Um 17 Uhr war die Erleichterung vielen Dresdner*innen ins Gesicht geschrieben. Das erste Mal seit zwölf Jahren konnte die Neonazis am 13. Februar nicht durch die Innenstadt marschieren. Während auf der einen Seite der Elbe blockiert wurde, gab es auf der anderen Seite ein Friedensgebet und eine Menschenkette. Noch im vergangenen Jahr sah die Situation ganz anders aus. Die Neonazis marschierten, während sich die Demokrat*innen nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen konnten. Sitzblockaden wurde von der Polizei umgehend aufgelöst.
Vielfalt der Aktionsformen
Ganz anders das Bild 2010. Läutende Kirchenglocken, zahlreiche Einwohner*innen mit weißen Rosen als Zeichen des Erinnerns, Vertreter*innen aller demokratischen Parteien zeigten sich öffentlich. Kein Neonazi ließ sich in der Altstadt blicken. Eine Menschenkette schirmte die Innenstadt symbolisch ab. Die Teilnehmer*innen des Friedensgebets entrollen ein Transparent mit der Aufschrift „Für gleiche Rechte aller Menschen. Gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus“.
Am anderen Elbufer wurde blockiert. Im Vorfeld waren Staatsanwaltschaft und Polizei noch gegen Aufrufe zur Blockade vorgegangen. An diesem Samstag blieb die Lage jedoch ruhig, trotzdem alle Wege vom Bahnhof Neustadt blockiert waren. „Dass die Polizei trotz der unübersichtlichen Lage besonnen reagiert hat, geht nicht zuletzt auch auf das Engagement des neuen sächsischen Innenministers zurück“, schätzt Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung, die Lage ein. Der damalige Innenminister Markus Ulbig (CDU) engagiert sich seit Jahren als Schirmherr der Pirnaer Initiative gegen Extremismus und für Zivilcourage.
Am Albertplatz war eine Bühne aufgebaut. 1.500 Menschen hatten sich davor versammelt. Fahnen von Jusos, Gewerkschaften, Linkspartei, VVN und MLPD waren zu sehen. Auch 25 Teilnehmer*innen der Initiative „Zossen zeigt Gesicht“ waren angereist. Noch im Januar war das Haus der Initiative von einem Rechtsextremen angezündet worden und daraufhin vollständig ausgebrannt.
Jochen Distelmeyer, Frontsänger der Band Blumfeld, und Konstantin Wecker sorgten für musikalische Begleitung. Prominente Redner*innen r informierten die Anwesenden über aktuelle Entwicklungen. Franziska Drohsel (damals Bundesvorsitzende der Jusos) fand deutliche Worte, als sie auf das geltende Asylrecht zu sprechen kam. Auch darin seien rassistische Tendenzen wiederzufinden, gegen die man sich zu stellen habe.
Aggressive Neonazis
Ein paar Meter weiter war es nicht so ruhig. Die Blockade verhinderte nämlich nicht nur den Aufmarsch, sondern auch die Anreise der Rechtsextremen. Zum angemeldeten Startzeit der Demonstration waren am Neustädter Bahnhof erst 300 Teilnehmende eingetroffen. Einzelne Gruppen von Rechtsextremen suchten sich daraufhin einen Weg zum Bahnhof. Anhänger*innen der „Autonomen Nationalisten“ griffen vereinzelt Gegendemonstrant*innen an, Steine flogen, Wasserwerfer wurden aufgefahren. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele war zu sehen, wie er sich ein Bild von der Lage vor Ort verschaffte.
Die Polizei verkündete bereits um 15 Uhr, dass ein Aufmarsch nicht stattfinden könne, da die Sicherheitslage der Teilnehmenden von der Polizei nicht gewährleistet werden könne. Freude bei den gegnerischen Engagierten. Frust bei den Neonazis, wieder Rangeleien, vereinzelt flogen Böller und Flaschen auf die Polizei. Um 17 Uhr wurden die angereisten Rechtsextremen wieder in die Züge Richtung Heimat geschickt. Später am Abend randalierten frustrierte Neonazis in Pirna und Gera. Ein friedliche Charakter des Aufmarsches dürfte damit ein für alle mal widerlegt sein.
Engagement statt Wegsehen
Dass der Aufmarsch verhindert werden konnte, stellt zweifelsfrei einen großen Erfolg dar. Doch auch ein bitterer Beigeschmack macht sich breit. Dass auch in diesem Jahr 5.000 Neonazis mobilisiert werden konnten, verdeutlicht die anhaltende Brisanz des Rechtsextremismus. Viele Themen müssen diskutiert werden. Die Versuche die Blockaden im Vorfeld zu kriminalisieren, gehört genauso dazu, wie die Frage, warum die Neonazis ausgerechnet am Bahnhof Neustadt aufmarschieren konnten. Von hier aus hatten die Nationalsozialisten Jüdinnen und Juden mit Zügen deportiert.
Wie im kommenden Jahr mit dem Aufmarsch umgegangen werden soll bleibt offen. Verbote würden das Problem nicht lösen. Andere Orte stehen als Alternative zur Verfügung. In Magdeburg marschierten bereits dieses Jahr rund 800 Neonazis am Tag der Bombardierung der Stadt auf. Im kommenden Jahren könnten es noch mehr werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich das Diskussionsklima in Dresden nachhaltig verbessert. Dass sich ein offenes Diskussionsklima etabliert und das Bewusstsein, dass es eines breiten Bündnisses bedarf, dass mit unterschiedlichen Aktionsformen Gesicht zeigt.
Christian Spiegelberg
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).