Im Landtagswahlkampf in Brandenburg und Sachsen – am Sonntag sind die Wahlen – gibt es unzählige Wahlkampfveranstaltungen. Eine Rede, die der AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland am 18. August 2019 in Brandenburg an der Havel hält, erläutert sehr exemplarisch das Gedankengebäude des AfD-Vorsitzenden – inklusive der Bezüge, die er sprachlich sucht.
Ein Zitat der Rede findet sich im Deutschlandfunk-Feature „Die AfD vor den Wahlen: Zwischen Umfragehoch und internem Machtkampf“ als atmosphärischer O-Ton:
„Sollten Sie Freunde oder Bekannte haben, die sich vor der Machtergreifung der AfD ängstigen, sagen Sie denen bitte, unter der AfD wird niemand verfolgt.“
Der Journalistin Nadine Lindner, die den Beitrag gemacht hat, ist diese Aussage nicht ganz geheuer. Sie kommentiert: „Es ist unklar, ob ihm beim Wort Machtergreifung ein Fehler unterläuft oder ob der Parteivorsitzende das Wort ganz bewusst setzt, denn mit Machtergreifung wird sonst die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg 1933 bezeichnet.“
Wer sich allerdings den Rest der Rede anhört – sie ist im Internet zu finden – der verliert recht schnell die Zweifel, wie die Aussage gemeint ist. Auch wenn die Erkenntnis unangenehm ist, dass die AfD offenbar keine Hemmungen hat, von einer „Machtergreifung“ zu fabulieren. Offenbar hat sich die Partei auch dazu Gedanken gemacht, ob und wie Menschen, die als politisch Andersdenkende verstanden werden, verfolgt werden sollen, wenn die AfD endlich machen kann, was sie möchte.
Zunächst präsentiert Gauland in der Rede die AfD als Medizin für ein offenbar in seinen Augen krankes Deutschland: „Wir messen Fieber. Wir stellen die Diagnose, dann soll die Therapie beginnen.“ Das Heilen gehe aber nicht in der Opposition, da müsse die AfD schon stärkste Kraft werden, „um die elende Merkel-Regierung loszuwerden“.
Das aktuelle demokratische System in Deutschland beschreibt Gauland (u.a.) so:
„Unser Auftauchen entlarvt den Scheinpluralismus und die Fassadendemokratie der Etablierten.“
Also: Weil Demokrat*innen in Deutschland nicht kommentarlos hinnehmen wollen, dass rechtsradikale Kräfte wie die AfD die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln zu zerstören versuchen, bekommen sie hier den Vorwurf, ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht zu werden, pluralistisch und demokratisch zu sein.
Alle anderen Parteien wollten „Förderung der globalen Migration, EU-Zentralismus, Demontage der Nationalstaaten und die Energiewende um jeden Preis (…). Sie vertreten lieber die Interessen der Migranten, des Weltklimas und der Eisbären als die derjenigen, von denen sie ihr Mandat erhalten haben.“
Sowohl Gaulands abwertende Wortwahl als auch die Erzählung, für das von Gauland imaginierte, biologistisch-kulturalistisch definierte Volk werde in der aktuellen Politik nichts getan, sind im Ausdruck stark, wenn auch inhaltlich völlig unhaltbar. Davon lenkt Gauland ab, in dem er den Schauplatz verlegt. Das deutsche Parlament verlege immer mehr Entscheidungsmacht nach Brüssel, in „übernationale, demokratisch unkontrollierbare Institutionen“ – und warum? Es geht um „ihre Entmachtung als Wähler“.
Das Angstszenario, nicht mehr über sein Leben bestimmen zu können, das Gauland im Laufe der Rede des Öfteren bedient, ist damit gesetzt.
Dann spricht er über die Zeit, wenn „die AfD in den Ministerien“ bestimmen kann. Es werde gemutmaßt über „Fackelzüge, Abschaffung des Rechtsstaates und Verfolgung der Opposition“ – jetzt kommt die Täter-Opfer-Umkehr – „also quasi Fridays for Future, Netz DG und Antifa von rechts.“
Nun wissen wir also, wie Alexander Gauland demokratische Proteste, Vorgehen gegen strafrechtlich relevante Aussagen im Internet und Engagement gegen Rassist*innen, Muslimfeind*innen und Antisemit*innen sieht. Während er also seine Anhänger*innen und Wähler*innen als rechtlose Verfolgte sieht, weil sie nicht ungestraft andere Menschen beleidigen und angreifen dürfen oder gegen die Gleichstellung aller Menschen handeln, die im Grundgesetz als Grundlage unseres Zusammenlebens festgeschrieben steht.
