Neben dem organisierten Rechtsradikalismus ist Viertens auf die Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts in der Mitte der Gesellschaft hinzuweisen. Weder öffentlich agierend noch organisiert, sind rassistische Vorurteile und rechtsradikale Einstellungen in Teilen unbewusst bei vielen Hammer BürgerInnen vorhanden.
Von freien Kräften zu „Die Rechte“
Die Kameradschaft Hamm wurde im Jahr 2003 von Hammer Neonazis gegründet und bestand bis zu ihrem Verbot durch das Ministerium für Inneres und Kommunales NRW bis 2012. Aus der Verbotsverfügung des Innenministerium NRW geht hervor, dass die verbotene Kameradschaft aus mindestens 25 Mitgliedern bestand, die in der Mehrzahl in Hamm lebten.
Seit Gründung der Kameradschaft wurden aus deren Reihen zahlreiche öffentlichkeitswirksame Aktionen in Hamm durchgeführt. Der erste Aufmarsch wurde bereits wenige Monate nach der Gründung im Jahr 2003 mit 180 Teilnehmenden durchgeführt. Alleine in den Jahren 2003 bis 2006 fanden neun neonazistische Kundgebungen und Demonstrationen statt. Seit 2010 wurde mit regelmäßigen Demonstrationen im Oktober versucht ein Event mit bundesweiter Ausstrahlung in der Stadt zu etablieren. Dass die Kameradschaft Hamm über zahlreiche feste Kontakte und Verbindungen in den organisierten Neonazismus verfügte, zeigte sich bereits in der Frühzeit der Gruppe. So wirkte die Kameradschaft Hamm auch in 2004 gegründeten überregionalen Netzwerk „Aktionsbüro Westdeutschland“ mit, dessen Gründungsmitglied sie war.
Hamm ist als „organisch gewachsenes Nebenzentrum der landesweit herausragenden Neonazihochburg Dortmund“ zu bewerten. Im Vergleich muss die Nazi-Szene in Hamm als zu den fünf aktivsten und gefährlichsten Szenen und als Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen gerechnet werden. Dabei bildet die Hammer Szene eine Schanierfunktion zwischen dem Ruhrgebiet und Ostwestfalen und zwischen jungen Neonazis und rechtsradikalen Parteien in der Region, wie der NPD. Mit dem Versuch des Aufbaus eines „Nationalen Zentrums“ (Werler Straße 82) versuchten die Hammer Neonazis 2012 die lokale Szene weiter zu festigen und an Bedeutung für die Region zu gewinnen. An Veranstaltungen an der Werler Straße nahmen Neonazis aus ganz NRW, darunter auch zahlreiche NPD-Mitglieder und bekannte HolocaustleugnerInnen teil. Die Anmietung des Ladenlokals durch die Neonazis wurde von der Antifa Hamm und dem haekelclub 590 öffentlich bekannt gemacht. Nach dem Verbot und der Beschlagnahmung der Räumlichkeiten finden regelmäßige Treffen weiterhin in wechselnden Gaststätten in Hamm statt.
Treten Neonazis in Hamm mit Kundgebungen, Demonstrationen und Verteilaktionen auf, so liegen die Organisation, Anmeldungen und Veranstaltungsdurchführung fast ausschließlich in den Händen Hammer Neonazis.
Die Kameradschaft Hamm zählte zu den aktivsten Neonazi-Gruppen im Bundesland, deren ProtagonistInnen über langjährige Erfahrungen verfügen. Der Kern der Szene ist bereits seit der Gründungszeit kontinuierlich aktiv und es gelingt ihm immer wieder, zahlreiche SympahtisantInnen um sich zu scharen. Für die organisierte Neonazi-Szene in NRW bildet Hamm einen Knotenpunkt. So kommen bundesweit und landesweit agierende Personen aus Hamm und organisieren die rechte Szene in NRW mit. Der Aufbau neonazistischer Strukturen in mehreren Städten in der Region ist nur durch die Unterstützung von der Kameradschaft Hamm möglich gewesen. Nach Unna, Ahlen und Soest ist dabei vor allem die Neonazi-Szene in Münster zu nennen. Die Organisation und Verantwortung für Demonstrationen in Münster und Soest lag bisher zu großen Teilen in den Händen Hammer Neonazis. Neonazis aus Hamm unterstützen ebenso die Kameradschaften und Strukturen im Ruhrgebiet, so zum Beispiel beim Antikriegstag in Dortmund. 2010 und 2011 war Hamm einer der zentralen Sammlungspunkte von auswärts anreisenden Neonazis, die von dort gemeinsam mit der Kameradschaft Hamm nach Dortmund fuhren. Zu Großdemonstration (z.B. nach Dresden oder nach Dortmund) sind in den vergangenen Jahren öfters über Hamm per Bus und Zug organisiert und von der Hammer Szene koordiniert worden.
Die Hammer Neonazis sind als gewaltbereit (schwere Körperverletzung) und kriminell (Sachbeschädigung, Propagandadelikte, BTM-Verstöße) einzuschätzen. Beispielhaft zu nennen sind hier Angriffe auf Personen (beispielhaft Cityfest 2006, Pirates 2012), Sachbeschädigung bei einzelnen Personen (Werries 2005, Herringen 2011, Stadtmitte 2011), Verleumdung von Privatpersonen (Stadtmitte 2010) und Angriffe und Sachbeschädigungen bei Parteien (6x Linkspartei, 1x SPD) und der Gewerkschaft ver.di.
