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Gewalt von Rechts Marwas Mörder war NPD-Fan

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Die Bundesregierung bemühte sich an dem Freitag vergeblich, die politischen Folgen der Ermordung der jungen Ägypterin in Dresden zu minimieren. Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier schrieb in einem Beileidstelegramm an seinen ägyptischen Kollegen Ahmad Ali Abul-Gheit: „Wir stehen dafür ein, dass sich in Deutschland jeder ungeachtet seiner Herkunft, seiner Nationalität oder seines Glaubens sicher fühlt.“ Ausländerfeindlichkeit und Islamophobie hätten in Deutschland keinen Platz. Aber geschehen ist es eben doch:

„Haben Sie überhaupt ein Recht, in Deutschland zu sein? Sie haben hier nichts zu suchen“, hat der russlanddeutsche Täter Alexander W. seinem Opfer, der Ägypterin Marwa El-Sherbini gesagt, bevor er hemmungslos auf sie einstach. Und: „Wenn die NPD an die Macht kommt, ist damit Schluss. Ich habe NPD gewählt“.

Diesen Wortlaut  gibt der Berliner Tagesspiegel wieder. Ob Alex W. die NPD nicht nur gewählt hat, sondern auch mit ihr in Kontakt stand, sei offen.  Die sächsischen Sicherheitsbehörden würden nun prüfen, ob sich in dem Material, das sie bei der Durchsuchung der Wohnung von W. mitgenommen haben, braune Propaganda findet. „Viele Aussiedler wollen hundertfünfzigprozentige Deutsche sein“, sagt ein Sicherheitsexperte, „das macht sie anfällig für NPD-Parolen.“ Sie werden daher intensiv  von der rechtsextremen NPD umworben und marschierten vor zwei Jahren erstmals offensiv mit eigenem Transparent beim jährlichen Februar-Aufmarsch der NPD in Dresden mit.

Über den Täter recherchierte der Tagesspiegel weiter: „Alex W. fühlte sich in Deutschland offenbar als Verlierer. In Russland hatte er einen Hauptschulabschluss und eine Lehre in Lagerwirtschaft gemacht. 2003 kam W. aus Perm, einer Stadt im Ural, in die Bundesrepublik. Er lernte rasch Deutsch, aber das war offenbar der einzige Erfolg in der neuen Heimat. Alex W. lebte in Dresden von Sozialhilfe und war zur Tatzeit Hartz-IV-Empfänger. Keine Stelle, keine Ehefrau, keine Kinder – W. entspricht ziemlich genau dem Klischee des frustrierten jungproletarischen Mannes, den das martialische, selbstbewusst erscheinende Auftreten von Rechtsextremisten fasziniert.“

NPD schürt Hass gegen den Islam

Unklar bleibt weiter, ob W. schon in Russland auf Ausländerhass und vor allem Islamophobie programmiert war. Die Staatsanwaltschaft Dresden wartet noch auf Informationen der russischen Behörden zum Lebenslauf des Täters. Sicherheitskreise nennen die kursierenden Gerüchte, W. oder ein Angehöriger habe als Soldat in Tschetschenien gegen Rebellen gekämpft, „potenziell plausibel“. „Zumal die Tat nicht nur vom Hass des Täters kündet, sondern auch einer möglicherweise trainierten Schnelligkeit im Umgang mit einem Messer. In 32 Sekunden versetzte W. der Ägypterin 18 Stiche, außerdem verletzte er den Ehemann Elwy O. schwer.“

