Wir haben nun betrachtet, was Politiker*innen und politische Kommentator*innen meinen, warum Menschen die AfD gewählt haben:
- die Politik der Ampel-Regierung aka Versagen der demokratischen Parteien, Protest oder Trotz.
Was AfD-Sympathisant*innen sagen
- vor allem Rassismus, Etabliertenvorrechte, dann noch Identitätspolitik Ostdeutschland, Abgehängtheitsgefühle.
Was Expert*innen meinen
- Wunsch nach autoritärer Bestimmung, nach einem „Volkswillen“, Kontrolle gegen die Biographie-Brüche, Rassismus.
Was Untersuchungen und Umfragen zeigen
- ein rassistisches, nationalistisches, chauvinistisches, rechtsextremes Weltbild und dessen Normalisierung, Unzufriedenheit mit der gelebten Demokratie, Normalisierung menschenfeindlicher Positionen, Verschwörungsglauben.
Nun stellt sich die Frage: Was tun? Was sind Ideen für Gegenstrategien?
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (rp)
- „Den Common Sense in der Mitte der Gesellschaft zu stärken“. Damit rechtsextreme Ideologie dort keine Chance habe.
Lars Klingbeil, SPD-Vorsitzender: (rp ,Handelsblatt, tagesschau)
- Mehr Bürgernähe von Politiker*innen sei ein Mittel gegen das Umfragehoch der AfD.
- „Ich glaube, wir brauchen drei Dinge. Erstens: gute Politik, die die Alltagsprobleme der Menschen anpackt.“ Die Themen seien Löhne, Wohnen, Rente und bezahlbare Energie.“
- „Zweitens: einen politischen Stil, der den Leuten nicht erklärt, wie sie sein sollen, sondern ernst nimmt, was sie umtreibt.“
- „Und drittens: öfter mal raus aus Berlin und mit den Menschen im ganzen Land reden. Wir dürfen nicht „die da in Berlin“ sein.“
- Klingbeil will die AfD mit Sozialpolitik bekämpfen, etwa, indem er den Mindestlohn auf 14 Euro anheben will.
- Die CDU müsse sich bis auf die kommunale Ebene hinab klar gegen die AfD abzugrenzen, die Brandmauer gegen rechts hochzuhalten.
- „Also der Einzige, den ich kenne, der ständig übers Gendern redet, ist Friedrich Merz. Diese unnützen Debatten auf Nebenschauplätzen stärken am Ende nur die, die verächtlich auf unsere Gesellschaft gucken.“
Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident Sachsen:
- „Energiewende, Heizungsgesetz, Flüchtlingspolitik und Russland-Embargo haben der AfD den Sieg gebracht. Diese Themen drohen die Gesellschaft zu zerreißen.“ (taz)
- Politiker griffen zu „Schuldzuweisung und Abgrenzung, statt sich mit unangenehmen Wahrheiten auseinanderzusetzen“. Das sei nicht verantwortungsvoll. (taz)
- „Es muss jetzt um Sachfragen gehen.“ (taz)
- „In Deutschland muss wieder mehr miteinander geredet werden.“ (tagesschau)
- „Bundesregierung und Opposition können in Krisenzeiten durchaus zusammenarbeiten.“
- „Ausgrenzen und Abkanzeln führt uns nicht weiter.“ (gegen Friedrich Merz) (tagesschau)
Wolfgang Bosbach (CDU):
- „Das beste Programm gegen ein weiteres Erstarken der AfD wäre eine deutliche politische Kurskorrektur. Hin zu einer Politik, die den drohenden Wohlstandsverlust der Bevölkerung verhindert, die Wirtschaft stärkt, die Integrationskraft des Landes nicht überfordert und damit aufhört, die Menschen unbedingt belehren und erziehen zu wollen.“ (BILD)
Miriam Dahlke, Die Grünen Hessen:
- „Um der AfD zu begegnen, braucht es einen Dreiklang. Die Regierung, die Opposition, aber eben auch die Wähler:innen haben eine Verantwortung.“ (fr)
- „Das beste Mittel gegen Populisten und Rechte ist gutes Regieren.“ (fr)
Martin Greive, Journalist Handelsblatt
- Die Politik muss den Bürgern die Zukunftsängste nehmen. Statt noch mehr Geld für Soziales auszugeben, sollte die SPD ihre Verantwortung in der Regierung nutzen, das Land durch Reformen zukunftsfest zu machen.
- Dazu gehört auch, offen zu kommunizieren, dass zur Bekämpfung des Klimawandels Entbehrungen nötig sind, die Politik die Bürger dabei aber unterstützt. Dass man Migration braucht, diese aber klar steuert.
- Und es braucht eine andere Ansprache. Um Bürger wieder abzuholen, die nicht rechtsextrem sind, muss die CDU wieder populistischer werden. Das bedeutet auch: Die SPD muss die CDU auch mal „schmutzig“ sein lassen, statt ihr bei jedem Anflug von Populismus direkt vorzuwerfen, das Geschäft der AfD zu betreiben.
