Der Januar 2016 war für Claudia Zimmermann kein guter Monat, denn er bedeutete das öffentlich-rechtliche Karriereende der damaligen WDR-Journalistin. Fast 24 Jahre hatte Zimmermann als freie Journalistin vor allem für das WDR-Studio in Aachen gearbeitet und war für dieses vor allem für die Berichterstattung aus den Niederlanden zuständig. Dann kam dieses folgenschwere Interview mit dem niederländischen Radiosender L1, in dessen Sendung ‚De Stemming‘ sie behauptete: „Wir sind natürlich angewiesen, ein bisschen pro Regierung zu berichten“ (zit. n. Meedia 18.01.2016, vgl. Spiegel Online 18.01.2016).
Hintergrund waren die sexuellen Übergriffe der Silvesternacht 2015/2016. Die Geschehnisse dieser Nacht führten zu einer Diskussion darüber, ob man Migranten als „Tätergruppe“ eindeutig benennen soll und ob das dann auch für Deutsche gilt. Daran schlossen sich zahlreiche Debatten an: Der ehemalige Bundesinnenminister (2011–2013) Hans-Peter Friedrich monierte damals ein „Schweigekartell“ der Öffentlich-Rechtlichen (Tagesspiegel 07.01.2016). Etwas später schaltete sich Alice Schwarzer ein, noch später folgte eine Debatte zum Thema „Racial Profiling“.
Das Interview, das alles änderte
Claudia Zimmermann war als fließend Niederländisch sprechende WDR-Reporterin die vermeintlich beste Adresse für den Limburger Sender, um über die damals (und heute noch) aktuelle Debatte kenntnisreich Auskunft zu geben. Auf die Frage von L1, ob sie in Bezug auf Flüchtlinge positiv berichten müsse, antwortete sie: „Wir sind öffentlich-rechtlicher Rundfunk und darum angehalten, das Problem in einer mehr positiven Art anzugehen. Das beginnt mit der Willkommenskultur von Merkel bis zu dem Augenblick, als die Stimmung kippte und es mehr kritische Stimmen im Rundfunk und auch von der Politik gab“ (zit. n. Tagesspiegel, 21.01.2016).
Für ihre Aussage, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seiner Gebührenfinanzierung so ausgerichtet sei, eher in Richtung Regierung und nicht aus Oppositionssicht zu berichten, wurde sie von vielen Seiten kritisiert. Die Rheinische Post titelte z. B. „WDR-Journalistin redet sich live um Kopf und Kragen“ (Rheinische Post Online, 19.01.2016). Der WDR sah sich angesichts dieses Gerüchts zur folgenden Stellungnahme genötigt: „Das entspricht in keiner Weise der Haltung, den Werten und dem Programmauftrag des Unternehmens“, ließ die stellvertretende WDR-Unternehmenssprecherin Ingrid Schmitz wissen und distanzierte sich von dieser „Falschinformation“. Die Berichterstattung des WDR erfolge nach „höchsten journalistischen Standards und auf einer klaren gesetzlichen Grundlage – ausgewogen und unabhängig“ (WDR, 18.01.2016). Zwei Tage später verfassten die freien Mitarbeiter_innen des WDR einen offenen Brief mit der Überschrift „Wir bekommen keine politischen Vorgaben!“ (WDR-Dschungelbuch.de, 20.01.2016).
„Gefühlte Wirklichkeit“
Schon am Tag nach dem Interview vom 17.01.2016, erklärte Zimmermann, ebenfalls auf der WDR-Website: „Ich habe an dieser Stelle Unsinn geredet. Unter dem Druck der Live-Situation in der Talkrunde habe ich totalen Quatsch verzapft. Mir ist das ungeheuer peinlich. Denn ich bin niemals als freie Journalistin aufgefordert worden, tendenziös zu berichten oder einen Bericht in eine bestimmte Richtung zuzuspitzen“ (WDR, 18.01.2016).
Das wäre der Moment gewesen, in dem Claudia Zimmermann noch einigermaßen unbeschadet aus der Angelegenheit hätte kommen können. Am 22.01. legt sie allerdings in einem Interview mit der Rheinischen Post nach. Sie behauptet, dass sie versucht hätte, den deutschen Pressekodex zu erklären. Das wäre schwierig gewesen, weil sie zwar Niederländisch auf muttersprachlichem Niveau beherrscht, aber sich die beiden Rundfunksysteme nicht miteinander vergleichen ließen. Zu dem Dementi sei sie vom WDR nicht gezwungen worden und sie hätte sich „vergaloppiert“. Als Annette Bosetti von der RP einwirft, „nach Paris und Charlie Hebdo“ habe sich die Sprachregelung geändert, und erklärt, dass sich bis dahin fast „alle Journalisten im Westen zurückgehalten und Täter, wenn sie Ausländer waren, nur selten als solche bezeichnet“ hätten, reagiert Zimmermann mit folgendem Statement: „Unausgesprochen haben sich fast alle Journalisten über Jahre einen Maulkorb auferlegt, so wie auch die Polizei und die Politik. Wir haben doch alle die Tatsachen verschwiegen, political correctness falsch verstanden“ (Rheinische Post, 22.01.2016). Sie weist darauf hin, dass Merkel die journalistisch Tätigen mit ihrer Willkommenskultur „angesteckt“ habe. Sie hätte nur darauf hingewiesen, „was alle wussten“. Dieses „was alle wussten“ ist eins von vielen kryptischen Statements, die sie in der Nachfolge abgegeben sollte. Ebenso geheimnisvoll sprach sie in diesem Interview von einer „gefühlten Wirklichkeit“: „Niemals gab es senderintern Anweisungen, merkelfreundlich zu berichten. Nur, es gibt auch eine gefühlte Wirklichkeit. Ich habe das eben so empfunden, dass man als Journalist in diesen Monaten, als die Flüchtlinge kamen und manche dann auch straffällig wurden, nicht allzu kritisch berichten sollte“ (Rheinische Post, 22.01.2016).
„Gefühlte Wirklichkeiten“, ein geheimer Pressekodex, etwas, das alle wussten, jede/r dachte, aber keiner auszusprechen wagte? Hier zeigt sich schon eine erste Annäherung an Argumentationsmuster, die man auch in verschwörungsideologischen Kreisen findet.
