Ein komplettes Uni-Seminar durch ein fünfminütiges Video ersetzen? Schön, wenn es so einfach wäre, gerade wenn es um komplexe Themen geht wie das Kapitalverhältnis oder die Geschichte der Sklaverei in den USA. Es gibt jedoch einen guten Grund, wieso solche Themen in der Regel durch monatelange Lesekreise, dicke Bücher oder eben Hochschul-Seminare angeeignet werden: Sie sind kompliziert, und die Auseinandersetzung damit verlangt Zeit und Arbeit.
Die YouTube-Universität „Prager University“ („Prager U“) verspricht hingegen ihren Konsument*innen, sich mittels fünfminütiger Videos zu absoluten Expert*innen zu allen erdenklichen gesellschaftspolitischen Themen mausern zu können. Nur handelt es sich hierbei weniger um die Vermittlung eines Themas aus unterschiedlichen Perspektiven, um das Thema anschließend anhand eines wissenschaftlichen Rahmens einordnen zu können – sondern um rechtspopulistische Propaganda.
Dennis Prager: Ein Mann mit einer Mission
Gegründet wurde Prager U bereits 2010, und zwar von dem rechtskonservativen und extrem christlichen Radio-Host Dennis Prager und dem Radioproduzenten Allen Estrin. Ihr Ziel: eine Gegenbewegung zum „liberalen Bias“ im US-amerikanischen Universitätsbetrieb zu etablieren.
Prager ist der festen Überzeugung, dass sich unsere Gesellschaft auf den besten Weg in den Kollaps befindet. Schuld daran trägt jedoch nicht der Spätkapitalismus und der in seinem Namen geführte Raubbau am Menschen und der Erde, sondern die Moderne. Auf Twitter erklärt Prager seinen 342.000 Followern regelmäßig, dass die Demokratische Partei, die linke Bewegung, der Kulturmarxismus oder generell alles, was auch nur minimal links von einem weißen, christlichen Nationalismus sich befindet, ein Problem darstellen. 2016 schrieb er beispielsweise in einem Artikel im National Review, dass „Die linke Bewegung ein tödlicher Krebs im amerikanischen Blut und der amerikanischen Seele“ sei. Donald Trump beschrieb er hingegen als „Chemotherapie“. Interessanterweise hatte Prager Trump anfangs abgelehnt – dieser sei zu vulgär, um einen guten, christlich-konservativen Politiker abzugeben. Doch im Kampf gegen alles auch nur ansatzweise Progressive musste auch Prager Abstriche machen und Trump unterstützen.
Kampf gegen „Kulturmarxismus“
Laut dem Blog Mother Jones besteht für Prager die größte Bedrohung für den Westen allerdings aus „linken Medien“ und der vermeintlichen linken Indoktrination, die in Schulen und Universitäten stattfinden würde. Diese Annahme rekurriert auf das Verschwörungsnarrativ des „Kulturmarxismus“: dass die jüdischen Kommunisten der Frankfurter Schule nach ihrer Flucht vor den Nazis in die USA sich dort die intellektuelle und kulturelle Landschaft unter den Nagel gerissen und ihre zersetzende Ideologie von Emanzipation zum universitären und kulturellen Kanon erhoben hätten. Pragers Ziel lautet, so ein seitenlanges Porträt bei Buzzfeed News: „Den Schaden wiedergutmachen, den ein Bildungssystem angerichtet hat, das US-amerikanischen Schüler*innen vermittelt, ihr Land sei ein Land von Ungleichheit und Rassismus, für das man sich schämen müsste“ – denn Sklaverei, struktureller Rassismus und ein zutiefst rassistisches Polizei- und Gefängnissystem gehören für Dennis Prager und sein Team entweder der Vergangenheit an oder waren eigentlich gar nicht so schlimm.
