Die Preisträgerin strahlt und ist sichtlich bewegt, als sie auf das Podium im Berliner Willy-Brandt-Haus trat, um sich für die Verleihung des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises 2009 zu bedanken. „Ich sehe die Ehrung und Wertschätzung hier als Ansporn, weiter zu machen mit meiner Arbeit, ein herzliches Dankeschön dafür“, sagt Bianca Richter.
Die schwierige Arbeit für Demokratie
Aus ihrem Heimatort Reinhardtsdorf-Schöna kennt die 30-jährige Psychologin ganz andere Reaktionen auf ihre Arbeit gegen den Rechtsextremismus und für Demokratie. In der sächsischen 1.200-Personen-Gemeinde, in der die NPD bei der Kommunalwahl 2004 das sächsische Rekordergebnis von 25 Prozent verbuchen konnte, erlebt sie oft genug, dass nicht die Rechtsextremen ausgegrenzt werden, sondern die Menschen, die sich für Demokratie engagieren. „Ich erlebe eine Gemeinde voller Ignoranz, Blindheit und Schweigen“, sagt die zierliche Frau, und dass sie immer noch keine Antwort auf die Frage hat, die ihr so viele Journalisten, Politiker, Kirchenvertreter und andere Zugereiste stellen: Warum wählen bei Ihnen so viele NPD? „Doch auch wenn mich manchmal das Gefühl der Resignation beschleicht“, sagt Bianca Richter, „unsere Bilanz ist auch nicht schlecht. Wir haben einen neuen Bürgermeister, der Demokratie lebt und Rechtsextremismus als Problem erkennt, wir haben viel ehrenamtliches Engagement in der Bürgerinitiative, machen pro Monat eine aufklärende Veranstaltung, und haben die Zahl der Wählerstimmen für die NPD zumindest schon um 100 Stimmen reduzieren können.“
Ausgezeichnet mit dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreis: Richard Schröder und Bianca Richter
Bianca Richter ist mit ihrem Bruder diejenige, die 2004 ganz spontan mit einer Flugblattaktion neue NPD-Rekordergebnisse in Reinhardtsdorf-Schöna verhindern will, in der Folge Anfeindungen und Bedrohungen, aber auch Unterstützung erhält. 2004 begründet sie die Bürgerinitiative „Demokratie anstiften“, um dem Rechtsextremismus entgegen zu treten, aber auch, um ihre Mitmenschen mehr für Demokratie zu begeistern. Ein großer Erfolg der Initiative: Ein NPD-Bürgermeister wurde verhindert, indem ein parteiunabhängiger Kandidat motiviert und gecoacht wurde.
Kämpferisches von Franz Müntefering
Für ihr couragiertes und langjähriges Engagement wird Bianca Richter am 05. März 2009 gemeinsam mit dem Bürgerrechtler und Ost-SPD-Mitbegründer Richard Schröder mit dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreis der SPD ausgezeichnet. SPD-Chef Franz Müntefering eröffnet die von Henning Scherf launig moderierte Verleihungsveranstaltung. Der SPD-Vorsitzende stellt fest: „Uns treibt ein gemeinsames Thema um: die Demokratie zu schützen, auszubauen, zu erhalten und mit Leben zu erfüllen – in der Tradition Gustav Heinemanns.“ Oft genug würden die Menschen in Deutschland ihre Demokratie allerdings als bequemen „Schaukelstuhl“ begreifen, statt aktiv an ihr und mit ihr zu arbeiten, damit sie gelingt. „Wir haben in Deutschland zu viele Menschen auf der Tribüne, die zugucken und es besser wissen, und zu wenige, die die Ärmel hochkrempeln und die demokratische Arbeit angehen“, meint Müntefering. Auf die Preisträger trifft dies natürlich nicht zu. Franz Müntefering sagt, zu Bianca Richter gewandt: „Solange es junge Menschen wie Sie gibt, die so engagiert in den Kampf gegen den Rechtsextremismus ziehen, ist mir um die Demokratie nicht bange.“ Denn den Rechtsextremismus müsse die wehrhafte Demokratie bekämpfen, damit in Deutschland niemand Angst haben müsse, weil er oder sie anders ist, und die Gleichwertigkeit und die Würde des Menschen für alle gelte. In Anlehnung an das Motto Willy Brandts meint Müntefering heute: „Wir brauchen ein ‚Mehr Demokratie wagen‘, Teil 2!“ und lobt besonders das Engagement der Reinhardtsdorf-Schönaer Bürgerinitiative für Demokratie: „Denn wir brauchen Institutionen, die stimmen, aber noch mehr die tiefe Durchdringung aller Menschen mit der Idee der Demokratie, damit diese funktioniert.“
Anerkennung von Gesine Schwan
Auch Gesine Schwan, Anwärterin auf das Amt der Bundespräsidentin, lobt das Engagement der jungen Sächsin. „Sie ist beharrlich, voller Ideen verfolgt sie ihr Ziel: Rechtsextremismus sichtbar machen und etwas zu unternehmen, um die Demokratie als schützenswertes Gut erfahrbar und erlebbar zu machen“, sagt Schwan. In Reinhardtsdorf-Schöna könne man ein auffälliges und bedrohliches Versagen der kommunalen Einrichtungen sehen, die offenbar keine Bollwerke der Demokratie seien, eine Zivilgesellschaft, die sich ihrer Grundlagen nicht sicher ist, und einzelne, die sich nicht trauten, die Stimme zu erheben. Unter solchen Umständen ist es „leichter, ein Mitläufer zu sein, als gegen erkanntes Unrecht die Stimme zu erheben. Aber Bianca Richter lässt sich nicht abbringen.“
Es gibt noch viel zu tun
Die so vielfach Gelobte freut sich über diese Wertschätzung wie auch über den mit 10.000 Euro dotierten Preis, der eine weitere Arbeit der Bürgerinitiative ermöglicht. Doch Bianca Richter sieht auch am heutigen Tag die Arbeit, die vor ihr liegt. 2009 sind auch in Sachsen Kommunalwahlen. „Zur Gemeinderatswahl gibt es keinen Kandidaten der SPD, keinen der CDU, keinen der FDP oder der Grünen. Sie können sich ausrechnen, was übrig bleibt“, sagt Richter, „noch immer ist bei uns im Ort die NPD stark und die demokratischen Parteien schwach.“ Sie setzt Aufklärung, Bürgerbeteiligung und Netzwerkarbeit dagegen, organisiert mit der Bürgerinitiative und unterstützt vom Kulturbüro Sachsen Informationsveranstaltungen und Aktionen. „Und wenn jetzt bekannt wird, dass wir diesen Preis gewonnen haben“, sagt sie, „dann kann ich schon wieder auf die nächste Kampagne der NPD warten, die gern im ganzen Ort Flugblätter verteilen, wir würden uns ja nur engagieren, um uns zu bereichern.“ Aber dann lacht sie. Sie geht jetzt ihre verdiente Auszeichnung feiern. Der Alltag kommt früh genug zurück.
Mehr im Internet:
Zum Weiterlesen:
Ihre Erfahrungen hat Bianca Richter veröffentlicht in der Reihe „Analysen“ der Amadeu Antonio Stiftung:
„Rechter Alltag – Ein Bericht über die ‚Deutschen Zustände‘ in Reinhardtsdorf-Schöna und Kleingießhübel“.
Hier zum Download.