Im hinterletzten Winkel der Halle 4.1, durch einen kargen Gang abgegrenzt von dem turbulenten, lebendigen, mitunter feuchtfröhlichen Treiben der Frankfurter Buchmesse 2019, schmorten völkische Verlage wie manuscriptum, Junge Freiheit, Philip Steins Jungeuropa und Antaios eine Woche lang in ihrem eigenen Saft. Kaum ein Besucher verirrte sich in die Schmuddelecke zu den grimmig dreinblickenden „Identitären“, um einen Blick auf ihre (proto-) faschistische Auslage zu werfen. Der neurechte Verleger Götz Kubitschek vertreibt sich die Zeit vor seinem Provinzverlag mit Grübeleien über den erbärmlichen Auftritt.
Was war passiert seit 2017, als man sich noch im Mittelpunkt des Geschehens wähnen konnte? Wie ist die Niederlage zu erklären? Ein Reihenstand auf der Buchmesse von 8 qm kostet den Aussteller 3.410 Euro. Hat man das Geld jetzt in den Sand gesetzt, während die Party, deren Ende man noch vor wenigen Jahren noch gefordert hatte, jetzt munter weiterläuft, ohne sich für einen zu interessieren? Versonnen denkt der ehemalige Reserveoffizier Kubitschek auf seinem Blog „Sezession“ an bessere Zeiten in dem begrenzten Vokabular, das ihm zu Gebote steht: Vor zwei Jahren habe man sich trotz unterlegener Kräfte wie mit einem Fallschirm abgeworfen, um einen Knotenpunkt einzunehmen, den die Gegner*innen nicht mehr rechtzeitig abschirmen konnte. Man habe die Berichterstattung beherrscht, die Bedingungen diktiert.
Die Niederlage der Gegenwart lässt die Vergangenheit im hellen Licht einer Landser-Geschichte erstrahlen. Auf den Gedanken, eine Verbindung zwischen den antifaschistischen Protesten 2017 und der relativen Bedeutungslosigkeit der Rechten 2019 zu ziehen, kommt der Verleger offenbar nicht.
Für die Rechtsextremen war es in der braunen Ecke wohl zu langweilig
Für die neurechten Aktivist*innen und Besucher*innen aus dem Umfeld der Verlage, der sogenannten „Identitären Bewegung“ und der „Jungen Alternativen“, der Jugendorganisation der AfD, war der Messe-Samstag in der rechten Ecke wohl dermaßen langweilig, dass sie bewusst die demokratischen Nachbar*innen von 2017 aufsuchten; die Stände der Bildungsstätte Anne Frank, der Amadeu Antonio Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Und so bauten sich die Aktivist*innen vor den Ständen auf, setzten sich in die Stände hinein und begutachteten die Info-Materialien. Ellen Kositza, Ehefrau von Götz Kubitschek, versuchte, einen Vortrag der linken Politikerin und Aktivistin Jutta Ditfurth zu besuchen – zumindest so lange, bis ihre Anwesenheit bemerkt wurde und ihr vermittelt wurde, dass sie dort nicht willkommen ist.
Die rechtsradikalen und rechtsextremen Aktivist*innen verwickelten Mitarbeiter*innen an den Ständen in Gespräche, wobei Gespräche hier wohl das falsche Wort ist. Vielmehr ging es ihnen um Anschuldigungen: Wir seien Linksextreme, wir seien Teil der terroristischen Antifa, für uns seien alle rechtsextrem, wir wollten die deutsche Kultur vernichten, wir würden die Gesellschaft spalten.
Offenkundig fruchtlose Gespräche endeten nach Hinweisen, dass man keinen gemeinsamen Nenner für eine Diskussion finden könne oder das man nicht an Gesprächen mit Rechtsextremen interessiert sei. Auch das Ansprechen der Strategie durch Mitarbeitende an den Ständen zeigte Wirkung auf die Aktivist*innen. „Sie sind doch nur hier, um zu provozieren, gehen Sie doch einfach weiter“, „Warten Sie hier noch auf Freunde, oder warum stehen sie hier weiterhin vor unserem Stand?“. Es wirkte beinahe so, als würde das Ansprechen der offensichtlichen Strategie die Aktivist*innen einschüchtern. Sie fühlten sich wohl ertappt und gingen zurück in ihre einsame Ecke.