„Opportunismus aus Bequemlichkeit“
Letztlich dürfte ihr Eingeständnis, die Fakten verschwiegen, wenn nicht gar glatt gelogen zu haben („Wir haben doch alle die Tatsachen verschwiegen“), den Ausschlag dafür gegeben haben, dass es still um Claudia Zimmermann wurde. Am 22.01.2016 erschien bei Zeit Online noch ein Artikel von Felix Stephan, der Zimmermann attestierte, dass sie ihren Beruf missverstanden habe, wenn sie ihrem Arbeitgeber und der Öffentlichkeit Informationen wissentlich vorenthalten habe. Das sei zwar nicht illegal, „nur eben ziemlich genau das Gegenteil dessen, was Journalisten beruflich so machen“ (Zeit Online, 22.01.2016). Offenbar hatte Zimmermann in ihrem eigenen Problem, nämlich aus „Unsicherheit oder Denkfaulheit“, „Opportunismus oder Bequemlichkeit“, das zu schreiben, von dem sie glaubte, dass es die Auftragnehmer hören wollen, einen „Maulkorb“ gesehen. Felix Stephan ahnte vermutlich schon, was folgen sollte: „Wenig hilfreich ist es allerdings, wenn man mit heroischer Geste seinen eigenen Opportunismus als Zwang ausgibt, den einem irgendjemand anders auferlegt hätte als man selbst. Was ist einer Journalistin zuzutrauen, die sich nicht einmal über gefühlte Anordnungen hinwegzusetzen vermag? Im besten Falle Unsichtbarkeit. Im schlimmsten Falle aber zieht sie all jene zu sich herab, denen sie bislang einfach nur nicht weiter aufgefallen ist“ (Zeit Online, 22.01.2016).
Darüber hinaus kritisierte Stephan, dass Claudia Zimmermann als Journalistin noch nicht einmal weiß, was der Pressekodex ist und warum es ihn gibt: „Der selbst auferlegte Maulkorb, auf den sie anspielt, ist weder selbst auferlegt noch ein Maulkorb, sondern ein journalistischer Standard, der im Pressekodex unter Ziffer 12 so formuliert ist: ‚In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.‘ Wenn das Publikum mit dem deutschen Pressekodex nicht vertraut ist, ist das nicht weiter schlimm. Journalisten dürfen ihn schon kennen.“ Was möchte nun aber Claudia Zimmermann? Sollen „demokratische Grundrechte wie die Unschuldsvermutung oder die Gewaltenteilung zur Disposition gestellt werden“ oder sollen „Bürgerrechte beschnitten und Menschen auf Basis ihrer Ethnie, Religion oder ihres Geschlechts vorverurteilt und um ihre Rechte gebracht werden“, um sich schließlich von diesem „Maulkorb“ zu „befreien“? Dann sind wir schnell bei den „Wo wart ihr Silvester?“-Rufern von „Kontrakultur Halle“ und der „Identitären Bewegung“ (Mario Müller und Martin Sellner), die den Slogan am Stand von Götz Kubitscheks Antaios-Verlag auf der Frankfurter Buchmesse 2017 skandierten.
Applaus von Rechts
Doch ihre Aussagen ernteten nicht überall Kritik. Ganz im Gegenteil: Für einen Tag, den 18.01.2016, war sie der Aufmacher für viele rechte und rechtsextreme Zeitungen und Zeitschriften. Der Verschwörungsideologe und Blogger Oliver Janich triumphierte: „Die Matrix bekommt Löcher so groß wie Scheunentore. Eine ‚Verschwörungstheorie‘ nach der anderen bewahrheitet sich“ (Oliver Janich, 18.01.2016). Die Überschrift der ‚Jungen Freiheit‘ lautete: „WDR-Reporterin zur Asylkrise: Wir sollen positiv berichten“ (JF, 18.01.2016). Das ‚Contra-Magazin‘ schrieb von „politischer Einflussnahme“, zeigte sich enttäuscht, dass sie ihre Aussagen teilweise zurückgenommen hatte, und fragte: „Wurde hier Druck von oben ausgeübt?“ (Contra-Magazin, 18.01.2016). Die AfD mutmaßte: „Da war WDR-Journalistin Claudia Zimmermann wohl etwas zu ehrlich […]. […] Wer glaubt denn wirklich, dass ausgerechnet eine Journalistin, deren täglicher Job es ist, Interviews zu führen, bei einer Talkrunde so nervös wird, dass sie nur noch blanken Unsinn erzählt? Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd …“ (offizielle Facebook-Seite der AfD, 19.01.2016). Auch der rechtextreme ‚Preussische Anzeiger‘ griff das Thema dankbar auf (vgl. Preussischer Anzeiger, 18.01.2016). Marc Dassen fand für Compact den Aufmacher „Deutschlands gesteuerte Presse – ein Geständnis“ (Compact Online, 20.01.2016). Im März 2016 wurde Zimmermanns Geschichte dann noch einmal von Nils Röcke in seinem Artikel „Aus dem Logbuch der Gleichschaltung“ aufgegriffen (Compact Online, 26.03.2016). Fast hätte die Neue Rechte ihre „Kronzeugin“ gehabt, doch Zimmermann versuchte, ihre Karriere zunächst beim WDR fortzusetzen. Folglich verloren auch die Rechten vorübergehend das Interesse an ihr.
Zimmermann verkündet das Ende ihrer journalistischen Karriere in Deutschland
Wie oben erwähnt, wurde es ruhig um Claudia Zimmermann. Womit viele gerechnet hatten, trat nicht ein, denn der WDR trennte sich nicht von ihr (Tagesspiegel, 22.01.2016). Allerdings bekam sie von ihrem ehemaligen Auftraggeber kaum noch Aufträge (Meedia, 27.07.2017). Anschließend versuchte sie sich als Autorin im Bereich Finanzen und Kryptowährungen („Terroristen der Finanzmärkte I–III“ und „Kryptowährungen/Cryptocurrencies – Chancen und Risiken“) und plante, einen autobiografischen Roman zu verfassen. Eineinhalb Jahre nach dem Interview mit L1 konstatierte sie, dass ihre „journalistische Karriere in Deutschland zu Ende“ sei (Meedia, 27.07.2017). Im Gespräch mit Meedia trat sie jedoch noch einmal gegen die Öffentlich-Rechtlichen nach: „Vor allem die großen Fernsehsender ARD und ZDF werden immer als Staatsfernsehen kritisiert, und meiner Meinung nach stimmt das. Es wird zu wenig kritisch über die Regierung berichtet. Das liegt nicht daran, dass die Journalisten schlecht sind. Das System funktioniert von oben nach unten. Chefredaktionen oder Studioleitungen sorgen dafür, dass zu kritische Berichte gar nicht erst gesendet werden“ (Meedia, 27.07.2017). Zimmermanns Vokabular verschärfte sich: Sie spricht nun von „Staatsfernsehen“ und „Systemmedien“ und fühlt sich „in die rechte Ecke“ gestellt. Dieses Interview mit Meedia war vermutlich der Grund, warum das Interesse an ihrer Person in bestimmten Kreisen, der „rechten Ecke“, wieder stieg.
