Mit freundlicher Genehmigung der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Transkript: Online-Chat Friedrich-Ebert-Stiftung
Thema: ?Die extremistische Rechte in der globalisierten Welt?
Am 30. Mai 2011 von 13.30-14.30 Uhr
mit den ExpertInnen: Simone Rafael (netz-gegen-nazis.de) und Dr. Thomas Greven (Freie Universität Berlin)
Es ist jetzt 13.30 Uhr. Hier im Chat begrüße ich jetzt Simone Rafael und Dr. Thomas Greven. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen und die Fragen unserer User beantworten. Gleich die erste Frage an unsere Gäste: Wie sieht es aus, wollen wir starten?
Simone Rafael: Ja! Wir freuen uns auf den Chat.
Dr. Thomas Greven: Dito.
Vor dem Chat hatten die User bereits die Möglichkeit, Fragen zu stellen und zu bewerten. Hier die TOP 1 Frage aus dem PreChat:
anonymous: Die Dimensionen im Virtuellen erschließen sich mir noch nicht ganz. Wie viele Personen oder Organisationen mit rechter Gesinnung muss ich mir denn im Netz so vorstellen?
Simone Rafael: Grundsätzlich kann man sich das so vorstellen, alles, was es in der wirklichen Welt gibt, gibt es auch in der virtuellen Welt. Sprich, wenn es in der realen Welt ca. 20.000 Rechtsextreme in Deutschland gibt, ist davon ein großer Anteil auch im Internet in den sozialen Netzwerken aktiv. Jede Organisation, die es im realen Leben gibt, jede rechtsextreme Partei, jeder Versandhandel, gibt es auch im Internet, da nehmen sie auch Kontakt auf.
Dr. Thomas Greven: Für die USA würde ich noch hinzufügen, dass in Situationen, wo die Rechtsextremen in der realen Welt sehr isoliert sind, irgendwo in kleinen Gemeinden auf dem Land, sie als Rechtsextreme real nicht in Erscheinung treten, virtuell aber schon. Dort bietet sich Ihnen die Gelegenheit, unter Gleichgesinnten zu sein.
Hier eine aktuelle Nachfrage:
Ludger 49: Gibt es neue Erhebungen (z.B. durch den Verfassungsschutz) über die Zahl extremistischer Seiten im Netz? Wenn ja, wie stark hat sie zu- bzw. abgenommen?
Simone Rafael: Es gibt eine Institution, die Zahlen soweit es möglich ist, erhebt. Das ist jugendschutz.net. Diese stellen jedes Jahr einen Anstieg rechtsextremer Aktivitäten im Internet fest. Im deutschsprachigen Raum aktuell etwa 1800 rechtsextreme Websites. Besonders stark nehmen die Aktivitäten in sozialen Netzwerken zu. Diese haben sich beispielsweise in einem Jahr von 2008 auf 2009 um über die Hälfte erhöht.
Und hier die Top 2-Frage aus dem PreChat:
Utopia Watchblog: Welche Möglichkeiten der Intervention gibt es, wenn das Community Management, bzw. der Portalbetreiber, ein Engagement gegen rechte Umtriebe vermissen lässt?
Simone Rafael: Darauf gibt es eine einfache Antwort. Im Internet ist es wie im wirklichen Leben, es braucht Demokratinnen und Demokraten, die sich für die Werte einsetzen, die ihnen wichtig sind. Gerade, wenn die Betreiber sich nicht positionieren, braucht es User und Userinnen, die widersprechen, wenn Rechtsextreme ihre Argumente auf Pinnwänden hinterlassen oder Profile und Hassgruppen einrichten. Ich würde aber auch immer raten, sich an den Betreiber zu wenden und ihn zu sensibilisieren. Je mehr dies tun, desto größer werden die Effekte sein.
Dr. Thomas Greven: In den USA sind die Watchdog-NGOs oft sehr erstaunt, wie oft wir Deutschen zum Verbot greifen. Die Amerikaner sind wesentlich stärker bereit, jegliche freie Meinungsäußerung zuzulassen, und wissen, dass sie dagegen halten müssen. Sie verlassen sich nicht auf Verbote.
