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„Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“ Was steht im Entwurf zur verschärften Strafverfolgung in der Online- und Offline-Welt? 

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Symbolbild "No Hate"

Die Bundesregierung möchte aktiv werden in der „Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“, offline und online. Hierzu wird heute ein erster Gesetzesentwurf ins Kabinett eingebracht. Er verkörpert die Umsetzung des Maßnahmenpaketes, dass Bundesinnenminister Horst Seehofer mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey im Oktober 2019 angekündigt hatte (vgl. BTN).

Das heißt, in dem Entwurf geht es zum einen um eine Verschärfung des erst 2017 eingeführten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (hier die  Kritik der Amadeu Antonio Stiftung am NetzDG 2017), und zum anderen um Maßnahmen in der Strafverfolgung in der Offline-Welt (hier die Stellungnahme zu diesem NetzDG-Entwurf aus dem Januar 2020 der Amadeu Antonio Stiftung).

Dieser Gesetzesentwurf ist vor der Einbringung ins Kabinett jetzt noch einmal überarbeitet worden.  Ein guter Anlass, um zu versuchen, einen zusammenfassenden Überblick darüber zu geben, was denn nun in dem 56-seitigen Papier steht.

1. Was will der Entwurf?

Der Entwurf möchte grundsätzlich etwas Gutes: mehr und effektivere Strafverfolgung in Sozialen Netzwerken bei Hassrede – und ein paar Verschärfungen von Strafrecht und Regelungen im Offline-Bereich.

Hierfür könnte eine Weiterbildung in Polizeistrukturen und Justizstrukturen zum Verfolgen von Meinungsäußerungs-Straftaten online hilfreich sein, Aufstockung der personellen Mittel, Bildung von spezialisierten Polizeistellen und Staatsanwaltschaften für Hasskriminalität online, bessere Kommunikationswege zwischen Netzwerken und Strafverfolgungsbehörden. Das steht nicht im Gesetzesentwurf.

2. Hilfreich für Engagierte: Melderegistersperren

Der Entwurf verspricht mit einer Änderung des Bundesmeldegesetzes Erleichterung bei Melderegistersperren, die für gefährdete Personen beantragt werden können. Das sollte zunächst für Kommunalpolitiker*innen gelten – nun aber auch für „Personen, die durch ihr berufliches oder ehrenamtliches Engagement (…) in den Fokus gewaltbereiter Personen oder Gruppen geraten“. Eine sinnvolle Erweiterung. Ebenfalls hilfreich: Wer eine Melderegistersperre hat, soll informiert werden, wenn jemand versucht, die Adresse anzufragen.

3. Zentraler Punkt: Die Meldepflicht für „bestimmte Straftaten“ durch die Sozialen Netzwerke.

Eingeführt werden soll mit dem Entwurf eine Meldepflicht für „bestimmte Straftaten“ durch die Sozialen Netzwerke: Bisher sollen die nach NetzDG gemeldete Posts geprüft und bei Verstoß gegen die „Community Guidelines“ oder das Strafrecht gelöscht werden. Dann gibt es aber keine Strafverfolgung. Jetzt sollen die Netzwerke deshalb Inhalte an das Bundeskriminalamt melden.

Das heißt: Das Netzwerk erhält zukünftig eine Meldung durch Nutzer*innen (nur um gemeldete Inhalte geht es). Wenn der Content Moderator des Netzwerks findet, dass der Inhalt strafbar sein könnte, muss er den Inhalt samt IP-Adresse und Portnummer an das BKA melden.

Problem: Die Mitarbeitende der Moderationsteams sind in der Regel keine Jurist*innen. Das heißt, mit dieser Praxis verschiebt sich die Rechtseinschätzung über eine Meinungsäußerung – eigentlich eine klare staatliche Aufgabe von Staatsanwält*innen – auf Privatunternehmen. Dies ist umso bedenklicher, weil es sich bei einem Großteil der Hasskriminalität online eben um Meinungsäußerungsdelikte handelt, die nicht einfach und eindeutig einzuschätzen sind.

