Das Gespräch führte Simone Rafael
In allen Bundesländern werden aktuell wieder mehr Flüchtlinge aufgenommen. Wie sieht die Situation in Brandenburg aus?
Im Land Brandenburg wurden im vergangenen Jahr rund 3600 neue Flüchtlinge aufgenommen, vor allem aus Afghanistan, Tschetschenien, dem Iran und dem Irak. Anders als früher sind es auch viele Familien, und auch kranke und traumatisierte Menschen, die flüchten – das heißt, das viele Flüchtlinge besondere Unterstützung brauchen, weil sie besonders „schutzbedürftig“ sind. Trotzdem ist die Zahl der Sammelunterkünfte, die sich für Familien oder traumatisierte Menschen nur wenig eignen, von 17 auf 29 gestiegen. Wegen der großen Zahl der neu ankommenden Geflüchteten sind die fünf überregionalen Beratungsstellen für Flüchtlinge in Brandenburg völlig überlaufen. 2005 kamen hier auf eine/n Berater*in 220 Flüchtlinge – inzwischen ist der Schnitt eher noch höher. Für die Beratung sind eigentlich auch die Sozialarbeiter*innen in den Heimen zuständig. Hier sollten 120 Flüchtlinge auf eine/n Berater*in kommen – auch diese Zahl wird vielerorts bereits überschritten. Oft sind die Sozialarbeiter*innen außerdem mit den Alltagsaufgaben in einer Wohneinrichtung so ausgelastet, dass für eine Asylberatung oder auch Sozialberatung gar keine Zeit mehr bleibt. Das heißt: Viele Flüchtlinge, die neu nach Brandenburg kommen, haben kaum eine Chance, eine Asylberatung zu bekommen oder zu erfahren, wo es Rechtsanwält*innen gibt, die sich um ihre Anliegen kümmern könnten – bis hin zur Abschiebung können sie ihr Recht auf Beratung in vielen Fällen gar nicht wahrnehmen. Die Gefahr, dass sie dann abgeschoben werden, obwohl sie Gründe hätten, hier in Deutschland Schutz zu bekommen, steigt mit der unzureichenden Beratungssituation dramatisch.
Welche Themen beschäftigen den Flüchtlingsrat Brandenburg aktuell?
Ein Hauptthema sind für uns die schnellen Abschiebungen nach dem sogenannten Dublin-Verfahren, zum Beispiel die Abschiebungen nach Polen. Die Dublin-Verordnung besagt, dass Schutzsuchende in Europa in dem Land ihr Asylverfahren betreiben müssen, in dem sie erstmals in die EU eingereist sind. Viele Flüchtlinge reisen über Polen nach Deutschland ein und werden entsprechend wieder nach Polen zurückgeschoben, um dort ihr Asylverfahren weiterzuverfolgen. Die Situation in Polen ist allerdings ausgesprochen fragwürdig. Die Menschen, dass heißt ganze Familien einschließlich der Kinder, viele aus Tschetschenien, kommen dort von der deutschen Grenze zunächst direkt in geschlossene Abschiebezentren, wo sie bis zu einem Jahr bleiben müssen, kaum an die Luft kommen, die medizinische Versorgung kaum vorhanden ist. Unter dieser Situation leiden vor allem Kinder oder traumatisierte Menschen, die schon in ihrem Heimatland willkürliche Haft erlebt haben, ganz besonders. Das ganze Dublin-System setzt ja ein einheitliches Asylsystem und gleiche Aufnahmebedingungen in den verschiedenen europäischen Ländern voraus. Das stimmte von Anfang an nicht. Länder wir Bulgarien, Ungarn, Malta oder Italien stehen in scharfer Kritik, weil sie Flüchtlinge einsperren, sie der Obdachlosigkeit und rassistischen Übergriffen aussetzen, sie nicht angemessen aufnehmen und versorgen oder Schutzsuchende dort keine Chance auf ein faires Asylverfahren haben. Die Abschiebungen nach Griechenland wurden aus diesen Gründen sogar gänzlich verboten. Auch in Polen gibt es Probleme im Asylverfahren und mit dem Aufnahmesystem, vor allem aber wegen der scheinbar willkürlichen Inhaftierung von Schutzsuchenden. Die Bedingungen in Polen sind aber noch nicht ausreichend geprüft worden. Wir versuchen, über die Situation in Polen und die rigide Abschiebungspolitik in Brandenburg zu informieren.
