LOBBI e.V. im Interview
Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund
Im Jahr 2012 wurden mehrere Buttersäureanschläge von Neonazis verübt. Den Auftakt bildete ein Anschlag in der Nacht zum 23. Januar auf ein linkes Wohnprojekt in Rostock. Gefolgt wurde dieser Angriff von koordinierten Aktionen Anfang Mai: Zeitgleich wurden das Peter-Weiss-Haus in Rostock, das Interkulturelle Wohnprojekt in Greifswald und der Demokratielanden in Anklam Opfer von Buttersäureanschlägen.Zudem kam es in Anklam zu gewalttätigen Übergriffen auf eine Gruppe von Punks und alternative Jugendliche – diese wurden von vermummten Neonazis aus mehreren Autos heraus angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Zwei der Neonazis wurden vom Amtsgericht Greifwald zu Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr, ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung, verurteilt.Rassistisch motivierte Angriffe wurden z.B. in Schwerin, Rostock, Wismar und Greifswald verzeichnet. Insgesamt nahm die Zahl der rassistisch motivierten Angriffe zu, die Gründe hierfür sind nicht eindeutig festzumachen. Im Vergleich zu den Vorjahren ist festzuhalten, dass Anschläge auf Büros demokratischer Parteien nicht in dem Umfang wie in den Jahren zuvor stattfanden. Zudem schritten bei einigen gewalttätigen rechtsextremen oder rassistischen Angriffen Zeugen ein und konnten so in manchen Fällen Schlimmeres verhindern.
Die wichtigsten Ereignisse
Erinnerungskultur für Mehmet Turgut und Rostock-Lichtenhagen
Im gesamten Bundesland fand eine Reihe von Gedenkveranstaltungen zu den Opfern des NSU statt. Bei einer von etwa 150 Menschen besuchten Kundgebung wurde am 25. Februar in Rostock Mehmet Turgut gedacht, der 2004 vom NSU ermordet worden war. Knapp 20 vermummte und bewaffnete Neonazis versuchten die Veranstaltung zu stören und die Teilnehmenden anzugreifen. Später lieferten sie sich eine gewalttätige Auseinandersetzung mit Polizisten und verletzten einen von ihnen.Anlässlich des 20. Jahrestages des rassistischen Pogroms in Lichtenhagen gab es kontroverse Debatten über angemessene Formen der Aufarbeitung und zahlreiche Veranstaltungen, u.a. eine bundesweite Demonstration gegen Rassismus und eine Gedenkveranstaltung mit dem Bundespräsidenten.
Die bisherigen Debatten zur städtischen Erinnerungskultur in Bezug auf Lichtenhagen und den NSU- Mord blieben bisher allerdings ergebnislos. Das Vorhaben, eine Straße nach Mehmet Turgut zu benennen, scheiterte am „Nein“ eines zuständigen Ortsbeirats. Genauso wenig wurde bisher ein geeigneter Ort für einen Gedenkstein gefunden. Ebenso ergebnislos war bisher die gesellschaftliche Debatte um die öffentliche Aufklärung der Aktivitäten des NSU im Bundesland. Zur Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Landtag fehlte es bisher an der notwendigen Zustimmung der ParlamentarierInnen. Anfragen zur Thematik werden völlig unzureichend beantwortet. Die Tageszeitung „Nordkurier“ reichte gar wegen ausbleibender Informationen Klage gegen das Innenministerium ein.
Unterbringung von Flüchtlingen
In mehreren Landkreisen in Mecklenburg-Vorpommern bekam die bereits vor zehn Jahren geführte Debatte um die Standorte von Flüchtlingsheimen in diesem Jahr wieder Aktualität. Bei der Suche nach neuen Kapazitäten oder alternativen Standorten schrieb z.B. die Verwaltung des Landkreises Vorpommern-Rügen alle Gemeinden an, erhielt jedoch entweder keine oder negative Rückmeldungen.
In Orten, in denen sich bereits Flüchtlingsheime befinden bzw. neu eingerichtet werden sollen, kam es wiederholt zu rassistischen Äußerungen und Aktivitäten.
