Wie jedes Jahr wollen auch am kommenden Mittwoch wieder Nazis in Dresden aufmarschieren, um der Bombardierung der Stadt am 13. Februar 1945 auf ihre eigene Art „zu gedenken“. Der Geschichtsverdrehung durch die Rechtsextremen werden sich, wie in den Jahren zuvor, tausende Demokrat*innen entgegenstellen. „Wir rechnen dabei mit 2.500 bis 3.000 Menschen, die sich an den von uns organisierten Blockaden beteiligen werden“, sagt Silvio Lang, Sprecher des Bündnis „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“ im Interview mit Netz gegen Nazis: „Es ist davon auszugehen, dass sich in diesem Jahr vor allem aktive Menschen aus Sachsen und dabei vorzugsweise dem Dresdner Umland beteiligen werden. Auf eine umfassende bundesweite Mobilisierungsfähigkeit können wir wahrscheinlich nicht bauen.“
Sieg der Demokratie
In den Jahren zuvor gelang es zehntausenden Antifaschist*innen, den rechtsextremen Aufmarsch erfolgreich zu blockieren oder wenigstens stark zu verkürzen. Mehrere Tausend Neonazis mussten stundenlang in eisiger Kälte ausharren und machten ihrem Ärger anschließend in einschlägigen Onlineforen Luft. So schrieb beispielsweise der Nutzer „todesschwadro“ am 14. Februar 2012: „die Möglichkeit für ein würdiges Gedenken der Opfer ist wohl für die Zukunft endgültig versperrt. Die Anti-rechts-Mafia aus Antifa und ‚Zivilgesellschaft‘ hat gewonnen – Wir haben das letzte große Ereignis verloren, für mich zerschlägt sich gerade eine der letzten Perspektiven. Wie soll es weitergehen?“.
Ein Sieg der Demokratie, der bundesweit seinesgleichen sucht. Sogar im benachbarten Ausland gilt die Dresdner Blockade als Vorbild, beispielsweise in Warschau im November 2010, als die jährliche Neonazi-Demonstration aufgrund von Massenblockaden erstmals umgeleitet werden musste und nicht durch die Innenstadt ziehen konnte. Das Bündnis „Nazifrei! Dresden stellt sich quer“ wurde 2012 für den „unermüdlichen Einsatz und den Mut, sich nicht nur den Neonazis entgegenzustellen, sondern auch gegen Widerstände für eine demokratische Protestkultur zu kämpfen“ mit dem Sächsischen Förderpreis für Demokratie ausgezeichnet.
Kriminalisierung und Einschüchterung
Die Dimension der Proteste geht in diesem Jahr über das Blockieren des Naziaufmarschs hinaus. Zwar war auch schon in den Vorjahren die „Sächsische Demokratie“ Thema, in 2013 hat sich die Situation jedoch erheblich zugespitzt. Neben der massenhaften Erfassung von Mobilfunkdaten, die sogenannte Funkzellenabfrage bei den Gegenprotesten 2011, sorgen auch die Immunitätsaufhebungen verschiedener Landtagsabgeordnete, die zum Teil mit gemeinsamen Stimmen von FDP, CDU und NPD erreicht wurden, für Empörung unter den Nazigegnerinnen und -gegnern. Die Proteste gegen den rechtsextremen „Gedenkmarsch“ werden sowohl von den sächsischen Justiz- und Sicherheitsbehörden als auch von der Landesregierung behindert und kriminalisiert. Es scheint den Verantwortlichen dabei in erster Linie um Abschreckung zu gehen, also möglichst viele Menschen schon im Vorfeld davon abzuhalten, sich an den Blockaden zu beteiligen.
Ihren vorläufigen Höhepunkt fand die „Sächsische Demokratie“ am 16. Januar 2013, als das Dresdner Amtsgericht Tim H. zu einer 22-monatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilte, weil dieser sich an den Blockaden des Dresdner Aufmarschs 2011 beteiligt hatte. Dem 36-Jährigen wird vorgeworfen, andere Menschen per Megafon dazu aufgerufen zu haben, Polizeiketten zu durchbrechen. Beweise gibt es dafür nicht, das ist dem zuständigen Richter allerdings egal: „Was andere getan haben, müssen Sie sich mit anrechnen lassen“, erklärte Hans Hlavka. Das Skandalurteil sorgte für Fassungslosigkeit, vor allem vor dem Hintergrund, dass am gleichen Tag ein Urteil gegen die Neonazigruppe Sturm 34 bestätigt wurde: Den Nazis konnten schwere Körperverletzung und Sachbeschädigung nachgewiesen werden, trotzdem wurden lediglich Bewährungsstrafen ausgesprochen.
„Der Mann mit dem Lautsprecherwagen“
Einschüchtern wollen sich die Nazigegner*innen aber nicht: „Die Taktik der Abschreckung, welche von den Institutionen des Freistaats Sachsen und der Versammlungsbehörde der Stadt Dresden stets im Vorfeld der Aufzüge verfolgt wird, motiviert jedoch eher als das sie uns von unserem Engagement abbringen würde“, stellt Silvio Lang vom „Bündnis Nazifrei“ klar.
Mit dieser Einstellung ist er nicht allein. Auch die Junge Gemeinde Stadtmitte aus Jena wehrt sich gegen die Kriminalisierung und Einschüchterung. Der Pfarrer der Gemeinde, Lothar König, muss sich ebenfalls vor Gericht für seine Teilnahme an den Gegenprotesten 2011 verantworten. König soll als der „Mann mit dem Lautsprecherwagen“ verurteilt werden, da er mit dem Fahrzeug „anreißerische und rhythmische Musik”, wie zum Beispiel die „Rolling Stones“, zur Aufwiegelung der Massen abgespielt und damit angeblich zu Steinwürfen animiert haben soll, so die Anklage aus Sachsen.
„Lothar König soll hier als bekannte Symbolfigur stellvertretend für jene kriminalisiert werden, die all jährlich im Februar nach Dresden kommen, um sich den hunderten bis tausenden Nazis dort in den Weg zu stellen“, erklärt ein Sprecher der JG-Stadtmitte: „Die Dresdner Staatsanwaltschaft führt hier ein politisches Verfahren, um Nazigegner*innen abzuschrecken, mit dem Ziel dass in Dresden ‚endlich wieder Ruhe im Dorf‘ einkehrt.“
Auch Lothar König und die Solidaritätsgruppe der JG Stadtmitte lassen sich nicht abschrecken: „Natürlich werden wir auch am kommenden Mittwoch wieder nach Dresden fahren, um uns den Nazis in den Weg zustellen und um der sächsischen Justiz zu zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Betroffene dieser fragwürdigen Justiz sind zwar wenige, gemeint sind jedoch wir alle. Deswegen geht es auch am 13. Februar 2013 nach Dresden – jetzt erst recht!“
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).