Simone Rafael: Jedem, den das Thema interessiert, rate ich, sich kreativ zu betätigen, Gegengruppen zu gründen, weil das für ein Klima in einem sozialen Netzwerk sehr wichtig ist. Dann sieht man, dass die Nazis in solchen Netzwerken in einer verschwindenden Minderheit sind.
Hier eine aktuelle Nachfrage:
tschepo: Setzen sie bei der Bekämpfung rechtsextremer Inhalte im Web eher auf staatliche Initiativen oder die Eigenkontrolle von Unternehmen und Usern?
Simone Rafael: Die Unternehmen sind in der Lage, sich Regeln zu setzen und für Werte einzutreten, insofern geht es schneller, wenn man die Unternehmer davon überzeugen kann, gewisse Standards einzuhalten, keine Diskriminierung, keine Herabsetzung, keinen Rassismus oder Antisemitismus zu dulden.
Natürlich wünscht man sich staatliche Verfolgung, dort, wo es angemessen ist. Strafgesetze gelten auch im Internet, werden dort auch angewandt. Das ist sinnvoll. Viele Inhalte sind jedoch strafrechtlich nicht relevant, sollten aber trotzdem bearbeitet werden, z. B. die Diskussion um das Buch von Thilo Sarrazin.
Dr. Thomas Greven: Meine Präferenz wäre auch die zivilgesellschaftlich-demokratische Vorgehensweise, aber die deutsche Situation ist aus historischen Gründen eine besondere. Das bringt den Staat auch zu Recht ins Spiel.
akral289: Hat das WWW denn überhaupt eine signifikante Bedeutung für die Rechten?
Simone Rafael: Wenn man sich mit Aussteigerorganisationen, wie z. B. Exit unterhält, kann man erfahren, dass der sogenannte virtuelle Einstieg über das Internet, in den letzten Jahren stark zugenommen und große Bedeutung für die Szene hat. Über das Internet ist es sehr viel leichter, an rechtsextremes Gedankengut, Lifestyle oder Kleidung heranzukommen. Der Neonazi kann sich mit Ideologie und Argumenten wappnen, bevor er in die Öffentlichkeit tritt. Das ist für viele attraktiv. Das andere Problem ist, dass Normalisierungen auftreten, wenn rechtsextreme, antisemitische Positionen zu oft unwidersprochen auftreten. Dann können Neonazis im Internet eine Meinungsführerschaft vortäuschen, die sie in der wirklichen Welt nicht haben, die aber auf Dauer Effekte haben könnte.
Und noch eine aktuelle Frage:
Bogus: Die Frage geht vielleicht über das Thema hinaus: Sind Rechtsextremisten im Internet insgesamt aktiver als Linksextremisten? Kann man die Inhalte der entsprechenden Seiten überhaupt vergleichen?
Dr. Thomas Greven: Vergleichen kann man sie, muss man sogar, um die Unterschiede festzustellen.
Simone Rafael: Es gibt keine Zahlen darüber, ob mehr Rechtsextreme oder Linksextreme im Internet unterwegs sind, da es schwierig ist, solche Aktivitäten an absoluten Zahlen festzumachen. Außerdem ist die Beobachtung problematisch, was man als rechts- oder linksextrem klassifiziert, weil gerade „Extremismus“ eine sehr umstrittene Begrifflichkeit ist und beispielsweise Aktivitäten, die in der Mitte der Gesellschaft stattfinden, aber thematische Randpositionen berühren, nicht erfasst werden.
hopfenperle: In welcher Form nutzt die NPD das Internet als Kommunikationsplattform und zur Vernetzung der Mitglieder?
