Seit Mitte November gehen Unzufriedene, nicht nur in Paris sondern auch in ländlichen Regionen Frankreichs, auf die Straßen – gekleidet in gelben Warnwesten. Seit Wochen erreichen uns von dort Bilder der Gewalt. Straßenzüge die in Tränengas gehüllt sind, brennende Mülltonnen und zahlreiche wütende Menschen. Angefangen hat alles mit einer für 2019 geplanten Diesel-und Benzin-Preiserhöhung. Mittlerweile richtet sich der Aufstand jedoch nicht mehr nur gegen die hohen Spritpreise sondern ist Ausdruck einer grundsätzlichen Unzufriedenheit mit der Regierung. Die Menschen in den gelben Westen eint in Frankreich das Gefühl von der Regierung nicht beachtet zu werden. Mit den Gilets jaunes, wie die Gelbwesten in Frankreich heißen, hat ein neuer Akteur die politische Bühne Frankreichs betreten, der mit dem üblichen Protesten von Gewerkschaften, Studierenden und Intellektuellen wenig zu tun hat. Hier sind Menschen auf der Straße, die sich nicht durch ihre Regierung repräsentiert fühlen. Am Montagabend hatte Macron der Protestbewegung Zugeständnisse gemacht. Ob sich die Gilets jaunes davon jedoch beschwichtigen lassen bleibt abzuwarten.
Wie rassistische und verschwörungsideologische Wutbürger*innen und Neonazis in Deutschland versuchen den Protest für ihre Zwecke zu vereinnahmen, haben wir an anderer Stelle bereits beschrieben. Nun soll es darum gehen, wie die extrem rechte Szene in Deutschland die Situation in Frankreich einschätzt.
Ein weißer Protest ist ein guter Protest
Wie üblich, ist sich die rechtsextreme Szene nicht ganz einig, wie sie zu den Gilets jaunes stehen soll. „Skeptisch“ ist zum Beispiel Nikolai Nerling, auch als „der Volkslehrer“ bekannt. In klassischer verschwörungstheoretischer Manier vermutet er, dass „böse Kräfte“ wie George Soros hinter der Bewegung stecken.
Die meisten Aktivist*innen der rechtspopulistischen und rechtsextremen Szene in Deutschland zeigen sich allerdings begeistert von den Gelbwesten-Protesten. Aber warum? Waren doch die Ausschreitungen während des G20-Gipfels in Hamburg Grund für einen riesigen Aufschrei in der rechten Szene.
Der österreichische Alt-Right-Rassist Martin Semlitsch (Künstlername: Martin Lichtmesz) schrieb Ende November in einem Beitrag auf dem neurechten Blog „Sezession“: „Das ist das weiße Frankreich, das sind hauptsächlich Franzosen europäischer Herkunft, die an der Peripherie der Städte leben, die von Stadtzentren vertrieben wurden, weil sie zu teuer geworden sind“. Damit trifft der rechtsextreme Autor wohl den Punkt, den so viele Rassist*innen und Rechtsextreme so reizvoll finden an den Protesten in Frankreich: Hier gehe es um die Probleme „ethnischer Franzosen“. Im rechten Lager wird der Protest in Frankreich als weiß wahrgenommen und natürlich gefällt das Rassist*innen lagerübergreifend. Sie sehen hier den unterdrückten weißen Mann der nun endlich aufbegehrt und hoffen, dass er „das System“ stürzen kann.
