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G7-Konferenz zu Desinformationen Die beste Lüge nutzt Fakten, bis alle verwirrt sind

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(Quelle: Unsplash)

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock kann leider nur virtuell vorbeischauen für ihr Grußwort bei der im Auswärtigen Amt in Berlin stattfindenden„G7-Konferenz „Fakten vs. Desinformationen. Einordnung von Bedrohung in einer post-infodemischen Welt.“ Deutschland hat 2022 den G7-Vorsitz und sich den Kampf gegen Desinformationen und Verschwörungsideologien, die die Demokratie angreifen, auf die Fahnen geschrieben. Denn, so Baerbock: „Die Werte, die sie zu zerstören versuchen, sind aber auch genau die Instrumente, mit denen wir unsere Werte verteidigen.“ Sie nennt: “Unsere Offenheit, unsere Transparenz, unsere Fähigkeit, fair und frei zu debattieren und zu streiten.” Nur wie soll sie aussehen, die Verteidigung?  Da soll die Konferenz Aufklärung bieten. Augenzwinkernd beendet Annalena Baerbock ihren Input: „Und werdet nicht selbst wütend. Und gebt nicht auf.“

Konkreter wird die erste Keynote-Speakerin Marina Weisband, die deutsch-ukrainische Politikerin, Wissenschaftlerin und Netz-Aktivistin aus Berlin. Sie berichtet, wie schmerzlich es aktuell ist, wenn elf Millionen Russ:innen Verwandte in der Ukraine haben, aber ihnen nicht glauben, wenn sie vom Krieg berichten: „Warum glauben sie dem Fernsehen mehr als ihren Kindern?“ Weisbands Antwort: „Weil sie es wollen. Die Verschwörungserzählungen stärken sie, lassen sie auf der Seite ‚der Guten’ sein. Genau das wollen sie.“ Menschen hätten emotionale Bedürfnisse, die siean Verschwörungserzählungen glauben ließen. „Sie haben Zugang zu freien Medien – sie glauben trotzdem weiter Verschwörungserzählungen. Sie suchen sich aus vielen verfügbaren Informationen die heraus, die sie glauben wollen. Weil sie die Kontrolle haben wollen. Es soll Gute und Böse geben, die Guten sollen am Ende gewinnen.“ Weisbands Meinung nach reicht es deshalb nicht, die Medienkompetenz zu erhöhen, wie es oft gefordert wird: „Wir brauchen mehr als das. Wir müssen die Resilienz erhöhen, damit Menschen sich gewappnet fühlen, auch Unbequemes auszuhalten. Heute ist niemand mehr nur Rezipient oder Opfer, wir sind alle auch Sender, Täter und damit verantwortliche Teile der Gesellschaft.“

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Moderne Desinformation versuche nicht, von der Richtigkeit der eigenen Aussage zu überzeugen: „Es reicht, wenn sich durchsetzt: Du denkst das. Ich denke das. Und eine objektive Wahrheit dazwischen gibt es nicht. Wenn Menschen erst einmal überzeugt sind, dass die Wahrheit in Wirklichkeit nicht existiert – was kommt dann? Ein Führer? Eine Autorität, die entscheidet, ob der Himmel blau oder grün ist?“ Allein sich auf eine solche Debatte einzulassen, öffne die Türen für internationalen Autoritarismus und Faschismus. „Wenn die gesamte Debatte geflutet wird mit verbalem Shit, kommen Faktenchecks nicht mehr dagegen an“, sagt Weisband. Der Angriffskrieg Russlands habe gezeigt, dass eine wirkungsvolle Gegenmaßnahme aber die frühe Gegenrede sein kann. „Hier wurde frühzeitig offen gelegt und kommuniziert, dass Russland vorhat, die Ukraine anzugreifen. Als Russland dann die Ukraine angriff, war die Berichterstattung klar, es gab keine Spekulationen, wer wen angegriffen habe.“

In verschiedenen Panels und Keynotes setzte sich die Konferenz dann mit Formen von Desinformation und Gegenstrategien auseinander. Es ging um den Krieg und Anti-Gender-Agitation, Klimaleugnung und Bedrohung der Demokratie. Einige interessante Gedanken seien hier zusammengefasst.