Auf das Verbot ihrer Organisation hat die Hammer Neonazi-Szene zügig reagiert. Mit der Gründung eines Kreisverbandes der Partei „Die Rechte“ hat sie sich eine Ersatzorganisation geschaffen, in der die Mitglieder der verbotenen Kameradschaft ihre Aktivitäten lückenlos fortsetzen. Zeitgleich mit dem Kreisverband Dortmund gründete sich im Oktober auch der Hammer Verband. Die Struktur der neuen Partei wird durch Hammer Neonazis mitorganisiert. Der Vorsitzende des Hammer Kreisverbandes, der langjährige Neonazi-Aktivist Sascha Krolzig, ist sowohl im Bundes- als auch im Landesvorstand NRW der Partei „Die Rechte“ vertreten. Ein weiterer Hammer Neonazi ist vor Kurzem zum Kreisvorsitzenden in Wuppertal gewählt worden. Des weiteren hat ein aus Hamm stammender ehemaliger Führungskader der verbotenen Kameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund“ ein Ladenlokal in Dortmund-Huckarde erworben, in das das Parteibüro der rechtsradikalen Partei eingezogen ist.
Parteien
In Hamm sind neben der neuen Partei „Die Rechte“ sowohl ein Kreisverband der NPD als Verbände der Republikaner und der Bürgerbewegung Pro NRW verortet. Die NPD war bisher eng mit der Kameradschaft Hamm verbunden, deren finanziellen Rückhalt sie war. Im Gegenzug lief die Wahlkampforganisation über die jungen Neonazis. Inwieweit diese Zusammenarbeit nach der Gründung der eigenen Partei fortbesteht, bleibt abzuwarten.
ProNRW ist mit einem Mitglied im Rat der Stadt Hamm vertreten und trat im Landtagswahlkampf 2012 auch vor der Heessener Yunus-Emre-Camii auf. Gerade im Zusammenhang mit dem Umbau oder Neubau von Moscheen versuchen die Parteien, zielgerichtet Ängste und islamophobe Vorurteile zu schüren. Beispielhaft ist zu erwähnen, dass die Bürgerinitiative in Herringen vom NPD-Vorsitzenden des Kreisverbandes Hamm/Unna initiiert wurde.
Auch wenn die Wahlergebnisse leicht über dem Durchschnitt des Landes NRW liegen, halten sich die Stimmen für die Rechtsradikalen in Hamm noch in Grenzen. Einzelne Stimmbezirke müssen trotzdem in den Blick genommen werden. Relativ niedrige Wahlergebnisse für rechtsradikale Parteien sind in NRW typisch, besagen aber nicht, dass es kein WählerInnenreservoir für rassistische Positionen gibt.
Bozkurtlar/Graue Wölfe
Unbehelligt von der Öffentlichkeit existieren in Hamm ausgebaute Strukturen der Grauen Wölfe (türkisch Bozkurtlar, auch Bozkurtçular). Dies sind die Mitglieder oder Anhänger der rechtsradikalen und faschistischen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung („Milliyetçi Hareket Partisi“, MHP). Die deutsche Organisation dieser Partei ist die so genannte „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland” bzw. „Türk Federasyon” (Türkische Föderation) oder kurz ADÜTDF. Verhalten und Form dieser Bewegung hat laut Verfassungsschutz NRW Ähnlichkeiten mit der deutschen neonazistischen Szene. Deutschlandweit sind ca. 7.000 – 10.000 Menschen Mitglied dieser faschistischen Organisation und somit größer als die NPD. Einer der Schwerpunkte sind die Ruhrgebietsstädte.
In Hamm sind die AnhängerInnen eher als NationalistInnen einzuschätzen. Mit geschätzt ca. 40 Mitgliedern, einem größeren Kreis von Sympathisanten und dem Angebot an mehrfach im Jahr stattfindenden kulturellen Veranstaltungen und Festen ist die Gefahr rechter Tendenzen zwar nicht in der Breite der türkischen MigrantInnen vorhanden, dennoch in Hamm nicht zu unterschätzen. Mitglieder dieser rechtsradikalen Organisation sind unter anderem in Gremien und (unter Beachtung bundesweiter Medien) im Vorstand der CDU Ortsunion Hamm-Westen aktiv.
Hier müssen Stadt Hamm, Parteien und Organisationen stärker den Blick schärfen und NationalistInnen keine Plattform mehr bieten. Die vielfältige Integrationsarbeit der Stadt Hamm muss mit pluralistisch ausgelegten Projekten und Programmen ein demokratisches und offenes Gegenbild fördern und die demokratischen Kräfte stärken.
Rechtes Gedankengut der Mitte
Durch die verschiedenen sozialwissenschaftlichen Forschungen zur Verbreitung rechtsradikaler Einstellungen in der Bevölkerung (u.a. Heitmeyer „Deutsche Zustände“, Friedrich-Ebert-Stiftung „Die Mitte in der Krise“, Bundesregierung „Antisemitismusbericht“) ist anzunehmen, dass auch in Hamm ca. 8% der Menschen über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügen, 8,8% eine Diktatur als Staatsform bevorzugen, 13,3% Deutsche als „überlegenes Volk“ bezeichnen, 25% Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit aufweisen und bis zu 50% muslimfeindlich eingestellt sind.
Diese Einstellungen werden zum Teil durch Massenmedien und bekannte Politiker verschiedenster Parteien (Thilo Sarrazin, Erika Steinbach) genährt und hoffähig gemacht. Diese Tendenzen sollten auch auf kommunaler Ebene nicht verharmlost sondern vollkommen ernst genommen und thematisiert werden.
Textübernahme mit freundlicher Genehmigung vom haekelclub 590.