Sellner: „In Deutschland und Österreich liegt eher Lebkuchenduft und Weihnachtsstimmung in der Luft“
Darum geht es auch in einem Video mit Semlitsch und dem deutschsprachigen Vorzeige-Aktivisten der sogenannten „Identitären Bewegung“ Martin Sellner. In diesem in schwarz-weiß gehaltenen Video bei Kerzenschein meint Sellner, auf den Bildern aus Frankreich nur „ethnische Franzosen“ zu erkennen „und die wenigen Schwarzen und Araber die da drunter sind, sind echt assimiliert“. Laut Klassentheorie, überlegen die beiden, müssten sich aber doch eigentlich auch Migrant*innen aus den Banlieues mit den „ethnischen französischen“ zusammentun. „Ich habe wirklich gesucht“ so Sellner, doch die Migrant*innen seien den Protesten ferngeblieben. Und auch Martin Semlitsch konnte nicht wirklich Migrant*innen unter den Protestierenden ausmachen, aber vermutlich seien einige der Gewalttäter*innen Migrant*innen gewesen spekuliert der extrem rechte Autor. „Es waren Linksradikale“ hakt Sellner da ganz schnell ein. Woher er diese Infos hat? Von den Identitären aus Frankreich natürlich.
Und auch der rechtsextreme Youtuber „Orwellzeit“, der Martin Sellner unterstellt ihm würde „das Verständnis des deutschen Wesens fehlen“, meint die Annahme bestätigen zu können. Wie auch andere rechtsextreme Aktivisten ist er am vergangenen Wochenende, bewaffnet mit seiner Kamera, nach Paris gefahren. Vom Arc de Triomphe berichtet er, die Proteste seien fest in französischer Hand. Seine Befürchtungen, dass Migrant*innen den Protest nutzen würden, um Krawall zu machen, hätten sich nicht bestätigt. Offenbar ist es für ihn vollkommen ok, wenn weiße Ur-Europäer*innen Geschäfte plündern und Denkmäler zerstören.
Auch einige Aktivist*innen der deutschen „Identitären Bewegung“ (IB) waren vergangenes Wochenende in Paris unterwegs. Für das Medienprojekt „Okzident Media“, ein IB-Portal das „patriotische Gegenöffentlichkeit“ schaffen will, haben sie dort einen Film gedreht.
Ist der Protest nun links oder rechts?
Momentan scheinen in Deutschland viele Demokrat*innen verunsichert zu sein, wie sie zu den Protesten in Frankreich stehen sollen. Ist dieser Protest nun links oder rechts? Vermutlich ist das gar nicht eindeutig zu beantworten. Per se ist Widerstand erstmal weder links noch rechts. Die Gilets jaunes bringen grundsätzlich einmal ihren Unmut über eine tiefgreifende sozioökonomische Ungleichheit in der Bevölkerung auf die Straße. Eigentlich müsste jetzt analysiert werden, wie es dazu gekommen ist, dass diese Menschen das Gefühl haben, abgehängt zu sein.
Erschreckend sind jedoch Berichte darüber, wie weit verbreitet Verschwörungserzählungen innerhalb der Bewegung sein sollen: In Teilen der Bewegung werden Gruppierungen und Individuen ausgemacht, denen die alleinige Schuld für die sozioökonomische Lage in die Schuhe geschoben wird. Im speziellen werden hier bestimmte Eliten wie Emmanuel Macron, George Soros und „die Flüchtlinge“ zum Sündenbock gemacht. Man müsste nur diese vermeintlichen Verursacher beseitigen, so die Illusion, dann würde sich die Lebenssituation der Gilets jaunes verbessern.
Am vergangenen Samstag war die Autorin Gila Lustiger etwa auf den Straßen von Paris unterwegs und hat mit zahlreichen jungen Männern in gelben Westen gesprochen. In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur schildert sie, dass sie sich einige Stunden die Sorgen von Wutbürger*innen angehört habe. Sie spricht von einer Radikalisierung, die sie so noch nicht miterlebt habe und davon, dass viele der Protestierenden von Verschwörungserzählungen infiziert seien. Am vergangenen Samstag zogen beispielsweise in Lyon Menschen mit einem großen Transparent gegen den UN-Migrationspakt durch die Straßen. Eine Kampagne die in Deutschland von extrem Rechten gesteuert wird.