Im Juli 2023 brach in den als liberal geltenden Niederlanden die Mitte-Rechts-Regierungskoalition aus vier Parteien auseinander: Sie zerstritten sich über Migrationspolitik, weil die vier Koalitionsparteien sich nicht auf Maßnahmen einigen konnten, um den Zuzug der Migranten zu begrenzen. Der Gewinner der Situation ist nun eine lange Zeit auf verlorenem Posten verbliebener Islamfeind und Rechtspopulist: Geert Wilders. Seine Partei PVV (Partij voor de Vrijheid – Partei für die Freiheit) erhielt 37 Sitze im 150-Sitze-Parlament und ist damit mit Abstand stärkste Kraft. Am zweitstärksten ist das rot-grüne Bündnis mit dem früheren EU-Kommissar Frans Timmermans an der Spitze, das auf 25 Sitze hoffen kann. Noch eine Woche vor der Wahl hatten Analyst*innen Wilders eher auf dem vierten Platz gesehen.
Ob es ihm gelingen wird, eine Regierungskoalition zu bilden, wird sich nun zeigen. Die konservative VVD hatte sich unter dem bisherigen Regierungschef Mark Rutte immer einem Bündnis mit dem Rechtspopulisten verweigert. In diesem Wahlkampf aber hatte sich die neue Vorsitzende Dilan Yesilgöz erstmals offen für eine Koalition gezeigt – wobei sie aber wohl die PVV als Juniorpartner im Sinn hatte. Nun sieht das Ergebnis anders aus: Die Wähler*innen entschieden sich für das rassistische und rechtspopulistische Original, und die Konservativen müssen sich nun fragen, ob sie Steigbügelhalter für einen weiteren antidemokratischen, wenn auch gewählten Rechtsruck in Europa sein wollen.
Wofür ein Viertel der Niederländer*innen gestimmt hat:
- Einen Egomanen: Geert Wilders‘ PVV besteht nur aus einem Mitglied – ihm selbst. Für ihn praktisch, denn so kann ihn keine*r überstimmen, abwählen oder bei seinem Parteiprogramm mitsprechen. Demokratisch ist es nicht. Außer Wilders hat die 2006 gegründete PVV nur Freiwillige, Sponsoren oder Unterstützer*innen.
- Einen Rassisten mit migrantischen Wurzeln (Wilders‘ Mutter kommt aus Indonesien).
- Die PVV steht von Anbeginn bis heute für kämpferische Islamfeindlichkeit, die sie in klassisch rechtspopulistischer Manier als „Kampf gegen Islamisierung“ verkauft, für Rassismus, geschlossene Grenzen für Schutzsuchende, Law and Order-Vorgehen gegen Kriminelle. Es gab mehrere Verfahren wegen Volksverhetzung gegen Wilders, allerdings wurde er meist im Namen der Meinungsfreiheit freigesprochen, nur 2016 gab es eine Verurteilung.
- In vorangegangenen Wahlkämpfen zeigte sich Wilders sehr offen feindlich gegen Menschen (etwa 2014: „Wollt ihr in dieser Stadt und in den Niederlanden mehr oder weniger Marokkaner?“ Als seine Anhänger lautstark skandierten: „Weniger, weniger“, proklamierte Wilders: „Das werden wir dann regeln!“, vgl. Spiegel). Dies verkniff er sich diesmal, weshalb Zeitungen schon von „Geert Milders“ schrieben – inhaltlich hat sich aber nichts geändert, nur der Stil war diesmal weniger schrill als sonst.
Geert Wilders sagte nach der Wahl, die Politik müsse „anders werden“ und erläutert: „Die Niederländer müssen wieder Nummer eins sein.“ Er strebe zunächst keine Zwangsschließungen von Moscheen an, sondern wolle erst „den Asyl-Tsunami“ begrenzen.
- Außerdem findet sich im PVV-Parteiprogramm:
- Koran verbieten
- Moscheen verbieten
- Nexit – Austritt der Niederlande aus der EU
- Grenzen schließen für schutzsuchende Geflüchtete und Arbeitsmigrant*innen.
- Klimaschutz abschaffen
Der Wahlkampf in den Niederlanden war bestimmt von Thema Migration, und wie das Ergebnis zeigt, brachte das die Wähler*innen zu dem 60-jährigen Wilders, der schon immer eine strenge Migrationspolitik bis zu einer antidemokratischen, gegen Menschenrechte verstoßenden Abschottungspolitik gefordert hat. Diesmal führte Wilders die Migrationsdebatte als Verteilungskampf. Mangelnde Wohnungen, gestiegene Lebenshaltungskosten, Mängel im Gesundheitssystem – all diese Probleme sollen sich laut Wilders durch geschlossene Grenzen lösen lassen. Nebeneffekt: Wilders konnte sich damit auch noch als Sozialpolitiker inszenieren und Themen aufgreifen, die Menschen in den Niederlanden beschäftigen.
Geert Wilders könnte der nächste Premierminister der Niederlande werden, wenn er sich auf eine Koalition mit den rechtskonservativen Parteien VVD, NSC und der neuen Bauernpartei einigt. Alle Parteien haben diese noch nicht ausgeschlossen.
Muslimische Organisationen in den Niederlanden sprachen von „Angst und Not“ unter den eine Million Muslim*innen. Nie sei wirklich in Betracht gekommen, dass die PVV stärkste Partei werden könnte. Nun ist es geschehen. Damit reihen sich die Niederlande ein in die Riege europäischer Länder, deren letzte Wahlentscheidungen von Rassismus und Rechtspopulismus bestimmt waren, wie Italien, Frankreich, Ungarn, Polen, Spanien, Schweden und Finnland. Die nächsten Wahlen des EU-Parlaments stehen 2024 bevor, progressive Entwicklungen lassen sich offenbar nicht erwarten.