RT Deutsch, Compact und andere „Alternativmedien“ schenken ihr Aufmerksamkeit
Die von der österreichischen FPÖ betriebene Plattform ‚Unzensuriert.at‘ titelte nach Veröffentlichung des Meedia-Interviews: „Die Wahrheit zu sagen[,] kostete langjährige WDR-Journalistin die Karriere“ (Unzensuriert.at, 28.07.2017, vgl. Compact Online, 28.07.2017). Das Pegida-nahe Blatt ‚Epoch Times‘ legte nach: „WDR-Journalistin für Wahrheit bestraft. ‚Meine journalistische Karriere in Deutschland ist zu Ende“ (Epoch Times, 01.08.2017). Ihren zunächst englischsprachigen YouTube-Kanal „gamesoftruth“, den sie am 03.06.2017 eröffnet hatte, stellte sie nun nach und nach auf deutschsprachige Videos um. Zunächst filmte sie nur sich selbst (vermutlich) in ihrer Wohnung und berichtete über Bitcoins und Finanzen. Das sollte sich erst im Laufe des Jahres 2018 ändern.
Der Trend, dass bestimmte Medien wieder aufmerksam werden, setzte sich fort. Am 10.08.2017 war sie zum ersten Mal seit Langem wieder in einem richtigen TV-Studio zu sehen – beim russischen Staatssender RT: „Exklusiv bei RT Deutsch: WDR-Whistleblowerin über regierungsfreundliche Berichterstattung“. Das Video versetzte sie offenbar in wahre Euphorie. Später wird sie das Interview auf ihren eigenen YouTube-Kanal mit dem Titel „Claudia Zimmermann historisches Interview bei RT Deutsch“ (gamesoftruth, 09.12.2018) hochladen. Am 14.08.2017 wird das Interview noch einmal bei KlagemauerTV, dem YouTube-Sender des Schweizer Sektengründers Ivo Sasek, unter dem Titel „Vermeintliche Pressefreiheit in Deutschland“ ausgestrahlt (KlagemauerTV, 14.08.2017). Kurz darauf, am 17.08.2017, eröffnete sie ihr VK.com-Profil. VK.com ist die russische Version von Facebook, die in bestimmten (extremistischen) Kreisen als „zensurfrei“ gilt (was sie allerdings nicht ist).
Wenn Unzensuriert.at, Epoch Times und RT Deutsch berichten, dann kann man sicher sein, dass Deutschlands größtes verschwörungsideologisches Querfront-Blatt, das Compact-Magazin von Jürgen Elsässer und Kai Homilius, bald eine Interview-Anfrage stellt. Wenn jemand – nach eigener Aussage (!) – „totalen Quatsch verzapft“, dann wittern die beiden ehemaligen Finanziers des mittlerweile (noch nicht rechtskräftig) verurteilten Mario Rönsch (mutmaßlicher Betreiber der Facebook-Seite Anonymous.Kollektiv, des Online-Waffenshops ‚Migrantenschreck‘ und der rechtsextremen Website ‚AnonymousNews.ru‘) eine große Story.
In Compact 10/2017 (online ab dem 05.10.2017, das Interview ist in der Online-Version stark gekürzt) erschien schließlich das große Interview mit Claudia Zimmermann unter dem Titel „Ex-WDR-Journalistin packt aus – über Medien, Meinungsmache und Verschweigen“. Marc Dassen von Compact wollte im Gespräch wissen, was dazu führte, dass Zimmermann „in Teufels Küche“ kam und Kolleg_innen sie seitdem schneiden. Zimmermann erklärte: „Generell ist Kritik an der Regierung viel zu selten geworden […]. [Es gibt] einen gewissen Druck von oben auf die Journalisten, sich anzupassen, indem ihre Themen von Sendern einfach nicht eingekauft werden. Als WDR-Reporterin, wie ich eine war, ist man da total abhängig“ (Compact Online, 05.10.2017). Zimmermann macht hier erneut aus ihrer eigener Vorstellung, dass nur, wer sich anpasst, verkauft, eine Regel für alle journalistisch Tätigen. Sie, die jahrzehntelang nur das geliefert hat, von dem sie glaubte, dass es sich verkauft, macht diesen eigenen Opportunismus zum Vorwurf an ihren Auftraggeber. Darüber hinaus weiß jeder freiberuflich tätige Mensch, dass man immer mehr als einen Kunden haben sollte, um eben nicht in solche vermeintlichen Abhängigkeitsverhältnisse zu geraten. Eine freiberufliche Person, die fast ausschließlich für einen Auftragnehmer arbeitet, nennt man „scheinselbstständig“.
Wendung der Kritik gegen Kolleg_innen
Im Interview mit Compact verwendet sie wortwörtlich dasselbe Vokabular, das Felix Stephan von ‚Die Zeit‘ nutzte, um sie selbst zu kritisieren (siehe oben) und wendet sie gegen ihre ehemaligen Kolleg_innen: „Über viele Dinge wird gar nicht berichtet, teils aus Unkenntnis, teils aus Faulheit oder eben Opportunismus“ (Compact 10/2017). Stephan erklärte, journalistisch Tätige machten einen guten Job, wenn sie Informationen sammeln, verifizieren und veröffentlichen und sich damit sichtbar und angreifbar machen, anstatt sie aus Opportunismus oder Bequemlichkeit zurückzuhalten. […] Wenig hilfreich ist es allerdings, wenn man mit heroischer Geste seinen eigenen Opportunismus als Zwang ausgibt, den einem irgendjemand anders auferlegt hätte als man selbst“ (Zeit Online, 22.01.2016). Weiter schrieb Stephan (an Zimmermann gerichtet): „Es gibt offenbar auch im Journalismus Menschen, die aus Unsicherheit oder Denkfaulheit die Meinung ihrer Chefs zu antizipieren versuchen, sich deren Meinung zu eigen machen und hoffen, mit dieser Taktik Scherereien zu vermeiden“ (Zeit Online, 22.01.2016). Im Compact-Interview wendet sie also die Vorwürfe, die eineinhalb Jahre zuvor vonseiten des Journalisten Felix Stephan an sie gerichtet waren, gegen ihre ehemaligen Kolleg_innen. Die (Denk-)Faulheit, den Opportunismus, die Angst vor der Kontroverse, alles Dinge, die sie selbst über Jahrzehnte praktiziert hat, weil sie einfach zu mutlos war, gegen den Strom zu schwimmen und nicht immer nur die Erwartungshaltung zu erfüllen, genau das wirft sie nun pauschal anderen Journalist_innen vor. Die Kritik an ihrer Arbeit und an ihrem Berufsverständnis saß tief und sie wusste sich nicht anderes zu helfen, als diese Kritik einfach umzukehren, damit ihr eigenes Weltbild und ihre Sicht auf sich selbst nicht erschüttert wurde. Zu dieser Kränkung kam der „Burnout“, weil sie kaum noch Themenvorschläge verkaufen konnte (Meedia, 27.07.2017, vgl. Unzensuriert.at 28.07.2017, Compact Online, 28.07.2017)
Neue Zielgruppe: die „rechte Ecke“
Die Aufmerksamkeit der „rechten Ecke“ trug möglicherweise auch dazu bei, dass sich ihre Zielgruppe im Laufe der Zeit änderte. Mit dem WDR und den Mainstream-Medien hatte Zimmermann mittlerweile endgültig abgeschlossen. Im Compact-Interview sprach sie von einer „Asylindustrie“ und erklärte: „Die Geheimdienste in Deutschland und den Niederlanden wissen seit Monaten, dass deutsche Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer mit Schlepperorganisationen kooperieren“ (Compact 10/2017). Am 08.10.2017 wurde der Compact-Artikel in David Bergers Blog ‚Philosophia Perennis‘ beworben und u. a. mit den Schlagwörtern „gemerkelt“, „gleichgeschaltet“, „Lückenmedien“, „Nannymedien“ versehen (Philosophia Perennis, 08.10.2017). Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass David Berger für Inhalte von Claudia Zimmermann wirbt. Das Interview mit Claudia Zimmermann wurde dann auch bei Compact noch einmal verwertet, z. B. in COMPACT-Spezial Nr. 9: „Chronik einer Säuberung“. Grund genug für Claudia Zimmermann, sich dieser neuen Zielgruppe und den Medien, die die „Wahrheiten“ für diese Zielgruppe verbreiten, gewohnt opportunistisch anzubiedern. Sie spielt das gleiche Spiel, ihr persönliches „Game of Truth“ weiter, weil sie zu wissen glaubt, dass es anders wohl nicht gehen kann.
