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GMF aktuell April 2015 Antisemitismus

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Seit 20 Jahren verbreitet die "Klagemauer" auf der Domplatte in Köln Antisemitismus. Jetzt wurden gerichtliche Auflagen erteilt. (Quelle: AAS)

Am israelischen Gedenktag für die Opfer des Holocaust am 16. April veröffentlichte das Kantor-Zentrum für die Erforschung des zeitgenössischen europäischen Judentums an der Universität Tel Aviv seine jüngste Studie zu antisemitischer Gewalt in Europa. Demnach wurden im vergangenen Jahr weltweit 766 Gewalttaten erfasst – 38 Prozent mehr als 2013. Die meisten Angriffe gab es demnach in Frankreich (164). In Deutschland habe sich die Zahl 2014 mehr als verdoppelt (76 nach 36 im Jahr 2013). Einer der Gründe für den Anstieg war dem Bericht zufolge der Gaza-Krieg im Sommer 2014. Demnach wurde die Kontroverse um den israelischen Militäreinsatz oft auch als Vorwand für Straftaten genutzt. „Synagogen wurden angegriffen, nicht israelische Botschaften“, sagte die Historikerin Dina Porat, die die Studie zusammengestellt hat. Auch nach dem Ende des Konflikts habe es weitere Attacken gegeben. (Vollversion des Berichts als pdf auf Englisch hier).

Eine Auflistung antisemitischer Gewalttaten in Deutschland finden Sie bei der Amadeu Antonio Stiftung

Gedenken an den Holocaust und die Befreiung der Konzentrationslager vor 70 Jahren

Im April jährte sich die Befreiung der Konzentrationslager zum 70. Mal. Zahlreiche Gedenkfeiern erinnerten an den Holocaust, den organisierten Massenmord an den Jüdinnen und Juden in Europa. Als umso schlimmer empfinden es die Überlebenden des Holocaust, dass Antisemitismus im Jahr 2015 in Europa weiterhin tödliche Folgen hat. Die Terroranschläge von Paris und Kopenhagen und andere Angriffe auf jüdische Einrichtungen hätten jedes Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit zerstört, sagte der Vizeexekutivpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees Christoph Heubner. „Im hohen Alter erneut mit dem tödlichen Hass des Antisemitismus konfrontiert zu werden, erschüttert die Überlebenden zutiefst“, sagte Heubner. Umso wichtiger sei weiterhin die Aufarbeitung der Vergangenheit, wie etwa die laufenden Ermittlungen gegen ehemalige Auschwitz-Wächter und der in der kommenden Woche in Lüneburg beginnende Prozess gegen einen der Buchhalter von Auschwitz. Die letzten NS-Prozesse seien eine „Geschichtsstunde für die junge Generation in Deutschland und in Europa“. Zugleich seien die Prozesse Gelegenheit für einen „Einblick in die derzeitige Befindlichkeit der deutschen Gesellschaft“, sagte Heubner. „Wem gehört das Mitgefühl der Menschen in Deutschland? Der Ruf nach dem ‚Schlussstrich‘, der schon seit den 50er Jahren ertönt, ist würdelos und unrealistisch.“ Dies gelte umso mehr angesichts der Tatsache, dass „die meisten SS-Leute, die in Auschwitz am Räderwerk des Massenmords beteiligt waren“, nie vor Gericht gestellt wurden, sagte Heubner. „Sie sind in der Mitte der deutschen Nachkriegsgesellschaft verschwunden und haben bis ins hohe Alter jede Verantwortung und Schuld von sich gewiesen. Das bleibt ein fortwährender Skandal, der die Überlebenden mit Empörung und Traurigkeit erfüllt.“ (Zeit Online). 

Der Prozess gegen einen der Buchhalter von Auschwitz, den 93-jährigen Oskar Gröning, findet seit April 2015 vor dem Landgericht Lüneburg statt. Gröning ist der Beihilfe zum Mord in mindstens 300.000 Fällen angeklagt. Zum Prozessbeginn gab es zwei noch nicht dargewesene Gesten: Der Angeklagte, der ehemalige SS-Mann Oskar Gröning, bekannte sich zu seiner moralischen MItschuld – bisher hatten alle, die für ihre Beteiligung am Holocaust vor Gericht standen, diese stets verleugnet. Er sagte: „Ich bitte um Vergebung. Über die Frage der strafrechtlichen Schuld müssen Sie entscheiden.“ Die Auschwitz-Überlebende Eva Kor reichte ihm daraufhin die Hand zu Versöhung und sagte: „Ich habe den Nazis vergeben.“ Kor hat mit ihrer Zwillingsschwester grausame medizinische Experimente in Auschwitz überlebt, die übrigen Familienmitglieder starben dort. Sie forderte Gröning zur Aufklärung auf. Für ihre Geste erntete sie massive Kritk von anderen Überlebenden. (ZEITJüdische Allgemeine