Simone Rafael: Die NPD nutzt das Internet um ihre Inhalte zu verbreiten, ihre Materialien zu verbreiten, ihre Mitglieder zu vernetzen und ihren Teil dazu beizutragen, dass es eine rechtsextreme Erlebniswelt gibt, z.B. mit Musik, Veranstaltungen oder rechtsextremen Medien. Sie hat inzwischen professionelle Webmaster, die es gut verstehen, auch mit Humor, subtilen Andeutungen oder ganz harmlosen Postings nicht nur Hardcore-Anhänger zu erreichen.
Sie mischen sich in normale, unpolitische Blogs und Foren und lancieren auch Kampagnen im Netz. Eine der bekanntesten Kampagnen ist: ?Die Todesstrafe für Kinderschänder?. Ein Thema, das auch viele normale Leute bewegt, allerdings mit der Forderung nach der Todesstrafe, die das Demokratieverständnis der NPD offenbart. Der Urheber und was der Hintergrund der Seite ist, fällt vielen Leuten, die bei Facebook schnell auf „Gefällt Mir“ klicken, erst im Nachhinein auf. Außerdem hat die NPD im März 2010 ihre Anhänger explizit aufgerufen, unauffällig mit „netten“ Profilen in soziale Netzwerke zu gehen, und Kontakt zu nicht-rechten UserInnen aufzunehmen. Sie haben also eine klare Internetstrategie und messen diesem Medium Bedeutung bei.
peloni: Gibt es rechtsextreme Communities, wie z.B. Facebook oder StudiVZ?
Simone Rafael: Ja, es gibt auch rechtsextreme Communities, allerdings werden diese relativ schnell von Strafverfolgungsbehörden wahrgenommen und kassiert. Eine bekannte war der ?NS-Treff?. Zum Teil gibt es auch regionale Communities, z.B. aus Mecklenburg-Vorpommern. Im Forenbereich gibt es auch Angebote, die auf amerikanischen Servern liegen oder bei rechtsextremen Betreibern. Ein Beispiel ist thiazi.net. Dort reden Rechtsextreme über alles, was sie interessiert, von Politik über rechtsextreme Partnerbörsen bis zu rechtsextremen Kinderbüchern, damit die Kinder das „richtige“ Bild von Deutschland bekommen.
Dr. Thomas Greven: In den USA ist das ganz genauso, nur dass sie keine ausländischen Server brauchen.
Hier eine aktuelle Nachfrage:
uwatch: Gibt es einen aktuellen Überblick über die rechten Netzwerke, wie einst »Drahtzieher im braunen Netz« vom ID-Archiv?
Simone Rafael: Wäre mir nicht bekannt. Einmal im Jahr veröffentlicht Jugendschutz.net aktuelle Zahlen Ich bin sehr froh, dass es eine Organisation gibt, die Monitoring betreibt. Wir können das nur punktuell beobachten.
Dr. Thomas Greven: Wenn sich jemand für die internationale Dimension interessiert: Die drei großen amerikanischen Watchdog-NGOs veröffentlichen jährliche Überblicke, wie „hate on the net“: www.splcenter.org, adl.org und das Simon Wiesenthal Center.
Studentin: Wie werden Jugendliche im Netz „geködert „?
Simone Rafael: Da gibt es verschiedene Anspracheformen. Es gibt inzwischen sehr modern gestaltete Webseiten, meist von autonomen Nationalisten, die sehr jugendkulturell gestaltet sind und nicht mehr dem Bild entsprechen, das man von Rechtsextremen hat. Es gibt aber auch gezielte Versuche, Jugendliche anzusprechen, z.B. ihren Gerechtigkeitssinn anzusprechen, indem in Foren geschrieben wird, „Ist das eure Demokratie. Warum darf ich das nicht schreiben?? Das soll vor allem Jugendliche ansprechen, die noch auf der Suche sind.
