Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Genozid, Apartheid, „Free Palestine” Die wichtigsten Antworten auf Thesen im Informationskrieg zum Nahostkonflikt

Von|
Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg veröffentlicht am 20. Oktober 2023 auf Instagram diesen Post. Angesprochen auf ihre mangelnde Solidarität mit den Opfern des Hamas-Terrors in Israel bekundigte sie ihr Mitgefühl - hinterher und halbherzig. (Quelle: Instagram)

Seit dem 7. Oktober 2023 und dem Terrorangriff der Hamas auf Israel mit über tausend Opfern tobt auch im Rest der Welt ein Informationskrieg. In den sozialen Medien – vor allem auf Twitter (heute X), TikTok und Instagram – gibt es weniger Solidarität mit den Opfern des Terrors – vielmehr hagelt es Vorwürfe gegen Israel. Der jüdische Staat begehe einen Genozid in Gaza, heißt es, die Angriffe der israelischen Armee in dem Küstenstreifen seien ethnische Säuberungen und ohnehin herrsche in Israel Apartheid.

Israelfeindliche Aktivist*innen skandieren auf Demos währenddessen „Free Palestine” und „From the River to the Sea” und schaffen es nicht, sich vom Terror der Hamas zu distanzieren. Was bedeutet das eigentlich alles und was hat es mit den Vorwürfen gegen Israel auf sich? Und was kann ich Freund*innen, Kolleg*innen oder andere Personen in meinem Umfeld entgegnen, wenn sie antiisraelische und antisemitische Propaganda verbreiten?

Begeht Israel einen Genozid in Gaza?

„Genozid“ oder „Völkermord“ ist eigentlich ein juristischer Begriff und ist seit 1948 ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht, der auf Raphael Lemkin zurückgeht, einen polnisch-jüdischen Friedensforscher. 1948 beschließen die Vereinten Nationen die „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords“ In der Konvention wird der Begriff „Genozid“ definiert als

„eine der folgenden Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: a) das Töten eines Angehörigen der Gruppe, b) das Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden bei Angehörigen der Gruppe, c) die absichtliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen, d) die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung, e) die zwangsweise Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe“

Sicher kann man Handlungen der israelischen Regierung und der Streitkräfte (IDF) gegenüber den Palästinenser*innen und in Gaza kritisieren. Fakt ist aber: Keine dieser Handlungen erfüllt auch nur im Entferntesten den Straftatbestand des Genozids.

Israel versucht nicht, die Palästinenser*innen auszurotten. In der sogenannten „Nakba“ (dt. Katastrophe) verließen bis zu 750.000 Palästinenser*innen ihre Heimat, zum Teil freiwillig, zum Teil wurden sie von der israelischen Armee, aber auch zionistische Milizen vertrieben. Heute existieren Schätzungen zufolge etwa 14 Millionen Palästinenser*innen auf der ganzen Welt. 5,3 Millionen davon leben in Gaza und den besetzten Gebieten, 1,7 Millionen in Israel und etwa sieben Millionen in anderen (zumeist arabischen, aber auch westlichen) Ländern. Zudem gibt es keine Bemühungen Israels zur „Geburtenverhinderung“ und auch Kinder werden von Israel nicht „zwangsweise überführt“. Bezeichnend ist allerdings, dass Hamas-Terroristen während des Angriffs vom 7. Oktober mehrere Kinder aus Israel nach Gaza verschleppt haben.

Auch wenn sicherlich zivile Opfer im Krieg gegen die Hamas zu beklagen sind, ist die IDF wie auch in vorherigen Einsätzen in Gaza bemüht, diese Zahlen so niedrig wie möglich zu halten. Dafür hat Israel unterschiedliche Strategien: Bewohner*innen von Häusern, die bombardiert werden sollen, werden mit Flyern oder dem sogenannten „Dachklopfen“ – Beschuss mit nicht explodierender Scheinmunition ohne Sprengkopf – vorgewarnt, damit sie rechtzeitig fliehen können. Vor der vermutlich kommenden Bodenoffensive rief Israel die Zivilbevölkerung Gazas zur Flucht auf und garantierte einen Fluchtkorridor in den Süden des Gazastreifens.