Fracking-Milliarden für die Finanzierung
Finanziert wird das Projekt Prager U von den zwei Fracking-Milliardären Dan und Farris Wilks aus Texas. Sie beide sind Mitglieder der von ihrem Vater 1982 gegründeten Kirche „Assembly of Yahweh“, die Elemente von Christentum und Judentum kombiniert und die Lehre vertritt, dass die Bibel ein historisch und wissenschaftlich akkurates Dokument sei und keinesfalls hinterfragt oder gar widerlegt werden dürfte. Farris Wilks wurde einige Zeit nach der Kirchengründung zum Priester ernannt; die religiöse Doktrin prägt die Brüder bis heute. Abtreibung und Homosexualität sind nach den Lehren der „Assembly of Yahweh“ schwere Sünden, Frauen haben sich Männern stillschweigend zu unterwerfen. Die ausgesprochen fragwürdige Bibelexegese wird von Farris Wilks auch verwendet, um Klimawandel zu leugnen. Laut einem VICE-Artikel sind nicht Fracking-Milliardäre wie er und sein Bruder daran Schuld, dass die Erde zunehmend unbewohnbar wird, sondern menschliche Sünden – vor allem Abtreibung. „Denken Sie an all die Morde, die in diesem Land passieren… All die ermordeten Babies… Die sexuellen Perversionen aller Art,“ erklärt er in einer Predigt, um dann zu konstatieren, dass der Klimawandel anscheinend Gottes Wille ist, den Menschen zu bestrafen, und diese steigende Ozeane oder sengende Hitze eventuell auch verdient hätten.
Wie eine Recherche der antifaschistischen Organisation Right Wing Watch belegt, nutzen die Wilks-Brüder ihr Vermögen vor allem für eine Sache: um rechtsradikale Projekte zu unterstützen. Hierbei handelt es sich maßgeblich um Kampagnen gegen Abtreibung, Klimawandelleugnung, eine „woke Agenda“ und die Rechte queerer Menschen. Die Wilks-Brüder finanzieren deshalb unter anderem das von dem rechtsradikalen Alternativmedienmacher Ben Shapiro betriebene Propagandamedium The Daily Wire, das unter anderem eine Show des beruflichen Transfeindes Matt Walsh oder den zunehmend der Senilität verfallenden Incel-Guru Jordan Peterson publiziert.
In Dennis Prager haben die Wilks einen ideologischen Verwandten erkannt und deswegen Prager U bereits mindestens 5.6 Millionen Dollar zugeschoben, um menschenfeindliche, antidemokratische Propaganda zu verbreiten.
Desinformationen als Geschäft
Die Kurzvideos von “Prager University” kosten zwischen 250.000 und 300.000 Dollar pro Video. Hinterher sollen Fragebögen überprüfen, ob die eifrigen Studierenden in der Lage sind, die Inhalte der fünfminütigen Videos wiederzugeben – wichtige Erfolgskontrolle. Der hohe Produktionswert spiegelt sich in ihrer Social Media-Vermarktung. Auf YouTube hat der Propagandakanal 3.14 Millionen Abonnent*innen, auf Facebook, einer Plattform auf der Kurzvideos mit reaktionären Inhalten sich als ausgesprochen lukratives Modell erwiesen haben, 4.5 Millionen, auf Instagram 2.2 Millionen.
Prager U arbeitet im Rahmen der Videos einerseits mit bekannten Gesichtern konservativer Nachrichtenoutlets zusammen, andererseits mit dem Who’s Who der Alt-Light und Alt-Right. Zu ihnen zählen unter anderem Steven Crowder, Candace Owens, Tim Pool, Ben Shapiro, Jordan Peterson, Charlie Kirk oder Dinesh D’Souza – von denen viele auch Sendungen bei The Daily Wire moderieren oder anderweitig im rechten Kulturkampf aktiv sind. Sie nutzen ihren Namen, um Prager U-Videos Klicks zu verschaffen, und Prager U nutzt im Gegenzug die eigene Plattform, um den rechten Influencer*innen zusätzliches Publikum zu bringen.