Erneuter Auftritt bei RT Deutsch und erste Schritte mit „Games of Truth“
Im Dezember 2017 bekommt sie von RT Deutsch die Möglichkeit, von betrügerischen Unternehmen, denen sie selbst aufgesessen ist, zu berichten. Mit starkem russischen Akzent erklärt die Stimme aus dem Off: „Betrügerische Online-Broker verbuchen Milliarden-Umsätze. […] Die ehemalige WDR-Journalistin Claudia Zimmermann gehört zu den Betrogenen. Nachdem sie mehrere Tausend Euro von ihrem gesparten Geld an einen Online-Broker verloren hatte, widmete die investigative Journalistin sich der Recherche […]“ (RT Deutsch, 12.12.2017). Für Zimmermann zudem eine willkommene Gelegenheit, ihre Buchreihe „Terroristen der Finanzmärkte“ (2017) zu bewerben. Auch dieses Video hat sie später ebenfalls auf ihren eigenen Videokanal hochgeladen.
In der Beschreibung des Videos heißt es (Rechtschreibung im Folgenden übernommen): „Games of Truth – Spiele der Wahrheit – denn die Wahrheit ist nicht immer das, was wir glauben zu erkennen. Ich habe diesen Kanaltitel gewählt, weil ich ein Fan bin von Game of Thrones und es ausserdem ein wunderbares Buch gibt vom Philosophen Michel Foucault – Die Wahrheit wird bestimmt von Regeln und es gibt immer neue Strategien, um die Wahrheit zu definieren. So ist es auch mit unseren Medien. Ein Ereignis – verschiedene Sichtweisen, je nachdem was man hervorhebt oder weglässt. Ich nenne es inzwischen oft Propaganda, da viele Journalisten zu Pressesprecher verkommen sind, so scheint es“ (gamesoftruth, 06.12.2018). Einem „glücklichen Positivisten“ wie Michel Foucault wäre es mit Sicherheit ein Graus gewesen, hätte er noch erfahren, dass das, was er als „Wahrheitsspiele“ beschreibt, für die Namensgebung eines teilweise verschwörungsideologischen YouTube-Kanals herhalten muss. Im Übrigen gilt der Historiker und Philosoph Michel Foucault heute als einer der wichtigsten Vordenker der später entstehenden Gender Studies und der Queer Theory. Ideen, die Claudia Zimmerman heute als „Genderideologie“, „Gender-Idiotie“, „Gender-Wahnsinn“ und „Umerziehung“ bezeichnet.
Claudia Zimmermann wird YouTuberin
Auf Linkedin gibt sie als offizielles Gründungdatum für ihren YouTube-Kanal „gamesoftruth“ den 01.01.2018 an, was dafür spricht, dass sie ihre Tätigkeit als Vloggerin ab diesem Zeitpunkt zu professionalisieren suchte. Dort heißt es: „Gamesoftruth ist der Nachrichtenchannel auf Youtube der anders berichtet als andere. Nachrichten, die aus welchem Grund auch immer oft nicht die Mainstreammedien erreichen. Kurz erklärt, für alle verständlich. Täglich ein Nachrichtenvideo. Einmal wöchentlich ein Livestream und zusätzlich Interviews, Umfragen, interessante Geschichten, je nach Bedarf. Der Youtube Channel lebt vom Austausch mit seinen Zuschauern. Die Zuschauer liefern oft neue Themen, interessante Ansätze oder Ergänzungen.“ Ab Mitte 2018 berichtet sie nicht mehr ausschließlich über Finanzthemen, Korruption, Kryptowährungen usw., sondern wendet sich auch anderen Themen zu. Zuvor sprach sie – nach eigener Aussage – vorwiegend eine internationale Zielgruppe an, die ebenso wie sie auf betrügerische Online-Broker hereingefallen war (die meisten Videos hatten damals nur Aufrufzahlen im zwei- oder dreistelligen Bereich).
Auf ihrem Kanal verzichtet sie fortan weitestgehend auf englischsprachige Inhalte, die Videos tragen nun beispielsweise folgende Titel (Rechtschreibung im Folgenden übernommen):
- „Wird Klimaschutz Greta gesteuert?“
- „Migrationspakt: Das Ende Deutschlands?“
- „Ende des Journalismus?“
- „Ausnahmezustand in Deutschland“
- „Krebs vorbeugen“
- „Klimawandel, Karneval und Wirtschaftsflüchtlinge“
- „Die Zukunft von Bitcoin“
- „Interview mit Niki zu Genderneutralität, Politik und Klimaschutzdemos“
- „Deutsche Bank im Visier der FED“
- „Kinder als Lügendetektor heranbilden“
- „Claudia Zimmerman zu Gast bei Cryptowelt zu Fakenews“
- „Militärbasis auf dem Mond“
- „Gender Wahnsinn in Schulen“
- „Geduldeter bedankt sich mit Messer – schon wieder“
- „Nigerianer expandieren in Deutschland“
- „Neue Flüchtlingsströme aus Afrika“
- „Flüchtlinge statt Entwicklungshilfe? Der Plan der Elite“
- „Illuminati erklärt“
- „Rothschild: was wird vertuscht?“
- „Chemnitz Das steckt wirklich dahinter“
Feindbilder sind also die Klimaschützerin Greta Thunberg, die gesteuert sein muss, weil eine 16-jährige junge Frau offenbar nicht selbstständig denken und handeln kann, „Wirtschaftsflüchtlinge“, die „strömen“ und „expandieren“, „Eliten“, „die FED“, die „Gender-Lobby“ bzw. die „Pharma-Lobby“. Ständig ist von einer „Krise“, dem „Untergang“, dem „Ende“ und geheimen Plänen die Rede. Die Mainstreammedien verschweigen in der Welt von Claudia Zimmermanns YouTube-Universum wissentlich all diese geheimen Wahrheiten und Pläne. Für sie ist es auch kein Widerspruch, dass etwas geheim ist und gleichzeitig alle Bescheid wissen, schließlich sind alle, besonders die Medien, „gesteuert“. Claudia Zimmermann ist nun endgültig im Land der Verschwörungsideologie angekommen. Sie liefert gezielt die alternativen Wahrheiten, die die Zielgruppe hören möchte. Manchmal trifft sie aber auch auf Widerstand.