Lutz Güllner, Leiter der strategischen Kommunikation des Europäischen Auswärtigen Dienstes, betonte: Es geht nicht um eine paar Narrative, sondern um koordinierte, systematische, zielgerichtete Kampagnen. Die gab es auch schon vor dem Internet, aber mit Internet und Social Media wird alles schneller, billiger und noch zielgerichteter: „Das ist nicht nur eine Kommunikationsherausforderung, das ist auch eine Sicherheitsherausforderung.“ Gearbeitet werde mit manipulativen Techniken, mit verborgenen Identitäten, enormen Reichweiten. Die Antwort müsse entsprechend vielschichtig ausfallen. „Wir können nicht nur über Inhalte reden und aufklären, es muss auch um die für Desinformationen genutzten Instrumente gehen, um die Mechanismen, Falschinformationen in der digitalen Welt zu verbreiten.” Agieren könne hier nicht nur der Gesetzgeber – auch die Zivilgesellschaft sei gefragt. Der Gesetzgeber wolle die Meinungsfreiheit erhalten, deshalb gebe es keinen „Bann“ gegen RT Deutsch, sondern nur temporäre „Sanktionen aufgrund von Fehlverhalten“, sagt Güllner. Dieses Fehlverhalten sei die massenhafte, geplante und manipulative Verbreitung der Desinformations-Inhalte.

Etwas positiver sah die Situation Larysa Lacko, ihres Zeichens „Disinformation and Counter Hostile Information Officer“ bei der NATO. Ihre Untersuchungen hätten gezeigt, dass etwa die russische Erzählung, man selbst sei nicht im Krieg, sondern auf einer humanitären Mission, sich nicht durchgesetzt hätte. Das zeige: Die russischen Desinformationen seien zwar massiv, aber nicht effektiv. „Die Regierungen Europas zeigten schnell Solidarität mit der Ukraine. Das war wichtiges Prebunking“, sagt Lacko. Außerdem seien russische Gräueltaten so offensichtlich und öffentlich, dass es schwer sei, Russland hier zu glauben.

Politikwissenschaftlerin Susanne Spahn ergänzt: Aus ihrer Sicht gehe es staatlich finanzierten Desinformations-Medien wir RT Deutsch darum, „Menschen unzufrieden zu machen und Ängste in der Gesellschaft zu schüren.“ Dafür, so analysiert sie, werden als Narrative genutzt: „Der Westen / die Nato sei der wahre Aggressor, der Russland bedrohe“,  „Weißwaschen des Krieges“ (es sei ja gar kein Krieg), „Spezialoperation“ und „Entnazifizierung“  statt Angriffskrieg und Eroberungskrieg, Selbstdarstellung als Friedensbringer für die Ukraine und Dämonisierung der ukrainischen Menschen („Nationalisten, die Geiseln nehmen“). Sie befürwortet die Sanktionen, zeigt aber auch, wie schnell sie umgangen werden können. Zweite Strategie in Ergänzung zu den eigenen Narrativen sei es, anderslautende Stimmen zu unterdrücken. Katja Drinhausen, Leiterin des Mercator Institute für China-Studien, berichtet derweil: In China werden Sanktionen gegen Medien der EU genutzt, um zu begründen: Die demokratische EU nutze auch Sanktionen gegen unliebsame Meinungen, da sei es ja wohl genauso legitim, dass China ein paar Seiten blocke (während die chinesische Regierung kritische Stimmen unterdrückt und ins Gefängnis schickt).

In diesem Punkt ging das Podium uneinig auseinander. Während die EU- und NATO-Vertreter:innen sich gegen den „Bann“ von Webseiten aussprachen, sahen Susanne Spahn es als unumgänglich an, hier mit klarer Haltung den Diskurs zu schützen. Lutz Güllner widersprach: „Staatsferne bei den Maßnahmen ist wichtig. Wir brauchen klare Regeln, damit wir nicht undemokratisch Meinungen unterdrücken, sondern gezielte Verstöße sanktionieren könnten.“

Ein Ausweg könnten gut ausgestattete Redaktionen sein, die online „Platz einnehmen“ könnten und Informations-Influencer:innen ausbilden könnten, um demokratische Narrative zu verbreiten und Solidarität für Angegriffene zu fordern.

