ostdeutschen kann sich zwar mit der Demokratie als Idee identifizieren, allerdings ist weniger als die Hälfte zufrieden mit ihrem Alltagserleben in derselbigen. Zwei Drittel halten es demnach für sinnlos, sich politisch zu engagieren, und kaum jemand glaubt, einen Einfluss auf die Regierung zu haben. Die Studie stellt zudem einen Hang zur Verschwörungsmentalität heraus und dem „Wunsch nach autoritärer Unterwerfung“. Diese Werte seien seit etwa 20 Jahren konstant. „Wir beobachten also ein ausgeprägtes Fremdeln mit der Demokratie, sie wird von vielen nicht als etwas Eigenes verstanden“, ordnet Johannes Kiess ein.
Identifikationsfigur Ostdeutsch
Die Studie zeigt auch, dass die Identifikation als „Ostdeutsch“ stark wirkt. Drei Viertel fühlten sich als Ostdeutsche. „Diese Identifikation hat mehrere Ursachen“, erklärt Soziologe Kiess gegenüber Belltower.News, „unter anderem die einer jedenfalls gefühlten Benachteiligung und auch eine des öffentlichen Diskurses.“
Die verfestigte Sozialisation in einem autoritären System wirkt auch noch heute
Zwei Drittel der Befragten sehnen sich nach der DDR. Etwa die Hälfte rechne sich zu den Gewinner*innen der deutschen Einheit, ein Drittel hingegen zähle sich zu den Verlierern. Dieser Rückblick auf die DDR hänge nicht zuletzt mit dem Wunsch nach einer Einparteiendiktatur zusammen, wie es die hohe Zustimmung zur Forderung nach „einer einzigen starken Partei, die die Volksgemeinschaft verkörpert“ verdeutlicht, so ein Ergebnis der Studie. So ergeben sich viele Anknüpfungspunkte des teilweise rechtsextremen ideologischen Angebots extrem rechter Parteien in Ostdeutschland. Konsequenterweise finden sich unter den Anhänger*innen der AfD auch die meisten Menschen mit rechtsextremen Einstellungen. „Extrem rechte Parteien bedienen vor allem das Ressentiment – den gar nicht einmal spezifisch auf eine konkrete Ursache zurückzuführenden Groll – gegen typische Feindbilder wie ‘die da oben‘ und alles Fremde“, so Kiess.
Die Ergebnisse dieser Studie sind alarmierend. „Sie zeigen nun schwarz auf weiß, wovor die Zivilgesellschaft seit Jahren warnt“, so Timo Reinfrank. „Nämlich vor einem gefestigtem rechten Milieu, das sich von der Demokratie abgewandt hat und immer mehr in Verschwörungsdenken abgleitet.“
Und nun, wie weitermachen?
Für viele Demokrat*innen aus Ostdeutschland sind diese Zahlen nicht unbedingt überraschend, da sie sich mit der eigenen Lebensrealität decken. Trotzdem müssen wir uns fragen, wie es weitergehen kann und muss. Nächstes Jahr stehen Landtags- und Kommunalwahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sowie Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern an.
„Klare Abgrenzung von der AfD“
Viele der Ursachen für die hohen Werte bei antidemokratischen Einstellungen seien nur langfristig zu bearbeiten, meint Kiess. „Kurzfristig ist aber in der politischen Kommunikation einiges zu tun: klare Abgrenzung von der AfD und vor allem auch von ihrer Rhetorik, das Nacherzählen rechter Narrative hat sie nämlich in den letzten Wochen und Monaten gestärkt.“ Ein zweiter Punkt sei eine notwendige Aufwertung der Lokalpolitik, so der Soziologe. Denn hier haben die Menschen noch höheres Vertrauen in politische Prozesse und sie können sich dort mit der Demokratie ins Vertrauen setzen. Drittens gelte es, die demokratische Zivilgesellschaft vor Ort zu stärken. „Inzwischen gibt es Landkreise mit einer extrem rechten Hegemonie und hier gilt es dagegenzuhalten.“
Ähnlich sieht es auch Timo Reinfrank: „Die Ergebnisse dieser Studie decken sich mit unserem Eindruck und den Berichten, ja Hilferufen, aus der ostdeutschen Zivilgesellschaft, die es seit Jahren gibt“. Den Blick lediglich auf die AfD und ihre Wahlergebnisse zu richten, genüge nicht. „Vielmehr müssen wir endlich in Kooperation zwischen Zivilgesellschaft und Politik systematisch überlegen, wie wir Minderheiten schützen können und die Demokratie stärken können.“