Im Laufe der Zeit muss sie auch nicht mehr nur sich selbst filmen. Als Gesprächspartner für ihre Interviews kann sie beispielsweise Niki aka Niklas aka neverforgetniki gewinnen. Mit dem jungen YouTuber der Neuen Rechten, der auf seinem Kanal auch das Compact-Magazin bewirbt oder auf Oliver Fleschs YouTube-Kanal Gastkommentare abgibt, bespricht sie die Themen „Genderneutralität, Politik und Klimaschutzdemos“ und „Weshalb fallen junge Frauen auf Bad Guys rein?“. Weiterhin führt sie mehrere Interviews mit dem niederländischen Islamkritiker Sid Lukassen, dessen Buch „Abendland und Identität“ (2017) in deutscher Übersetzung beim Lichtschlag Verlag von André F. Lichtschlag (Herausgeber der rechtslibertären Zeitschrift „ef – eigentümlich frei“) erschien.
Interviewpartner: Dr. Claudia Simone Dorchain, Dr. Wladislaw Korenblum und Grigorij Richters
Mit der aus dem Saarland stammenden und in Frankreich lebenden Philosophin Dr. Claudia Simone Dorchain plaudert sie über „Gender-Idiotie“ an Schulen und „Migrationspakt – Experiment mit Menschen“. Schließlich gibt es noch ein Video mit ihr, in dem angeblich „Illuminati“ erklärt werden (tatsächlich kommt im Interview mit Dorchain das Wort „Illuminati“ gar nicht vor; Dorchain stellt nur am Beispiel von Pop-Sängerin Madonna fest, dass religiöse (katholische, kabbalistische) Symbolik wieder vermehrt verwendet wird und spricht von einem „Backlash“; in den Kommentaren zum Video wird von „Pizzagate“, „Satanismus“ etc. gemutmaßt, weil sich offenbar niemand das Video tatsächlich angesehen hat). Auch der emeritierte Aachener Professor Winfried Böttcher gibt ihr mehrere Interviews. Das mag verwundern, denn Böttcher ist überzeugter Pro-Europäer und vertritt die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“.
Dr. med. Wladislaw Korenblum, Facharzt für Allgemeinmedizin, stellvertretender Gemeinderatsvorsitzender 2010–2015 der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, stellt sich im November 2018 für ein Gespräch zur Verfügung. Das Interview ist sehr interessant, weil Korenblum viele wichtige Dinge zu Antisemitismus, Aufklärung, Deutschland und Israel zu sagen hat. Leider fühlt sich die neue Zielgruppe verraten und verkauft. In den Top-Kommentaren heißt es (Rechtschreibung im Folgenden weitgehend übernommen): „Die Juden sind nicht alle schuld, aber auch nicht alle Juden sind unschuldig! Die Deutschen sind nicht alle schuld, aber auch sind nicht alle unschuldig!“, „Antisemitismus ist die Verurteilung aller aufgrund der Taten weniger. Warum distanzieren sich die Juden nicht von Feinden der Völker wie George Soros?“, „Der Bericht ist zu einseitig. In der Schule haben wir die fürchterlichen Filmaufnahmen gesehen aus den KZs und das Leid und Elend dass [sic!] den Juden zugefügt wurde. Warum aber erfahren nicht die Schüler, wer diese beiden Weltkriege finanziert hat und wer diese geplant hatte, lange bevor sie stattgefunden haben? Wie soll eine Schuld und Geschichte aufgelöst werden mit Tabus?“, „Dieser bisher eingehämmerter Schuldkult muss aufhören. Das schürt Unverständnis und letztendlich Hass. Die Politiker holen immer mehr Muslime ins Land, die nun wirklich antisemitisch sind und begehen Verbrechen, aber die deutsche Bevölkerung wird beschimpft und verunglimpft als Nazi. Von den Medien und dem Zentralrat der Juden!“ Wie gesagt, das Interview mit Korenblum ist wirklich gelungen, aber muss Zimmermann nicht ins Grübeln kommen, wenn ihr von Seiten der Zielgruppe so viel Hass und Antisemitismus entgegenschlägt?
Ähnliches geschieht nach einem Interview mit Grigorij Richters, der nach den rassistischen Demonstrationen von Chemnitz den Entschluss fasste, von Paris nach Berlin zu wandern, um auf das Schicksal von Flüchtlingskindern aufmerksam zu machen. Auch für dieses Interview erntet Zimmermann hauptsächlich Hass in den Kommentaren.
Wer die Fäden zieht: Soros, Thunberg-Clan und Gender-Lobby
Wenn sie sich allerdings gegen die Amadeu Antonio Stiftung ausspricht, dann kann sie sich sicher sein, dass ihr die Abonnenten in den Kommentaren voll und ganz zustimmen (Videos: „Deutsche sind Nazis und antisemitisch? Absurde Kampagne“, „Vorurteile schüren durch Amadeu Antonio Stiftung“). Weitere Feindbilder sind der ARD-Faktenfinder Patrick Gensing („Kreditkarten für Migranten: ARD Faktenfinder im Check!“), George Soros („Bundesregierung, Presse, Wirtschaft – Zieht ein Mann weltweit die Fäden?“; Zitat aus dem Video: „einflussreicher Besserwisser, der seine Tentakel überall in der Weltpolitik hat“) und „die GEZ“ (die mittlerweile „Beitragsservice“ heißt, das müsste eine ehemalige WDR-Journalistin eigentlich wissen).
Das Video vom 04.03.2019 („Wird Klimaschutz Greta gesteuert?“) zeigt exemplarisch Claudia Zimmermanns Methode der „Beweisführung“. Zunächst einmal wird auf die Berufe von Gretas Eltern und ihren Großvater hingewiesen (Opernsängerin, Schauspieler), um eine Zugehörigkeit zu einer „Elite“ konstruieren. Dann muss Claudia Zimmermann 120 Jahre in der Geschichte zurückgehen, um eine große Verschwörung zu entdecken: „Svante Arrhenius ist mit Greta Thunberg verwandt. Er war der Cousin ihrer Urgroßmutter. Und Svante Arrhenius – jetzt kommt’s! – ist der Erfinder des sogenannten Treibhausgaseffektes. […] Jetzt wird vielleicht schon ein bisschen klarer, weshalb es eine Sechszehnjährige mit Asperger-Syndrom – das ist eine Form von Autismus – schafft, vor den United Nations einen Vortrag zu halten. Na, Vitamin B hilft da immer! Svante Arrhenius war gleichzeitig der […] Mit-Gründer […] des Nobel-Institutes und der Nobel-Preise. […] Interessant ist dann auch, dass er einer der Ersten war, der einen Nobelpreis bekommen hat (1903). Greta Thunberg, Nobelpreis-Institut, Nobelpreisträger, Erfinder des Treibhausgaseffektes (bis heute nicht bewiesen!). Also, wenn das ein Zufall ist? Ich weiß es nicht! Und dann wird sie auch sehr, sehr groß propagiert von unseren Politikern“. Zudem erstaunt sie, dass „eine Sechszehnjährige, […] die aussieht wie 10“ eine bessere englische Aussprache hat als sie (das wäre leicht herauszufinden gewesen: https://bit.ly/2Hax9Ht). Ende von Claudia Zimmermanns „Beweisführung“, dass „Klimaschutz Greta gesteuert“ [sic!] ist.