Auch Simon Kaupert, Mitglied der „Identitären Bewegung“ und Mitarbeiter des rechtsextremen Netzwerkes „Ein Prozent“, kam mit Kamera-Ausrüstung an unseren Ständen vorbei. Mittlerweile ist er im Projekt „Dokus von rechts“ aktiv, einem Format, das rechtsextreme Video-Propaganda verbreitet. Offenbar dreht er ein kleines Filmchen auf der Messe. Seit einiger Zeit fällt Kaupert bereits durch „Anti-Antifa“-Arbeit auf. Unter dem Begriff „Anti-Antifa“ verfolgen Neonazis ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten und Gesichter über politische Gegner*innen. Kauperts Kamerad, ebenfalls mit einer Kamera ausgestattet, gab vor, im Stand der Amadeu Antonio Stiftung eine Broschüre zu lesen. Er wurde von Mitarbeiter*innen des Standes darauf hingewiesen, dass er keine Aufnahmen öffentlich verwendet darf.
Doch nicht nur Aktivist*innen der IB versuchten zu provozieren, auch Justin Salka, stellvertretender Landesvorsitzender der JA Rheinland-Pfalz und Manuel Wurm, Beisitzer des Landesvorstandes der JA Hessen pöbelten an den Ständen der Bildungsstätte Anne Frank, der Amadeu Antonio Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Letzter Akt der völkischen Rebellion der „Identitären Bewegung“: Sticker klauen
Ob es eine Art Mutprobe sei, sich antirassistische Flyer und Sticker vom politischen Gegner zu mopsen, wurden die Aktivist*innen gefragt. Wohl etwas ertappt, folgten Antworten wie „Nein, warum soll das eine Mutprobe sein? Wir wollen uns nur informieren.“ Und dennoch erscheinen Bilder in den sozialen Netzwerken, auf denen Aktivist*innen stolz mit Anti-Rechts-Stickern posieren. Offenbar erwartet man Beifall von der eigenen Gefolgschaft, sich mit Materialien des politischen Gegners eingedeckt zu haben, ohne dabei physisch angegriffen worden zu sein. Richtig mutig, denken vielleicht rechte Aktivist*innen. Wir finden das eher erbärmlich, halten uns aber an die wohl vergebliche Hoffnung, dass beim Lesen der Materialen vielleicht etwas hängen bleibt.
Was bleibt also von der Buchmesse 2019? Im Glauben, jede Aufmerksamkeit sei gute Aufmerksamkeit, hält sich Kubitschek zwar für einen Gewinner der früheren Auseinandersetzung, aber die heutige Einsamkeit mit den Kamerad*innen in der Sackgasse 4.1 belegt das Gegenteil. Es belegt, dass man die Rechten eben nicht erst groß macht, indem man ihren Wahn skandalisiert, dass die gemütliche Strategie des Ignorierens nicht so wirkungsvoll ist, wie die Konfrontation. Zwar mögen sie ihre fünfzehn Minuten im Zentrum des Geschehens stehen und das ihrem Klientel als Sieg verkaufen. Wenn dadurch aber die Zivilgesellschaft dazu gebracht wird, sich zu positionieren, kann das der Marginalisierung rechter Agitatoren dienen. Die Verbannung in die Sackgasse von Halle 4.1 ist ein direkter Erfolg der antifaschistischen Proteste vor zwei Jahren, auf den Rechte wie Kubitschek in gewohnt selbstmitleidiger Pose reagieren. Dabei scheint bei ihm das Selbstmitleid trotz gelegentlich demonstrativer Siegesgewissheit, Verlagsprogramm zu sein: Der Antaios Verlag ist nach einem Riesen der griechischen Mythologie benannt, der seine Stärke aus dem Boden zieht, schlussendlich aber von Herakles in die Luft gehoben und besiegt wird. Man hat sich offenbar in der Rolle des Verlierers eingerichtet, auch wenn man das dem Kundenstamm anders verkaufen möchte.
Wenn Rechtsextreme Raum bekommen, nutzen sie ihn
Ein Problem stellt sich aber nach wie vor: Auch wenn einige – nicht alle! – völkisch-rechte Verlage in die braune Ecke verbannt wurden, in die kaum einer zufällig hineinstolpert, ziehen sie ein entsprechendes, oft rechtsextremes Publikum an. Größere Teile dieses Publikums verweilen aber nicht nur in der einsamen Ecke in Halle 4.1. Sie laufen herum, machen sich über Besucher*innen lustig, die nicht in ihr Weltbild passen, provozieren und bauen sich zum Teil bedrohlich vor Menschen auf, die sie als Feinde definieren. Lösen wird dieses Problem nur eine klare Haltung der Messeveranstalter gegen rechtsextreme Kundschaft, die einzufordern weiter Aufgabe des antifaschistischen Protestes bleiben wird.
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