Israel des Genozids zu bezichtigen relativiert damit auch tatsächliche Genozide. Zum Beispiel den Holocaust, den Völkermord an den Armenier*innen oder den Genozid an den Tutsi in Ruanda. Gleichzeitig ist es eine Dämonisierung: Israel wird eines der schlimmsten Verbrechen bezichtigt, das ein Staat begehen kann.

Alle rufen Free Palestine”, aber – wie frei ist Palästina, wenn die Hamas sich durchsetzen könnte? 

Die Hamas möchte einen Islamischen Staat Palästina errichten will. Es geht ihr also nicht in erster Linie um Freiheit oder bessere Lebensbedingungen für die Menschen in Gaza, sondern um die Errichtung eines religiösen Staates auf dem heutigen Gebiet von Palästina und Israel. Israel muss entsprechend zuvor „erobert” werden soll. Begründet wird dies u.a. mit der Verschwörungserzählung einer (nicht existenten) jüdisch-zionistischen Weltverschwörung, gegen die man sich zur Wehr setzen müsse, als Beleg dafür werden die gefälschten und längst widerlegen „Protokolle der Weisen von Zion” benannt. Wobei die Vernichtung Israels von der Hamas nicht als einziges Ziel genannt wird. In der Hamas-Charta heißt es auch: „Die Hamas betrachtet sich selber als Speerspitze und Vorhut des gemeinsamen Kampfes gegen den Welt-Zionismus … Islamische Gruppen in der ganzen arabischen Welt sollten das Gleiche tun, da sie für ihre zukünftige Aufgabe, den Kampf gegen die kriegstreiberischen Juden, bestens gerüstet sind.“

Kein Wunder also, dass die USA und die EU die Hamas als islamistische Terrororganisation einstuft – zumal die Hamas auch entsprechende Terrorattentate aufführt, allerdings ohne ihrem Ziel nahezukommen. Hamas ist die Abkürzung für „Islamische Widerstandsbewegung” in Arabisch. Die Bewegung entstand als Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft und verstand sich als Gegenpol zur palästinensischen Befreiungsorganisation PLO in Gaza. Die Hamas trat zunächst nicht als politischer Akteur auf, sondern als reine Wohltätigkeitsorganisation – was ihr viele Sympathien einbrachte. Aber das ist bereits seit 2006 vorbei, seit die Hamas erstmals die Wahlen in Gaza gewann. Heute besteht die Hamas aus einem militärischen Arm, den Kassam-Brigaden, einem sozialen Hilfswerk und einer politischen Partei. Wenn Palästina ein islamischer Staat würde, hätte das schwerwiegende Folgen für die Menschenrechte von Personen, denen im Islam nicht die gleichen Rechte zugesprochen werden wie männlichen gläubigen Muslimen – etwa Frauen, LGBTIQ*, Nicht-Muslimen. Weshalb auch nicht wenige Palästinenser*innen lieber im demokratische Israel leben.

Was passiert mit Israel, wenn die Hamas sich durchsetzen könnte?

Die Hamas hat 1988 eine Charta veröffentlicht, die bis heute nicht widerrufen wurde. Die Charta propagiert als zentrales Ziel der Hamas die totale Zerstörung des Staates Israel durch den Heiligen Islamischen Krieg (Jihad). Schon in der Präambel der Charta wird bekräftigt: „Israel existiert und wird weiter existieren, bis der Islam es ausgelöscht hat, so wie er schon andere Länder vorher ausgelöscht hat.“ Dem Motto der Charta folgend, forderte die Hamas ihre Anhänger*innen im Oktober 1990 mit einem Flugblatt zum Mord an Jüdinnen*Juden auf: „Jeder Jude ist ein Siedler, und es ist unsere Pflicht, ihn zu töten.“

Kurzum: Das angebliche “freie Palästina” soll ein Palästina ohne jüdische Menschen sein, denen das Existenzrecht abgesprochen wird. “From the river to the sea” meint genau dies: Kein Israel mehr. Keine Jüdinnen*Juden mehr. Und diese sollen nicht nur vertrieben werden – sondern getötet. Das ist eliminatorischer Antisemitismus, also Antisemitismus mit Vernichtungsabsicht.