Aber diese Visionen, sagt Gauland in merkwürdig sexuell konnotierter Sprache, wären nur „feuchte Angstlustträume von linken Spinnern“.
Dann beschreibt er, wie es sein wird.
„Für die einen werden sich Dinge zum Vorteil, für die anderen von Nachteil, wie es stets in der Politik ist.“
„Wir wollen mit Steuermitteln lieber den ländlichen Raum unterstützen als den Kampf gegen rechts“.
Soweit nicht unbedingt neu im AfD-Programm. Nun folgt aber ein interessanter Bedrohungsteil unter ständiger Betonung, dass die Bedrohung aber nicht bedrohlich gemeint sei.
„Viele, die sich politisch engagieren und jetzt Haltung zeigen, werden sich wohl dann eine andere Arbeit suchen müssen.“ Aber „natürlich“ nicht, weil die AfD Säuberungen vornehmen wird, sondern nur, „weil das, was sie tun, von uns nicht mehr finanziert werden wird.“
Denn die AfD ist ja die Partei der Freiheit, wenn halt auch nicht für alle Menschen und Meinungen:
„Aber es wird keine Verbote geben, keine politische Zensur. Wir werden ja die politische Zensur abschaffen, zum Beispiel im Internet. Aber auch an den Universitäten.“
Das Internet und die Universitäten Deutschlands sind also Orte, an denen die AfD Widerspruch erhält, der sie offenkundig schmerzt – und die sie deshalb anders besetzen möchte. Immerhin sagt Gauland mit Blick auf der Internet: Das Strafrecht solle im Netz auch noch gelten, wenn die AfD mitbestimme. Was dann der Unterschied zur aktuellen Lage ist? Der existiert nur in Gaulands Kopf. Es sei denn, er will alle Privatunternehmen enteignen, die für ihre Dienstleistungen Hausregeln aufstellen. Das sagt er aber nicht.
„Auch die Förderung des politischen Denunziantentums wird ein Ende haben. Man mag Vereine wie die Amadeu Antonio Stiftung unappetitlich finden, und sie sind unappetitlich, gerade in einem Land, in dem früher die Stasi umging, aber liebe Freunde, eine Demokratie muss auch Unappetitliches ertragen. Wir finden es nur unangebracht solche Extremistenkochklubs mit Steuergeldern zu fördern, mit ihrem Geld, und sie werden dazu nicht gefragt werden.“ Dann folgt das Machtergreifungs-Zitat.
„Sollten Sie Freunde oder Bekannte haben, die sich vor der Machtergreifung der AfD ängstigen, sagen Sie denen bitte, unter der AfD wird niemand verfolgt.“
So richtig beruhigend klingt diese Versicherung nicht, zumal uns als Teil der Amadeu Antonio Stiftung unklar ist, warum wir ein „unappetitlicher Extremistenkochklub“ sein sollen, denn wir machen Demokratiearbeit, unterstützen Zivilgesellschaft, demokratische Kultur und Opfer rechtsextremer Gewalt – das hat mit Extremisten genauso wenig zu tun, wie mit Kochen.
Ebenfalls nicht verfolgt, sondern nur aus staatlicher Unterstützung ausgeschlossen werden übrigens, „alternative Straßentheater“, „Tanzkurse für Migranten“ und „obskure Projekte wie das Programm ‚Demokratie leben‘ – George Orwell lässt grüßen“ und „Vereine, die vom Ausland gesteuert werden“.
Das sind schon ziemlich viele Dinge, die etliche Menschen in Deutschland aktuell als sinnvoll ansehen und unterstützen – und die die AfD lieber nicht mehr in Deutschland sähe.
