Eigentlich soll es ein positives und bitter nötiges Zeichen in Baden-Württemberg setzen: Am kommenden Samstag, den 17. September 2022, veranstalten der Stadtjugendring Stuttgart und die DGB-Jugend Stuttgart in Kooperation mit anderen Jugend- und zivilgesellschaftlichen Organisationen erstmals ein Festival gegen Rassismus in Stuttgart. Leider wird es überschattet von der Kontroverse um die bereits im vergangenen Jahr getroffene Entscheidung, das „Palästinakomitee Stuttgart“ aufgrund seiner Unterstützung der antisemitischen BDS-Kampagne von der Festivalorganisation auszuschließen.
Diesen Ausschluss hat nun die Initiative „Palästina Spricht“ aufgegriffen, um eineinhalb Wochen vor dem Festival eine Kampagne zu starten, in der sie dem Festival „antipalästinensischen Rassismus“ vorwirft und zum Boykott des Festivals aufruft. „Solidarität mit dem palästinensischen Volk mit Antisemitismus gleichzustellen, d.h. berechtigte Kritik an der israelischen Besatzung mit Hass gegenüber jüdischen Menschen gleichzusetzen, ist eine ignorante und narzisstische Position, die verwendet wird, um Palästinasoldarität in Deutschland zu kriminalisieren“, schreibt „Palästina Spricht“ in einer Sharepic-Reihe auf Instagram. Das Festival instrumentalisiere Migrant*innen für ihre eigenen Zwecke und reproduziere selbst Rassismus, so die weiteren Vorwürfe. Das Statement erhielt binnen weniger Tage mehr als 1.700 Likes und führte zur Absage mehrerer Referent*innen, die auf dem Festival Workshops hätten geben sollen.
So wird allen, die auf israelbezogenen Antisemitismus hinweisen, „antipalästinensischer Rassismus“ unterstellt und vom tatsächlichen Antisemitismus des „Palästinakomitees Stuttgart“ abgelenkt – einer Gruppe, die auf ihrer Webseite Israel dämonisiert, delegitimiert und mit doppelten Standards angreift. Damit erfüllt das „Palästinakomitee Stuttgart“ die drei Kriterien des sogenannten „3D-Test“, der von dem israelischen Politiker und ehemaligen Vorsitzenden der „Jewish Agency“ Natan Sharansky entwickelt wurde, um israelbezogenen Antisemitismus zu entlarven. Zudem fiel das „Palästinakomitee Stuttgart“ in der Vergangenheit durch Störungen des von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Stuttgart jährlich auf dem Stuttgarter Schlossplatz veranstalteten Israeltages negativ auf.
Vor allem aber unterstützt das „Palästinakomitee Stuttgart“ offen die antisemitische BDS-Kampagne, die unter Beteiligung der Terrororganisationen Hamas, Islamic Jihad und PFLP entstanden ist. Die Webseite des „Palästinakomitees Stuttgart“ enthält zahlreiche positive Bezüge zu BDS – wie zum Beispiel eine Grafik mit dem Spruch „BDS wirkt“. Außerdem findet sich dort das Logo der Organisation „Samidoun“ – offiziell ein „palästinensisches Gefangenensolidaritätsnetzwerk“, in der Praxis jedoch eine Vorfeldorganisation der PFLP, die in der EU und in den USA als Terrororganisation gilt. Deshalb fordern jüdische Organisationen ein Verbot von „Samidoun“.
Der Deutsche Bundestag bezeichnete 2019 BDS in einem Beschluss als antisemitisch. „Der allumfassende Boykottaufruf führt in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes“, heißt es darin. „Dies ist inakzeptabel und scharf zu verurteilen.“ Demnach dürfen Projekte, die zum Boykott aufrufen oder die BDS-Bewegung unterstützen, nicht finanziell gefördert werden. Auch die Vergabe von kommunalen Räumen wird verweigert, so der Beschluss.
Laut einer 2018 von der „European Union Agency for Fundamental Rights“ durchgeführten Studie empfinden zudem 82 Prozent der europäischen Jüdinnen*Juden die BDS-Bewegung als antisemitisch. Und in den USA, wo BDS insbesondere an Hochschulen sehr aktiv ist, haben Untersuchungen der amerikanisch-jüdischen NGO „Amcha Initiative“ und der Brandeis University gezeigt, dass dort, wo Boykottaktionen gegen Israel stattfinden, die Wahrscheinlichkeit für antisemitische Vorfälle stark erhöht ist. Die bewusst vage formulierten Forderungen von BDS zielen letztlich darauf ab, den jüdischen Staat von der Landkarte zu tilgen – ein Ziel, das prominente BDS-Aktivist*innen immer wieder offen kommunizieren.
Problematisch am „Palästinakomitee Stuttgart“ ist auch seine verzerrende und geschichtsrevisionistische Darstellung des Zionismus als „Projekt im Sinne des europäischen Kolonialismus“. Lars Rensmann, Professor für Europäische Politik und Gesellschaft an der Rijksuniversiteit Groningen/Niederlande, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass „mit der Darstellung Israels als ‚Siedlerkolonialismus‘ auch das koloniale europäische Erbe entlastend delegiert und auf den jüdischen Staat projiziert werden“ soll. Dabei wird ausgeblendet, dass der Zionismus, der sich vor 125 Jahren in Basel als Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes vom Antisemitismus formierte, mit der Gründung des Staates Israel vor 74 Jahren einen sicheren Hafen für jüdische Menschen auf der ganzen Welt geschaffen hat.
Wenn Organisationen wie das „Palästinakomitee Stuttgart“ diesen Ort der Zuflucht vor Antisemitismus zu delegitimieren versuchen und dem israelbezogenen Antisemitismus Vorschub leisten, ist es unsere Aufgabe als Zivilgesellschaft, uns ihnen entschlossen entgegenzustellen und ihnen keine Bühne zu bieten. Wer die antisemitische BDS-Kampagne offen unterstützt, kann für uns kein Festivalpartner sein, da der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus zusammen geführt werden muss. Sowohl die Perspektive von Palästinenser*innen als auch das Problem des israelbezogenen Antisemitismus finden in unserer Gesellschaft zu wenig Beachtung. Diese differenzierte Position als „antipalästinensischen Rassismus“ zu diffamieren, ist völlig haltlos.
Thomas Tews (33 Jahre) ist als Leiter der Geschäftsstelle des Landesverbandes Baden-Württemberg der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK) an der Organisation des Festivals gegen Rassismus beteiligt. Zudem leitet er die von ihm ins Leben gerufene Arbeitsgruppe „Antisemitismus“ bei den Jusos Stuttgart.