Eine beklemmende Fußballpremiere. Zum ersten Mal in der DFB-Geschichte wurden am Wochenende des 17. und 18. Februars 2007 im sächsischen Raum rund 60 Spiele von der Kreisklasse bis zur Landesliga abgesetzt „Die Vereine setzen ein deutliches Zeichen der Solidarität in Richtung der Polizei und zeigen, dass Gewalt in und um die Fußballplätze Sachsens nicht toleriert werden kann“, begründete der Präsident des Deutschen Fußballverbands Theo Zwanziger die symbolische Maßnahme. Eine „Gefechtslage“ sei eingetreten, so das Oberhaupt des DFB: „Die Beamten sind unsere Freunde, die anderen sind unsere Feinde – damit die Gefechtslage klargestellt ist“.
Kriegszustand im Fußballstadion? Offensichtlich ja.
Eine bedrückende Kulisse hatte am Wochenende zuvor für diese Entscheidung gesorgt. Beim Pokalspiel zwischen dem 1. FC Lok Leipzig und der zweiten Mannschaft von Erzgebirge Aue (0:3) war alles zusammengekommen, was Fußball hässlich macht. Erst führten Leuchtfeuer zur Spielunterbrechung, dann wurden Sprechchöre hörbar wie „Juden Aue“ sowie „Aue und Chemie – Judenkompanie“. Und am Ende schlugen 300 Randalierer auf Polizisten ein, angestachelt von weiteren 500 Hooligans. Auf einen Polizisten wurde aus nächster Nähe mit einer Schreckschusspistole geschossen. „Im Cocktail der Beteiligten traten zahlreiche Leute in den Vordergrund, die sich erkennbar neonazistisch gaben. Mit Reichsadler-Emblemen, die sich mit einem Lok-Symbol kombinierten und mit einem schwarz-weiß-roten Signum ‚Weiße Wölfe'“, beobachtete der Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski, der sich seit 12 Jahren mit Fußball-Fanszenen unter anderem für das Bündnis aktiver Fußballfans (Baff) beschäftigt. Seine Analyse in der taz vom 15.2.2007: „Indem mit dem Finger auf Ränder gezeigt wird, verdrängt die Öffentlichkeit, dass die für solche Gewaltexzesse grundlegenden Elemente gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, sozialdarwinistischer Einstellungsmuster und systemischer Frustration ebenso fest in der Mitte der Gesellschaft verankert sind. Das belegen zahlreiche, auch empirische Studien.“
Und der Fanforscher Prof. Gunter Pilz aus Hannover analysierte: „Ich fürchte, dass das italienische Vorbild herübergeschwappt ist und Leipzigs Hooligans extra mobilisiert hat“. Das habe „eine neue Dimension erreicht.“ Diese Hooligans würden glauben, dass sie eh nichts zu verlieren haben. „Sie holen sich ein Stück Selbstwertgefühl durch das Ausleben von Gewalt“, so Pilz, der die „um ein vielfaches schlechteren Lebens- und Zukunftsperspektiven“ in den neuen Bundesländern als Grund für die neuerliche Randale sieht. Die Gesellschaft müsse diesen Menschen wieder eine bessere Perspektive bieten.
Doch reichen diese simplen Erklärungsmuster aus? Sicherlich gibt es solche Sorgen auch anderswo. Aber nach und nach wird deutlich, dass es gerade in Leipzig auf diesem Gebiet schwere Versäumnisse gab. Nur ein Jugendarbeiter war dort in den letzten sieben Jahren dafür zuständig, die Fans zweier nicht gerade befreundeter Vereine zu betreuen. „Da ist es natürlich nahezu unmöglich, erfolgreich präventiv zu arbeiten“, sagt der 37-jährige Sozialarbeiter Udo Ueberschär.
Offensichtlich gelang es noch nicht einmal dort einzuschreiten, wo ? wie auf www.lok-fan.de ? Fandevotionalien verkauft werden. Ein Verkaufsschlager ist dort für 12 Euro 50 der Fanschal mit Aufschrift „Böhse Lokfanz“, so nennt sich einer der Fanclubs des Vereins. Im Online-Shop wird von Lok-Fans durchaus diskutiert, ob die Wortwahl so gelungen sei, aber die Begriffe „hammerhart“ und „geil“ überwiegen. Und einer der Fans schreibt: „Ich finde diesen Schal einfach nur Hammer! Und das böhse passt da auch voll gut rein, oder etwa nicht? Als Lokfan kann man eben nicht immer nur lieb und nett sein! Wenn zb.ne Schabe kommt und dir den Schal zocken will, kannst du doch auch nicht sagen ’nein bitte nicht, ich bin ein netter lokfan!‘ Ein bisschen ‚böhser‘ Lokfan ist immer gut?“. Erstaunlich ? seit dem 19. Mai 2005 wurde dieser Eintrag nicht entfernt.
