Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Gender – (k)ein Thema in digitalen Spielewelten?

"Not in the kitchen anymore" gibt es auch bei Facebook (Bild) und Twitter. (Quelle: Screenshot Facebook 14.04.2016)

Zu Beginn der Ausbreitung des Internets vertraten einige Pädagog_innen und Wissenschaftler_innen die hoffnungsvolle Utopie, aufgrund der möglichen Anonymität und seiner breiten Zugänglichkeit werde das Internet ein offener und freier Ort werden. Insbesondere Avatare, also die fiktiven Charakterdarstellungen von Spielenden, erschienen als einfache Möglichkeit, mit den eigenen Identitäten zu spielen, über den eigenen Horizont hinauszublicken und neue Perspektiven zu entwickeln. Diese Erwartungen wurden nicht erfüllt, denn schon die im Spiel angelegten Designs sind geprägt und begrenzt durch rigide zweigeschlechtlich normierte Vorstellungen der Entwickler_innen. Avatare sind nur bedingt modifizierbar und folgen oft bekannten sexistisch und rassistisch konnotierten Mustern, was Aussehen und Attraktivität betrifft. Es entsteht ein normierter Körper, der meistens weiß und attraktiv ist, mit männlich und weiblich stark verschiedenen Charakteristika, die den gängigen Klischees folgen: Männer werden stark und raumeinnehmend präsentiert, Frauen fragil und emotional.

Ohnehin folgen die Mechanismen und Geschichten populärer Spiele fast immer gängigen Geschlechterstereotypen: Der Mann ist der (einzig spielbare) Held und Frauen sind bestenfalls passives Beiwerk, das gerettet werden muss.

Die Ebene der Spielgemeinschaften

Diese Probleme zeigen sich nicht nur auf der Ebene der Repräsentation, sondern auch in verschiedenen Gemeinschaften von Computerspieler_innen, in denen die in den Spielen gezeigten sexistischen Muster und Rollenstereotype übernommen werden. Einen Höhepunkt – zumindest der internationalen medialen Aufmerksamkeit – hatte dieses Phänomen im Sommer 2012, als die feministische Medienkritikerin Anita Sarkeesian ankündigte, digitale Spiele mit Blick auf die Rolle von Frauen untersuchen zu wollen. Die offene Wut einiger Spieler_innen gipfelte in einer Flut von Todes- und Vergewaltigungsdrohungen. Seit August 2014 gab es ähnliche Angriffe unter dem Twitter-Hashtag »Gamergate« auch gegen andere Frauen. Diese Aggression trifft nicht nur Frauen, die sexistische Verhältnisse im Gaming-Bereich thematisieren, sondern durch den verschwörungstheoretischen und misogynen Hintergrund dieser losen, anonymen Gruppe sind auch viele andere davon betroffen. Die Frauen werden dabei angegriffen als Sinnbild für einen inklusiven Wandel der Spieleindustrie, die langsam aber zunehmend diversere Spielaspekte entwickelt. Betroffene sehen sich neben klassischen »Shitstorms« im Bereich ihrer Auftritte in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook immer wieder auch »Doxxing«, dem Veröffentlichen privater Informationen wie Adressen und Fotos im Internet, ausgesetzt.

Die Ideologie der Gleichheit

An derartig aufsehenerregenden Fällen zeigt sich deutlich, wie stark die digitale Spielwelt sich als Männerdomäne wahrnimmt und Weiblichkeit darin abgelehnt bzw. abgewertet werden. Dabei hat die Spieleindustrie schon lange andere Entertainment-Zweige überholt, was Umsätze und Gewinne angeht – und das auch, weil Frauen nicht wesentlich weniger spielen als Männer. Dennoch bleibt das Bild des männlich-heterosexuellen Spielers nicht nur in den Medien, sondern auch bei Gamenden selbst vorherrschend. Die als Netzphänomen weit verbreiteten sogenannten »rules of the internet« greifen gängige Vorurteile auf, indem sie als Regel 30 »there are no girls on the internet« und Regel 31 »TITS or GTFO« (»tits or get the fuck out«) beinhalten. Dies, so erklären anonyme User auf in der Szene beliebten Websites, stehe nicht für Ignoranz, sondern für Gleichberechtigung, denn die Anonymität des Internets lasse alle User geschlechtslos erscheinen. Wenn Frauen als solche identifizierbar seien, wollen sie nur Männer manipulieren, um die gleichen Vorteile zu erhalten, die sie im OfflineLeben durch ihre sexuelle Machtstellung hätten. Um ihnen diese wieder zuzugestehen, solle man dafür zumindest ihre Brüste sehen dürfen. Diese extreme Form der Objektivierung von Frauen und die Relativierung von alltäglichem Sexismus dienen als moralische Grundlage für (sexuelle) Belästigung. Die Sichtweise, Männer seien gesellschaftlich unterprivilegiert, zieht sich ebenso zynisch durch einen Großteil der Argumentationen wie die Orientierung an einer männlichen Norm. Die mangelnde Einsicht in die eigenen Privilegien bringt auch Unverständnis darüber mit, was Herrschaftsverhältnisse und Sexismus kennzeichnet und verhindert so eine reflektierte Debatte.