Ein weiterer Zugang ist rechtsextreme Musik. Der Zugang dazu ist viel leichter, man muss nur einmal ins Internet gehen, braucht nicht mehr Kassetten austauschen. Diese Art von Musik wird auch von nicht-rechtsextremen Jugendlichen gehört. Denn solche Lieder haben auch Namen wie „Freundschaft“. Aber auch Bands, die sich gegen Sexualstraftäter engagieren, werden in Schulcliquen weitergegeben, die nicht nur rechtsextreme Mitglieder haben.
kara: Welche Rolle hat rechtsextremistische Musik im Netz? Was können Staat und Gesellschaft dagegen tun?
Simone Rafael: Rechtsextreme Musik hat den Effekt, dass sie sehr schnell verbreitet wird, da es immer auch harmlosere Songs der Bands gibt, lassen sich schnell Verbindungen herstellen. Wenn ich mir beispielsweise Sleipnir anhöre, so hören Jugendliche vielleicht erst einen harmlosen Song, hören sich dann aber auch das ganze Album an und hören dann Lieder darüber, dass ihre Großväter zur NS-Zeit ganz in Ordnung waren etc. Der Zugang zur Ideologie und zu Gewaltaufrufen gegen Andersdenkende wird so extrem vereinfacht, so dass auch Menschen erreicht werden, die sich sonst nicht in erster Linie für Politik interessieren. Und wenn ein Video gut gemacht ist, wird es auch schnell im Internet über die sozialen Netzwerke weiterverbreitet, auch wenn es ein rechtsextremes Video ist.
Und das wissen die Neonazis auch sehr gezielt einzusetzen. Wenn beispielsweise Videos von Festivals bei Youtube eingestellt werden, dient das sowohl der Selbstvergewisserung der Szene als auch dem Zeigen des rechtsextremen Erlebnischarakters, d.h. welche „Kameradschaft“ man da erleben könnte etc.. Die Betonung der Erlebniswelt, in der die Ideologie erst einmal nur mitschwingt, ist in diesem Bereich besonders gefährlich und wichtig.
Moderator: Und noch eine aktuelle Nachfrage aus dem Chat:
tschepo: Gilt auch für rechtsextreme Seiten das Prinzip: Besser löschen als sperren?
Simone Rafael: Wir haben ja eben schon gesagt, dass wir eher für inhaltliche Argumentation sind als für Repression. Erstere bearbeitet die Ideologie, aber nicht die Seiten, die explizit zu Gewalt und Hass gegen Menschen aufrufen, die Neonazis zu ihren Feinden zählen. Die sind dann auch strafrechtlich relevant und werden dann auch gelöscht. Das finde ich auch richtig.
Und hier zwei Fragen zu Facebook:
druppie81: Kann ich denn gegen Nazipropaganda bei Facebook eigentlich etwas unternehmen außer solche Profile zu „melden“?
triMable: Ich habe manchmal den Eindruck, dass Facebook eigentlich gar nichts gegen rechte Profile unternimmt. Das hat schon öfter jemand gemeldet, aber passiert ist nichts. Und jetzt?
Simone Rafael: Was Facebook angeht: Facebook ist, wie wir alle wissen, eine amerikanische Firma. In Europa hat sie immer noch Probleme mit ihrer Organisation. D.h. wenn Beiträge nicht gelöscht werden, bedeutet das nicht unbedingt, dass Facebook es gut heißt, sondern dass sie nicht hinterherkommen, allerdings steht Facebook auch für das amerikanische Recht der freien Meinungsäußerung. D.h. es ist nicht davon auszugehen, dass sie jemals mehr löschen werden als strafrechtlich relevant ist. Alles andere muss man inhaltlich bearbeiten.
Dr. Thomas Greven: Was man tun kann, ist, sich äußern und demonstrieren, dass die Rechtsextremen nicht in der Mehrheit sind. Also, inhaltlich und argumentativ dagegenhalten.
