Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Frankfurt Der Prozess im Mordfall Walter Lübcke hat begonnen

Von|
Stephan E. (2.v.l) mit seinen Anwälten Mustafa Kaplan (l) und Frank Hannig (r), (Quelle: picture alliance/dpa/Getty Images Europe/Pool | Thomas Lohnes)

Aus nächster Nähe wurde Walter Lübcke ermordet. An seiner Kleidung wurde DNA gefunden, die die Behörden dem Kasseler Neonazi Stephan E. (46) zuordnen konnten. E.t wurde am 15. Juni 2019 verhaftet und gestand die Tat. Er habe allein gehandelt, aus Empörung über die Äußerungen Lübckes zur Flüchtlingspolitik. Schon seit 2015 war Walter Lübcke im Fokus von Rechtsextremen und Rechtspopulist*innen. Bei einer Informationsveranstaltung zu geplanten Flüchtlingsunterkünften sprach Lübcke am 14. Oktober 2015 in Lohfelden. Dabei kam es zu wiederholten Störungen, Beschimpfungen und Buh-Rufen von „Kagida“-Aktivist*innen, dem Kasseler Ableger von Pegida. Laut Informationen der dpa aus „Sicherheitskreisen“, sollen auch Stephan E. und sein Mitangeklagter Markus H. (44) vor Ort gewesen sein. Walter Lübcke ignorierte die Störer*innen nicht, sondern sagte: 

„Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“

Hetze in den sozialen Medien

Unmittelbar nach der Veranstaltung wurde das Video von “Kagida”-Teilnehmer*innen in den sozialen Medien verbreitet. Schon am nächsten Tag erschien ein erster Artikel auf dem rassistischen und extrem muslimfeindlichen Blog „Pi-News“. Auf dem Blog wurde auch die Büroanschrift Lübckes samt Mailadresse und Telefonnummer veröffentlicht. Im Kommentarbereichs des Blogs wurde seine Privatanschrift mit der Aufforderung gepostet, mal „vorbei zu schauen“. Der Videoausschnitt mit Lübckes Worten wurde über Jahre hinweg immer wieder hochgeladen und diente Rechtspopulist*innen und Rechtsradikalen als „Beweis“ für einen angeblichen „Verrat“. Noch im Januar 2019 verbreitete die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach das Video über ihre Kanäle. Die Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung ließ Mordaufrufe gegen ihren ehemaligen Parteifreund unter ihrem Post monatelang stehen. 

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Nach E.s Festnahme und seinem Geständnis führte er die Ermittler*innen zu einem Waffenversteck mit fünf Waffen, darunter auch die Tatwaffe, ein Revolver, Kaliber 38. Mittlerweile wurde aber weitere Waffen entdeckt, die zum Teil auch in Zusammenhang mit dem Mitangeklagten H. und einem mittlerweile wieder freigelassenen Waffenhändler stehen. 

Stephan E. steht noch wegen einer weiteren Tat vor Gericht. Im Januar 2016 soll er den irakischen Geflüchteten Ahmad E. mit einem Messer schwer verletzt haben. E. wurde damals zwar als rechstextremer Gewalttäter, der in der Nähe wohnte, überprüft, Anhaltspunkte für die Tat fand die Polizei allerdings nicht. Bei einer weiteren Durchsuchung von E.s Wohnung im Juli 2019 fanden Ermittler*innen schließlich weitere DNA-Spuren, die E. mit der Tat in Verbindung brachten.

Alter Anwalt, neuer Anwalt

E.s Anwalt war zunächst Dirk Waldschmidt. Waldschmidt war Vorsitzender des NPD-Landesverbandes Hessen und gilt als Szene-Anwalt. Immer wieder verteidigte er Mandant*innen aus dem rechtsextremen Spektrum. Mittlerweile wird E. vor Gericht von dem Dresdner Anwalt Frank Hannig und dem Kölner Strafrechtsanwalt Mustafa Kaplan vertreten. Hannig betreibt einen eigenen YouTube-Kanal, mit dem er über den Prozess berichten will. Laut dem Recherchenetzwerk Correctiv leitete Hannig 2015 die Gründungsversammlung des “Pegida”-Fördervereins, 2017 trat er als Redner auf. Mustafa Kaplan vertrat eine Nebenklage im NSU-Prozess, aber auch den türkischen Präsidenten Erdogan in seiner Klage gegen Jan Böhmermanns Gedicht „Schmähkritik“. Genau wie die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz wurde auch Kaplan in der Vergangenheit von Neonazis unter dem Namen „NSU 2.0“ bedroht. 

