Ein Mann liegt auf dem Boden eines Bahnsteiges, die Hände auf dem Rücken, von Polizisten umringt. Man kann nicht genau sehen, was vor sich geht, denn die Bilder, die die Szene zeigen, sind wackelig und unscharf. Klar erkennbar ist der junge Schwarze allerdings wehrlos. Plötzlich fällt ein Schuss.
Mit diesen authentischen Handyaufnahmen von Augenzeugen beginnt das Drama „Nächster Halt: Fruitvale Station“: In der Silvesternacht 2008/09 war der 22-jährige Afroamerikaner Oscar Grant von einem weißen Polizisten in den Rücken geschossen worden. Sein gewaltsamer Tod führte zu Protesten und Krawallen in den USA, die ganze Welt zeigte sich geschockt von dem krassen Fall an Polizeigewalt.
Trotz der authentischen Aufnahmen zu Beginn ist „Fruitvale Station“ kein Doku-Drama. Und obwohl man das tragische Ende der Geschichte kennt, nimmt der einfühlsame und fast schon beiläufig erzählte Film von der ersten Sekunde an gefangen. Regieneuling Ryan Coogler begleitet die letzten Stunden im Leben von Oscar Grant – ohne zu beschönigen oder zu heroisieren. Grant, mitreißend von Newcomer Michael B. Jordan gespielt, wird mit all seinen Widersprüchen porträtiert: als fürsorglicher Vater für die vierjährige Tatjana, der gleichzeitig seine Freundin Sophina kaum unterstützen kann. Als liebevoller Sohn, der seiner Mutter Krebse zum Geburtstag bringt – und sie ein Jahr zuvor im Gefängnis noch zusammenbrüllte. Als Ex-Häftling, der vom Drogendealen wegkommen will und gerade seinen Job in einem Supermarkt verlor.
Oscar Grant: Liebevoller Vater
„Fruitvale Station“ zeigt dabei zum größten Teil die banalen Momente, die den Alltag von jedem bestimmen. Der Morgen beginnt mit einem Streit zwischen Oscar und Sophina, der Blick auf den Kalender verrät, dass die Miete bald fällig wird, auf dem Weg zum Kindergarten steckt Oscar seiner Tochter heimlich Süßigkeiten zu. Im Supermarkt hilft er einer Kundin, die ratlos vor der Fischtheke steht. Kleine Episoden, die ein authentisches Bild von Grant zeichnen: weder Heiliger noch hoffnungsloser Fall, sondern ein lebenslustiger junger Mann, der weiterkommen will. Für dieses realistische Porträt erhielt Regisseur Coogler bereits zahlreiche Preise, darunter den Jury- und Publikumspreis beim Sundance-Festival und die Auszeichnung für das beste Erstlingswerk in Cannes.
Angesichts der realen Geschichte wäre es einfach gewesen, Oscar Grant auf ein Podest zu stellen, um den Kontrast zur unvorstellbaren und rassistischen Polizeigewalt noch deutlicher zu machen. Doch Coogler verweigert sich dem – und schafft so einen größeren Schockmoment. Denn die ausgelassene Silvesternacht, die Oscar und Sophina mit Freunden verbracht haben, endet an der „Fruitvale Station“ im Vorort von San Francisco. Im Zug war Grant in ein Handgemenge verwickelt worden, die herbeigerufene Polizei nimmt ihn und seine Freude an der Haltestelle fest. Obwohl Oscar beruhigend auf die anderen einredet, eskaliert die Situation von einer Sekunde auf die andere: Ein weißer Polizist schießt ihm, als er wehrlos am Boden liegt, in den Rücken. Im Prozess wird er aussagen, dass er seine Pistole mit dem Taser verwechselt habe. Er wird später nicht wegen Mordes, sondern wegen fahrlässiger Tötung verurteilt werden, Ausschreitungen und Demonstrationen begleiteten das Verfahren.
Eskalation innerhalb von Sekunden
Regisseur Coogler beendet „Fruitvale Station“ allerdings mit den Szenen aus dem Krankenhaus: Während die Familie noch bangt und versucht, sich gegenseitig Halt zu geben, kämpft Grant um sein Leben – vergebens. Der stille Schrei seiner Mutter ist einer der stärksten Momente des Dramas, das ohnehin reich an großen Filmmomenten ist.
Mehr Informationen:
Nächster Halt: Fruitvale Station
Starttermin: 1. Mai 2014
Regie: Ryan Coogler
Mit Michael B. Jordan, Melonie Diaz, Octavia Spencer
FSK ab 12 freigegeben
Offizielle Website und Facebook-Seite des Films
Zum Film gibt es Pädagogisches Begleitmaterial, das Sie hier herunterladen können (pdf):