Unglaubliche Geschichten: Claas Relotius und die Website PV-Archiv.de
Im Video „Claas Relotius: Ex[k]lusivinterview“ liest sie eine Geschichte vor, die sich angeblich tatsächlich zugetragen haben soll. Über den Wahrheitsgehalt des Exklusivinterviews, das sich eher wie eine Relotius-Geschichte liest, soll an dieser Stelle nicht gemutmaßt werden. Man wartet beim Betrachten des Videos – leider vergeblich – auf einen Hinweis, dass es sich um beste Satire handelt.
Die unglaubliche Geschichte liest sich so: „[…] Wir seien der erste Besuch, seit er hier abgesetzt wurde. Mit verbundenen Augen habe man ihn hierhergebracht. Zu seiner Sicherheit, wie man ihm versicherte. Er wisse noch immer nicht, wo er hier sei. Den ersten Monat müsste er in absoluter Abgeschiedenheit verbringen, habe man ihm eingeschärft. Das sei wesentlich für seine Genesung. Wenn er in dieser Zeit die Gelegenheit hätte, andere Menschen zu belügen, könnte es leicht zu einem Rückfall kommen. Das sei wie bei Alkoholikern, die sich vom Alkohol fernhalten müssten. Und mit einem Fälschungswahn müsse er sich eben von Menschen fernhalten, dann wäre die Gefahr schädlicher Lügereien schon gebannt.“
Interessanter als über den Wahrheitsgehalt zu spekulieren ist hingegen der befreundete Kollege, der Relotius angeblich aufgespürt haben soll (in einer abgelegenen Berghütte in den Alpen, abseits jeglicher Zivilisation, nur mit einem Helikopter erreichbar, „der Journalist musste sich abseilen“) und ihr erlaubte, die Geschichte auf ihrem YouTube-Kanal vorzutragen. Über dessen Namen schweigt sich Zimmermann allerdings aus. Auf der in der Video-Beschreibung verlinkten Website (pv-archiv.de) findet sich kein Hinweis auf den Autor, aber gleich auf der Startseite ein Aufruf zu einem verschwundenen Journalisten, Sebastian Heiser: „Find Sebastian! Sebastian Heiser war ein seriöser, engagierter, unbestechlicher Journalist. Am 18.2.2015, nunmehr also vor 48 Monaten, verschwand Heiser aus einer Redaktion mitten in Berlin. Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Dennoch wurde er vorverurteilt, gekündigt und in Abwesenheit zum Straftäter gemacht.“ Auf der Website ist außerdem der Wortlaut einer Strafanzeige gegen Martin Kaul und Sebastian Erb von taz, „wegen Strafvereitelung, Falschberichterstattung sowie sämtlicher weiterer möglicher Straftaten“ sowie gegen „Unbekannt wegen einer Gewalttat gegen Sebastian Heiser“ zu finden“ (pv-archiv.de, 30.08.2017, https://bit.ly/2XMYhRE). Auch hier bleibt der Autor der Strafanzeige im Verborgenen.
Sebastian Heiser war im Februar 2015 in der taz-Redaktion dabei erwischt worden, wie er einen sogenannten „Keylogger“ von einem Rechner abzog, mit dem er im Zeitraum von über einem Jahr Kolleginnen und Kollegen ausspioniert hatte. Die Taz beendete daraufhin das Arbeitsverhältnis mit Heiser und erstattete Strafanzeige. „Im Juni 2016 publizierte die taz die Ergebnisse einer aufwendigen Rekonstruktion der Ereignisse. Demnach waren mindestens 23 Personen von der Ausspähung betroffen, darunter 19 Frauen, die meisten von ihnen Praktikantinnen“ (Taz, 10.04.2018, vgl. Wikipedia-Artikel „Sebastian Heiser“). Anfang 2017 wurde er deshalb zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen à 40 Euro verurteilt.
Die von Claudia Zimmermann vorgetragene Geschichte von einer dubiosen Website halten schließlich auch ihre Abonnenten für ein Märchen: „Er wurde mit verbundenen Augen in eine einsame Hütte irgendwo in die Berge gebracht? Das klingt wie aus einem schlechten Hollywood Film mit Will Smith. Wer soll das bitte glauben?“ oder „Das klingt[,] als wenn Claas das komplett selbst geschrieben hat“.
Roboter mit Geschlecht „Divers“ im Pass
Beim Video-Titel „Das Dritte Geschlecht: Divers. Neuerung 2019“ (01.01.2019) könnte man annehmen, dass sie sich nach all dem Gerede über „Gender-Wahnsinn“ möglicherweise gegen dieses dritte Geschlecht ausspricht. Zimmermann sagt allerdings, dass sie gutheißt, dass es ein Gesetz gibt, dass die Minderheit, die Merkmale beider Geschlechter trägt, gleichstellen soll. Sie glaubt allerdings nicht, dass die Regierung das Gesetz zur Gleichstellung einer Minderheit eingeführt hat, sondern damit schleichend der Weg für die Gleichstellung von Künstlicher Intelligenz (KI) und Robotern gebahnt werden soll. Wenn das dann im Pass stünde, dann wüsste man „entweder ist das einer dieser 0,1%-Menschen [sie meint Intersexuelle] oder es ist ein Roboter. Damit könnte man diese Roboter halt mit einem Pass ausstatten. Vorbereitung für das ganz große Spiel hinter den Kulissen.“
Elektrosmog, WLAN und G5: Isabel Wilke
Auf Zimmermanns Kanal finden sich auch einige Interviews mit Isabel Wilke. Wilke ist Diplom-Biologin, Redakteurin des Elektrosmog-Reports und Mitglied von „Diagnose: Funk“. Ihre Behauptung, dass WLAN auch schon unterhalb der geltenden Grenzwerte schädliche Wirkungen auf Gesundheit und Verhalten haben könne, wird in Fachkreisen zumeist kritisch gesehen. Jan Henrik Lauer, Sprecher des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), den die Frankfurter Rundschau im Mai 2018 um eine Einschätzung von Wilkes Arbeit gebeten hatte, warf der Biologin unwissenschaftliche Methoden vor. Es gebe zu dem strittigen Frequenzbereich rund 2800 experimentelle Studien, von denen Wilke aber nur etwa hundert beachtet habe. „Es scheint, als ob ‚systematisch‘ Studien ausgewählt wurden, die gesundheitsrelevante Effekte zeigen, ohne dabei die Qualität und Aussagekraft des Studiendesigns in irgendeiner Hinsicht zu berücksichtigen“, so Lauer in der FR. Wenn man jedoch die Gesamtheit aller Studien bewerte, so lasse sich keine „frequenzspezifische Gefährlichkeit von WLAN erkennen“ (Lauer zit. n. Frankfurter Rundschau, 05.05.2018).
