Herr Wagner, haben Sie sich nach den Vorfällen in Bochum geärgert, dass Nazis im Fanblock Flagge gezeigt haben oder gefreut, dass Fans dagegen vorgegangen sind?
Gerd Wagner: Ich habe mich geärgert, dass es immer noch rechtsextremen Gruppierungen gelingt, sich im Stadion zu artikulieren. Andererseits freue ich mich natürlich über das Verhalten der großen Mehrheit der Bremer Fans. Dies ist ein Beleg dafür, wie wichtig es ist, im Kampf gegen Rassismus Position zu beziehen. Insofern überrascht es nicht, dass in diesem Jahr die gemeinsame Arbeitsgruppe von Werder Bremen, dem Fanprojekt und dem Dachverband der Bremer Fanklubs für ihre jahrelange Arbeit gegen Diskriminierung vom DFB mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet wurde. Auch viele Bochumer Fans haben in die „Nazis raus“-Rufe eingestimmt. Ich habe den Eindruck, der Protest hatte eine breite Basis. Das war nicht immer selbstverständlich.
Gab es in der Vergangenheit vergleichbare Proteste gegen Nazis?
Die Schalker Fan-Initiative geht gegen das Problem vor. Ein anderes Beispiel ist Hannover 96. Dort gibt es einen eigenen Arbeitskreis gegen Rassismus und Diskriminierung, der gerade ein Schulungskonzept für den Sicherheitsdienst und für Mitarbeiter der Geschäftsstelle erarbeitet. Ich hätte mir in Bochum schon ein frühzeitigeres Eingreifen gewünscht. Die sechs bis sieben Rechtsextremen hatten ihre Flagge schließlich schon vor dem Spiel einmal ausgebreitet. War der Handlungsdruck auf den Sicherheitsdienst da noch nicht groß genug? Oder waren einige nicht sensibilisiert genug für das Thema? Es bedarf in vielen Vereinen noch mehr Aufklärung. Das geht schon bei einschlägigen rechtsextremen Symbolen und Codes los, auf die manche Ordnungskräfte aus Unwissenheit oder Verharmlosung nicht entschieden genug reagieren. Die 88 steht etwa zweimal für den achten Buchstaben im Alphabet, „Heil Hitler“.
Einige Klubs haben bestimmte Kleidungsstücke in ihren Stadien verboten.
Zum Beispiel in Bochum, Dortmund, St. Pauli, Berlin, Jena, Babelsberg, Schalke und Hamburg sind rechte Kleidungsmarken wie Thor-Steinar verboten. Leider nicht in jedem Verein. Gerade diese Marke ist in der rechtsextremen Szene eine beliebte Modemarke. Natürlich ist es ein heikles Thema, das auch eine intensive, inhaltliche Auseinandersetzung innerhalb des Vereines erfordert. Rechte Symbole, Codes und Marken sind Ausdruck bestimmter Botschaften und Einstellungen. Ich halte ein entsprechendes Verbot für eine wichtige Signalwirkung.
Waren die Ereignisse in Bochum ein Einzelfall oder ist Ähnliches auch in anderen Bundesligastadien möglich?
Klar ist das auch in anderen Stadien vorstellbar. Es kommt offensichtlich immer wieder mal vor, dass Nazis ihre Botschaften medienwirksam streuen. Dieser offene Rassismus ist aber nur eine Erscheinungsform. Schwieriger ist der latente Rassismus, der insbesondere wöchentlich in den unteren Ligen stattfindet, aber selten an die Öffentlichkeit kommt. Hier suchen einzelne Mitglieder oder Gruppierungen aus der rechten Szene den Fußballsport gezielt auf, um neue Mitglieder zu rekrutieren oder auch verantwortliche Ämter im Verein zu übernehmen. Ein aktuelles Beispiel aus Hessen, was die innere Zerrissenheit dieser Klubs beschreibt: Der Trainer dieses Vereins, ein altbekannter Nazi, will seinen Sohn im Verein anmelden. Darf oder soll der Verein dem Sohn die Aufnahme verweigern? Oftmals fühlen sich die Vereine im Umgang mit dieser Situation verunsichert.
Noch vor etwa 15 Jahren war es nichts Ungewöhnliches, dass auch während Erstligaspielen ganze Fanblocks „Sieg Heil“ riefen. Wie hat sich dieses Problem entwickelt?
In den siebziger und achtziger Jahren versuchten die Nazis tatsächlich die Meinungshoheit in einigen Fankurven zu erlangen. Damals hatten wir drei bis vier vergleichbare Beispiele wie den Vorfall in Bochum an einem Wochenende. Heute sind solche Vorfälle im Profifußball Einzelfälle. Dies liegt an den hohen Sicherheitsstandards in den Stadien, aber auch an den Faninitiativen, die Stellung gegen rassistische Vorfälle bezogen haben.
Probleme gibt es aber auch heute?