Im Entwurf wird auch begründet, warum der Gesetzgeber meint, das sei trotzdem eine gute Idee: Laut der NetzDG-Transparenzberichten der Netzwerke seien 80 Prozent der darunter gemeldeten Posts „offensichtlich rechtswidrig“, würden also in 24 Stunden gelöscht. Und diese Inhalte könne man dann ja entsprechend schnell weitermelden. Im Entwurf ist die Rede von einer geschätzte Zeit für die Einschätzung und Weiterleitung einer Meldung von schmalen 10 Minuten. Aufwändigere Entscheidungen (das Gesetz geht von 20 Prozent der Fälle aus) bräuchten 60 Minuten Bearbeitungszeit.

Wenn Gerichte über Volksverhetzung entscheiden, dauert das deutlich länger.

Interessant dabei: Im aktuellen NetzDG werden den Netzwerken klare Vorgaben gemacht, dass die meisten Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu klären seien, sonst drohen Bußgelder. Ob also die Angaben in den Berichten eine gute Grundlage für die Berechnung von Bearbeitungszeiten ist?

Im Entwurf wird übrigens festgestellt: „Es steht nicht zu erwarten, dass die Anbieter zu viele Inhalte als strafbar melden.“ Warum nicht? Die Anbieter würden wohl „ihrer Prüfpflicht gerecht werden und keine Inhalte weitergeben, die nicht strafbar sind.“ Diese Annahme ist schwer nachzuvollziehen, wenn doch die Prüfung der Inhalte durch Content Moderator erfolgt, die sich in diesem komplizierten Themenfeld natürlich irren können und werden.

Auch interessant: Betroffene sollen erst nach vier Wochen informiert werden, dass ihre Daten an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben wurden.

3a. Welche Straftatbestände sollen gemeldet werden?

Laut Entwurf sind Straftatbestände meldepflichtig, die eine „gefährliche Wirkung auf das demokratische System und die öffentliche Ordnung“ haben könnten:

  • Volksverhetzung
  • Bedrohung mit einem Verbrechen: Mord, Totschlag, schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, sexuelle Übergriffe und Nötigungen, Körperverletzung mit Todesfolge oder schwere Körperverletzung, Zwangsprostitution, Zwangsarbeit unter Freiheitsberaubung, Menschenraub, Verschleppung, Entziehung Minderjähriger, Freiheitsberaubung.
  • Taten, die verfassungswidrige Organisationen, kriminelle oder terroristische Vereinigungen unterstützen (Propaganda verbreiten, Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen)
  • Darstellung von oder Aufruf zu Gewalttaten
  • Vorbereitung von staatsgefährdenden Straftaten
  • Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten sowie Belohnung und Billigung von Straftaten.

Es gibt neue oder erweiterte Straftatbestände, die hier aufgenommen werden sollen:

    • Die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (mit klarem Bezug auf den ermordeten Verwaltungsdirektor Walter Lübcke)
    • Die Androhung von gefährlichen Körperverletzungen (bisher nur „schwere Körperverletzung“)
    • Bedrohung ist dann nicht nur bei „Verbrechen“ strafbar (s.o.), sondern auch bei „Straftaten“. Dazu gehören Vergewaltigungsandrohungen, Androhungen, Kinder abzufangen oder Haus oder Auto anzuzünden.
  • Das war bisher offenbar nicht strafbar, also dringend notwendig.
    • Außerdem soll die Verschärfung eingeführt werden, dass auch die Billigung von noch nicht erfolgten Straftaten strafbar ein soll (bisher: nur die Billigung von erfolgten Straftaten).
  • Diese Verschärfung birgt allerdings eine große Missbrauchsgefahr durch Rechtsextreme und andere antidemokratische Kräfte, die schon jetzt Meldungen nach NetzDG nutzen, um demokratische Akteur*innen zu melden, nachdem sie sie soweit provoziert haben, dass diese etwas Unüberlegtes schreiben. Dann lägen deshalb sogar ihre Daten gleich beim BKA. 

3b. Und was ist mit den Passwörtern?

Hier ist der Entwurf stärker überarbeitet worden. In der ersten Fassung wurde die Übermittlung von Passwörtern im Klartext gefordert, möglicherweise sogar schon bei Meldung durch die Netzwerke – also bevor irgendeine Strafverfolgungsinstanz bestätigt hätte, dass eine Straftat vorliegt.

