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Fotos aus Sobibor Feiernde NS-Verbrecher

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(Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, Washington, DC)

Das Eingangstor des KZ Auschwitz-Birkenau, abgemagerte Häftlinge, Leichenberge – das sind Bilder, die untrennbar mit der Shoah verbunden sind. Obwohl Fotoaufnahmen die Verbrechen des Nationalsozialismus dokumentieren, leben wir in einer Gesellschaft mit Schuldabwehr und Schlussstrich-Mentalität, Neonazis und Shoahleugner*innen. In einer Zeit, in der die letzten Überlebenden der Shoah sterben, sind die „Fotos aus Sobibór“ ein wichtiges Dokument, das Einblicke in den Alltag eines Täters gewährt.

Johann Niemann war ein gnadenloser Überzeugungstäter. Ab 1939 bestand sein Dienst in der Ermordung von Tausenden Menschen in Grafeneck, Brandenburg und Bernau („Aktion T4“), und im Anschluss die Ermordung von Hunderttausenden Menschen in Bełżec und Sobibór („Aktion Reinhard“).

In der „Aktion T4“, der systematischen Ermordung von Menschen mit Behinderungen, holte er die Körper der Ermordeten aus der Gaskammer und verbrannte sie in den Öfen. Die offiziellen Bezeichnungen für derartige Verbrechen lauteten „Desinfektor“ und „Brenner“. In den Zentren der Mordmaschinerie lernte Niemann durch tägliche Praxis, wie die Gaskammern und Öfen beschaffen sein mussten, um eine größtmögliche Zahl an Menschen ermorden und verbrennen zu können.

Im Spätherbst 1941 wurde Johann Niemann beauftragt, in Bełżec ein „Versuchslager“ für die Ermordung von polnischen Jüdinnen und Juden zu errichten. Er sollte gemeinsam mit seinen Kameraden die hierfür notwendige Infrastruktur aufbauen und eine geeignete und möglichst effiziente Mordmethode entwickeln. Die fünf Männer konnten die bevorstehende Aufgabe „nur mit Organisations- und Improvisationstalent und vor allem viel Eigeninitiative lösen“ (S. 64).

Die Konstruktion des „Versuchslagers“ war die Grundlage der „Aktion Reinhard“ (benannt nach Reinhard Heydrich, Leiter des Reichsicherheitshauptamtes): In den Vernichtungslagern Bełżec, Sobibór und Treblinka wurden zwischen März 1942 und November 1943 etwa 1,8 Millionen Jüdinnen und Juden sowie 50.000 Sintize und Romnija ermordet. Nachdem die Lager ihren Betrieb eingestellt hatten, folgte eine systematische Erschießungsaktion („Aktion Erntefest“).

Nachdem Niemann über einige Wochen hinweg seinen Dienst in Bełżec ausgeübt hatte, wurde er, inzwischen ein „erfahrener Tötungsspezialist“ (S. 132), zum Aufbau des Mordlagers Sobibór abkommandiert. Schließlich sollte das Wissen, das er im Rahmen der „Aktion T4“ und in Bełżec gesammelt hatte, genutzt werden. Niemann, der zum stellvertretenden Lagerkommandanten ernannt wurde, vollzog Prügelstrafen, befahl individuelle Erschießungen und beschaffte den Motor für die Gaskammer.

Obwohl in den Vernichtungslagern ein striktes Fotoverbot herrschte, dokumentierte Niemann seinen Alltag. Das ermöglichte die Entwicklung des Rollfilms und der Kleinbildkamera, die Mitte der 1920er Jahre eingeführt wurde. Seine Fotosammlung, die insgesamt 361 Schwarz-Weiß-Aufnahmen umfasst, gewährt Einblicke in den Alltag und Dienstort eines einflussreichen Täters.  Sie ist die mit Abstand umfangreichste Fotosammlung zur „Aktion Reinhard“: Es lassen sich 62 Fotografien mit 49 unterschiedlichen Motiven der Mordstätte Sobibór zuordnen (vgl. S. 148).

Nun veröffentlichten das Bildungswerk Stanisław Hantz und die Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart das Buch „Fotos aus Sobibór. Die Niemann-Sammlung zu Holocaust und Nationalsozialismus“, um die Fotosammlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei werden die Fotos durch fundierte Artikel zur Biografie Niemanns und seinen Dienstorten eingeordnet. Die präzisen Beschreibungen der einzelnen Stationen werden durch zahlreiche Stimmen von Täter*innen und Überlebenden der Vernichtungslager ergänzt, sodass eine anschauliche und sehr authentische Darstellung der Geschehnisse gewährleistet wird.

Die Opfer sind „nur auf einzelnen Fotos schemenhaft im Hintergrund zu erkennen“ (S. 149) und die alltägliche Gewalt und der Massenmord kommen in der Sammlung nicht vor. Das belegt, dass Niemann keine visuellen Belege seiner Verbrechen wollte. Der Historiker Martin Cüppers vermutet, die Sammlung war „als visuelles Zeugnis einer Selbstvergewisserung und Erinnerung an die eigene SS-Karriere gedacht“ (S. 15).

Zwar gibt eine genauere Betrachtung der Fotosammlung durchaus detailreiche Einblicke in die Infrastruktur des Lagersystems. Aber die Fotos hatten ohne Zweifel eine andere Funktion wie – zum Beispiel – die Fotos des „Auschwitz-Albums“. Das von der Shoah-Überlebenden Lilly Jacob aufgefundene Fotoalbum zum Vernichtungslager Auschwitz, das 193 Fotos enthält, zeigt die Stationen eines Deportationstransports aus Ungarn nach Auschwitz-Birkenau. Die Aufnahmen des Fotografen reichen bis zur Nahaufnahme der Opfer, die vor den Gaskammern auf ihren qualvollen Tod warteten. Sie dokumentieren den Dienstbetrieb im Vernichtungslager und sind keine Schnappschüsse zum privaten Gebrauch.

Die Fotosammlungen sind das Resultat der wachsenden Bedeutung der Kleinbildkamera, die Mitte der 1930er Jahre im Deutschen Reich einsetzte. Die neueste Fototechnik ermöglichte die Dokumentation des Alltags der Täter, eines Alltags, der den Gang unzähliger Menschen in die Gaskammer einschloss. Die unterschiedlichen Fotosammlungen sowie deren unterschiedliche Funktionen und Perspektiven sind, ob sie scheinbar harmlose oder brutale Szenen zeigen, zum Verständnis nationalsozialistischer Herrschaftspraxis von elementarer Bedeutung.

Die Fotoaufnahmen sind – neben schriftlichen Dokumenten des NS-Staates, umfangreichen Zeugnissen von Shoah-Überlebenden und Spuren der Konzentrations- und Vernichtungslager – die wichtigste Quelle, um der heutigen Gesellschaft die düsteren Jahre deutscher Geschichte nahezubringen und vor einer Neuauflage staatlich organisierter Entrechtung und Vernichtung gesellschaftlicher Minderheiten zu warnen. Insofern sollte es ein Ansporn sein, die neuesten Forschungserkenntnisse der Historiker*innen in Form der anschaulichen Edition der Niemann-Sammlung in die antisemitismuskritische Bildungsarbeit einzubeziehen.

Das Buch „Fotos aus Sobibór. Die Niemann-Sammlung zu Holocaust und Nationalsozialismus“, herausgegeben vom Bildungswerk Stanisław Hantz und von der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, erschien Anfang 2020 im Metropol Verlag und kostet 29€.

 

Hier: http://metropol-verlag.de/produkt/fotos-aus-sobibor/

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