Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung (BpB) eröffnet die Pressekonferenz ?Rechtsextremismus online?, die einmal jährlich die aktuellen Entwicklungen neonazistischer Aktivitäten im Web beleuchtet, am Donnerstag in Berlin mit den Worten: ?Das Internet hat ein großes demokratisches Potential, birgt aber auch ein enormes Missbrauchsrisiko?. Rund 6.000 rechtsextreme Beiträge dokumentierte Jugendschutz.net im vergangenen Jahr. Eine Verdreifachung zu den Zahlen des Vorjahres, wie Stefan Glaser, Leiter des Arbeitskreises Rechtsextremismus bei Jugendschutz.net, berichtet.
Rechtsextreme Strategien
Die Rechtsextremen hätten einen ?Kampf an allen Fronten? ausgerufen und setzten verstärkt auf die mediale Wirkung von Musik und Videos, so Glaser weiter. Kampagnen wie ?Die Unsterblichen? haben eine starke mediale Wirkung und wecken die Neugierde der Jugendlichen. Die professionell erstellten Videoclips erreichen schnell 20.000 Klicks auf YouTube. Dass hinter den weißen Masken, der martialischen Musik und den Fackeln hartgesottene Rechtsextreme stecken, die vor dem ?Volkstod? warnen und explizit rassistische und antidemokratische Inhalte vertreten, wird vielen nicht auf den ersten ?Klick? bewusst. Auch die aktuelle Strategie der Rechtsextremen, das hochemotionale Thema Kindesmissbrauch zu besetzen, geht auf im Web. Die Facebook-Gruppe ?Keine Gnade für Kinderschänder? hat aktuell 34.700 Unterstützer/innen. Wer genau die Macher der Seite sind, ist unklar, die eindeutige Verlinkung zu NPD-Funktionären, lässt aber keine Zweifel an deren politischen Verortung. Das Internet sei heute die wichtigste Plattform der Neonazis und Jugendliche die entscheidende Zielgruppe, stellt Glaser fest.
Eltern sind oft hilflos
Martin Ziegenhagen, Projektleiter der ?Online-Beratung gegen Rechtsextremismus? bestätigt die Einschätzungen von Jugendschutz.net. ?Die Strategie der Rechtsextremen funktioniert?, erklärt er, die subtile Annäherung der Neonazis, beispielweise über Musik, gehörte schon ?offline? zur Taktik und sei nun ins Web 2.0 übertragen worden. Das natürliche Kommunikationsbedürfnis von Jugendlichen mache diese ebenso zu ?leichter Beute?, wie deren Wunsch nach Zugehörigkeit ? ob nun virtuell oder im ?wahren Leben?. Ziegenhagen verdeutlicht die Gefahr, die von rechtsextremen Annäherungsversuchen im Netz ausgeht, an einem Beispiel aus der Praxis. Ein Vater habe bei der Online-Beratung um Hilfe gebeten, nachdem seine Tochter sich stark veränderte. Nach einem Schulwechsel sei sie einsam gewesen und habe sich in einem sozialen Netzwerk einer Gruppe angeschlossen, die sich auch ?für Geschichte interessierte?. Unter dem Einfluss dieser virtuellen ?Freunde? entwickelte sie zunehmend rechtsextreme Einstellungen. Der Vater war hilflos. ?Eltern zeigen regelrechte Schock-Symptome? berichtet Martin Ziegenhagen, es fehle der Zugang zu und das Verständnis von Facebook, Twitter und Co. Die Online-Beratung gegen Rechtsextremismus setzt nun verstärkt darauf, Eltern hinsichtlich der neuen Medien zu schulen und die Schwellenangst vor Beratungsangeboten abzubauen. Auch die Schulen sieht er in der Verantwortung, Schülerinnen und Schülern ausreichend Medienkompetenz zu vermitteln, so dass sie selbst rechtsextreme Inhalte erkennen und zurückweisen können.
Gemeinsame Verantwortung von Providern und User/innen
Stefan Glaser appelliert sowohl an die Betreiber/innen sozialer Netzwerke, als auch an deren Userinnen und User: ?Es kann nicht angehen, dass Rechtsextreme diese Dienste für ihre Hasspropaganda missbrauchen, Betreiber wie YouTube und Facebook müssen mehr tun, um das zu verhindern.? Darüber hinaus gehe es um eine ?Kultur gemeinsamer Verantwortung?, neben den Providern sei es die gesamte Netz-Community, die sich aktiv für die Etablierung und Wahrung einer demokratischen, anti-rassistischen Netzwelt einsetzen müsse. Rechtsextreme Inhalte ließen sich aus dem Netz nur entfernen, wenn die Plattformen daran mitarbeiteten. Viele dieser Inhalte seien rechtlich nicht angreifbar und so bedürfe es beispielsweise einer Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der sozialen Netzwerke, die es erlaube, auch solche Dinge zu entfernen, die strafrechtlich unerheblich seien. Eine große Herausforderung sei zudem die riesige Menge an Daten, die täglich ins Netz geladen werde. Ohne die Aufmerksamkeit und aktive Mitarbeit der Internetnutzer/innen sei es erstrecht nicht möglich, rechtsextreme Propaganda aus den Blogs, Foren und Profilen zu löschen.
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