Der folgende Redeteil – andere Länder nutzen weiter Braunkohle und Atomkraft, Klimaschutz hat religiöse Dimensionen, Beleidigungen gegen „junge Leute“ und ihre Eltern, Hetze gegen Greta Thunberg – überspringen wir wegen Bekanntheit bis zu dem Punkt, an dem Gauland argumentiert:
„Die grünen Windräder zerstören Landschaften, töten zehntausende Vögel [vgl. BTN], machen Anwohner krank, und versiegeln mit ihren riesige Fundamenten Waldflächen – heimische Fauna und Flora, Substanz und Schönheit werden rücksichtslos zerstört. Ähnliches passiert übrigens parallel durch die Massenimmigration, Den Grünen sind unserer Natur und die gewachsenen deutschen Kulturlandschaften so egal wie das deutsche Volk.“
Was für eine rhetorische Volte vom Alternative-Energien-Bashing zum Rassismus und völkischen Nationalismus der AfD. Der wurde dann in die Worte gegossen:
„Uns wirft man vor, dass wir Politik für Deutsche machen wollen. Wir geben das geplante Verbrechen jetzt schon einmal zu. Wir wollen primär Politik für diejenigen machen, die uns wählen.“
Zu denen, führte Gauland weiter aus, gehörten aber auch „deutsche Staatsbürger mit sogenanntem Migrationshintergrund, die aus allen Teilen der Welt stammen und sich bei uns eine Existenz aufgebaut haben. Gerade die wählen jetzt AFD, […] sie wollen nicht ihre neue Heimat verlieren und sie wollen nicht von der EU-Finanzpolitik schleichend enteignet werden.“
Das mag einer der Gründe sein, warum Alexander Gauland immer noch das Bild wahren kann, trotz all seiner Aussagen kein Komplett-Hardliner der AfD-Flügel-Fraktion zu sein – etliche Flügel-Leute sehen nämlich auch Deutsche mit Migrationshintergrund nicht so einfach als Teil der deutschen Gesellschaft an, sondern wollen etwa, dass über den Verbleib von nach Deutschland eingewanderten Menschen nach Schließung der Grenzen per Volksabstimmung entschieden werden soll.
Trotzdem gibt es auch Menschen, die Gauland nicht mehr in „seinem Land“ sehen möchte: „Wenn die AfD Regierungsverantwortung übernimmt, wird keinesfalls nur noch Schweinefleisch aufgetischt, sondern dann bekommt jeder das, was er essen will. Niemand wird bei Tische etwas verboten.“ Okay, aber dann: „Wenn sich aber jemand daran stört, dass überhaupt Schwein serviert wird, dann soll er sich eine andere Kita oder vielleicht besser gleich ein anderes Land suchen.“
So freiheitlich ist die AfD also, das persönliche Entscheidungen über Ernährung generell gleich zur Empfehlung führen, Deutschland zu verlassen.
Es folgt ein Sermon Anti-Geflüchtete-Anti-Regierung-Tollhaus-Deutschland inklusive unbelegter, angsteinflößender Zahlen, sexualisiertem Rassismus („der Jugendüberschuss aus Afrika und dem Orient“), Bildern von „Verwahrlosung staatlicher Schulen und Verslummung von Stadteilen“ und natürlich Gewalt durch Geflüchtete.
Es folgt: Der „Deutschland ist jetzt eine Diktatur“-Diskurs.
„Wer die Ausplünderung der Steuerzahler, den Kriminalitätsimport, die Untreue der Regierenden, die auf das Wohl des Volkes verpflichtet sind benennt – Sie wissen schon, was sie dann sind im öffentlichen Diskurs! Gerade der störrische Osten gerät in den Blick der Anbräuner. Die östlichen Bundesländer sind mit ihrer ethnisch homogenen Bevölkerung und der Diktaturerfahrung ein Pfahl im Fleisch der multikulturellen, multiethnischen, gesinnungskontrollierten alten Bundesrepublik.“
Nun, damit hat Gauland die völkische Ideologie der AfD und ihren Wunsch nach einer „ethnisch homogenen Bevölkerung“ treffend beschrieben. Diese ist, siehe DDR, in einer modernen Welt zwar nur mit einem „Grenzen dicht“ in alle Richtungen zu bewahren, aber zumindest kann der AfD keiner vorwerfen, sie hätten das nicht deutlich gesagt.