Vorsicht vor Verallgemeinerungen. Russlanddeutsche gelten zwar als stärker deutschnational als andere Zuwanderergruppen, und auch die NPD hat sich versucht, sich dieser Gruppe zu öffnen. Es wäre aber voreilig zu sagen, dass Russlanddeutsche, wie der Täter von Dresden,  mehrheitlich rassistische Einstellungen haben. Sehr viel deutlicher ist wahrzunehmen, wie die NPD zunehmend Hass gegen den Islam schürt – auch der kürzlich ergangene Aufruf zu Mahnwachen vor Moscheen in Thüringen gehört dazu. Damit versucht die NPD Nutzen aus latenter Islamfeindlichkeit zu ziehen, die Wissenschaftler Teilen der Bevölkerung nachsagen. So nimmt nach Untersuchungen des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer die Ablehnung von Muslimen in Deutschland immer mehr zu. Im Jahr 2007 waren 29 Prozent eher oder voll und ganz der Meinung, Muslimen solle die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. 39 Prozent stimmten eher oder voll und ganz der Aussage zu: „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land.“ Über 60 Prozent sagten, der Islam passe „überhaupt nicht“ oder „eher nicht“ in „unsere westliche Welt“ und lasse sich nicht mit europäischen Werten vereinbaren.

Warum griff niemand ein?

Unterdessen sprach die Opferberatung des RAA Sachsen e.V. den Angehörigen und Freunden von Marwa El-Sherbini ihr tiefes Beileid über die menschenverachtende Tat aus: „Als Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt sind wir fassungslos über den rassistischen Angriff auf das Leben der jungen Ägypterin“. Der Tod von Marwa E. sei „der traurige Gipfel rechter Gewalttaten im Freistaat Sachsen“. Und das Dilemma: Wieder schauten Menschen nur zu. Niemand ging dazwischen. Auch Richter und Schöffen nicht, nur der Anwalt warf einen Stuhl nach dem Täter.

Bereits vor einem Jahr beschimpfte Alexander W. die Dresdener Apothekerin als eine „Islamistin“ und „Terroristin“. Wegen Beleidigung war Alexander W. deshalb zu einer Geldstrafe von 750 Euro verurteilt worden. In der Verhandlung sollte es um die Berufung des Deutschrussen gehen. 18 mal stach er unvermittelt im Gerichtssaal auf die ungeschützte junge Mutter ein, bevor ein Wachmann hinzueilte – und auf den verzweifelten Ehemann der Ägypterin, den 32-jährigen Wissenschaftler Elwy Okaz, schoss – nicht auf den Täter.

Dazu Kati Lang von der Dresdener Beratungsstelle für Betroffenen rechter Gewalt: „Leider müssen wir, trotz vieler toleranter Menschen in Dresden, immer wieder feststellen, dass Rassismus und Diskriminierung in weiten Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung stoßen. So sind speziell auch islamophobische Einstellungen, die in diesem Fall zu dem entsetzlichen Mord führten, Bestandteil ablehnender Haltungen und Aktivitäten.“

Fehlender Mut, Rassisten entgegenzutreten

Was der Dresdener Opferberatungsstelle der RAA aufstößt, sind jedoch nicht nur die rassistischen Beleidigungen, die  der Ausgangspunkt für die dramatische Tat am Landgericht waren, sie gehörten „leider zum Alltag“. Noch gravierender sei, dass „viel zu selten umstehende Bürger und Bürgerinnen eingreifen, viel zu oft werden die Betroffenen allein gelassen“. Zivilcourage als ein hohes demokratisches Gut erfordere aber  „von uns allen den Mut und die Entschlossenheit Rassismus entgegenzutreten“.

Kati Lang weiter: „Es ist notwendig, dass die Stadt Dresden und insbesondere Frau Oberbürgermeisterin Orosz mit deutlichen Aussagen und Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorangeht. Eine klare Positionierung und die Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt sowie deren Angehörigen ist auch Aufgabe der Kommune. Ein ernsthaftes und langfristiges Engagement der Stadt Dresden konnten wir bisher leider kaum feststellen.“

Dabei gelte es, „rassistischen Einstellungen frühzeitig entgegenzutreten und diese nicht zu akzeptieren. Dies beinhaltet auch die Vermittlung eines objektiven Bildes über den Islam und nicht die unzulässige Verknüpfung einer Weltreligion mit terroristischer Bedrohung“.