Kein Wunder, dass DFB-Chef Theo Zwanziger nun in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung vom 13.2.2007 die Vereinsstrukturen namentlich von Leipzig, aber auch von Dresden kritisiert: „Wir haben nicht die sichere Erkenntnis, dass es ein klares Distanzieren von Gewalttätern gibt. Die Vereinsführungen müssen die Trennung von Gut und Böse knallhart durchziehen, Stadionverbote werden nach wie vor relativ lax gehandhabt statt deutlich zu machen: Die haben hier nichts zu suchen.“
Bei Dynamo Dresden hatte im Oktober 2006 ein junger Reporter der Zeitschrift Sport Bild eine Erfahrung gemacht, die dies eindrucksvoll untermalt. Er hatte sich bei einem Spiel gegen Union Berlin unter die Dresdner Hardcore-Fans gemischt und dann in einer Titelgeschichte beschrieben, was er hörte und sah: Steinwürfe und Rufe wie „Berlin, Berlin, Juden Berlin!“. Noch nie habe er so etwas erlebt, berichtete der 24-jährige Schweizer auf Nachfrage: „Zum einen die antisemitischen Parolen im Stadion, zum zweiten die aggressive Stimmung vor der Partie bei der Ankunft der Union-Fans. Ich habe noch nie gesehen, dass Flaschen und Steine in eine Menge geschmissen wurden“. Seine Titel-Geschichte „Ich war in der Hölle von Dresden“ schlug Wellen. Doch wie reagierte der Verein? „Dynamo hat anfangs gedroht, Sport Bild keine Akkreditierung mehr auszustellen. Bei den ersten Gesprächen mit Club-Verantwortlichen war keine Einsicht erkennbar“, erzählt Boeni, der offenbar als Bote der schlechten Nachricht bestraft werden sollte. Weil er als Journalist einen Missstand aufzeigte.
Sicher: gewalttätige Fans nur im Osten zu orten, wäre unfair. Ausgedehnte Straßenschlachten gab es etwa auch 1999 bei einer Begegnung von Kickers Offenbach und Waldhof Mannheim im Westen. Dort gab es bereits seit den achtziger Jahren krude Vermischungen rechtsextremer Rädelsführer und gewaltbereiter Fußballfans, zum Beispiel die Borussenfront in Dortmund und der Fanclub Ostwestfalenterror in Bielefeld. Über die Entwicklung in Bielefeld berichtete am 27.1.2004 Ansgar Mönter in der neuen Westfälischen Zeitung anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung, die unter dem Stichwort „Tatort Stadion“ stand: „Akut wurde das Thema in den 80er-Jahren auch in Bielefeld. Damals entdeckten die Rechtsextremen das Stadion als Agitationsfeld. Der stadtbekannte Neonazi Michael Kühnen antwortete 1983 auf die Frage, wo er rechte Gesinnungsgenossen rekrutiere: ‚Unter Skinheads und Fußballfans‘.“
Auch andere Vereine machten diese Erfahrung, zum Beispiel der Berliner Club Hertha BSC. In einem Interview mit Schülerzeitungsredakteuren beschreibt der spätere rechtsextreme Berliner Kameradschaftsführer Gabriel Landgraf wie er etwa 1989/90 als 13-jähriger im Berliner Olympiastadion in die Fänge von Neonazis kam:
„Ich bin wie gesagt zum Fußball gegangen als kleiner 13-jähriger, und da herrschte eine große Szene von Hooligans, von teilweise Rockern, Fußballfans und halt auch?Neonazis. Und es haben auch Neonaziparteien gezielt in den Stadien probiert zu rekrutieren, probiert Stimmen zu bekommen für die Wahlen. […] Damals war die Stadionüberwachung noch nicht so ausgereift, sondern kam es vor, dass 300 Leute in dem Fanblock ‚Sieg Heil‘ geschrieen haben, den rechten Arm erhoben haben. Ich hatte da einfach eine Faszination daran, irgendwas Böses zu tun oder einfach aufzufallen?“
Inzwischen wird solchen Szenenin der ersten und zweiten Bundesliga relativ konsequent vorgebeugt, aber für viele Vereine war dies auch im Westen ein langer Weg. Als Vorreiter gelten unter anderem der FC St. Pauli, Hannover 96, Borussia Dortmund und Schalke 04.