Die behandelten Themen sind, unter anderem: das Geschlechterverhältnis (Männer hätten Frauen das Wahlrecht geschenkt, Feminismus sei männerfeindlich und unnötig, queere Menschen indoktrinieren unsere Kinder), Rassismus (existiere nicht mehr, antirassistische Protestierende wollten die USA vernichten, Sklaverei sei nicht so schlimm gewesen), das Kapitalverhältnis (Ayn Rand hätte recht, Karl Marx sei der Teufel in Person, Armut sei selbstverschuldet, Privatisierung sei gut und richtig), Migration (es gäbe zu viele Migrant*innen, Muslime seien potentiell gefährlich), Geschichte (Christopher Columbus sei ein Held gewesen und die Gründervater die besten Amerikaner aller Zeiten statt einer Gruppe Sklavenhalter, Imperialismus hätte „den Wilden” die Zivilisation gebracht), Klimawandel (existiere nicht und die Nutzung fossiler Brennstoffe sei das Recht eines jeden amerikanischen Bürgers) – generell jedes erdenkliche Thema, dass sich rechts besetzen lässt. Im Falle des Klimawandels gehen die Autor*innen von Prager U sogar so weit, den Holocaust zu instrumentalisieren und Klimawandelleugnung mit dem Kampf gegen Nazis gleichzusetzen.
Die primäre Zielgruppe sind Zuschauer*innen unter 35: politisch Unentschlossene, die über die Videos nach rechts radikalisiert werden können. Dies funktioniert vor allem über Videos, die Empörung über „Woke Culture“, Antirassismus, Feminismus und queeren Aktivismus wecken sollen und vermitteln, dass diese Bewegungen „zu weit gehen“ würden.
Doch all dies reicht einem Mann wie Dennis Prager nicht: Ihm geht es um die Kinder.
Leo und Layla betreiben Geschichtsrelativismus: “Prager U Kids”
Es war von Anfang an Dennis Pragers Ziel gewesen, sein Material irgendwann einmal in richtigen Lehrinstitutionen einzusetzen und so gegen die imaginierte linke Meinungsdiktatur anzukämpfen. Seit 2021 existiert „Prep“ – „Prager U Resources for Educators and Parents“. Diese Materialien sollen Lehrkräften und Eltern helfen, konservative Inhalte an Kinder zu vermitteln. Inzwischen ist Prager seinem Ziel, Kinder direkt zu indoktrinieren, einen großen Schritt näher gekommen. Im Juli 2023 hat das Bildungsdepartment von Florida beschlossen, die Videos von „Prager U Kids“ als Unterrichtsmaterialien zu verwenden. Florida unter Ron de Santis führt gerade einen brutalen Feldzug gegen alles, was unter das diffuse, rechte Feindbild „woke“ fällt. Dies trifft vor allem queere Menschen: geschlechtsangleichende Maßnahmen werden verhindert, Lehrbücher zu queeren, feministischen und antirassistischen Themen werden aus Schulbibliotheken verbannt, die Universität New College of Florida streicht die Geschlechterforschung aus den Lehrplänen. Stattdessen: geschichtsrevisionistische Propaganda, kindgerecht aufbereitet.
Prager U Kids behauptet von sich, eine sichere Alternative zur „woken Agenda“ zu bieten, die Klassenzimmer, Kultur und die Sozialen Medien „inflitriert“ habe. “Prager U Kids” biete hingegen „klassische amerikanische Werte“ und „pro-Amerikanische Kinderserien für jede Klassenstufe“. Zum Beispiel wird Kindern erklärt, wie sie adäquat Männlichkeit oder Weiblichkeit performen sollen. Wenig überraschend: durch die Reproduktion patriarchaler Geschlechterrollen.
Besonders interessant sind die Videos von Leo und Layla: zwei Geschwister, die durch die Zeit reisen und mit historischen Persönlichkeiten sprechen, um drängende tagespolitische Fragen einzuordnen. Dass die Personen und ihre Positionen oft aus dem Kontext gerissen werden oder brutaler Geschichtsrevisionismus betrieben wird, um zum Beispiel zu verleugnen, dass die USA auf der systematischen Ausbeutung von Schwarzen oder der Vernichtung von Native Americans aufgebaut sind – für Dennis Prager und sein Team zweitrangig. In einer Folge wird beispielsweise Galileo Galilei herangezogen, um Impfskeptizismus und Wissenschaftsfeindlichkeit zu schüren. Aus der von Galileo vermittelten Erklärung, es sei notwendig für ihn gewesen, die damals herrschende Vorstellung der Beschaffenheit des Universums zu hinterfragen, wird flugs die Behauptung: „Vertraue nicht der Wissenschaft“ – bei einer im Februar 2022 veröffentlichten Episode ein eindeutiger Seitenhieb auf Corona-Politik.
