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Freispruch für Schützen, der auf BLM-Demo schoss Die rechtsextreme Internationale feiert den nächsten Helden

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Demonstration nach dem Urteil in Chicago, in der Bildmitte der ehemalige Senator Rev. Jesse L. Jackson (Quelle: picture alliance / AA | Tayfun Coskun)

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Vor Gericht präsentierte sich Kyle R. [es ist zwar längst zu spät, seinen Namen nicht auszuschreiben, um einer Heldenverehrung vorzubeugen, aber aus Prinzip tut Belltower.News das trotzdem] als bedauernswerter, verwirrter Junge, der sich ganz zufällig mit einem halbautomatischen Gewehr in der Hand, im August 2020 in Kenosha, Wisconsin, neben einer „Black Lives Matter“-Demonstration wiederfand. In vermeintlicher Todesangst vor den antirassistischen Demonstrierenden erschoss er den 36-jährigen Joseph Rosenbaum und den 26-jährigen Anthony Huber und verletzte den 26-jährigen Gaige Grosskreutz (26) schwer. R.s Anwälte plädierten entsprechend auf Notwehr (vgl. t-online). Notwehr, auch mit Waffengewalt, ist in Wisconsin legal, ebenso wie das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit, auch bei Demonstrationen. Als minderjähriger 17-Jähriger, der Kyle R. zum Zeitpunkt der Tat im August 2020 war, durfte er seine halbautomatische Waffe zwar eigentlich nicht besitzen (habe er von einem Freund gekauft, weil „cool“) – aber mit ihr im Stadtbild herumlaufen, auch neben einer Demonstration, das durfte er von Rechts wegen schon. Und so ist der Freispruch nach US-Recht begründbar, wenn auch menschenrechtlich unverständlich – und trotzdem ein Skandal, weil das Urteil der hundertprozentige Ausdruck eines „White Supremacy“-Denkens ist, das die amerikanische Gesellschaft nach wie vor prägt.

Kyle R. war am 25. August 2020 ja nicht zufällig bei dem Demonstration mit einer Waffe in der Hand anwesend, sondern weil eine rechte Bürgerwehr auf Facebook dazu aufgerufen hatte, Kenosha vor einer antirassistischen „Black Lives Matter“-Demonstration zu „schützen“ (vgl. taz). Diese fand in Kenosha statt, weil dort zuvor Polizisten den Afroamerikaner Jacob Blake angeschossen hatten, der seitdem gelähmt ist. Der rassistischen Grundidee, man müsse eine Stadt vor Plünderungen schützen, weil schwarze und antirassistische Menschen ihr Recht in Anspruch nehmen, sich zu einer Demonstration zu treffen, der stimmte Kyle R. offenkundig zu, als er in Illinois ins Auto stieg und nach Kenosha fuhr – dem Wohnort seines Vaters – sich dort die Waffe griff und neben der Demonstration posierte (vgl. Sueddeutsche).

Die Staatsanwaltschaft war der Meinung, dass Kyle R. mit seiner halbautomatischen Waffe in der Hand wie ein Amokläufer aussah, der verständlicherweise den Demonstrierenden Angst einjagte, sodass drei junge Männer versuchten, ihn zu entwaffnen, um die anderen zu schützen. Er habe also die Gewalt durch sein Auftreten verursacht. Der konservative Richter Bruce Schroeder – Handy-Klingelton: Trumps Wahlkampfsong „God bless the USA“ – sah das anders (vgl. The Independent). Er untersagte der Verteidigung im Vorfeld des Prozesses, von Joseph Rosenbaum, Anthony Huber  und Gaige Grosskreutz als Opfer zu sprechen – das sei zu voreingenommen. Dafür erlaubte er Kyle R.s Verteidigung, die beiden Getöteten und den angeschossenen Zeugen als „Plünderer“ und „Randalierer“ zu bezeichnen, statt ihre Namen zu nennen (vgl. NBC News). Während Kyle R. im Gerichtssaal weinen durfte und seine große Angst als ausführliche Aussage menschelnd zu Gehör bringen durfte, wurden die ermordeten oder verletzten jungen Demonstranten so vor Gericht entmenschlicht. Als hätte dies noch nicht gereicht, untersagte der Richter der Staatsanwaltschaft jegliche Bezugnahme auf Kyle R.s politisches Verhalten.