St. Pauli verankerte schon in den neunziger Jahren als erster deutscher Ligaverein in seiner Stadionordnung, dass das Rufen rechtsradikaler Parolen und das Mitsichführen entsprechender Fahnen, Transparente oder Bekleidung mit Hausverbot geahndet wird, und St. Pauli ist auch der einzige Club, der ein Mahnmal für NS-Opfer im Stadion errichtet hat. So steht bei dem selbsternannten „Freibeuter der Liga“ das Bekenntnis gegen Neonazis nicht nur in der Hausordnung, sondern sogar fest installiert auf den Rängen: „Kein Fussball den Faschisten“ heißt es auf einer Banderole. Und neben einem älteren Gedenkstein in Erinnerung an die Weltkriegstoten wurde folgende Tafel angebracht: „Zum Gedenken an die Mitglieder und Fans des FC St. Pauli, die während der Jahre 1933 bis 1945 durch die Nazi-Diktatur verfolgt und ermordet wurden.“
Hannover 96 folgte im Januar 2001 mit einer ähnlich strengen Hausordnung, nachdem der DFB bereits 1998 einen 10-Punkte-Plan an alle Lizenzvereine versandte, in dem mögliche Maßnahmen gegen rassistische und fremdenfeindliche Tendenzen im Fußballbereich beschrieben werden. Bei Hannover 96 wurden fortan nicht nur Symbole und Gesten, die unter das Strafrecht fallen (z.B. Hakenkreuz oder Hitlergruß), sondern auch Zeichen, Aufnäher, Aufdrucke und Parolen verboten, die den Eindruck einer rassistischen, fremdenfeindlichen oder extremistischen Einstellung hervorrufen könnten. Entscheidender Unterschied zur bisherigen Stadionordnung sei, so beschrieben es Sven Achilles und Gunter A. Pilz 2002 in einer Untersuchung unter dem Titel „Maßnahmen zum Umgang mit rechten Tendenzen im Fußballfanumfeld von Hannover 96“, dass fortan „bereits der Eindruck, es könnte sich um extremistische, rassistische, fremdenfeindliche Symbole, Zeichen, Parolen usw. handeln, ausreicht um ein Stadionverbot zu erwirken. Damit hatte man erstmals auch die Möglichkeit in der Grauzone aktiv zu werden“.
Diese Grauzone machte Vereinen quer durch Bundesligen und Regionalligen besonders stark zu schaffen. Der Bericht von 2002 fasst zusammen:
„In den letzten zwei bis drei Jahren beobachten die Sozialarbeiter der Fußball-Fanprojekte einen zum Teil gravierenden Anstieg von offen geäußertem Rassismus, Antisemitismus und steigender Fremdenfeindlichkeit. Ja mehr noch, wie in keinem anderen gesellschaftlichen Bereich werden gerade im Umfeld von Fußballgroßereignissen ? offensichtlich unter dem Deckmantel der Anonymität der skandalisierenden Masse und fußballfanspezifischer Assessoires ? offen fremdenfeindliche Parolen skandiert und Symbole zur Schau getragen. Die Fanszene scheint somit geradezu ein Seismograph für rechte, ausländerfeindliche Stimmung in Deutschland zu sein. […] Die wachsende Perspektivlosigkeit junger Menschen, die in der Fußballszene schon seit jeher zumindest vorhandene rechte Gesinnung, die Verherrlichung und Faszination der Gewalt, sowie die bei Nationalmannschafts- und Europacupspielen sich anbietende nationalistische Bühne haben die Fans, Hooligans und den organisierten Rechtsextremismus näher zusammengebracht und in manchen Fällen zu einer gefährlichen Symbiose geführt.“
C. Wippermann machte in: „Die kulturellen Quellen und Motive rechtsradikaler Gewalt ? AktuelleErgebnisse des sozialwissenschaftlichen Instituts Sinus Sociovision. (In: Jugend & Gesellschaft 2001, 1, 4-7) entsprechend zu Recht darauf aufmerksam, dass in „Situationen rechtsradikaler Eskalation ein Motiv der Täter auch ihre spezifische Erlebnisorientierung im Sinne von starken Reizen („Thrill and Action“)“ ist.
„Dies erklärt auch, warum die Gewalttäter in der Regel Jugendliche sind und sich vor Hetzjagden und Brandanschlägen zu Gruppen zusammenrotten. Ein Brandanschlag hat für sie ? unbewusst ? den Charakter eines Events, wird begriffen als eine Veranstaltung mit einer besonderen Ästhetik, emotionalen Aufladung und Gemeinschaftserleben (und ist darin motivationspsychologisch anderen Events ähnlich). Rechtsradikaler Gewalt hat also heute diese Doppelstruktur von Ideologie und Erlebnissehnsucht.“
Diese Erlebnissehnsucht macht das Fußballstadion für die Rassisten so attraktiv und deren Aktionen für manche Fans, Ultras und Hooligans im Sinne des „Sensation-seeking“ so verlockend“.