Was ist mit der Unterbringung der Flüchtlinge in Brandenburg?
Im Moment werden Tatsachen geschaffen, indem wieder neue Sammelunterkünfte eröffnet werden. Seit 2011 gibt es Bemühungen im Land, ein neues Unterbringungskonzept für Flüchtlinge zu erarbeiten und den aktuell noch gültigen Erlass zu den Mindestbedingungen von 2006 zu verbessern. Bisher allerdings hat Brandenburg es nur bis zu einem Bericht gebracht, der zwar an die Landkreise Empfehlungen ausspricht, aber keinen bindenden Charakter hat. Landesregierung und Landkreise streiten über die Übernahme von Kosten. Wir und auch viele andere flüchtingspolitische AkteurInnen empfehlen eine Wohnungsunterbringung, die um ein vielfaches mehr Selbstbestimmung und Eigenständigkeit ermöglichen, die Privatsphäre schützen und ein Ankommen in der neuen Umgebung erleichtern würde. Erwiesenermaßen ist eine Unterbringung in Wohnungen nicht teurer ist als die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Viele Landkreise bevorzugen aber Sammelunterkünfte – für die gibt es vom Land extra Investitions- und Bewachungspauschalen. Hinzu kommt, dass manche Landräte in Brandenburg notorisch meinen, dass Flüchtlinge möglichst außer Sicht- und Hörweite zu schaffen sind, um keine Ressentiments hervorzurufen. Während also noch diskutiert wird, schaffen einzelne Landkreise Fakten: Es werden zum Teil Großunterkünfte neu- oder wiedereröffnet, in Fürstenwalde beispielsweise mit einer Vertragslaufzeit von 10 Jahren! Hier wird ein Gebäude hergerichtet, das als Hort abgelehnt wurde, weil die Elternvertreter*innen den Schulweg für Kinder zu gefährlich fanden – und nun müssen dort Flüchtlingsfamilien mit schulpflichtigen Kindern einziehen.
Ließe sich denn eine Unterbringung in Wohnungen organisieren?
Natürlich – das ist eine Frage des politischen Willens. Wenn Landkreise, wie es in Barnim oder Potsdam der Fall ist, sich ein kommunales Unterbringungskonzept geben und die bevorzugte Unterbringung in Wohnungen darin festschreiben, können sie etwa Appelle an Wohnungsbaugesellschaften richten, freie Wohnungen zu melden, oder auch fragen, welche Sicherheiten ein*e Vermieter*in bräuchte, um an Flüchtlinge zu vermieten. Eine Wohnungsvermittlung für Flüchtlinge hat in Potsdam unter Mitwirkung von Ämtern, einzelnen VermieterInnen, Wohnunsbaugesellschaften und BeraterInnen auch in einer Stadt mit einem sehr dichten Wohnungsmarkt sehr gut funktioniert. Leider hat die Stadt die Stelle, die das Projekt koordiniert hat, gestrichen, was wir uns nicht erklären können. Wichtig ist, dass die Wohnungen – vor allem in einem Flächenland wie Brandenburg – nicht nach Kostengesichtspunkten j.w.d. angemietet werden, sondern zentrumsnah und nah an angemessener Infrastruktur liegen. Dann klappt das auch.
Wie nehmen Sie die Mobilmachung gegen Flüchtlinge von Neonazis wahr?
