Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat eine Reichsbürger-Gruppierung bundesweit verboten. Polizeibeamte durchsuchen am Donnerstagmorgen die Wohnungen führender Mitglieder des Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ (GdVuSt) und seiner Teilorganisation „Osnabrücker Landmark“ in zehn Bundesländern. „Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus werden auch in Krisenzeiten unerbittlich bekämpft“, so ein Sprecher des Ministeriums. Bei den „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ handelt es sich um eine souveränistische Reichsbürger-Vereinigung mit ca. 120 Mitgliedern.
Hausdurchsuchungen bei Aktivist*innen von „Geeinte deutsche Völker und Stämme“
Seit den frühen Morgenstunden durchsuchen über 400 Einsatzkräfte die Wohnungen von 21 führenden Vereinsmitgliedern in Berlin, Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen. Dabei wurden Schusswaffen, Baseballschläger, Propagandamaterialien sowie geringe Mengen Betäubungsmittel sichergestellt.
„Wir haben es mit einer Vereinigung zu tun, die rassistische und antisemitische Schriften verbreitet und damit unsere freiheitliche Gesellschaft systematisch vergiftet“, so Bundesinnenminister Horst Seehofer zum Verbot der Gruppe. „Auch die verbale Militanz und massive Drohungen gegenüber Amtsträgern und ihren Familien belegen die verfassungsfeindliche Haltung dieser Vereinigung.“
Antisemitische Verschwörungserzählungen
Die Gruppe warb auf ihrer Webseite mit Naturverbundenheit und Freiheitsversprechen, die jedoch auf einer antisemitischen, rassistischen und völkischen Ideologie beruhen, die um weitere Versatzstücke populärer Verschwörungserzählungen, wie etwa aus dem Bereich der Impfgegnerschaft, ergänzt wird. „Nach Ansicht der GdVuS ist die Bundesrepublik und ihre liberale Gesellschaftsordnung Teil einer jüdischen Weltverschwörung gegen das deutsche Volk“, so Jan Rathje, Experte zum Thema Reichbürger*innen bei der Amadeu Antonio Stiftung. Die Gruppe propagiere verschiedene Aktionsformen aus dem souveränistischen Milieu, wie etwa die ‘Aktivierung‘ von Gemeinden oder die Proklamation von ‘Lebenderklärungen‘. „Die von ihnen angestrebte Gesellschaftsordnung richtet sich im Kern gegen Jüdinnen und Juden, Migrant*innen und sexuelle Minderheiten“, erklärt Rathje.
Nicht das erste Verbot einer Reichsbürger-Vereinigung
Entgegen der verbreiteten Auffassung handelt es sich bei den derzeitigen Maßnahmen jedoch nicht um das erste Verbot einer „Reichsbürger“-Gruppierung, merkt Jan Rathje an, der derzeit an dem neuen Projekt „Debunk. Verschwörungstheoretischem Antisemitismus entgegentreten“ arbeitet. Im Jahr 2008 wurde etwa der „Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“ führender rechtsextremer „Reichsbürger“, wie Horst Mahler und Manfred Roeder, durch den damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble verboten.
Rechtsextreme Antisemit*innen haben eine prägende Wirkung auf das souveränistische Milieu
Generell haben rechtsextreme Antisemit*innen, wie Horst Mahler, eine prägende Wirkung auf das gesamte souveränistische Milieu von ‘Reichsbürgern‘ und anderen revisionistischen Gruppen, so Rathje. „Dieser Einfluss für das gesamte Milieu würde von den meisten Landesämtern für Verfassungsschutz nur ungenügend wahrgenommen.“ Umso begrüßenswerter ist daher der jetzige Vorstoß des Innenministeriums.
Lange Zeit waren Reichsbürger*innen, Selbstverwaltende und Souveränist*innen für staats- und verfassungsschützende Behörden bestenfalls eine Randnotiz. Dies änderte sich schlagartig, als im August und Oktober 2016 zwei Personen aus diesem Milieu, nämlich Adrian Ursache und Wolfgang P., ihre politische Ideologie mit Waffengewalt durchzusetzen suchten und dabei ein Polizist getötet wurde. Verfassungsschutz, Polizei und städtische Verwaltungen arbeiten seitdem Hand in Hand, um einen möglichst genauen Überblick über die Verbreitung und Reichweite des Milieus zu erlangen. Deutschlandweit rechnet der Verfassungsschutz etwa 19.000 Personen dieser heterogenen Szene zu. Jedoch wurden nur 950 Reichsbürger und „Selbstverwalter“ als rechtsextrem eingestuft. Das Verbot des GdVuS ist daher ein richtiges und wichtiges Signal, antisemitische, rassistische und revisionistische Ideologieelemente innerhalb dieser Szene klar zu benennen.
Heike Werding, die „Generalbevollmächtigte“ der GdVuS
Eine der Führungsfiguren dieser Gruppe ist Heike Werding aus Melle (Landkreis Osnabrück). Sie tritt als selbsternannte „Präsidentin der reorganisierten ‚Gemeinde Osnabrücker Landmark e.V.’“ und „Generalbevollmächtigte“ der „Geeinten deutschen Völker und Stämme“ auf.
Ihre verschwörungsideologische Propaganda verbreitet Werding sowohl auf einem Blog als auch seit 2012 auf einem eigenen YouTube-Kanal mit 21.000 Abonennt*innen. Insgesamt wurden ihre Videos bereits fast zwei Millionen Mal angeschaut. Ihr jüngstes Video ist von November 2019, es geht um das Thema Impfzwang. Man gebe die Kinder nach der Geburt zum Impfen ab, damit Konzerne dann rentable Profite machen können.
Für das Ausschalten unserer Emotionen tue man alles, so Werding in dem Video, „dafür mischt man in Zahnpasta Aluminium, dafür kauft man den Müttern und Vätern ihre Kinder ab, steckt sie in Schulen“. Warum sich die 1961 Geborene in der Öffentlichkeit engagiert, erklärt sie in einem anderen Video: „Mein Ziel ist es, dass die Volksseele wieder aufsteht“.
Nun dürfte es allerdings vorerst vorbei sein mit ihren Aktivitäten, zumindest unter dem Schirm der GdVuS.