Claudia Zimmermann führte bis zum heutigen Zeitpunkt vier Interviews mit Isabel Wilke, die sich allesamt mit dem neuen Mobilfunkstandard 5G beschäftigen. Wilkes Theorien zu WLAN und zu 5G wurden auch vom verschwörungsideologischen Kanal KlagemauerTV (18.05.2018) im Video „WLAN – Gesundheitsrisiken sind vorhanden!“ rezipiert. Sowohl Oliver Janich als auch KlagemauerTV verbreiten etwa seit Mai 2018, also kurz nach der Veröffentlichung von Wilkes Studie („Biologische und pathologische Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz …“, Sonderbeilage umwelt-medizin-gesellschaft, 1-2018) Verschwörungsmythen zum Thema 5G. In Videos wie „Dringender Weckruf: 5G ist Gefahr für Leib und Leben!“ (kla.tv, 28.01.2019) und „Mobilfunkstandard 5G: Die totale, technische Versklavung der Menschheit?“ (Oliver Janich, 28.05.2018) warnen sie in einem alarmistischen Ton vor angeblichen Gefahren. Besonders KlagemauerTV führt seit einiger Zeit eine Dauer-Panik-Kampagne zu diesem Thema (siehe GenFM, 11.02.2019).
Fünfteiliges Interview mit umstrittenen Arzt: Dr. Matthias Rath
Noch viel problematischer sind die Interviews mit Dr. Matthias Rath, einem höchst umstrittenen deutschen Arzt, der schwerste Krankheiten mit dem von ihm vertriebenen Vitaminpräparaten heilen will. Bei Psiram, einer Aufklärungswebsite über Verschwörungsideolgien, heißt es: „[Rath] gilt als Erfinder eines alternativmedizinischen Verfahrens, der so genannten Zellularmedizin, die Heilversprechen bei schweren Erkrankungen wie Krebs und AIDS macht. In Europa tritt Rath als Verkäufer entsprechender Produkte (‚Mikronährstoffe‘ oder Vitamine) auf, die er auf Grund der gesetzlichen Lage von Holland aus vermarktet (siehe auch: Dr. Hittich Gesundheitsmittel). Rath führt die Firmen ‚Dr. Rath Health Foundation‘, die eng mit der Firma ‚Health Now Inc.‘ verbunden ist, sowie das ‚Dr. Rath Research Institute‘“.
Rath dürfte vielen, die sich mit medizinischer Scharlatanerie beschäftigen, auch durch den „Fall Dominik“ bekannt sein. Der neunjährige Dominik war an Knochenkrebs erkrankt. Seine Eltern entschieden sich im Jahr 2004, nach einer konventionellen medizinischen Behandlung, die zellulärmedizinische Behandlung von Dr. Rath für ihren Sohn in Anspruch zu nehmen. In einer Werbekampagne, an der sich sowohl die Eltern als auch der Sohn beteiligten, wurden fortan die Vitaminpräparate angepriesen. Innerhalb eines halben Jahres erlag der Junge jedoch seiner unbehandelten Erkrankung im Alter von nur neun Jahren. Er starb an „einem Herz-Kreislauf-Versagen infolge seiner Krebserkrankung, was durch eine Obduktion zweifelsfrei festgestellt wurde“. Rath schaltete Anzeigen mit der Behauptung, Dominik sei nicht an Krebs, sondern an Herzversagen und ärztlichen Kunstfehlern – dem ‚Pfusch der Schulmedizin‘ – gestorben. Bei der Obduktion der Leiche wird allerdings ein großer Tumor in der Brust festgestellt, der auf Lunge und Herz drückt. 2015 erhielt Matthias Rath den Negativpreis „Goldenes Brett vorm Kopf“ für den größten pseudowissenschaftlichen Unfug in der Kategorie „Lebenswerk“ (vgl. ORF, 21.10.2015). Claudia Zimmermann hält Matthias Rath hingegen für einen bedeutenden „Kritiker der Pharmaindustrie und gleichzeitig der Pharmalobby“, der seine Thesen angeblich wissenschaftlich belegt. In der Beschreibung zu jedem der fünf Video-Interviews finden sich Links zu Raths gefährlichen Projekten. Die Titel der Videos lauten „Krankheiten als Marktplatz – Dr. Rath zur Pharmaindustrie“, „Dr. Rath – Krebs ist heilbar!“, „Chemotherapie: so ist sie entstanden. Interview mit Dr. Rath“, „Krebs vorbeugen – Interview mit Dr. Rath“ und „Dr. Rath zu ‚Erfolgsgeschichten‘ der Chemotherapie“ (alle Videos sind Anfang März 2019 auf Zimmermanns YouTube-Kanal hochgeladen worden).
„Games of Truth“ wird gepusht, die Abonnentenzahlen steigen
Claudia Zimmermanns Videos finden auch Verbreitung über David Bergers Blog ‚Philosophia Perennis‘ (zum Beispiel: „Noch mehr Eigenheime für die, die noch nicht so lange da sind…“, PP, 12.01.2019) sowie die verschwörungsideologischen und/oder rechtsextremen Plattformen ‚Ungeheuerliches.de‘ und ‚BRD-Schwindel.ru‘. Inzwischen hat der YT-Kanal ‚gamesoftruth‘ fast 21.000 Abonnenten (Stand: März 2019). Das ist recht viel für einen Kanal, der seit nur etwa eineinhalb Jahren existiert und sich erst nach und nach „professionalisiert“ hat (Abonnentenzahlen zum Vergleich: info-direkt (IB): 2000, eigentümlich frei (Neue Rechte): 2.700, Die Weltwoche: 10.000, Werner Altnickel (Chemtrails-Anhänger): 18.000, Laut gedacht (IB): 36.000, Oliver Flesch (Männerrechte, Islamfeindlichkeit): 47.000, Oliver Janich (Rechtspopulist und Verschwörungsideologe): 67.000, Compact (Neue Rechte, AfD-nah): 78.000, Martin Sellner (IB): 87.000, NuoViso.TV (Verschwörungsideolgie und Esoterik): 141.00).