Auch heute gibt es während An- und Abfahrten zu Bundesligaspielen noch schreckliche Lieder. Zum Beispiel: „Eine U-Bahn bauen wir, von soundso nach Auschwitz“. Aufpassen sollte der DFB auch während der Auswärtsfahrten der Nationalmannschaft. Da ist das Auftreten einzelner Fans bedenklich. Ich habe es vor zwei Jahren in Bratislava und Florenz erlebt: Was da zum Teil abgeht, ist peinlich und grausam. Die Karten dafür werden größtenteils über den Fanklub der Nationalmannschaft vergeben. Mein Rat an den DFB: Schaut, wer die Karten bekommt.
2006 zeigten Fans des Chemnitzer FC eine leicht geänderte Nazi-Fahne während des Auswärtsspiels in St. Pauli. Unter anderem in Leipzig und Dresden gab es weitere Vorfälle. Wie heftig sind die Probleme in unterklassigen Vereinen?
Teilweise ist das schon heftig, zumal es oft mit Gewalt einhergeht. Ein Beispiel für Antisemitismus ist die Begegnung Hallescher FC gegen die zweite Mannschaft von Jena, in der es wiederholt „Juden Jena“-Rufe gab. Generell sollte man mit der Kritik vorsichtig sein und nicht den ganzen Verein für das Fehlverhalten Einzelner in Sippenhaft nehmen. Zielführender ist doch, wie sich der Verein positioniert. Es gab und gibt leider immer wieder Beispiele, in denen Vereine eher versuchen, rassistische oder antisemitische Schmähgesänge zu verharmlosen.
Bestätigen oder widerlegen Sie das Vorurteil, dass das Problem besonders in Ostdeutschland vorhanden ist?
Der Osten steht oft im Fokus der Kritik, doch auch in den westlichen Bundesländern befinden wir uns nicht auf einer Insel der Glückseligen. Da brauchen wir uns nichts vormachen. Vielleicht ist das Ausmaß an Gewalt im Osten größer, aber rechtsextreme Verhaltensweisen und Einstellungen sind ein Problem, das uns überall begegnet.
In Ostdeutschland haben NPD und Kameradschaften mehr Einfluss. Ist der Fußball nicht nur das Ergebnis eines Problems, dessen Ursachen woanders liegen?
Die Ursachen liegen auch in der sozialen Schieflage in einigen Gebieten. Dort werden Jugendzentren geschlossen, für Freizeitangebote fehlt den Kommunen das Geld, wer beispielsweise gerade in ländlichen Regionen in eine Schwimmhalle will, muss bis zu 30 Kilometer fahren. Das sind die Einfallstore für rechte Gruppierungen. In Hildburghausen oder Erfurt haben Kameradschaften eigene Vereine gegründet. Der Fußball ist oft nur das Ergebnis des Problems und wird als Alibi herangezogen. In Hessen gibt es beispielsweise einen rechten Trainer in einem Schwimmverein. In Niedersachsen nehmen Läufer rechter Kameradschaften mit der Rückennummer 88 an Laufveranstaltungen teil.
Oft werden rechtsextreme Fußballfans mit Ultrafans verwechselt. Gibt es Fans, die zu beiden Gruppierungen gehören?
Ultras sind fanatische Vereinsanhänger im positiven Sinne. Sie sorgen für die Stimmung im Stadion, beispielsweise durch Gesänge und Choreografien. Wenn es sie nicht gäbe, wäre es sehr viel ruhiger. Wer jemals in einem Stadion war, weiß, wovon ich spreche. All dies hat gar nichts mit Rechtsextremismus zu tun. Sicherlich gibt es auch unter den Ultras einzelne Fans, deren Einstellungen eher einen rechtsextremen Hintergrund haben. Das gibt es aber auch unter Fans und Besuchern auf der Haupttribüne.
Der Fanblock der Ultras ist also kein Sammelbecken für Rechtsextreme?
Nein. Seit Längerem ist aber zu beobachten, dass eine neue Generation von Ultras heranwächst. Das sind einzelne Gruppen, die sich selbst inszenieren wollen und scheinbar weniger Interesse am Fußball haben. Deren Vorsänger steht beispielsweise während des Spiels mit dem Rücken zum Spielfeld. Diese Gruppen gehen auch gewalttätigen Auseinandersetzungen nicht aus dem Wege. Stichwort: dritte Halbzeit.
Gewalttätige Fußballfans und Nazis werden oft gleichgestellt. Es gibt doch auch linksradikale Gewalttäter?
Ja, es gab in der Vergangenheit auch Berichte von Fangruppen gerade aus ostdeutschen Traditionsvereinen wie Dynamo Dresden, die sich darüber beklagten, dass sie nach oder vor Auswärtsspielen gegen westliche Vereine einer regelrechten Hetzjagd ausgesetzt waren. Diese Linksradikalen sind aber im Vergleich zur rechten gewaltbereiten Szene absolut in der Minderheit.
Die Fankurve ist in jedem Fall politisch?
Das muss jeder für sich beurteilen. Das Beispiel Bochum hat doch eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig es ist, gegen menschenverachtende Äußerungen vorzugehen. Fans sind doch nicht unpolitisch, die geben ihr Verständnis von demokratischem Zusammenleben doch nicht am Eingang des Fußballstadions ab.
Dieser Text erschien am 13. November auf ZEIT-ONLINE. Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung. Die Fragen stellte Steffen Dobbert.
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