Rechtsextremismus-Forscherin Julia Ebner vom „Institute for Strategic Dialogue“ betont die immer stärkeren Koalitionen von „anti-liberalen“ Aktivist:innen von Klimawandel-Leugner:innen über Impfgegner:innen und „Traditionelle Familie“-Verfechtern bis zu Nazis: „Sie wenden sich gegen progressive Politik, wollen sie durch Elitarismus und Absolutismus ersetzen.“ Gemeinsam arbeiten demokratiefeindliche Gruppen am „Mainstreaming radikaler, antidemokratischer Ideen“. Dabei gingen Impulse oft von rechtsextremen radikalen Rändern auf sogenannten „alternativen Plattformen“ aus, fänden aber abgeschwächt schnell ihren Weg in den Mainstream. Erhalten bliebe dabei der Kern, der in Verschwörungserzählungen oft heißt: Antisemitismus. Um diese zu erkennen, brauche es Monitoring.

Internet-Erklärer Sascha Lobo musste sich noch am Titel der Veranstaltung abarbeiten: Der Gegensatz Desinformationen – Fakten sei deshalb irreführend, weil sich mit nichts besser lügen lasse, als mit Fakten. Bei Propaganda gehe es oft vor allem um „Fact-picking“, also um Fakten, die man auswähle und Fakten, die man bewusst weglasse, um eine Situation zu beeinflussen. Als kritische Geister erscheint es vielen auch logisch, alles erst einmal anzuzweifeln. Die unter Verschwörungideolog:innen beliebten Aufrufe, selbst zu recherchieren, verstärkten den Effekt: Wem traut man mehr als sich selbst? Lobo nennt das den „mentalen Ikea-Effekt“: „Ich hab es selbst zusammengebaut, deshalb muss es gut sein.“ Schlussendlich landen Menschen dann in einer „Alternativen Propaganda Realität“, in der es nicht mehr um einzelne Lügen ginge, die widerlegbar wären, sondern um eine „alternative“ Realität, die nicht mehr durch einzelne Gegenbelege verwirrt werden könne.

Prof. Dr. Stephan Lewandowsky, Professor der Universität Bristol, hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, warum Anhänger:innen von Verschwörungsideologien keine Beweise mehr gelten lassen, sich auch gegen das Verweigern, dass sie mit eigenen Augen sehen können. Es geht um Emotionen: „Menschen, die Angst haben – und für Angst gibt es aktuell mit Corona und dem Krieg viele Gründe – suchen Erleichterung für ihre Angst.“ Desinformationen im Internet würden mit viel Geld verteilt und böten scheinbar eine solche Erleichterung. Sie instrumentalisierten alles, sie twitterten sogar über gegenteilige Dinge, nähmen alles auf – weil es nicht ums Überzeugen gehe, sondern darum, die Gesellschaft zu spalten.  Lewandowsky: „Irgendwann gibt es so viele widersprüchliche Informationen, dass die Menschen aufgeben. Dass sie nicht mehr daran glauben, die Wahrheit herausfinden zu können.“ Dagegen könne helfen, wenn man ihnen vorher darlegen könne, wie sie von der Szene, etwa der Klimaleugner-Szene, belogen werden. Das mache als einziges resistent gegen Manipulation. Journalist:innen als Seher:innen? Zumindest aber als Verfasser:innen von fundierten Erklärstücken, und das am besten im Vorhinein.

Aus dem Zuschauerraum kam zumindest noch die zusätzliche Idee, dass ja auch Social Media-Netzwerke Akteure seien und Chancen hätten, an der Desinformations-Verschmutzung online etwas zu verändern, durch bessere Moderation auf den Plattformen oder durch eine Transparenz über die verwendeten Algorithmen – oder die Möglichkeit, dieses auszuschalten, um die digitale Realität ungefiltert betrachten zu können. Dies sei wichtig, um schnell reagieren zu können.

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