Es ist ein kalter Januartag, 13 Uhr, Schulschluss: Kleine Gruppen von Schülerinnen und Schülern schlendern über den Greizer Kirchplatz nach Hause, eine kurze Schneeballschlacht, lautes Lachen, dann ist es wieder still auf dem Platz, an dem gegenüber der Schule eine Kirche steht. „Greiz ist keine große Stadt, da kennt man sich“, erklärt die Bibliothekarin in dem Häuschen direkt neben der Kirche.
Tatsächlich zählt der thüringische Ort gerade einmal 21.000 Einwohner, entsprechend ruhig ist es hier zur Mittagszeit. Vor einige Monaten wurde es jedoch laut in der Stadt: Im Ortsteil Pohlitz wurde Mitte September letzten Jahres eine Flüchtlingsunterkunft errichtet. Schon im Vorfeld gab es dagegen rassistischen Protest, der aufhorchen ließ. Bekannte Neonazis aus der Umgebung mobilisierten mehrfach zu Demonstrationen, Fackelmärschen und regelmäßigen Kundgebungen: Jeden Freitag versammelten sich Rassistinnen und Rassisten in Sichtweite der Unterkunft.
Auf Facebook gründete sich die „Greizer Bürgerinitiative gegen ein Asylheim am Zaschberg“. Dahinter stehen Neonazis aus Greiz, dem Vogtland und der Kameradschaft „Revolutionäre Nationale Jugend Greiz“. In den ersten Wochen konnte die Bürgerinitiative Ängste und bestehende Ressentiments der Greizer Bevölkerung für ihre rechtsextreme Propaganda nutzen. Doch die anfängliche Teilnehmerzahl von bis zu 120 Personen schrumpfte recht schnell auf nur noch 80 Teilnehmende. Den 800 „Gefällt mir“-Angaben der Bürgerinitiative stehen fast doppelt so viele entgegen: Die Facebook-Seite „Solidarität mit den Greizer Flüchtlingen“ verfügte recht schnell über 1.400 „Likes“. Nicht nur im Internet, sondern auch vor Ort wurde die Initiative u.a. durch Gegendemonstrationen aktiv – unterstützt durch ein breites antirassistisches Bündnis. Öffentlicher Neonazi-Protest hat seit Ende November 2013 nicht mehr stattgefunden. Dennoch gibt es weiter genug Gründe, sich mit den Geflüchteten in der Unterkunft zu solidarisieren.
Zahira Alaya* wohnt seit August letzten Jahres gemeinsam mit ihrem Ehemann und den drei Kindern in der Greizer Flüchtlingsunterkunft – zusammen mit 60 anderen Geflüchteten, die zu einem Großteil aus Syrien, Afghanistan und Tschetschenien nach Deutschland kamen. Im Interview mit Marie Moeller spricht sie über die rassistischen Proteste, die traumatisierenden Fluchterlebnisse und über die stetige Ungewissheit, die die Asylgesetzgebung bei der Familie auslöst.
Wie bist du nach Deutschland gekommen?
Ich komme aus Syrien, aus Damaskus. Unser Haus war im Yarmouk-Camp. Jetzt hungern die Leute dort. Die Armee hindert sie daran, das Camp zu verlassen. Und jetzt sterben die Menschen, weil es überhaupt nichts zu essen gibt. Manche Leute fliehen, so wie wir.
Die ersten Probleme hatte ich auf der Arbeit. Ich arbeitete im Bereich Computer-Engineering in einem Krankenhaus in Damaskus. Als ich die Leute gesehen habe, die im Krankenhaus gestorben sind – durch die Polizei, durch Bomben oder Schüsse – da habe ich zu einem meiner Freunde gesagt, dass es nicht gut ist, dass die Leute sterben, nur weil eine Person sie für ihren Krieg haben will: Assad muss gehen! Daraufhin sind ein paar Leute zu mir gekommen und haben mir gesagt, dass ich so nicht reden soll. Wenn ich es doch täte, würden sie mich gefangen nehmen. Diese Leute arbeiteten für die Regierung.
Die Bedingungen auf meiner Arbeit waren sehr schwierig. Zu dieser Zeit war ich schwanger. Als ich das Kind geboren habe, ist es nach vier Tagen gestorben. Da bin ich zusammen mit meinem Ehemann nach Ägypten gegangen, bevor sie mich selbst oder auch meine Kinder gefangen nehmen konnten. Aber in Ägypten gab es keine Arbeit und nachdem Präsident Mursi abgesetzt wurde, haben sie uns gesagt, dass wir in ein anderes Land gehen müssten.
