Elon Musk sorgte bei der Trump-Amtsübernahme für mediale Empörung: Zweimal hintereinander führte er eine Handgeste aus, die Ähnlichkeiten mit dem Hitlergruß oder dem römischen Salut hat – eine Geste, die von den Medien schnell als potenziell verbotene Chiffre verstanden wurde. Was in ihm vorgegangen ist und warum er es getan hat, lässt sich schwer beantworten. Doch wichtiger als die Frage nach der Absicht oder Bedeutung dieser Aktion ist die dahinterstehende Strategie.
Musk ist ein „Edgelord“ – jemand, der gezielt mit Tabubrüchen provoziert, um die Grenzen des Sagbaren beständig zu verschieben und mediale sowie gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu generieren. Diese Haltung hat er seit der Pandemie kultiviert und geschickt als Teil seiner Marke etabliert. Was dabei oft übersehen wird: Diese Strategie lehnt sich stark an rechtsextreme Guerilla-Taktiken an, wie sie auf Plattformen wie 4chan perfektioniert wurden, um vorpolitischen Raum zu gewinnen. Eine metapolitische Unterwanderung also.
Der Hitlergruß, Musks Rebranding seines X-Profils als „Kekius Maximus“ – samt eines Profilbildes mit Pepe the Frog als römischem Soldaten – und sein Ruf an die Menge „I love you!“ sind keine Zufälle. Sie dienen als „Dogwhistles“ – subtile Signale, die von einer radikalisierten Online-Basis rezipiert und verstanden werden sollen. Musk setzt auf Empörungswellen, die politische Gegner*innen „triggern“ sollen, also progressive Medien trollen und Diskussionen dominieren. Alles also, wie es im Handbuch für Medienguerillas, einem rechtsextremen Strategieleitfaden für erfolgreiche Online-Hasskampagnen aus 2018, festgehalten wird.
Damit erinnert er an Vorfälle aus der ersten Amtszeit Trumps, als Pro-Trump-Influence*innenr das „OK“-Handzeichen, ein Symbol für weiße Vorherrschaft, im Presseraum des Weißen Hauses machten. Damals wurde die Geste im Medienecho als Symbol für weiße Vorherrschaft interpretiert. Amerikanische Reporter*innen und Organisationen verfolgten die Ursprünge dieser Strategien jedoch bis zum /pol/-Board von 4chan, einem mittlerweile von Rechtsextremen unterwanderten Hassforum, das durch Grausamkeit und ungezügelte Menschenfeindlichkeit immer wieder auffällt. Es handelt sich also um eine absichtliche Provokation: Trolle hatten das OK-Zeichen bewusst als ihr „Hasssymbol“ verstanden, um die Medien hereinzulegen und den öffentlichen Diskurs zu manipulieren.
4chan: Brutstätte rassistischer Gewalt
Die Plattform 4chan, insbesondere das /pol/-Board, ist mehr als ein Forum für „edgy“ Memes. Es ist eine Brutstätte für Hassrede, Verschwörungserzählungen und Rechtsterrorismus. Dort werden genau solche Strategien entwickelt, um politische Diskurse zu stören, sie metapolitisch zu unterwandern und Gesellschaften durch Trolling und Doxing-Aktionen zu spalten. Eine brennende Müllhalde des Internets also.
Eine der effektivsten Guerilla-Taktiken von 4chan besteht darin, Dogwhistles – unscheinbare Symbole oder Gesten – mit rechtsextremer Bedeutung aufzuladen, um öffentliche Räume zu unterwandern und für sich zu radikalisieren. Beispiele wie das „OK“-Handzeichen, Musks vermeintlicher Hitlergruß oder der gezielte Missbrauch von Memes wie Pepe the Frog zeigen, wie viel Aufmerksamkeit diese Methoden binden können. Natürlich zielen diese Taktiken darauf ab, Medien und progressive Akteur*innen zu trollen, indem sie sie als übertrieben, „hysterisch“ oder naiv darstellen.
Was dabei oft unterschätzt wird, ist die Reichweite und der Einfluss dieser rechtsextremen Guerilla-Strategien. Sie dringen in den Mainstream ein, prägen öffentliche Debatten und normalisieren extremistische Narrative – oft, ohne dass die Absender sichtbar bleiben.