Gemeinsame Erklärung muslimischer Verbände

In einer gemeinsamer Stellungnahme äußerten die Verbände im Koordinationsrat der Muslime (KRM) tiefes Entsetzen über den Hass-Mord von Dresden. Im KRM sind die vier größten muslimischen Verbände Ditib, Islamrat, VIKZ und ZMD vertreten. In ihrer Mitteilung heißt es:

„Marwa ist das bisher tragischste Opfer unserer muslimischen Schwestern, die unter Demütigungen, Verdächtigungen und Diskriminierungen zu leiden haben. Marwa ist auch Opfer der Hetze und Verleumdungen, die spätestens seit der Zeit der Entscheidung zum Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst und auf einschlägigen Internetseiten betrieben wird. Die insbesondere an ihrer Bekleidung erkennbaren muslimischen Frauen sind unterdessen weitgehend gesellschaftlich und menschlich abgewertet.

Wir rufen jetzt alle Muslime auf, in ihren Schweigemärschen unserer ermordeten Schwester friedlich trauernd zu gedenken. Wir appellieren an das Gute und die Gerechten in unserem Land, dass jeder an seinem Platz für die Liebe unter den Menschen und die Achtung vor der Glaubensüberzeugung jedes Einzelnen werben möge. Marwas Tod hat uns in Angst und Schrecken versetzt. Die Politik muss endlich die Islamphobie in unserem Land ernst nehmen.“

„Unzweifelhaft fremdenfeindliche Tat“

Auch der seinerzeitige Generalsekretär der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, und der sächsische Landesbischof Jochen Bohl kondolierten. Kramer sprach von einer Herzensangelegenheit, über Religionen hinweg Solidarität zu bekunden, denn „es ist ein Vorurteil, dass Muslime und Juden sich nicht verstehen können“. Es habe sich um eine „unzweifelhaft fremdenfeindliche Tat“ gehandelt, das bestätigte auch Sachsens Polizeichef Bernd Merbitz, er sicherte eine zügige Aufklärung der Tat im Landeskriminalamt mit einer Sonderkommission zu. Polizeischutz vor Gericht, ja eine polizeiliche Durchsuchung der Besucher, gab es jedoch nicht. Dies hätte wenigstens diesen Mord verhindern können, der die Zahl von Todesopfern seit der Wiedervereinigung 1990, die aus rassistischen und rechtsextremer Motivation getötet wurden, deutlich auf mehr als 140 hebt.

Beinahe weiterer rassistischer Mord in Dresden

Unterdessen kommen immer mehr Details über Gewalt und Folterungen in einem Jugendgefängnis bei Dresden ans Licht. Der Fall ist allerdings schon ein Jahr alt, wurde aber erst jetzt publik gemacht. Neun zur Tatzeit 15 und 24 Jahre alte Häftlinge sollen im April und Mai 2008 im Jugendgefängnis Regis-Breitingen bei Dresden einen 18-jährigen Mithäftling mit heißem Wasser und einem Besenstiel misshandelt, mit Hakenkreuz und SS-Runen beschmiert haben. Zudem sollen sie versucht haben, ihn in den Selbstmord zu treiben. Als dies nicht gelungen sei, hätten sie erfolglos versucht, ihr Opfer zu erdrosseln, teilten die Ermittlungsbehörden jetzt mit – im Juli 2009. Warum erst jetzt? Es habe keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestanden, teilte die zuständige Leipziger Staatsanwaltschaft mit. Hier mehr zu diesem Fall.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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Hohe Zahl rechter Angriffe im ersten Halbjahr in Brandenburg

97 rechte Angriffe zählte die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt „Opferperspektive“ im ersten Halbjahr 2018 im Land Brandenburg. Neben den physischen Angriffen sind viele Migrant*innen in Brandenburg täglich mit rassistischer Diskriminierung konfrontiert, werden nicht in Sportstudios gelassen, in Läden nicht bedient oder auf der Straße beschimpft. „Wir müssen erkennen, dass seit drei Jahren anhaltende Hochphase rechter Gewalt kein vorübergehendes kurzfristiges Phänomen ist“, so Hannes Püschel, von „Opferperspektive“.

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