Die hat es gegeben, aber hier geht es um eine kleine Anzahl Rechtsextremer. Natürlich gibt es auch feindliche Stimmungen und Ressentiments in Bürgerversammlungen. Das bekommen die Flüchtlinge auch mit. Oft versuchte man, die Aufnahme „im Stillen“ zu organisieren aus Angst vor dem Widerstand in der eigenen Bevölkerung. Das war eine fatale Strategie, die ein vollkommen falsches Signal sendet. Denn wichtig ist, wie Entscheidungsträger agieren und auftreten. Spricht sich der Landrat entschieden für die Aufnahme der Flüchtlinge aus, oder behandelt er sie als Vewaltungsmasse und zeigt falsche Solidarität für die rassistischen Vorurteile der Anwohner*innen? An vielen Orten haben die Nazi-Proteste sogar Positives bewirkt.
Inwiefern?
Ich hatte den Eindruck, dass das viele Menschen wach gemacht hat, die sich dachten: Der Nazi-Hetze wollen wir etwas entgegen setzen. In Brandenburg gibt es seit letztem Jahr viele Willkommensinitiativen für Flüchtlinge, viele Menschen, die sich engagieren wollen. Sie laden ein zu Kaffee und Kuchen, begleiten zu Ämtern und übersetzen von Amtsdeutsch auf Deutsch, spenden Fahrräder, zeigen ihre Stadt, versuchen zu erklären, wie das Leben in Deutschland läuft. Das sind Schüler*innen-Gruppen, Stadtverordnete und Bürgermeister*innen bis zu kirchlich organisierten Senior*innen. Für die Flüchtlinge ist das ganz wichtig, besonders der persönliche Kontakt. Wir versuchen hier, die vielen Ehrenamtlichen fit zu machen. Denn natürlich kommen Flüchtlinge auch zu dem älteren Herren, der ehrenamtlich den Deutschunterricht leitet, und fragen, was das für ein Schreiben vom Amt ist, das sie da bekommen haben. Und viele Ehrenamtliche wissen natürlich nicht, dass man zum Beispiel bei drohender Abschiebungen nach dem Dublin-Abkommen nur wenige Tage Einspruchsfrist hat und sie sofort reagieren müssen. Die Menschen sind oft schockiert, wenn die betroffene Familie, die sie gerade willkommen geheißen haben, dann abgeschoben wird. Natürlich können Ehrenamtliche keine Asylverfahrensberatung leisten – aber es hilft, wenn sie erklären können, worum es geht, und wissen, bei welchen Bescheiden es gut ist, eine/n Rechtsanwältin zu konsultieren.
Sind Sie auch eine Anlaufstelle für die Sorgen von Geflüchteten?
Ja, das stimmt. Bisher gibt es in den Flüchtlingsheimen kaum funktionierende Konzepte, an wen sich Bewohner*innen wenden können, wenn sie sich falsch behandelt fühlen, wenn etwa die Betreuer*innen keine Respekt vor der Privatsphäre oder dem Postgeheimnis zeigen. Das ist erstaunlich, denn für andere soziale Einrichtungen, bspw. Altenheime, sind solche Konzepte ja Standard. Für Flüchtlingsheime gibt es solche Standards nicht – zumindest meinen das viele Betreiber der Unterkünfte. Und leider werden die Flüchtlingsheime nicht nur von sozialen Trägern, sondern auch von Sicherheitsfirmen betrieben.
Von Sicherheitsfirmen betriebene Flüchtlingsheime?
Ja, das sind ja öffentliche Ausschreibungen, an denen sich eben nicht nur soziale Träger beteiligen. Die Erstunterbringung von Flüchtlingen in Brandenburg – und somit auch die Fragen der Beratung, der medizinischen Versorgung, der Betreuung der vielen Kinder in der Erstaufnahme – ist ja beim Innenministerium angesiedelt, nicht etwa, wie man meinen könnte, beim Sozialministerium. Das zeigt den staatlichen Blick auf Flüchtlinge: Sie werden zu oft als Sicherheitsproblem wahrgenommen, nicht als Menschen, die Schutz und Hilfe brauchen.
Mehr Informationen über den Flüchtlingsrat Brandenburg
gibt es im Internet unter
| www.fluechtlingsrat-brandenburg.de
Der Flüchtlingsrat freut sich über Spenden und Beteiligung.Kontakt: Gabi Jaschke, jaschke@fluechtlingsrat-brandenburg.de