Die Kammwegklause auf dem Herrenberg in Erfurt war seit ihrer Eröffnung Ende 2012 ein bekannter Treff der extrem rechten Szene. In der Kneipe fanden regelmäßig Konzerte von rechten Bands und Veranstaltungen von Neonazi-Organisationen sowie der NPD statt. Unter der gleichen Adresse hatte der Neonazi und frühere NPD-Politiker Enrico Biczysko ein Ladengeschäft und Versandhandel mit dem Namen „Patriot“ gemeldet. In den Räumen der Kammwegklause war auch ein NPD-Bürgerbüro untergebracht. Unweit von der Kammwegklause entfernt befindet sich auch eine Haupt- und Realschule.
Erinnerungsort stärker in der Stadt etablieren
„Gerade weil sich die rechte Szene am Herrenberg breit macht und versucht früh an junge Menschen heranzutreten, ist politische Bildungsarbeit wichtig“, so Jeanette Dötsch und Jana Sonnenburg, die gemeinsam ihr Freiwilliges Soziales Jahr im Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz absolvieren. Das Unternehmen J.A.Topf & Söhne baute Verbrennungsöfen für Konzentrationslager. Auch die Gaskammern im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau waren mit einer Lüftungstechnik des Unternehmens ausgestattet. Die beiden Freiwilligen wollten daher mit ihrem Projekt „Lass dich nicht lenken – selber denken!“ zwei Aspekte verbinden: Den Erinnerungsort stärker in der Stadt etablieren und gleichzeitig auf aktuell beunruhigende Bewegungen der rechten Szene reagieren.
Um diese Ziele zu erreichen, haben Jeanette und Jana einen dreitägigen Workshop zur Rechtsextremismus-Prävention für Schülerinnen und Schüler eigenverantwortlich konzeptioniert, geplant und umgesetzt. Der Förderkreis und eine Gedenkstättenpädagogin des Erinnerungsortes standen beratend zur Seite. „Wir wollen mit unserem Projekt für die Gefahr von Rechtsextremismus, Rassismus sowie Diskriminierung sensibilisieren und die persönlichen Möglichkeiten zur Mitgestaltung in einer Demokratie aufzeigen“, betonen Jeanette und Jana.
Kunst als Medium der Zivilgesellschaft
Der erste Projekttag beleuchtete daher die Fragen der individuellen Verantwortung am NS-Verbrechen sowie in einer Demokratie heute. Mit Blick auf Diskriminierungsformen und -erfahrungen sowie auf aktuelle Neonazistrukturen in Erfurt wurden Schülerinnen und Schüler motiviert, sich selbst zu engagieren. Am zweiten Tag gestalteten die Teilnehmenden Buttons, Jutebeutel und Banner mit ausdrucksstarken Slogans und Motiven, um sich deutlich für Vielfalt und Gleichberechtigung positionieren zu können. Kunst wird so zum Medium der demokratischen Zivilgesellschaft. Am letzten Tag präsentieren die Teilnehmenden dann ihre kreativen Werke der Schülerschaft.
Das Ergebnis der beiden Projekttage: Viele bunte Buttons, Jutebeutel und Banner mit klaren Statements gegen menschenverachtende Einstellungen. Ein Banner mit der Botschaft „alle Menschen sind gleich“ schmückte in einer Schule den Raum für den Sozialkundeunterricht aller Klassen. Die restlichen Werke erhielten in einer Vitrine der Schule ihren Platz. Jeanette zeigte sich mit dem Projektverlauf zufrieden: „Besonders hat mich gefreut, wie viel die Teilnehmenden aus dem ersten Projekttag mitgenommen und dann bei der Gestaltung ihrer Werke umgesetzt haben.“
Auch Jana war begeistert, dass im Laufe der Projekttage irgendwann auch die zu Beginn noch kritischen Schülerinnen und Schüler über eigene Denk- und Verhaltensmuster nachgedacht haben. Die beiden Freiwilligen wollten das Projekt gerne in das reguläre Programm des Erinnerungsortes aufnehmen. „Es wäre schön, wenn nach unserem FSJ auch andere die Projekttage durchführen könnten“, so Jana.
Junge Menschen, die sich mit so viel Eigeninitiative im Rahmen ihres Freiwilligen Sozialen Jahres für ein Projekt im Zeichen der Zivilcourage engagieren, unterstützt Mut gegen rechte Gewalt gerne.
Dieser leicht aktualisierte Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).