Claudia Zimmermann bei NuoViso.TV
Ihr Kanal erregte Aufmerksamkeit und so ist Claudia Zimmermann am 20.11.2018 beim verschwörungsideologischen Sender NuoViso.TV eingeladen. In Frank Höfers Sendung #barcode lässt sie ihre Mit-Diskutanten Bodo Schickentanz (Mainz FreeTV) und Robert Stein (Stein-Zeit) wissen, dass Kolleg_innen sich nichts mehr trauten und fürchteten, „ein ähnliches Berufsverbot zu bekommen“. Angesprochen auf die Behandlung der AfD in den Medien sagt sie: „Ich glaube, das ist ja auch das große Problem, welches wir zurzeit haben. Ich nenne das auch […] Ignoranz oder Arroganz der Mainstreammedien, weil man davon ausgeht, dass alle Leute so denken müssen wie sie. Und die Leute, die nicht so denken, sind sofort rassistisch, rechtspopulistisch, dumm […]. Und das ist diese Arroganz und Ignoranz dieses Bildungsbürgertums. […] Ich glaube, Mainstreammedien, Politik und Wirtschaft, die arbeiten zusammen – Hand in Hand.“
Claudia Zimmermann bei Stein-Zeit
Am 27.11.2018 ist sie bei Robert Steins esoterisch-verschwörungsideologisch ausgerichtetem Format „Stein-Zeit“ eingeladen, das mit NuoViso.TV kooperiert. Auch in der mit Pyramiden und Stonehenge ausgestatten Studio-Deko scheint sich Claudia Zimmermann, ganz Profi, nicht unwohl zu fühlen. Auf Steins Frage, welches Thema auf keinen Fall angenommen würde, wenn sie es bei den Mainstreammedien vorschlüge, antwortete sie: „Wenn ich auf die Straße gehe und es heißt ‚Mach mal ein paar Interviews zum Thema AfD‘ […], wenn ich dann Interviews mache mit einem Lehrer, mit einem Rechtsanwalt, mit vielleicht noch einem Arzt und die mir alle erzählen, wie toll die AfD ist […], dann bin ich mir sicher, dass ich in die Redaktion komme und es heißt, was hast du denn da mitgebracht? Das ist dann nicht ausgesprochen, aber das ist nicht der Beitrag, der so gesendet würde.“ Das Beispiel, das Claudia Zimmermann hier anführt, wirkt befremdlich. Würden Konsumenten von Nachrichten-Sendungen denn überhaupt so einen Beitrag, in dem ausgewählte Personen (die Teil einer bestimmten Bevölkerungsschicht sind) eine besondere Partei loben, tatsächlich sehen wollen? Es wäre genauso wenig akzeptabel, wenn das bei der Linken, der CDU/CSU, der FDP, der SPD oder den Grünen geschehen würde. Als Nachrichtenkonsument erwartet man eine kritische Berichterstattung, keine Werbung oder PR und auch keine Gefälligkeitsinterviews für eine Partei, die die betreffende Journalistin für besonders aufstrebend und gebildet hält. Noch so ein Punkt, den Claudia Zimmermann bis heute nicht verstanden zu haben scheint.
Der deutsche „Trauma-Komplex“ – Zimmermann ist „erwacht“
Gegen Ende des Interviews bei Stein-Zeit sagt Robert Stein als Reaktion auf Zimmermanns Aussage, dass die Deutschen einfach alles akzeptierten: „Das ist der ‚German guilt‘. Das ist die deutsche Schuld. Diesen Trauma-Komplex, den man auf uns draufgehauen hat. Ihr, diejenigen, die das Schlimmste gemacht haben, jemals. Schämt euch ewiglich.“ Zimmermann: „Ja, den man jetzt wieder raus holt aus dem Topf, um wieder den Deutschen … Deswegen kommt ja wieder die Diskussion zum Rassismus, Antisemitismus. Rassismus gibt es weltweit, überall, in jedem Land. […] Ich denke, dass immer mehr Leute aufwachen […], aber ich befürchte, dass die etablierte Elite, nenne ich sie mal, Bundesregierung, mithilfe von Verlagen, Wirtschaft … alles machen wird, um das zu stoppen. […] Ich würde mir wünschen […], dass die [Journalist_innen] aufwachen und sagen: ‚Wir machen das nicht mehr mit‘. […] Ein Aufstand kann auch von den Journalisten aus herkommen“.
Solidaritätsfonds Prozesskostenhilfe
Aktuell sammelt Claudia Zimmermann Spenden für ihren „Solidaritätsfonds Prozesskostenhilfe“ (Rechtschreibung im Folgenden übernommen): „Journalisten die zum Beispiel einen YouTube Kanal/ Social Media Kanal oder politischen Blog betreiben, werden immer öfter damit konfrontiert, dass sie Unterlassungserklärungen abgeben müssen, weil sie angeblich Persönlichkeitsrechte oder Urheberrechtsschutzgesetze verletzt haben. Auch wenn sie Recht haben, so müssen sie doch teure Anwaltskosten tragen, um sich wehren zu können. Das ist oft auch das Ziel des Gegners, meist finanzkräftige, große Unternehmen. Das [sic!] Solidaritätsfonds soll schützen. Diplom Journalistin claudia zimmermann“ (Startnext, 07.03.2019)
Anpassung bis zur Perfektion
Claudia Zimmermann passt sich erneut an und lernt das neue „Game of Truth“ von denen, die es ihr einmal vormachten. Sie reiht sich ein zwischen Ken Jebsen (ehemals RBB, heute KenFM), Dirk Pohlmann (ehemals Dokus für ARD und ZDF, heute – laut NRhZ – Team KenFM, regelmäßiger Autor für Free21, Rubikon.News, Verlinkungen seiner Videos auf den NachDenkSeiten, Interviews für Exomagazin.TV, RT Deutsch und Gruppe42, von 2011 bis 2013 auch Artikel für Compact), Bodo Schickentanz (ehemaliger Mitarbeiter des ZDF, heute Mainz FreeTV) und Frank Höfer (ehemals Cutter für die ARD Tagesschau, heute NuoViso). Sie weiß, wie das Spiel läuft, sie schaut sich ihre YouTube-Statistiken genau an und sieht, dass sie bisher nur eine eher ältere Zielgruppe anspricht. Ein Grund mehr, den neurechten YouTuber Neverforgetniki, laut Compact-Magazin ein „erfrischend freundlicher junger Mann“, bei dem „dem alten Knacker“ Kai Homilius das Herz aufgeht, ein drittes Mal zum Gespräch zu bitten (Compact-Online, 01.03.2019).
Auf eine Sache kann man sich verlassen: Diplom-Journalistin Claudia Zimmermann liefert (fast) immer das, von dem sie glaubt, dass es die Zielgruppe oder der Auftraggeber hören/lesen will. Erschreckend, dass sie bis heute offenbar keine Unterschiede sieht zwischen Journalismus und PR gibt – und in welchem Spannungsverhältnis beide zueinander stehen.
Gastautor „Querfront-Archiv“ gehört zur Redaktion der verschwörungskritischen Watch-Seite ‚GenFM‘ auf Facebook.