Thomas Sigmund, Jornalist Handelsblatt
- Eine allgemeine Bestürzung über den Wahlausgang reicht jedenfalls nicht aus, um die Menschen an den Rändern wieder in die Mitte zu ziehen.
- Was auch nicht funktioniert, ist, die AfD im Tonfall und ihrer Radikalität nachzuahmen.
- Etwas anderes ist es, die Kritik an der Flüchtlingspolitik, dem Heizungsgesetz oder den Unmut über das Gendern zu benennen und offen zu diskutieren.
Else Frenkel-Brunswik Institut, Studie „Autoritäre Dynamiken und Unzufriedenheit mit der Demokratie – Die rechtsextreme Einstellung in den Ostdeutschen Bundesländern“ (Juni 2023)
- Rechtsextreme Einstellungen schwinden nicht, wenn die noch im Nationalsozialismus Erzogenen nicht mehr lebten. Umso wichtiger sind Schulen und Kitas als Orte der Demokratie, sie sind es aber noch nicht. (libmod)
- Auseinandersetzung mit dem autoritären und antidemokratischen Erbe der DDR–Gesellschaft – bisher wird die DDR eher verklärt, auch als unkritische Rückschau auf die eigene Geschichte. Das erschwert auch die Hinwendung zu Demokratie und offener Gesellschaft. (libmod)
- Aufbau einer demokratischen Kultur, wie demokratische Aushandlungen, Widerspruch zu Rechtsextremismus. (libmod)
- Politik muss in Krisen Handlungsfähigkeit beweisen und für Bürger*innen ansprechbar sein (auch Behörden und Ämter). (libmod)
Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker (taz)
- „Wenn es um die Faschisten der AfD geht, brauchen wir einen öffentlichen Freiheitsdiskurs – das Bekenntnis zur Freiheit als Ausgangspunkt.“
- „Ich habe nach 1990 zu meinem Erstaunen unentwegt erlebt, wie Freiheit im Westen von Leuten, die nichts anderes als ihre eigenen Lebensumstände kannten, mit Füßen getreten wurde – aus einer materiellen Sattheit heraus. Wir leben in einem der sichersten, freiesten und sozialsten Ländern der Erde, aber wenn man hört, was nicht nur AfDler, sondern auch viele Linke oder Leute der sogenannten bürgerlichen Mitte erklären, könnte man annehmen, wir leben in einer Diktatur, in der die Mehrheit am Hungertuch nagt.“
- „Wenn wir über die Faschisten der AfD reden, müssen wir uns klar machen: Sie wollen die Grundordnung, die Freiheit abschaffen. Es geht nicht nur um marginale Punkte oder flüchtende Menschen, sondern darum, die Freiheit insgesamt zu verteidigen.“
- Ich bewerte das Verhalten der Gesellschaft und auch Einzelner danach, wie sie mit den Schwächsten der Gesellschaft umgehen.“
- Konkret müssen Brandmauern errichtet werden, die man nicht wieder einreißen darf. (…) Alle Demokrat*innen müssen zusammen stehen und sagen: Na gut, wenn die 30, 40 oder 50 Prozent haben, müssen wir die andere Seite sein.“
- Ich halte es für fatal, wenn wir uns unentwegt auf die konzentrieren, die rummotzen und nicht wollen, die halbe Nazis sind oder ganze, antifreiheitlich oder antidemokratisch. Es muss vielmehr darum gehen, diejenigen zu stärken und zu schützen, die Demokraten und Freiheitsfreunde sind. Das ist die große Mehrheit unserer Gesellschaft.
- Die Politik sollte mal die Sichtweise umdrehen und sich fragen: Wie können wir Leute, die Freiheit und Demokratie wollen, besser schützen?
- Die Gesellschaft sollte sich auf keinen Fall Debatten von Faschisten aufzwängen lassen. Zur AfD-Debatte ums Gendern sollte man sagen: Das sind marginale Geschichten, ihr bauscht das nur auf. Ein Konservativer sollte antworten: Ich selber will nicht gendern, aber das kann trotzdem jeder so machen, wie er will. Punkt. Wenn man diesen Diskursen zu viel Raum gibt, wertet es die AfD auf. Lass die reden. Wir sagen als Demokraten: Das gehört zur Freiheit dazu und gut ist.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP, Ex-Justizministerin (BILD)
- „Die Masche der AfD, dass immer die anderen Schuld sind, funktioniert. Warum nur? Weil die demokratische Politik bei Problemlösungen schwächelt.“
- „Wir haben eine stabile Demokratie, die wir jetzt verteidigen müssen. Jeder von uns, nicht nur der andere. Und dazu gehört auch der Streit zwischen den Parteien. Was helfen würde: Die eklatanten Defizite der AfD-Politik zu diskutieren. Wir haben viel Potenzial. Jetzt ist nicht die Zeit für kleinkariertes Gezänk. Lösungen für die Zukunft sind gefragt.“
Wilhelm Heitmeyer, Gewaltforscher (tz)
- Ich kann auf jeden Fall sagen, dass der Schrei nach einem Parteienverbot, der an verschiedenen Stellen positioniert wird, nach hinten losgehen würde.