Einen unangenehmen Beigeschmack hatte die Gedenkfeier im Konzentrationslager Ravensbrück: Dort speisten Ehrengäste an festlich gedeckten Tischen – und Überlebende, die der Feier beiwohnten, aus Plastikgeschirr vom blanken Holztisch.  „Dieser Kontrast war beschämend“, berichtet eine Studentin, die dort half. Der Student Jakob Wischniowski, der auch Überlebende aus Polen begleitete, nennt die Szenerie „ziemlich bitter“. Man habe den Überlebenden doch eigentlich „ein Zeichen von Respekt und Würde“ geben wollen. Ein Sprecher der Gedenkstätten-Stiftung bestätigte die unterschiedliche Bewirtung. Man habe für einige Gäste Protokollwünsche berücksichtigen müssen. Bericht auf Spiegel Online.

Köln: Antisemitische „Klagemauer“ am Dom wird mit Bußgeld belegt

Wer einmal die so genannte „Klagemauer“ von Walter Hermann betrachtet hat, die der 76-Jährige seit 1991 Jahren auf der Domplatte in Köln in bester City-Lage zeigte, blieb vor Staunen der Mund offen stehen: Die zusammenkopierte Zettel und Bilder an Stellwändern zeigten antisemitische Stereotype in bester City-Lage. Über eine Kritik an der Politik Israels oder eine legitime Thematisierung des Gaza-Konflikets, die der Autor als seine Intention benannte, gingen die verzerrten Gewaltdarstellungen und antisemitischen Cartoons schon lange hinaus. Trotz massiver jahrelanger Kritik von Zivilgesellschaft und Kölner Stadtpolitik ist der Fall erst jetzt endlich vor Kölner Amtsgericht gekommen. Die Anklage lautete „Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz“ (wegen 15 gezeigten Bilder toter und verstümmelter Kinder und Jugendlicher). Hermann wurde nun unter Androhung eines Bußgeldes untersagt, diese Bilder weiter zu zeigen. Der empörte sich lautstark und will durch alle Instanzen gehen (Kölner ExpressKölner Stadtanzeiger).

Jüdische Lehrer_innen, muslimische Schüler_innen: Antisemitismus als massives Konfliktpotenzial

Deutschlandradio Kultur berichtet über das Problem jüdischer Lehrer_innen in Deutschland, die sich mit dem Antisemitismus gerade von Schüler_innen mit Migrationshintergrund auseinandersetzen müssten, ohne dabei Hilfe zu bekommen – was so weit geht, dass einige Lehrer_innen ihre Religion nicht offenbahren. Spannender Bericht

Auch bei der Veranstaltung „Verschieden glauben – zusammengehören: Weltanschauliche Toleranz an Schulen“ des Kultusministeriums Baden-Württemberg am 29.04.2015 waren diese Konflikte Thema. Religiöse Konflikte lassen auch Kinder und Jugendliche in den Schulen nicht kalt. Ausdrücke wie „Du Jude“, „Du Christ“ und „Du Ungläubiger“ werden heute als Schimpfwörter auf deutschen Schulhöfen gebraucht. Der krasse Fall einer Neu-Ulmer Grundschule, in der die Polizei wegen islamistischer Parolen eingriff, ist aus Sicht des Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, nur die Spitze des Eisbergs. Religiöse Differenzen seien nicht an allen 42.000 Schulen in Deutschland gang und gäbe. „Die Probleme haben wir, wo die Deutschen in der absoluten Minderheit sind“, sagt Kraus. Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt eine Erklärung für ein friedvolles Miteinander an Schulen, die Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch (SPD) sowie Vertreter der christlichen Kirchen, der Israelitischen Religionsgemeinschaft, des Zentrums für Islamische Theologie und der Alevitischen Gemeinde unterschrieben, berichtet Focus.

Zum Tod von Günter Grass

Am 13.04.2015 starb der Publizist Günter Grass, der sein grandioses literarisches Werk in den letzten Jahren immer wieder durch politische Diskurse in Misskredit brachte, die etwas antisemitische Israelkritik zumindest legitimierten. Auch die eigene Mitgliedschaft in der Waffen-SS verschwieg Grass lange Zeit. Die taz wollte zum Tod von Grass von Publizist Micha Brumlik wissen: War Günter Grass ein Antisemit? Brumlich sagt: „Das glaube ich nicht. Aber Grass war ein Mensch, der auf eine verklemmte Art und Weise mit dem Problem der deutschen Schuld nicht fertig geworden ist.“ War Grass’ Umgang mit seiner eigenen Geschichte zugleich auch typisch für viele Deutsche? „Es war typisch für viele Angehörige seiner Generation. Grass hat die deutsche Schuld sehr ernst genommen. Aber diese Schuld war zugleich schwer zu ertragen. Psychologisch kann man das damit erklären, dass man darauf verweist, dass auch andere ähnlich Schuld auf sich geladen haben.“ 

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