Zahlreiche Videos thematisieren biblische Figuren wie König David oder historisch relevante Christ*innen wie die Abtreibungsgegnerin Mutter Theresa, die Schwangerschaftsabbrüche als „das schlimmste Böse und größten Feind des Friedens“ bezeichnete und propagieren so eine christlich-fundamentalistische Weltsicht. In den Videos wird vermittelt, dass Gottvertrauen zu privatem Erfolg und Glück führen würde – die wiederum Ausdruck eins gottgefälligen Lebens seien.
Marie Curies Mutterschaft
Systematische Gewalt und Unterdrückung existieren in der Welt von Leo und Layla nicht – wenn Menschen also wegen beispielsweise Armut scheitern, sind sie also selbst schuld. Benjamin Franklin wird herangezogen, um Ungleichheit zu biologisieren, Marie Curie, um Mutterschaft zu glorifizieren – kurz: Es werden namhafte historische Persönlichkeiten verwendet und ihre Geschichten verdreht, um die reaktionäre Ideologie von Prager U zu rechtfertigen.
Dies wird besonders verabscheuungswürdig, sobald Sklaverei thematisiert wird. In einem gegen „Black Lives Matter”-Demonstrierende gerichteten Video sprechen die Geschwister mit dem ehemaligen Sklaven Frederick Douglass, der erklärt, dass Sklaverei durchaus keine so tolle Sache war – aber Umwälzungen nur im Rahmen der gegebenen gesellschaftlichen Möglichkeiten stattfinden sollten. Das Video verschweigt den Bürgerkrieg und somit die Tatsache, dass sich die Sklaverei nicht mit einem freundlichen, aber bestimmten Gespräch mit Plantagenbesitzern abschaffen ließ, sondern nur durch eine gewaltvolle politische Intervention. Auch war der als Kronzeuge herangezogene Frederick Douglass durchaus Verfechter eines notwendig gewalttätigen Umsturzes der Sklaverei – seine Instrumentalisierung also besonders verwerflich.
Rassistische und christlich-fundamentalistische Geschichtskittung
In einem anderen Video wird vermittelt, man müsse den Südstaaten für die Geschichte der Sklaverei vergeben – und verschwiegen, dass diese brutale, menschenverachtende Ausbeutung immer noch nicht adäquat aufgearbeitet wurde, sondern viel mehr noch in strukturellem Rassismus nachwirkt. Rassismus gäbe es auch nicht mehr wirklich in den USA: die Proteste von Martin Luther King – der sich bei dem Gedanken, von Prager U instrumentalisiert zu werden, im Grab umdrehen würde – hätten diesen unschönen Fleck in US-amerikanischen Geschichtsbüchern längst beseitigt. Auch der Kolonialist Christopher Columbus wird in positivem Licht dargestellt und darf klassisch rassistische Behauptungen von sich geben, dass Europäer die amerikanischen Ureinwohner*innen von „Menschenopfern und Kannibalismus“ gelöst und ihnen die Zivilisation gebracht hätten – anstatt zu erwähnen, dass sie ausgebeutet und ermordet wurden. Generell sollten Leo und Layla sich nicht herausnehmen, Sklaverei aus ihrer Position zu kritisieren, denn man müsste diese im Kontext der Zeit sehen.
Kurz: “Prager U” betreibt nichts anderes als christlich-fundamentalistische und nationalistische Geschichtskittung. Sie bringen Ideologie ins Klassenzimmer – und tun somit, in bester Tradition der pathischen Projektion genau das, was sie behaupten, bekämpfen zu wollen. Die Leidtragenden sind: Kinder, Jugendliche, marginalisierte Menschen, Wissenschaft, Aufklärung, und die US-amerikanische Demokratie.