Ist Israel ein Apartheidstaat?

Das Wort „Apartheid“ (wörtlich „Getrenntheit“) hat eine juristische Bedeutung und basiert auf dem System der „Rassentrennung“ die bis 1994 in Südafrika herrschte. Es gibt eine Definition für den Begriff „Apartheid“ im Völkerrecht, die während des südafrikanischen Regimes entstand und sich darauf bezog.

Die Anti-Apartheidskonvention (AAK) definierte Apartheid 1973 als „unmenschliche Handlungen, die zu dem Zweck begangen werden, die Herrschaft einer rassischen Gruppe über eine andere rassische Gruppe zu errichten und aufrechtzuerhalten und diese systematisch zu unterdrücken“. Dazu gehört „die Politik und Praxis der Rassentrennung und -diskriminierung, wie sie im südlichen Afrika betrieben werden“, heißt es weiter. Die Definition wurde nach dem Ende des Regimes in Südafrika ins „Römische Statut“ aufgenommen, das die Basis für die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag bildet. Angeklagt oder verurteilt wurden wegen des Tatbestandes aber bis heute weder Einzelpersonen, Staaten noch Institutionen. Doch auch wenn diese juristische Definition verwendet wird, trifft sie nicht auf Israel zu.

Zwischen 1948 und 1994 wurden in Südafrika durch zahlreiche Gesetze und Institutionen eine „Rassentrennung“ aufrechterhalten, die die ökonomische und politische Überlegenheit der weißen Minderheit stabilisieren sollte. Schwarze und anderen Bevölkerungsgruppen durften kein Land besitzen, hatten kein oder nur ein extrem eingeschränktes Wahlrecht. Öffentliche Gebäude, etwa Krankenhäuser, Postfilialen, Banken und auch öffentliche Toiletten, hatten zwei Eingänge: einen für die weiße Minderheit, einen für die Schwarze Bevölkerung. Andere Gebäude oder Einrichtungen durften gleich gar nicht von Schwarzen betreten oder benutzt werden. Nichts davon ist der Fall in Israel.

Hier weiterlesen: Warum Israel kein Apartheidstaat ist

Die Apartheid in Südafrika beeinflusste das gesamte Leben der Schwarzen Bevölkerung: Schule und Ausbildung, Arbeitsplatz und Wohnort, den Krankenwagen und das Krankenhaus, auf welche Bank Menschen sich im Park setzen oder welchen Strand sie besuchen durften, ohne verhaftet zu werden. Schon deshalb dämonisiert der Apartheid-Vergleich Israel und verharmlost gleichzeitig das Unrechtsregime in Südafrika.

Mohammed El-Kurd, eine der wichtigsten Stimmen für die palästinensische Sache sagt selbst, dass das Wort „Apartheid“ ein Instrument ist, um den Blickwinkel auf den Konflikt zu ändern. Und er sagt, dass ihm die Richtigkeit dieses Vorwurfs egal ist.

Apartheid, aber auch Genozid und ethnische Säuberungen sind Kampfbegriffe, Superlative, die eine Dämonisierung bedeuten — das ist der Versuch, Israel für die schlimmsten Verbrechen, die ein Staat begehen kann, schuldig zu sprechen. Es fällt leichter, einem Staat das Existenzrecht abzusprechen, der das ultimative Verbrechen Apartheid begeht. Das ist die Strategie, die hinter diesem Vorwurf steht.

Diese Strategie macht aber eben auch deutlich, dass es nicht um die reale Situation der Palästinenser*innen geht: Den Rassismus unter dem Palästinenser*innen in Israel und in den besetzten Gebieten leiden, die Diskriminierungen im Justizsystem, durch Polizei und Behörden, die neue Regierung, die die Situation verschlimmern wird, auch die katastrophale Situation der Palästinenser*innen in den umliegenden Ländern, zum Beispiel im Libanon oder in Jordanien. Die Dämonisierung macht eine ernsthafte Auseinandersetzung unmöglich. Es geht nicht darum, die Situation von real existierenden Palästinenser*innen zu verbessern. Es geht darum, das Israel nicht mehr existieren soll.