Nach dem Verteidigerwechsel zog E. sein Geständnis zurück. Er habe nicht geschossen, sondern vielmehr sein Mitangeklagter Markus H., allerdings versehentlich. Die beiden hätten Lübcke einschüchtern wollen und ihn deswegen aufgesucht und bedroht. H. habe dabei die Waffe in der Hand gehalten. In der Situation habe sich versehentlich ein Schuss gelöst. Die Bundesanwaltschaft geht weiter davon aus, dass E.s erstes Geständnis der Wahrheit entspricht. 

Markus H. wird von zwei Szeneanwälten vertreten, Björn Clemens und Nicole Schneiders. Clemens hat in seiner Karriere mehrere Neonazis vertreten und ist Mitglied der „Gesellschaft für freie Publizistik“, die 1960 von ehemaligen SS- und NSDAP-Angehörigen gegründet wurde. Sie gilt als mitgliederstärkste rechtsextreme „Kulturvereinigung“ Deutschlands. Schneiders war die Verteidigerin des Neonazis Ralf Wohlleben im NSU-Prozess. Laut Akten des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg, die dem Stern vorliegen, ist das ehemalige NPD-Mitglied Schneiders seit Jahrzehnten Teil der rechten Szene und im Visier der Behörde.

Wer sind Stephan E. und Markus H.?

Stepan E.s Neonazi-Karriere begann offenbar bereits mit 15 Jahren. Im Keller eines mehrheitlich von Menschen mit türkischer Herkunft bewohnten Mehrfamilienhauses in Aarbergen zündete er einen Benzinkanister an. Bei der Tat kam niemand zu Schaden. Wenige Jahre später, 1992, sticht E. am Wiesbadener Hauptbahnhof mehrfach auf einen Mann ein, den er als schwul und migrantisch wahrgenommen habe. Das Opfer überlebte nach einer Notoperation. 1993 verübte E. einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Hohenstein. Dabei parkte er ein Auto zwischen zwei Gebäuden und zündete es an. Das Feuer konnte von Bewohner*innen gelöscht werden, im Auto fanden Ermittler*innen danach eine Rohrbombe, die nicht explodierte. E. wurde zu sechs Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Nach seiner Freilassung 1999 war E. in der Kameradschaftsszene Hessens und in NPD-Zusammenhängen unterwegs. Am 1. Mai 2009 griff er mit 400 weiteren Neonazis eine Gewerkschaftsdemo in Dortmund an. Laut Verfassungsschutz sei E. danach nicht mehr in Neonazi-Zusammenhängen beobachtet worden. Bekannt ist allerdings, dass E. 150 Euro an den Landesverband der AfD in Thüringen spendete, die Partei im Wahlkampf unterstützte und mit seinem Mitangeklagten Markus H. 2018 an einer AfD-Demo in Chemnitz teilnahm.

H. ist ebenfalls gut vernetzt in der Neonazi- und Kameradschaftsszene.Der 44-Jährige ist wegen Beihilfe zum Mord an Walter Lübcke angeklagt und war ebenfalls beim Angriff auf die Gewerkschaftsdemo in Dortmund 2009 dabei. Laut der Rechercheplattform Exif gibt es dabei auch Verbindungen zur Terrororganisation NSU. So wurde H. im Juni 2006 zum Mord an Halit Yozgat befragt. In seiner Zeugenaussage gab er damals an, Yozgat sowie einen Freund von ihm zu kennen. Weitere Nachfragen der Polizei blieben aus. Auch Stephan E.s Name taucht ganze elf mal im hessischen NSU-Untersuchungsbericht auf, der eigentlich 120 Jahre geheim gehalten werden soll.

Weitere Verbindungen zu den Morden des NSU und der Neonaziszene in Kassel lesen Sie bei Exif.

Laut Anklageschrift soll H. Stephan E. mit dem Schießen und Schusswaffen vertraut gemacht haben, auf seine Initiative soll E. H.s Schützenverein „1952 Sandershausen“ beigetreten sein. H. soll auch den Kontakt zu Elmar J. hergestellt haben, über den die beiden mutmaßlichen Täter an die Tatwaffe gelangt sein sollen. Belastet wird H. offenbar auch durch seine ehemalige Lebensgefährtin Lisa D.. Laut ihrer Aussage soll Hartmann geplant haben, sich im Falle einer lebensbedrohlichen Krankheit mit einem Sprengstoffgürtel in der Öffentlichkeit in die Luft zu sprengen, um möglichst viele Nicht-Deutsche mit in den Tod zu reißen.

Weiterlesen

2020-03-12-shooter

Vom Bildschirm zur Tat Radikalisierung im Internet

Rechtsextremismus online ist heute für viele Nutzer*innen zugänglich und gegenwärtig. Warum radikalisieren sich manche Nutzer*innen bis zur Gewalttat? Ein Auszug…

Von|
Eine Plattform der