Reaktion deutscher Medien
In Deutschland wurde Musks Geste medial sehr breit rezipiert, doch was auffällt, ist die Oberflächlichkeit der Analyse und die Einordnung des Ereignisses. Immer wieder ist lediglich von einer „fragwürdigen“ Geste, „schlechtem Benehmen“ oder einer „kontroversen“ Handbewegung die Rede – Formulierungen, die allesamt die Tragweite des Vorfalls bagatellisieren und den Diskurs auf einer deskriptiven Ebene verharren lassen. Zwar dokumentiert die deutsche Presse Musks Handlung oft minutiös, mit O-Tönen und einer detaillierten Beschreibung des Vorfalls, doch es fehlt häufig an der essenziellen Aufklärung über die Strategie dahinter. Dieser Mangel an Tiefe ist nicht nur fahrlässig, sondern spielt auch direkt in die Empörungswelle, der Musk erst recht Aufmerksamkeit verschafft. Indem Kritik und Kontext ausbleiben, bleibt viel Raum für Interpretation – und die eigentliche Gefahr seiner Taktiken wird nicht erkannt oder benannt. Wo bleibt die kritische Auseinandersetzung?
Die Neverending Empörung
Musks wiederholte Agitation ist daher kein Zufall, sondern eine Ablenkungsstrategie und Teil einer metapolitischen Agenda, die Rechtsextremismus normalisieren soll. Er folgt einem bekannten Muster: Aufmerksamkeit um jeden Preis. Während er sich selbst als Verfechter der Meinungsfreiheit inszeniert, kultiviert er gleichzeitig eine toxische Online-Kultur, die zunehmend antidemokratische Züge annimmt. Ziel: absolute Normalisierung des Tabubruchs und rechtsextremer Gesinnung als post-ironisches New Normal. Mit jedem weiteren Vorfall verschiebt Musk die Grenzen des Sagbaren und gibt rechtsextremen Ökosystemen einen neuen Nährboden – online und offline.
Was tun?
Zukünftig werden sich solche Tabubrüche im gesellschaftlichen Diskurs naturalisieren, da Effekte wie Medienecho und Empörungswellen mitbedacht sind. Wer sich zurückerinnert an Gaulands „Vogelsschiss der Geschichte“ und das damalige Echo oder die „Remigration“-Debatte der AfD, stellt schnell fest, dass der Raum für rechtsextreme Gesinnung immer weiter gedehnt wurde, zugunsten dieser Normalisierung. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir als demokratische Gesellschaften multidisziplinarische Lösungen, die nicht nur im Journalismus verankert werden. Es fehlt an Resilienztrainings, Medienkompetenz und zivilgesellschaftlicher Gegenwehr. Wir müssen jetzt die Lösungen von morgen entwickeln, da wir gut antizipieren können, wie die nächsten vier Jahre unter Donald Trump aussehen werden. Für Deutschland und Europa bedeutet dies, eigene Lösungen zu finden, die unmissverständlich in regulatorische Maßnahmen münden müssen. Eine Zivilgesellschaft darf nicht als einziger Pfeiler der Demokratie zurückbleiben, während alles andere drumherum abgetragen wird oder dem Zynismus überlassen wird. Die demokratische Öffentlichkeit muss über die Mechanismen hinter solchen Tabubrüchen informiert werden, um ihre Wirkung zu entschärfen. Gleichzeitig muss sie resilient gemacht werden. Plattformen wie X sollten stärker denn je in die Verantwortung genommen werden. Es ist jetzt mehr denn je notwendig, demokratische Narrative zu fördern, die den öffentlichen Diskurs zurücklenken. Politische Regulierungen, wie der Digital Services Act, müssen konsequent umgesetzt und weiterentwickelt werden, um extremistischer Rhetorik und Manipulation entgegenzutreten. Wie dies zu leisten ist, bleibt noch offen, angesichts der Prekarisierung der Zivilgesellschaft und dem Erschöpfen demokratischer Werte. Doch mit Gegenwehr anzufangen, müssen wir allemal jetzt.