Also sind wir über das Meer nach Deutschland gegangen. Dafür haben wir Geld an einen Schlepper bezahlt, der uns dann aber einfach alleine gelassen hat. Wir waren vollkommen auf uns gestellt. Das Boot war nicht groß, wir haben Seite an Seite geschlafen, wir hatten nichts zu essen und nur wenig Wasser. Sie haben uns gesagt, wir würden neun Stunden auf dem Boot bleiben, aber dann waren es 30 Stunden. Die ganze Zeit hat das Schiff heftig geschwankt und wir fühlten uns so, als müssten wir sterben. Irgendwann haben wir dann Italien erreicht. Dort haben sie uns gesagt, es sei kein Problem nach Deutschland zu gehen. Seit August sind wir jetzt in Deutschland. Mein jüngstes Kind Yusuf ist hier geboren, am 19. August.
Wie ist das Leben hier in der Unterkunft?
Ich fühle mich gut hier. Aber ich will ein richtiges Leben anfangen. Alles ist gut, aber wir wollen eine eigene Wohnung. Es gibt zum Beispiel in der Unterkunft hier nur eine Dusche für das ganze Stockwerk. Es ist eine Sammeldusche und es ist ein Problem, mich vor allen anderen ausziehen zu müssen. Also stellt sich mein Mann vor die Tür, wenn ich dusche, und schaut, dass keiner reinkommen kann.
Die Kinder sagen die ganze Zeit: „Wir wollen in die Schule!“ Wenn die Kinder in die Schule gehen können, dann ist das ein guter Anfang, dann bin ich zufrieden. Wegen ihnen bin ich von Syrien hierhergekommen. Gestern haben unsere Freunde hier aus Greiz Rami und Baba mit in den Kindergarten genommen. Die Chefin dort hat das Sozialamt der Ausländerbehörde angerufen und erreicht, dass zumindest Rami jetzt in den Kindergarten gehen kann. Gleich morgen ist der erste Tag.
Also habt ihr Kontakt mit Leuten in Greiz?
Ja, die Leute in Greiz sind gute Menschen. Es gibt hier Leute, die uns nicht mögen, die gegen uns sind. Aber die anderen sind sehr nett.
Ende letzten Jahres gab es noch regelmäßig Proteste gegen die Unterkunft. Wie hast du davon mitbekommen? Hast du davon gehört oder hast du sie selbst gesehen?
Ja, wir haben die Proteste gesehen. Die Leute sind direkt hierhergekommen. Wir haben gespürt, dass die Leute uns hier nicht haben wollen. Am Anfang hatten wir Angst vor ihnen – Angst, auf die Straße zu gehen. Jetzt fühlen wir uns nur noch nachts bedroht. Dann gehen wir nicht raus. Ich habe Angst um meine Kinder.
Am Anfang kannten wir nichts in Greiz: Wir wussten nicht, wo was ist. Manche Leute, die wir dann auf der Straße gefragt haben, waren sehr abweisend und halfen uns nicht. Manchmal, wenn sie uns gesehen haben, sagten sie uns Sachen – ich weiß nicht genau was, ich habe es nicht verstanden – aber in ihren Gesichtern konnte ich sehen, dass es keine guten Worte waren. Es gab aber auch Leute, die kamen auf uns zu, haben uns begrüßt und waren gleich sehr nett zu uns. Viele Leute hier sind gut und freundlich. Sie haben unser anfängliches Bild verändert.
Im Zuge der Proteste gab es viele Vorurteile gegenüber Flüchtlingen. Was denkst du, was man am besten gegen solche Vorurteile tun kann?
Wir wollen zu allen sagen, dass wir gute Leute sind. Wenn es in Syrien gut gewesen wäre, dann wären wir nicht hierhergekommen. Wir sind gekommen, weil es überall Krieg gibt, überall in Damaskus, es gibt keine Schule, es gibt keine Arbeit. Das will ich zu den Leuten sagen, die gegen uns sind. Wir sind gute Leute, wir wollen gut Deutsch lernen, arbeiten gehen und wir wollen, dass unsere Kinder lernen können.
Was sind deine Pläne und Wünsche für die Zukunft?
In Deutschland wollte ich von Anfang an zu meinem Bruder, der seit 30 Jahren in Meppen als Arzt arbeitet. Wir wollen unser richtiges Leben anfangen, wir wollen arbeiten. Mein Ehemann arbeitete als Innenausstatter für Küchen. In Damaskus hatten wir ein Geschäft, aber jetzt gibt es dort gar nichts mehr. Hier in Greiz können wir nicht arbeiten, doch mein Bruder hat Kontakte, so dass wir in Meppen Arbeit finden könnten. Wir wollen hier jetzt ein neues Leben anfangen. Also hoffen wir, dass wir Papiere bekommen und bleiben können.
*Name von der Redaktion geändert