Simone Rafael: Praktisch kann man noch andere Sachen machen: Man kann lustige Gruppen gründen, die sich gegen Nazis positionieren oder sich Aktionen in sozialen Netzwerken ausdenken, z.B. gab es eine digitale Lichterkette, wo User auf Fotos die Arme ausgebreitet hatten. Wenn man sie zusammengefügt hat, sah es aus wie eine Lichterkette. Damit haben sie gegen die Präsenz der NPD bei Facebook protestiert. So etwas ist lustig, bringt Aufmerksamkeit und hat schon mal ein Schlaglicht darauf geworfen, dass viele UserInnen das nicht wollen. Eine andere Aktion: Ein Flashmob, wo dazu aufgerufen wurde, sich schnell bei NPD-Gruppen anzumelden, dort Anti-Nazibilder zu posten und wieder rauszugehen. Das hat die Webmaster gut 3 Tage beschäftigt. Für solche Aktionen braucht man nicht mehr als eine gute Idee und ein paar Freunde, die es weiterverbreiten.
mook: Meine Tochter surft den ganzen Tag auf solchen Webseiten. Mit ihr reden bringt nichts. Was kann ich machen?
Simone Rafael: Ich würde mir bei so etwas wirklich Hilfe bei Experten suchen, z.B. bei der Online-Beratung gegen Rechtsextremismus: www.online-beratung-gegen-rechtsextremismus.de .Diese helfen Eltern oder auch Ausstiegswilligen, sie beraten und helfen. Dennoch würde ich natürlich trotzdem versuchen, das Gespräch mit der Tochter zu suchen, sie zu fragen, was sie auf den Seiten macht. Das kommt aber darauf an, wie tief sie schon in der Szene ist. Dann kann ich auch noch empfehlen, Foren wie z.B. Belltower.news zu besuchen und sich dort mit anderen Eltern auszutauschen und Hilfe zu holen. Sie sind sicherlich nicht allein, es gibt andere, die das gleiche erleben und mit denen man sich verbinden kann.
alcAtraz: Wieso schließen sich rechte Nationalisten denn international zusammen?
Dr. Thomas Greven: Erst einmal erstaunt diese internationale Vernetzung, weil die Rechtsextremisten sich ja gegen Globalisierung positionieren oder gegen „Globalismus“, aber gerade diese Positionierung gegen einen gemeinsamen Feind, eben dieses Globalismus-Projekt, erlaubt dann eben auch Koalitionsbildungen. Man ist sich dann wenigstens ideologisch einig, dass man diese Entwicklung nicht haben will.
Die Konzeptionen, die dann entgegengesetzt werden, also völkisch oder ethnisch oder rassisch definierte Gemeinwesen, schlagen durchaus auch Brücken über existierende nationale Grenzen, wenn auch meistens nicht. Jedenfalls erlauben die Koalitionen eine bessere Positionierung in dem politischen Kampf um die Zukunft der Globalisierung.
Simone Rafael: Ideologisch passt dazu das Konzept des Ethno-Pluralismus, das Neonazis heute verfolgen, um ihren Rassismus zu verschleiern. Indem sie nicht mehr propagieren, Deutschland den Deutschen, sondern verändert, dass jedes „Volk“ in seiner Heimat leben soll, aber bitte nur da. Aber so kriegen Nazis den Spagat hin, z.B. mit Menschen aus anderen Ländern, die sie eigentlich bekämpfen würden, über ein Europa der Vaterländer nachzudenken.
Dr. Thomas Greven: Zum Glück scheitert es dann oft an persönlichen Animositäten und historischen Feindschaften. Allerdings gibt es eine neue Entwicklung, das ist die Annäherung an die rechtspopulistische Islamfeindschaft, die dann zur Folge haben könnte, dass sich die Rechtsextremisten in einem abendländischen, westlichen Gemeinwesen wiederfinden. Dies bringt dann eine neue Konstellation internationaler Vernetzung, dies sorgt aber für interne Konflikte, weil es dem traditionellen, gegen die „jüdisch-dominierte“ USA gerichteten Befreiungsnationalismus zuwiderläuft.
Eine aktuelle Nachfrage:
Alien: Es gab ja mal Überlegungen, auf europäischer Ebene gegen Rechtsextremismus im Internet vorzugehen. Angesichts unterschiedlicher Auffassungen von Meinungsfreiheit stelle ich mir das schwierig vor, gibt es da neue Entwicklungen?