- Aus meiner Sicht muss die Politik die Menschen anders wahrnehmen und sicherstellen, dass ihre Stimmen gehört werden.“
Soziologe Klaus Dörre Spiegel
- Ein Anfang wäre, die Berechtigung vieler Entwertungsgefühle anzuerkennen. Die Lohnungleichheit ist real, auch die Geringschätzung nach dem Motto: Arbeiter wird nur, wer nicht studieren und ins Büro gehen kann.
- Die Tarifkämpfe im öffentlichen Dienst, bei der Post und jetzt der Bahn zeigen, dass Gewerkschaften Selbstwert organisieren können: Arbeiter, nehmt die Köpfe hoch! Wir haben als Kollektiv Erfolg.
- Solche Erfahrungen sind wichtig. So können sie die Fähigkeit zur Auseinandersetzung auf Augenhöhe schafft und die innere Zerrissenheit und Destruktivität der AfD aufzeigen kann. Sie positioniert sich als politische Kraft der Freiheit gegen den Staat, gegen jede Gängelung und Einmischung – und will damit für Kleinunternehmer und Arbeiter gleichermaßen attraktiv sein. Aber das passt überhaupt nicht zusammen.
- Ehrlicherweise kenne ich auch kein Patentrezept zur Eindämmung der AfD. Eins ist jedoch sicher: Die Gewerkschaften sind die einzigen zivilgesellschaftlichen und demokratischen Organisationen, die diese Arbeiter überhaupt noch erreichen
Sven Lehmann (Grüne), Parlamentarischer Staatssekretär im Familienministerium (taz)
- „Der Erfolg der AfD in Sonneberg zeigt uns mit aller Deutlichkeit, wie wichtig Demokratieförderung und Extremismusprävention sind.
- Er hoffe, dass das Gesetz in der zweiten Jahreshälfte im Bundestag beschlossen werde könne. Doch die FDP hatte zuletzt blockiert.
- „Um demokratisches Bewusstsein und demokratische Werte überall in unserer Republik zu stärken, brauchen wir ein Demokratiefördergesetz, das die Zivilgesellschaft vor Ort unterstützt und nachhaltig stärkt.“
Anetta Kahane, FR-Kolumnistin und ehemalige Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung
- „Klarheit ist jetzt angesagt. Erpressungen und Drohungen [der Menschen im Osten nachzugeben, jetzt immer rechter zu wählen], hat noch nie geholfen. Diplomatisch sein ja, Appeasement nein! Eine andere Sprache verstehen Autoritäre nicht. Nirgendwo in Deutschland.“
Zusammenfassend lässt sich sagen
- Ein Teil der genannten Gegenstrategien-Ideen liest sich wie „Politik, regiert halt besser!“ Das wäre zwar sicher nicht verkehrt, doch was genau dieses „Besser“ sein soll und wie es zu erreichen ist, darüber herrscht weitestgehende Unklarheit, erst recht zwischen der demokratischen Mehrheit und den AfD-Sympathisant*innen. So bildet sich vor allem die Komplexität des Problems ab.
- In Krisensituationen versuchen konservative Parteien bisweilen, rechtspopulistische Narrative aufzunehmen, und stärken damit nur das rechtsextreme Original, weil sie dessen Diskussionspunkte legitimieren und normalisieren – dies ließ sich zuletzt in allen europäischen Ländern beobachten, die dann Faschisten in Führungspositionen gewählt haben. Genauso führte die Antwort auf die rassistischen und rechtsextremen Gewalttaten der 1990er Jahre – die Verschärfung der Asylgesetzgebung – nicht zu weniger Rassismus in den Köpfen, dafür aber für mehr scheinbar legitimierten Rassismus im Alltag. Trotzdem diskutiert die Politik schon wieder auf diesem Level.
- Zugleich erscheinen Lösungsideen wie „Mehr Sozialleistungen“ aus SPD-Sicht vielleicht als plausibel, aber alle Forschung und Umfragen zeigen, dass es den Menschen, die die AfD wählen, im Durchschnitt nicht sozial schlecht geht, dass die soziale Lage kaum Einfluss auf ihre Meinungsbildung hat. Es hängt nicht am Geld, wenn Menschen Geflüchteten die Hilfe neiden – es ist Rassismus.
- Was bleibt? Die demokratische Zivilgesellschaft. Die Menschen vor Ort stärken, die sich für Demokratie einsetzen, für Mitsprache, für gleichwertige Teilhabe aller Menschen einer Kommune, für klare Grenzen zu Menschenfeindlichkeit und Hass. Die kann auch die Freiheitsdiskurse vor Ort führen. Oder in demokratische Parteien eintreten, damit die in den Kommunen auch wieder ein Gesicht haben. Oder Präventionsarbeit in Schulen macht und erklärt, wie Demokratie funktioniert und wie jede*r mitnehmen kann – zumindest, solange die AfD sie noch lässt.
Diese Antwort gibt die Amadeu Antonio Stiftung seit Jahren. Deshalb ist immer wieder gut, sie auf Richtigkeit zu überprüfen. Sie bleibt aber richtig.
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