Sexismus als Alltag im Spiel

Diese ideologische Grundlage verdeutlicht, warum ein Großteil der Frauen in Online-Multiplayer-Spielen von (sexueller) Belästigung berichtet. Viele Frauen sind beim Eintritt in die Szene besonders stark von Sexismus betroffen, weil sie sich wie alle Neulinge zuerst beweisen müssen und zusätzlich gegen gängige Vorurteile kämpfen. So zum Beispiel, dass sie nur als »attention whore«, d.h. um die Aufmerksamkeit von Männern zu erhalten, Computerspiele spielen würden. Denn der Diskurs innerhalb der Szene positioniert Jungen als »natürlich« innerhalb dieses technischen Rahmens und Mädchen als marginalisierte Teilnehmerinnen ohne Wissen und Können.

Dabei manifestiert sich geschlechterdiskriminierendes Verhalten in der digitalen Spielwelt nicht immer direkt. In Clans, den Zusammenschlüssen von Spielenden, finden sich geschlechtskodierte Verhaltensweisen, in denen beispielsweise Jungen eher die Team-Leader sind und Mädchen sozial konnotierte Zusammenkünfte in der Offline-Realität planen. Selbstverständlich lässt sich diskriminierendes Verhalten innerhalb von Computerspielen nicht pauschalisieren. Multiplayer-Spiele-Gemeinschaften entwickeln wie alle Szenen abhängigvom Spiel-Modus und den Kommunikationsmöglichkeiten unterschiedliche Verhaltensweisen, in denen sich spezifische Normen und Werte etablieren. Es ist ein Irrglaube, dass diese sozialen Praktiken nicht in die »reale Welt« hinübergetragen, sondern Teil der Spielwelt bleiben würden. Es existiert die Vorstellung, »Trash Talk« oder »Hate Speech« hätten keinerlei Auswirkung auf Betroffene und Aggression sei normaler Teil kompetitiven Spiels. Diese Idee zeigt sich in Foren, in denen zahlreiche Gamer_innen argumentieren, Betroffene sollten Angriffe und Verletzungen einfach ignorieren und sich »ein dickes Fell zulegen«. Die Verantwortung für den Umgang mit diskriminierenden Äußerungen wird somit den Opfern und nicht den Täter_innen zugeschoben.

Widerstand ist möglich und nötig

Die von den Entwickler_innen eingebauten technischen Lösungsansätze zur Begrenzung von Hate Speech innerhalb von Spielen sind oft nahezu nutzlos. Deshalb greifen viele Betroffene, insbesondere Frauen, auf defensive individuelle Lösungen zurück. Dies sind in der RegelVermeidungsstrategien, also sich aus digitalen Spielen zurückzuziehen oder – soweit möglich – nicht als Teil einer diskriminierten Minderheit aufzufallen (z.B. männliche Avatare und Nicks benutzen, Sprach-Chats vermeiden). Daneben gibt es aber auch organisierte Ansätzevon Frauen für Frauen, sich gegen Aggressionen und Diskriminierungen zu wehren sowie die Ineffizienz der im Spiel vorhandenen technischen Umgangsmöglichkeiten bloßzustellen.

Community-Sites wie www.notinthekitchenanymore.com sammeln anonym sexistische Kommentare und veröffentlichen diese. Durch die Menge an Daten widerlegen sie dann auch die Argumentation, Übergriffe im Gaming-Bereich seien Einzelfälle. Auf anderen Websites organisieren sich Frauen zum gemeinsamen Spielen und solidarischen Austausch, um dem sexistischen Alltag etwas entgegenzusetzen. Insofern bieten Computerspiele als Plattform ebenfalls die Möglichkeit, Solidarität zu erleben und patriarchal strukturierten Raum zu hinterfragen.

Es ist, was es ist

Obwohl klar ist, dass digitale Spiele gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse (re-)produzieren, müssen auch die Potenziale gesehen werden. Spiele und ihre Szenen sind gesellschaftlich geprägt und bieten dennoch die Möglichkeit, sich relativ unabhängig vom Aufenthaltsort zuerfahren, auszuprobieren und sozial zu vernetzen. Die Lösung der beschriebenen Probleme kann folglich keine pauschalisierende Kritik, sondern muss eine differenzierte Auseinandersetzung sein.

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre „Gaming und Hate Speech – Computerspiele in zivilgesellschaftlicher Perspektive“ der Amadeu Antonio Stiftung. 

Mehr Infos und die Broschüre als PDF zum Download hier.Alle Artikel der Broschüre, die auf Belltower.news erschienen sind: Broschüre 2015

 

Weiterlesen

Eine Plattform der