Simone Rafael: Es gibt einen internationalen Zusammenschluss gegen Rechtsextremismus im Internet, die INACH. Die organisieren Konferenzen und initiieren gemeinsame Aktionen. Sie sind bisher vor allem im politisch-legislativen Bereich aktiv. Eine Vernetzung zivilgesellschaftlicher Initiativen gegen Rechtsextremismus auf einer europaweiten oder internationalen Ebene steckt leider noch immer in den Kinderschuhen und ist ein wichtiges Projekt für die Zukunft. Ganz praktisch suche ich immer Kooperationspartner in anderen Ländern, die ähnliche Portale wie das unsrige haben. Diese Suche ist sehr schleppend. Ich sehe Potential für viele weitere Menschen, die sich engagieren können. Ich würde mich sehr freuen.
wh00t: Wie haben Sie für Ihr Buch recherchiert, Herr Dr. Greven? Oder hatten Sie Informanten aus der Szene?
Dr. Thomas Greven: Das Buch ist ein Sammelband mit verschiedenen Aufsätzen von verschiedenen Autoren. Entstanden ist es, aus einer Reihe transatlantischer Workshops, von Organisationen, die gegen Rechtsextremismus in den USA und Europa kämpfen. Zum Teil haben die Autoren auf Informanten aus der Szene zurückgegriffen, beziehungsweise selbst Undercover recherchiert. Andere Beiträge sind auf der Basis von Erhebungen bzw. Sekundärliteratur entstanden.
Stringer: Das Familienministerium hat kürzlich mit der „Extremismusklausel“ bei vielen Vereinen einigen Staub aufgewirbelt. Hat das schon sichtbare Auswirkungen auf das Vorgehen gegen Rechtsextreme im Internet?
Simone Rafael: Das ist ein Problem, das sich nicht direkt hauptsächlich im Internet widerspiegelt, sondern insgesamt in der Arbeit gegen Rechtsextremismus. Es gibt etliche Projekte, die eine Förderung abgelehnt haben, wenn sie dafür die sog. „Extremismusklausel“ unterschreiben müssen. Das wird natürlich Auswirkungen haben, weil viele Projekte daher weniger oder gar nicht mehr arbeiten können. Sie werden sich sicherlich um alternative Förderungen bemühen. Wie weit das gelingt, bleibt abzuwarten. Aber es hat ganz klar einen negativen Effekt auf die Arbeit gegen Rechtsextremismus.
Moderator: So, die Chat-Zeit ist auch schon fast um: Wollen sie noch ein kurzes Schlusswort an die User richten?
Simone Rafael: Ich wünsche mir von allen UserInnen, die das Internet als ein sehr freiheitliches Medium schätzen, dass sie sich Gedanken darüber machen, welche Werte ihnen hier wichtig sind. Und wenn es etwa die Menschenrechte sind, was ich hoffe, dass sie sich dafür auch einsetzen. Das heißt nicht, Menschen das Internet zu verbieten, es heißt, sich Spielregeln zu überlegen. Beispielsweise alle Menschen gleich und gleichwertig zu behandeln und dies nicht bestimmten Leuten abzusprechen, wie dies beispielsweise die Neonazis tun. Da das Internet eine große Sammlung von Informationen, Daten, Meinungen ist, kann das nur gelingen, wenn sich alle daran beteiligen, denen dies wichtig ist, und sich darüber informieren.
Dr. Thomas Greven: Dem schließe ich mich mit Überzeugung an.
Das waren 60 Minuten Expertenchat der Friedrich-Ebert-Stiftung. Vielen Dank an die User für die vielen Fragen, die wir aus Zeitgründen leider nicht alle beantworten konnten. Vielen Dank auch an Simone Rafael und Dr. Thomas Greven, dass Sie sich die Zeit für die User genommen haben. Das Chat-Team wünscht allen noch einen schönen Tag.
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