Jetzt gibt es folgende Einschränkungen: Nur bei „besonders schweren Straftaten“, wenn es um die „Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ geht, können Strafverfolgungsbehörden Passwörter anfordern, aber erst nach gerichtlicher Anordung und auch nur verschlüsselt. Das gelte, wenn eine „konkrete Gefahr“ bestehe für Menschen, Bund oder Land.

3c. Welche Straftaten sollen nicht gemeldet werden?

Dies gilt für die Antragsdelikte, die auch unter das NetzDG fallen, aber einer Anzeige durch die betroffene Person oder ihre Angehörigen bedürfen: Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Diese Straftaten müssen nicht von den Netzwerken an das BKA gemeldet werden, aber die User*innen, die die Postings melden, sollen auf die Möglichkeit einer Strafanzeige hingewiesen werden.

3d. Und was passiert mit der Meldung beim BKA?

Im Entwurf ist festgeschrieben, dass das BKA nur die Zentralstelle für die Meldungen sein soll. Das Bundeskriminalamt mache aber „keine Strafverfolgung“ in der Sache, sondern ermittle nur, welche Landespolizeien zuständig seien. Die sollen dann die Strafverfolgung übernehmen. Sobald der Fall an die Landespolizei übermittelt worden sei, würden die Daten gelöscht.

Das ist interessant, weil im Internet die Zuständigkeit von Landesbehörden oft nicht wirklich gut festgestellt werden können und weil die Strafverfolgung dann wieder bei für Online-Delikte nicht spezialisierten Polizeistellen liegt. Außerdem müssen dann wohl die rund 400 angekündigten Online-Expert*innen, die das BKA einstellen will, etwas Anderes tun, denn Hasskriminalität verfolgen sie dann offenbar nicht im Rahmen von NetzDG-Meldungen.

4. Weitere Verschärfungen

Der Entwurf sieht die Einführung von höhere Strafmaße für Äußerungsdelikte vor, damit diese nicht mehr so häufig wegen Geringfügigkeit von Gerichten eingestellt werden. Gut: Dies gilt im aktuellen Entwurf nicht nur für Äußerungsdelikte im Internet, sondern auch auf Versammlungen.

5. Änderung im Telemediengesetz: Wer darf jetzt welche Daten anfordern?

Größere Eingriffe in die Datenfreiheit lassen die geplanten Änderung des Telemediengesetzes zu Auskunftsverfahren vermuten.

Hier soll festgelegt werden, dass Bestandsdaten, Verkehrsdaten und Nutzungsdaten (wer macht etwas, wie und was genau) von diversen Behörden angefragt werden können, die Straftaten oder auch nur Ordnungswidrigkeiten verfolgen. Genannt sind BKA, Polizeien, Verfassungsschutz, MAD, BND, Zollverwaltung und Behörden, die Schwarzarbeit bekämpfen.

Also sehr viele Behörden mit sehr vielen Anliegen auch außerhalb von Hasskriminalität. Betroffene sollen auch nicht informiert werden, wenn es Auskunftsersuche von Behörden gibt.

Wenn man an die Häufung rechtsextremer Vorkommnisse in diversen Behörden in den letzten Monaten denkt, ist dies kein sehr beruhigendes Gefühl. 

Ausgeschlossen von Auskunftsanfragen sind explizit Email-Kommunikation und Chatdienste.

Das wird die Rechtsextremen freuen, die sich auf Telegram organisieren.

6. Weitere Aspekte zum Entwurf

Antisemitische Motive sollen bei Taten strafverschärfend wirken – das gilt de facto bei allen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auch schon jetzt („menschenverachtende Beweggründe“ sind strafverschärfend, wenn sie erkannt und benannt werden). Antisemitismus soll nach dem Attentat von Halle und einem Anstieg antisemitischer Straftaten in den letzten Jahren trotzdem explizit erwähnt werden, auch wenn das Symbolpolitik ist.

Völlig unstrittig ist der Bereich der Strafverschärfungen bei Taten gegen bestimmte Berufsgruppen: Medizinisches Personal soll nun als geschützter Personenkreis gelten, das heißt es drohen höhere Strafen bei Taten (bisher nur Feuerwehr, Katastrophenschutz, Rettungsdienst); ebenso ist es bei Kommunalpolitiker*innen (bisher waren nur die höheren Ebenen geschützt).