Denn dann hätte etwa zur Sprache kommen können, dass R. sich während des laufenden Verfahrens, nachdem er auf Kaution wieder auf freien Fuß gekommen war, als Erstes mit rechtsextremen, nationalistischen Vertretern der „Proud Boys” in einer Kneipe in Kenosha traf, Selfies schoss, dabei ein  „White Power“-Handzeichen machte und Bier trank (mit 17 zwar noch nicht legal in den USA, aber seine Mutter war dabei, dann ist es erlaubt, weil unter elterlicher Aufsicht), bekleidet geschmackvoll mit einem „Free as fuck“-T-Shirt (vgl. Washington Post, mit Foto). Die „Proud Boys“ sangen dem 18-Jährigen zu Ehren „Proud of your boy“ – ein Disney-Song aus dem Film „Aladdin“, den die „Proud Boys“ zu einer Art Hymne erklärt haben. Das Geld für Kyle R.s Kaution hatten rechte Bürgerwehren und Waffenlobbyisten gesammelt.

Es ist also kein Wunder und auch keine missbräuchliche Instrumentalisierung, wenn Amerikas Rechte und Ultrarechte Kyle R. feiern, wie sie es aktuell tun. Auf der Oberflächen-Ebene geht es dabei nominell immer um die Freiheit der Selbstverteidigung und des Waffentragens – so kommentierte etwa Ex-Präsident Donald Trump den Fall: „Glückwunsch an Kyle R. […], dass er in allen Anklagepunkten für unschuldig befunden wurde. Und nebenbei bemerkt, wenn das nicht Selbstverteidigung ist, was dann!“ (vgl. tagesschau). Schwarzen Amerikaner:innen, die wegen des Tragens von Spielzeugpistolen von der Polizei erschossen wurden – oder der 17-Jährigen, die in Kenosha als Mörderin verurteilt wurde, weil sie sich nach einem Jahr des Kidnappings und Missbrauchs mit Gewalt gegen den Täter befreite, wurde dieses Recht offenkundig nicht so zugesprochen wie dem weißen Jugendlichen Kyle R..

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Dass ohne Waffen bei Demonstrationen niemand an dieser Stelle gestorben wäre, wird in der rechtsalternativen Szene natürlich ebenso ignoriert.

Rechtsextreme Gruppierungen in den USA – und weltweit – jubeln über den Freispruch. Ein Mitglied der rechtsextremen „Proud Boys” forderte in einem Telegram-Chat der Gruppe, die Gewalt auf der Straße müsse fortgesetzt werden. „Die Linken hören erst auf, wenn ihre Leichen wie Feuerholz (cord wood) gestapelt werden“, so das ungenannte Mitglied laut dem US-Radiosender National Public Radio (NPR). (vgl. FR).

Auch die deutsche rechtsextreme Szene feiert das Kyle R.-Urteil als Motivation – auch wenn hier die Ausgangslage anders ist als in den USA, blick diese doch sehnsüchtig auf die amerikanische Bewaffnung. Heldenverehrung sieht auf Instagram etwa so aus:

So findet sich nun auch die Argumentation, Kyle R. könne kein Rassist sein – denn, so raunen die Rechtsextremen in Täter-Opfer-Umkehr, er habe ja zwei Weiße erschossen und einen weiteren angeschossen. Dass das in seinen – und ihren – Augen als Antirassisten „Linksextreme“ waren und damit ebenfalls zu den Feindbildern der Szene zählten, wird dabei ebenso außen vor gelassen wie die Tatsache, dass es natürlich Zufall war, dass genau diese Männer ihn zu entwaffnen suchten und von den Schüssen getroffen werden. Um noch einmal Ex-Präsident Trump zu zitieren: „Wir sind dabei, die radikale Linke, die Marxisten, die Anarchisten, die Agitatoren, die Plünderer und Leute, die in vielen Fällen absolut keine Ahnung haben, was sie tun, zu besiegen.“ (Trump-Rede als Präsident am 04. Juli 2020, vgl. NBC News.)

So sieht die argumentative Umkehr in Meme-Form aus:

Dass Kyle R. in seinem ersten Interview – natürlich bei Trumps Haussender Fox News – zu Protokoll gab, er sei kein Rassist und würde die „Black Lives Matter”-Bewegung gar befürworten, wenn sie denn friedlich wäre, was sie ja nur leider nicht sei, ist mit Sicherheit strategisch zu sehen (vgl. Guardian). Haben ihm doch schon mehrere republikanische Kongressabgeordnete Praktikumsplätze angeboten, um den neuen „Helden“ für sich zu binden.

Ein Held, der offenbar auch Funktionären der AfD gefällt. Sven Tritschler, stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion in NRW, teilt auf Instagram ein Meme, das den ermordeten George Floyd als „schuldig“ darstellt und Kyle R. als „unschuldig“.

Er ist so begeistert, dass er seine Meinung auch auf Twitter kundtut:

Memes dieser und ähnlicher Art finden sich etwa in Gruppen auf Telegram, die sich etwa eine „Kathedrale“ für Kyle R. nennen – dies spielt auch auf die Online-Praxis rechtsterroristischer Gruppen an, Attentäter als „Saints“ zu bezeichnen und zu verherrlichen. In anderen Gruppen werden selbst komponierte Songs über den 18-Jährigen veröffentlicht und geteilt, sie heißen „Ballad of Kyle R.“ oder Ähnliches.

Andere deutsche rechtsextreme Accounts teilen ein Meme, dass Kyle R. mit dem Anwalt  Mark McCloskey kombiniert, der ebenfalls mit einer Waffe vor seinem Haus in St. Louis stand, als eine „Black Lives Matter“-Demonstration vorbeikam – allerdings, ohne zu schließen (vgl. Tagesspiegel).

Alexander Markovics, österreichischer Aktivist der sogenannten „Neuen Rechten“ und der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ teilt ein Meme von Kyle R. mit Sektglas in einem Rahmen aus erschütterten Demokrat:innen und betont so auch den Vorbildcharakter, den er in dem jungen Mann mit dem Gewehr sieht.

Diese Begeisterung teilt auch die rechtsalternative „Medien“-Szene. Roland Tichy etwa von „Tichys Einblick“ twittert: „Auch Weiße dürfen sich wehren“ (wobei das ja nicht ganz richtig ist, denn Nicht-Weiße dürfen das ja nicht wirklich oft, sie werden nur eher erschossen als vor Gericht gestellt).

Ähnlich klingt das übrigens beim verschwörungsideologischen Publizisten Oliver Janich auf Telegram:

Während in der ganzen Welt und in Deutschland Menschen sich in ihren Freiheiten beschnitten fühlen, weil sie gebeten werden, auf die Gesundheit ihrer Mitmenschen und ihre eigene Rücksicht zu nehmen oder keine rassistischen Schimpfwörter mehr zu gebrauchen, kann also ein 18-Jähriger mit einer AR-15 – gekauft übrigens von einer Corona-Ausgleichszahlung, weil er vorübergehend nicht mehr als Rettungsschwimmer arbeiten konnte (vgl. NBC) – ein Symbol für Freiheit im Sinne von straffreier Gewaltanwendung werden. Das passt, aber gut ist es nicht.

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