Rechtsextreme Gewalt trifft aber auch alle diejenigen, die im rechtsextremen Weltbild als „minderwertig“ gelten ? Obdachlose und sozial Randständige, Homosexuelle sowie Menschen mit psychischen und physischen Beeinträchtigungen. Experten gehen davon aus, dass die von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am 11. April 2008 vorgelegten Zahlen für 2007 lediglich einen Ausschnitt über das Ausmaß politisch rechts motivierter Gewalt in Deutschland geben. Denn schon im Vorjahr hatten die Beratungsprojekte für Opfer rechter Gewalt alleine in den neuen Bundesländern und Berlin mindestens 980 rechte und rassistische Gewalttaten festgestellt.
Unter den Tätern finden sich NPD-Mitglieder ebenso wie Aktivisten neonazistischer ?Kameradschaften? und rassistische Gelegenheitstäter, die dann zuschlagen, wenn sie auf der Straße oder in der S-Bahn zufällig einen Migranten oder ausländischen Studieren treffen. Mehr als 130 Menschen starben nach Recherchen von Journalisten und unabhängigen Menschenrechtsorganisationen seit 1990 an den Folgen politisch rechts motivierter Gewalttaten; mehr als 5.000 erlitten Verletzungen ? manche kämpfen ihr Leben lang mit den körperlichen und seelischen Folgen der Gewalttat.
Heuchlerisches Verhältnis
Glaubt man der NPD-Handreichung für Kandidaten bei Kommunal- und Kreistagswahlen aus dem Jahr 2006, lehnt die Partei „Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab“. Jede Form der Gewalt sei „politisch kontraproduktiv und ein Ausdruck geistiger Schwäche und fehlender Argumente.“ Demgegenüber steht das Verhalten der eigenen Basis und Führungskader: Das Landgericht Magdeburg verurteilte im Frühjahr 2006 Neonazi-Anwalt und NPD-Bundesvorstandsmitglied Jürgen Rieger wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 4.500 Euro, weil er am Rande eines Neonaziaufmarsches im Januar 2005 in Magdeburg einen Gegendemonstranten attackierte. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig, der Bundesgerichtshof wies einen Revisionsantrag von Rieger ab.
Weil sie bei einer NPD-Wahlveranstaltung im Dezember 2004 auf eine am Boden liegende Gegendemonstrantin eintraten, wurden der ehemalige NPD-Landesvorsitzende in Mecklenburg Vorpommern, Stefan Köster, und der ehemals stellvertretende NPD-Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein, Ingo Stawitz wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der NPD-Parteivorsitzende Udo Voigt hatte das gewaltsame Vorgehen gegen ?den politischen Gegner? noch während der Veranstaltung mit den Worten ?Wir haben ein Recht auf Selbstverteidigung, wir schlagen zurück? gerechtfertigt.
Die Selbststilisierung als Opfer und die Rechtfertigung der eigenen mörderischen Gewalttätigkeit als Notwehr durchzieht als roter Faden die Geschichte der extremen Rechten in Deutschland: mit Notwehr rechtfertigte die NSDAP die Ermordung von Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten. Auf einen angeblichen Notstand beriefen sich die neonazistischen Terrorgruppen der 1970-er und -80-er Jahre. Sie töteten bei Brand- und Sprengstoffanschlägen wie auf das Münchener Oktoberfest 1980 und auf Flüchtlingsunterkünfte Dutzende von Menschen. Und mit der Notwendigkeit sich gegen eine vermeintliche ?Überflutung? Deutschlands durch einen ?Asylantenflut? zu wehren, begründeten Neonazis und Naziskins die rassistischen Pogrome in Hoyerswerda und Rostock zu Beginn der 1990-er Jahre.
Begleitmusik zu Mord und Totschlag
Als „Begleitmusik zu Mord und Totschlag“ dient nach Ansicht von Experten die Musik vieler rechtsextremer Bands ? allen voran die Lieder der als kriminelle Vereinigung verurteilten Berliner Neonaziband ?Landser?.
„Deutschland ist ein schönes Land, wir lieben es so sehr
Doch für Affen ist bei uns, längst schon kein Platz mehr
Afrika für Affen, Europa für Weiße?
Steckt die Affen in ein Boot und schickt sie auf die Reise“
So heißt es im „Afrika-Lied“ auf der indizierten CD „Republik der Strolche“ von „Landser“. Als der ehemalige mosambikanische Vertragsarbeiter Alberto Adriano in der Nacht zum 11. Juni 2000 im Stadtpark von Dessau von drei neonazistischen Skinheads getötet wird, hatten sich die Täter mit dem ?Afrika-Lied? aufgeputscht, wie das Gericht später feststellt. Als die Angeklagten auf Alberto Adriano stießen, finden sie ein Opfer ihres gemeinsamen Hasses. Der Ungeist des Afrika-Liedes entfaltet seine Wirkung, heißt es in dem Urteil. Bei der tödlichen Hetzjagd auf den algerischen Asylbewerber Farid Gouendoul im Februar 1999 hatten sich Naziskins und organisierte Neonazis ebenfalls mit dem „Afrika-Lied“ in Stimmung gebracht. Auch als im August 2007 in Burg bei Magdeburg ein rechtsextremes Trio die Wohnungstür der vietnamesischen Nachbarn eintrat, die Familie bedrohte und den 14-jährigen Sohn schlug, stellte sich im Prozess heraus, dass die Täter zuvor eine Rechtsrock-Party veranstaltet hatten ? und wieder war die Musik von ?Landser? im Spiel.
Der „Kampf um die Straße?
Lange Zeit achteten NPD und ?Freie Kameradschaften? darauf, dass Teilnehmer ihrer Aufmärsche nicht während der Demonstrationen zuschlugen. Stattdessen kam und kommt es aber regelmäßig bei der An- und Abreise von Aufmärschen zu gewaltsamen Angriffen auf politische Gegner oder migrantische Reisende in Regionalzügen. Dieser taktische Gewaltverzicht dient vor allem dazu, Einschränkungen oder Verbote von Demonstrationen zu verhindern und einem eventuellen neuerlichen NPD-Verbotsverfahren keine weiteren Argumente zu liefern.
Zunehmend jedoch gehört die militante Auseinandersetzung mit der Polizei als Ausdruck der eigenen ?Systemopposition? zur ?Erlebniswelt Aufmarsch?. Immer öfter durchbrechen die jungen aktionistischen Neonazis der ?Autonomen Nationalisten? im Outfit von linken Autonomen, vermummt mit Sonnenbrillen, Baseball-Caps und schwarzen Tüchern Polizeisperren. Oder machen als Greiftrupps gezielt Jagd auf Gegendemonstranten. So attackierten beispielweise am 28. März 2008 in Aachen rund 30 Neonazis, darunter laut Polizeiangaben auch NPD-Funktionäre, eine Demonstration gegen Rechtsextremismus. Polizisten stellten kurze Stöcke, Knallkörper und mit Quarzsand gepolsterte Schlaghandschuhe bei einem Dutzend Rechtsextremisten sicher. Hier zeigte sich schon die Marschrichtung der „Autonomen Nationalisten“ für den 1. Mai in Hamburg. Mit brutaler Gewalt politische Gegner und Polizeibeamte anzugreifen.
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