Unklar ist an vielen Stellen die Faktenlage, auf die sich der Entwurf bezieht. So wird etwa argumentiert, dass durch Hassrede die Hemmschwelle herabgesetzt werde, Straftaten zu begehen. Das vermuten Engagierte vielfach, aber leider gibt es dafür bis heute keinen kausalen, wissenschaftlichen Beleg, auch wenn Forschung dazu nötig und wünschenswert wäre.

Der Gesetzesentwurf geht von 250.000 Fällen von Hasskriminalität online im Jahr aus, aus denen 150.000 Ermittlungsverfahren erwachsen. Die Berechnungsgrundlage ist unklar, es wird mit vielen Schätzungen gearbeitet.

Trotzdem sieht der Entwurf wenig Aufwand im Justizbereich. 75 neue Stellen in der Strafjustiz seien nötig, denn bei den vielen „offensichtlich rechtswidrigen“ Fällen sei die „rechtliche Bewertung des Inhaltes“ ja schnell erledigt.

Das sehen Strafverfolger wie etwa die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) in Nordrhein-Westfalen und auch der Deutsche Richterbund (DRB) anders. Sie befürchten, dass Staatsanwaltschaften, Polizeidienststellen und Gerichte der zu erwartenden Flut von Meldungen personell nicht gewachsen sein werden. Der DRB rechnet ebenfalls mit bis zu 150.000 neuen Verfahren pro Jahr, sieht dann aber Bedarf bundesweit für rund 400 zusätzliche Staatsanwälte und Strafrichter (vgl. Spiegel).

Immerhin erfährt hier die Öffentlichkeit, dass es 2018 insgesamt 684 Beschwerden ans Bundesamt für Justiz über nicht gelöschte Inhalte trotz NetzDG-Meldung gab, und im Jahr 2019 waren es 518.

Nach vier Jahren soll evaluiert werden, ob das Gesetz sein Ziel erreicht, die Strafverfolgung zu Hasskriminalität zu stärken. Das ist sinnvoll, aber insofern interessant, weil dieser Gesetzentwurf, der ja auch eine Verschärfung des NetzDG beinhaltet, vorgelegt wird, bevor die Evaluation des ersten NetzDG nach zwei Jahren abgeschlossen ist. Einem Gesetzesentwurf hätte es aber gut zu Gesicht gestanden, Forschung und Evaluation der bisherigen Maßnahmen miteinzubeziehen.

7. Und wie geht es weiter?

Es bleibt festzuhalten, dass dieser Gesetzentwurf nicht der letzte sein wird, zumindest was das NetzDG angeht. Es gibt bereits einen zweiten Entwurf aus dem Bundesjustizministerium nur zur Hasskriminalität online, der teilweise bereits Ideen in diesem Entwurf widerspricht (Stellungnahme der Amadeu Antonio Stiftung zu diesem zweiten Entwurf hier).

Dazu gibt es einen weiteren Gesetzesentwurf der Regierungen von Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern beim Bundesrat, der eine Klarnamenpflicht vorsieht. Nutzer*innen von sozialen Netzwerken und Gaming-Plattformen müssten sich dann mit einem Lichtbildausweis identifizieren, andernfalls dürften sie keinen Account erstellen (vgl. PC Games). Dies geschieht, obwohl es sich in anderen Ländern bereits gezeigt hat, dass dies auf Hasskriminalität wenig Einfluss hat und zu gefährlichen Datensammlungen führt.

Vor zwei Tagen äußerte sich dann Bundesinnenminister Horst Seehofer. Er forderte, dass selbst die vom NetzDG ausgenommenen Betreiber kleiner sozialer Netzwerke Hassbeiträge nebst IP-Adressen übermitteln müssten. „Heise online“ berichtet dazu: „Dem Vernehmen nach hat Seehofer daher einen eigenen Entwurf für eine weitere Reform des BKA-Gesetzes auf den Weg gebracht, der derzeit zwischen den Ressorts der Bundesregierung abgestimmt wird.“

Es gibt also noch diversen Diskussionsbedarf.

 

Wer den Gesetzesentwurf lesen möchte:

https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Bekaempfung_Rechtsextremismus_Hasskriminalitaet.html;jsessionid=59B0B103BA6C2D286BF6E7C540FAEDEA.2_cid289?nn=6712350

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