Sind alle Illuminati, die sich jetzt solidarisch für Israel äußern?

Das ist ein Argument, dass immer wieder in Internet-Livestreams zu hören ist, etwa in Hip Hop- und Kultur-Zusammenhängen: Jemand gehöre zu den Illuminaten und müsse deshalb Solidarität mit Israel zeigen. Was damit gemeint ist? Seit dem Mittelalter gibt es Gruppen, die sich Illuminati nennen, auf Deutsch: „Die Erleuchteten”. Manche davon waren mystische Glaubensgruppen, aber wenn heute von „den Illuminati” die Rede ist, ist in der Regel eine Geheimgesellschaft aus dem Barock, also aus dem 18. Jahrhundert, gemeint, der Illuminaten-Orden. Er hatte sich dem Ideal der Aufklärung und Freiheit verschrieben – wurde 1776 in Ingolstadt gegründet und schon 1785 wieder verboten.

Seitdem gibt es zahlreiche Verschwörungserzählungen über das angebliche Fortbestehen der Illuminati, und die angeblichen geheimen Tätigkeiten der nicht existenten Gruppe. Laut Verschwörungsnarrativen gehören dazu die Französische Revolution, der Kampf gegen die katholische Kirche und das Streben nach Weltherrschaft.

Viele dieser Aktivitäten unterstützen eine progressive, wissenschaftsbasierte, moderne Weltsicht – was von je her mit Jüdinnen*Juden assoziiert wird. Und das Narrativ der vermeintlich angestrebten jüdischen Weltherrschaft ist eines unsinnigsten, damit aber eines der beliebtesten und gefährlichsten Verschwörungsnarrative weltweit. Also: Wenn jemand sagt, Sänger X oder Politikerin Y sei ein Mitglied der (nicht existenten) Illuminati, ist gemeint: Die Person steht unter dem Einfluss von Jüdinnen*Juden oder ist selbst Teil der (nicht existenten) Weltverschwörung. Wer das ernsthaft glaubt, hat den Boden der Realität verlassen, diskreditiert sich als Gesprächspartner*in zum Thema – und erweist sich zudem noch als resistent für faktische Argumente.

Helfen Angriffe auf Jüdinnen*Juden in Deutschland dabei, die Situation in Israel zu ändern?

In Sozialen Netzwerken wie TikTok rufen Menschen dazu auf, in Deutschland Jüdinnen*Juden anzugreifen, das werde einen Handlungsdruck auf die israelische Regierung erhöhen. Wer einmal nachdenkt, kann erkennen, auf wie vielen Ebenen das falsch ist: Jüdinnen*Juden in Deutschland haben keine Verantwortung für die israelische Politik – hier wird also zur Gewalt auf völlig Unschuldige aufgerufen. Das erhöht erst einmal – zu Recht – den Handlungsdruck auf deutsche Behörden: Die ermitteln dann nämlich gegen die Menschen, die zu Gewalt aufrufen – weil das eine Straftat ist. Die israelische Regierung wird sich dadurch eher nicht unter Druck setzen lassen, weil sie die Verantwortung nicht zu Unrecht in den Ländern sieht, wo die Gewalt passiert. Und sollte die israelische Regierung sich doch unter Druck setzen lassen, wäre die Antwort recht sicher ein Militärschlag gegen die Hamas. Weil diese aber absichtlich ihre Quartiere in Wohnvierteln einrichtet, werden dabei wieder viele Zivilist*innen in Palästina getötet und deren Leid vergrößert.

Weiterlesen

TikTok Tests Ad-free Subscription Service

Hass auf Israel Antisemitismus auf TikTok

Desinformationen über Demonstrationsverbote in Deutschland, Täter-Opfer-Umkehr-Trendvideos und falsche Analogien – So kommen junge Menschen mit israelbezogenem Antisemitismus aktuell auf TikTok in Berührung. Was hilft dagegen?

Von|
Eine Plattform der