So wurden in Güstrow Flugblätter gegen eine geplante Unterkunft verteilt. Später wurde auf das Gebäude, , in dem die Flüchtlinge untergebracht werden sollen, ein Buttersäureanschlag verübt. In Bad Doberan klagten Gewerbetreibende mit Erfolg gegen ein neues Heim. Auch in Neubrandenburg und Neustrelitz gab es Diskussionen. Die Möglichkeit einer verstärkten dezentralen Unterbringung spielte bei diesen Debatten leider nur eine untergeordnete Rolle.
In Wolgast wurde ein Neubaublock geräumt, in den das Flüchtlingsheim einziehen sollte, was die bereits aufgeladene Atmosphäre weiter anheizte. Die NPD versuchte, auch dort das Thema zu besetzen und meldete für den 9. November einen Fackelzug gegen die Flüchtlinge an. Das zunächst vom Gericht ausgesprochene Demonstrationsverbot wurde ein paar Tage vor dem provokativen Umzug wieder aufgehoben, allerdings kam es zu massivem Gegenprotest in der Stadt. Es gab mehrere Sitzblockaden und einen Umzug gegen den Aufmarsch der Neonazis.
Die Bewohner*innen der Flüchtlingsheime protestierten in diesem Jahr in zunehmendem Maße gegen die nicht vorhandene Infrastruktur und teilweise miserablen Verhältnisse in den Heimen. In Jürgenstorf führte der Protest zum Erfolg: Die Schließung des dortigen Heimes ist beschlossene Sache. Auch im Erstaufnahmelager Horst forderten die Flüchtlinge, wie bereits in den vergangenen Jahren, die Schließung des Heimes. Hier wird bisher lediglich über einen alternativen Standort diskutiert.Im Rahmen der bundesweiten Flüchtlingsproteste fanden auch in Mecklenburg-Vorpommern mehrere Veranstaltungen statt. Im Gegensatz zur Flüchtlingsheimdebatte von vor zehn Jahren schaffte es die Neonazi-Szene bisher kaum, sich an die Spitze der rassistischen Proteste gegen die Flüchtlinge zu stellen. Auf der einen Seite ist eine massive Ablehnung der Flüchtlingsheime zu beobachten, auf der anderen Seite versucht die Zivilgesellschaft in Ansätzen, der Hetze etwas entgegenzusetzen.
Obwohl zivilgesellschaftliche Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern noch immer schwach ausgeprägt sind, ist eine positive Entwicklung zu vermerken. Die Demokratiemeile in Pasewalk gegen das Pressefest der NPD und die Demonstrationen gegen Neonazi-Aufmärsche in Wismar, Wolgast und Neubrandenburg sind Beispiele für eine stärkere Vernetzung der demokratischen Zivilgesellschaft und ein gestiegenes Problembewusstsein.
Ausblick auf 2013
Da die Diskussionen bezüglich einer öffentlichen Aufklärung und Einsetzung eines NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag in Mecklenburg-Vorpommern noch zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen sind, werden diese auch im kommenden Jahr fortgeführt werden. Auch die Fragen, ob sich in Rostock eine angemessene Erinnerungskultur entwickelt und Orte zum Gedenken an Mehmet Turgut und das Pogrom von Lichtenhagen gefunden werden können, bleiben unbeantwortet. Bereits im September wurde in Rostock die Einberufung einer Arbeitsgruppe angekündigt, die entsprechende Vorschläge erarbeiten soll. Sie hat sich bisher noch nicht einmal getroffen.
Auch die ungeklärte Problematik der Unterbringung der Flüchtlinge wird 2013 ein Thema bleiben. Hier ist fraglich, ob die Verwaltungen akzeptable Lösungen finden werden, wie die Bevölkerung sich künftig positioniert und wie die betroffenen Flüchtlinge selbst sich verhalten werden. Da die NPD im Landtag, auf kommunaler Ebene und in den Kreistagen teilweise stark vertreten ist, ist die Debatte um ein NDP-Verbotsverfahren und die Frage, was ein Verbot der NPD bewirken und verändern würde, hoch brisant. Mit Blick auf die Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres stellt sich für viele Initiativen und Organisationen, die sich gegen Rassismus und Neonazismus engagieren, erneut die Frage, ob und in welchem Umfang sie weiterhin finanziell gefördert werden.
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LOBBI e.V., Mecklenburg-Vorpommern
Das Interview führte Theresa Heller.