„Deshalb ist die AfD in Brandenburg, Sachsen und Thüringen besonders stark und deshalb hetzen uns die Kartellparteien den Verfassungsschutz auf den Hals.“
Ja, genau deshalb interessiert sich der Verfassungsschutz für Teile der AfD: Weil hier völkische Ideologie verbreitet wird, wie sie sonst nur Neonazis verwenden, und antidemokratische Ideale hochgehalten werden, die einer wehrhaften Demokratie fundamental zuwider laufen (vgl. BTN).
„Wenn die AfD regiert, werden wir die Grenzen wieder kontrollieren und auch hässliche Bilder in Kauf nehmen.“
Das könnte man jetzt mal mit den AfD-Forderungen nach Schießbefehlen an der Grenze zusammen denken (vg. FAZ 2016, n-tv 2018). „Neue Gefängnisse“ kündigt Gauland dann auch noch explizit an. Immerhin nennt er die nicht Lager.
Und – um diese Rhetorik wieder zu verschleiern – plädiert er dann für Entwicklungshilfe in Afrika, denn dessen Schicksal läge „vor unserer Tür“, „nur durch ein schmales Mittelmeer getrennt“, und schließlich kämen ja nur die „stärksten und rücksichtslosesten Wanderer nach Europa, nicht die Bedürftigen“, da ist das Angst-Motiv also gleich wieder bedient.
Zum Schluss folgt noch ein Lob der Schulen in der DDR, da hätten die Kinder wenigstens Lesen, Schreiben, Rechnen, Kulturzeitalter und Gedichte von Fontane und „sich zu benehmen“ gelernt, und nicht die „westlichen Zivilreligionen deutsche Schuld, Kampf gegen rechts, Feminismus und Multikulturalismus“. Ob Gauland hier seine Familiengeschichte reflektiert? Mit der im Westen zur Schule gegangenen Tochter, die sich als evangelische Pfarrerin öffentlich von den flüchtlingsfeindlichen Aussagen ihres Vaters distanziert hat, und dem zumindest noch kurzzeitig in der DDR sozialisierten Stiefsohn, der wie Gauland in der AfD aktiv ist?
Vor allem geht es Gauland aber hier um das Lob des Ostens, denn der strebe nach wahrer Freiheit:
„Sie haben gedacht, Ihre DDR-Herkunft sei ein Makel. Aber heute ist ihre Herkunft ein Kenntnisvorsprung, denn sie wissen, wie eine Diktatur sich anfühlt. Wie es sich anfühlt, wenn Kulturschaffende hinter der Politik der Regierung stehen. Wenn man daheim und öffentlich mit zwei Zungen sprechen muss, um sich Ärger zu ersparen.“
Eine gemeinsame, demokratische Gestaltung der Gesellschaft in Deutschland mit Rücksichtnahme und Minderheitenschutz mit einer Diktatur gleichzusetzen, schafft nur die AfD. Warum sie das aber so empfinden, zeigt sich auch noch. Zum Beispiel kann man nicht einfach offen antisemitisch sein.
Oder vielleicht doch?
„Die globalistische Krake hat an Nationen und Völkern keinerlei Interesse.“
Ein Satz wie aus dem nationalsozialistischen „Stürmer“. Das antisemitische Bild der „globalistischen Krake“ verwendet Gauland ganz bewusst, auch wenn der damit die EU bezeichnet, die alle Macht an sich reißen würde (zum Bild der Krake: BTN). Er setzt das Bild einer vorgeblich „jüdischen Weltverschwörung“ auf diese Weise ganz bewusst in die Köpfe der Zuhörer*innen und knüpft damit an ihre Vorurteilsstrukturen an (Reaktion ist auch Jubel, keine Protest).
Nach dieser Rede bleiben eigentlich keine Fragen offen, wie die Zukunft aussieht, die die AfD sich erträumt.
Nur dass Alexander Gauland in der Öffentlichkeit immer noch als „gemäßigter“ AfD-Politiker wahrgenommen wird. Sollte das stimmen, was sagt das dann über den Flügel, dessen Vertreter in Brandenburg, Sachsen und Thüringen den Landes-AfD-Verbänden vorstehen?