Den Modellen aus St. Pauli und Hannover folgten immer mehr Vereine, aber auch Fanclubs schufen sich feste Regeln. In Bielefeld, so beschreibt es Ansgar Mönter , „muss bei den ‚Ultras‘ zum Beispiel ? der mittlerweile stärkste Fan-Gruppe ? jedes Mitglied den Verzicht auf Gewalt und extreme Äußerungen schriftlich fixieren. In den anderen hierarchisch organisierten Fan-Organisationen achten die Anführer auf die Einhaltung der Regeln. Unter den rund 20 Köpfen der Szene „gibt es einen Wertekodex, der Gewalt und Politik im Stadion verbietet“, erläutert Wolf Kranzmann, Vorstandsvorsitzender des „Schwarz-Weiß-Blauen Dachs“, der übergeordneten Organisation aller Fan-Clubs. Rechtsextreme hätten keine Chance. „Wir sind eine geschlossene Szene, diese Leute kommen bei uns nicht rein“, sagt Thomas Stark von den Ultras. Dass nach außen hin manchmal der Eindruck entstehe, es gebe diskriminierende Übereinstimmungen in der Menge, liegt laut Kranzmann an der bewusst härteren Ausdrucksweise der Subkulturszene. „Fans wollen provozieren und Grenzen überschreiten.“
Dass die Vereinsfans trotz solcher Maßnahmen nicht lammfromm geworden sind, belegen bis in die jüngste Zeit Zwischenfälle, sei es von deutschen Hooligans im Ausland, etwa 2006 bei Länderspielen in Slowenien und der Slowakei, wo deutsche Hools randalierten, aber auch im Inland, selbst beim HSV. Der hatte in der vergangenen Saison der Initiative www.lautgegennazis.de sogar erlaubt, ständig ein großes Transparent mit dem Aufruf „Laut gegen Nazis!“ auch als Vereins-Bekenntnis über einem der Eingangstore zum Stadion auszuhängen. Das schützte vor wenigen Wochen den HSV-Spieler Thimothee Atouba nicht davor, bei einem Heimspiel als Schwarzer rassistisch beschimpft zu werden, woraufhin er den eigenen Fans den Stinkefinger zeigte.
Die BILD-Zeitung skandalisierte das Verhalten des Spielers, regte sich aber nicht über das Publikum, sondern über Atouba auf und titelte am 8.12.2006 in großen Lettern: „Dieser Stinkefinger empört ganz Deutschland ? Und so einer kassiert auch noch Millionen“.
So kommen im Westen wie im Osten immer wieder Faktoren zusammen, die rechtsextrem geneigten Fans vor Augen führen, dass ihr Verhalten gar nicht so schlimm sei. Auch unmittelbar nach der neuerlichen Fußball-Randale in Leipzig wurde falsch reagiert, sogar von der Justiz. Nach Informationen der Sächsischen Zeitung vom 13.2. wurde die zuständige Staatsanwaltschaft am Tattag wegen fünf Festnahmen verständigt. Der Bereitschaftsdienst habe aber nur wissen wollen, ob die Hooligans Arbeit und einen festen Wohnsitz hätten und als das die Beamten bejahten, sei angeordnet worden, dass sie entlassen werden sollen.
Auch Sachsens Landespolitik hat die Fußballrandalierer nicht als großes Problem betrachtet. Schon 2005 habe Lok Leipzig nach Ausschreitungen ein besonderes Fan-Projekt ins Leben rufen wollen, berichtet die Dresdener Regionalpresse, dem auch die Stadt zugestimmt hätte. Der DFB habe dies bezuschussen wollen, wenn sich Sachsen an einer Drittelfinanzierung beteilige. Doch das „sei nicht notwenig“ habe damals der zuständige Innenminister Buttolo mitgeteilt. Die die Fan-Projekte in Sachsen wurden „nicht ausreichend leistungsfähig“, wie DFB-Chef Zwanziger reklamierte. Was sich nun bitter rächt ? sogar für Honoratioren. Nachdem der sächsische Fußballverband jetzt endlich auf schnelle Abhilfe drängt, ließen Hooligans erkennen, was sie von Regeln des menschlichen Umgangs halten. „Ich wurde bedrängt, dass ich als Präsident zurücktrete. Dabei waren aber auch Morddrohungen von aufgebrachten Fans, die sich da ausgelassen haben“, berichtete Klaus Reichenbach, Präsident des sächsischen Fußballverbands (SFV), am 15.2.2007 der Nachrichtenagentur sid.
Dieser Text stammt aus dem Online-Dossier zum Thema Rechtsextremismus der Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de/rechtsextremismus
Erstveröffentlicht am 16.2.2007