Games haben im Gegensatz zu allen anderen Medien eine Besonderheit: Sie machen Geschichten und komplexe Sachverhalte erfahrbar. Diese können sich nur entfalten, wenn die Spieler:innen mithilfe der Spielmechaniken selbst aktiv werden – sie werden ein wichtiger Teil des Mediums. Das wiederum macht Spiele für die politische Bildungsarbeit noch interessanter. So wird in Serious Games bewusst auf kreative Weise Wissen vermittelt, das die Spielenden sich Stück für Stück selbst erarbeiten. Dies ermöglicht einen besonderen Zugang zu ernsthaften Themen sowie zu geschichtlichen und politischen Ereignissen. Dabei ist die Motivation, sich mit diesen Inhalten zu beschäftigen, deutlich höher, da sie in Form eines Spiels präsentiert werden. Dadurch, dass die spielende Person innerhalb des Games zum Beispiel eigene Entscheidungen trifft, bleiben zudem die Handlungen als Erlebnis dauerhafter in Erinnerung.
Um zu veranschaulichen, wie Serious Games, die sich mit dem großen Themenkomplex Rechtsextremismus beschäftigen, in der Praxis angewendet werden können, werfen wir zunächst einen Blick auf die folgenden drei Spiele.
„Through the Darkest of Times”
Bei diesem historischen Strategiespiel des Entwicklers Paintbucket Games wird der Widerstand gegen den Nationalsozialismus während des Dritten Reichs zum Thema. Die:der Spielende koordiniert dabei eine zivile Widerstandsgruppe in Berlin, kämpft für Freiheit und will das System schwächen.
Zum Spiel: https://paintbucket.de/de/ttdot
„Hidden Codes“
Dieses Mobile Game der Bildungsstätte Anne Frank widmet sich unter anderem der rechten Radikalisierung im Netz. Die:der Spielende sieht dabei eine Social Media-Umgebung, chattet mit Personen, sieht sich Profile an und reagiert auf Storys – so, wie sie:er es aus seinem Alltag vermutlich kennt. Ziel dabei ist es herauszufinden, wie radikale Gruppen agieren und was man tun kann, wenn sich jemand im eigenen Umfeld radikalisiert. Für den Einsatz im Unterricht stellt die Bildungsstätte Anne Frank Begleitmaterial zur Verfügung.
Zum Spiel: https://game.hidden-codes.de
„Papers, Please!“
In diesem Simulationsspiel von Lucas Pope schlüpft der:die Spielende in die Rolle eines Kontrolleurs an einem Grenzübergang des fiktiven Staats Arstotzka 1982. Er:sie muss sich an den Gesetzen der Regierung orientieren und entscheiden, welche Migrant:innen über die Grenze gelassen werden und welche nicht. Dadurch wird der:die Spielende vor spielerische, ethische und moralische Herausforderungen gestellt.
Zum Spiel: https://papersplea.se
Alle drei Spiele erschaffen auf ihre eigene Art Einblicke in politisch und gesellschaftlich relevante Themen aus dem Bereich des Rechtsextremismus – sowohl mit Aspekten der Vergangenheit, die aufgearbeitet werden, als auch mit Blick in die Gegenwart und eine daraus resultierende mögliche Zukunft. Dadurch zeigen sie auf, wie wichtig es ist, sich auch aktuell mit diesen Themen zu beschäftigen. Zum Beispiel macht „Hidden Codes“ durch den Messenger-Look, den die meisten Jugendlichen von ihrem eigenen Smartphone kennen, deutlich, wie leicht rechtsextreme Parolen und Symbole verbreitet werden können. Durch das Spielen können die Gefahren selbst erkannt und das Gelernte mit in die eigene Realität, in die eigenen Chatverläufe genommen werden. Hier besteht auch die Möglichkeit, innerhalb der Bildungsarbeit die Frage zu stellen, ob eine Person schon Erfahrungen mit solchen Nachrichten gemacht hat, um in diesem Zug ebenfalls das Thema Medienkompetenz aufzugreifen und Handlungsempfehlungen zu besprechen. „Hidden Codes“ eignet sich besonders, um mit Jugendlichen über rechtsextreme Codes und Symbole zu sprechen. Im Spiel „Papers, Please!“ werden die Themen Flucht und Migration thematisiert.
Praktischer Einsatz in der politischen Bildungsarbeit
Für die politische Bildungsarbeit bedeutet das konkret, dass zum Beispiel die drei vorgestellten Spiele ein guter Anknüpfungspunkt sind, um über das Thema Rechtsextremismus aufzuklären und zu diskutieren. Mit Blick auf die Praxis soll das Hauptaugenmerk im Folgenden auf dem Schulunterricht als möglichem Einsatzort liegen – ebenso ist diese Herangehensweise aber auch in anderen Bereichen, wie der Arbeit in Jugendclubs, Vereinen und bei Workshops, möglich.
Zunächst sollten Lehrer:innen die Spiele als eigenständiges Medium betrachten, das eine gute Ergänzung zu den in der Regel genutzten Filmen und Lektüren darstellt. Je nachdem, welches Wissen vermittelt und welche Diskussionen geführt werden sollen, ist es empfehlenswert, sich für eins der Spiele zu entscheiden. Dieses könnte dann zunächst von den Schüler:innen vor Ort – sollte es die Technik der Schule ermöglichen – gespielt werden.
Besteht die Möglichkeit nicht, können öffentliche Videos zum Beispiel des Trailers oder „Let’s Plays“ verwendet werden, um einen Eindruck vom Spiel, seiner Botschaft und seinem „Look and Feel“ zu bekommen. An dieser Stelle geht es nicht darum, zwingend das gesamte Spiel durchzuspielen, sondern einen Einblick zu erhalten, verschiedene Abschnitte genauer zu betrachten, darüber zu reden und zu reflektieren.
Für die Reflexion ist es wichtig, dass nicht nur das Spiel gespielt wird, sondern gleichzeitig Aufgaben gestellt werden. Was genau soll betrachtet oder analysiert werden? Welche Aspekte sollen die Spielenden herausarbeiten? Auf einem Arbeitsblatt könnten von Anfang an genau solche Fragestellungen notiert sein – die Schüler:innen können sie dann entweder allein oder mit anderen zusammen beim Spielen beantworten und ihre Gedanken notieren.
Im Anschluss ist es wichtig, dass über das Erlebte im Spiel oder Gesehene im Video diskutiert wird. Am Beispiel von „Papers, Please!“ könnten das zum Beispiel solche Fragen und Diskussionsthemen sein:
- Wie hast du dich gefühlt, als du die Entscheidung treffen musstest, ob eine geflüchtete Person einreisen darf oder nicht?
- Hast du einfach aus dem Bauch heraus entschieden, oder welche Aspekte waren dir besonders wichtig?
- Was hast du beobachtet?
- Lass uns vergleichen, wie die Arbeit einer Einwanderungsbehörde in der Realität aussieht und wie die Situation im Spiel dargestellt wurde.
Genau dieser Vergleich von Spiel und Realität ist besonders spannend, da an aktuelle Ereignisse, die beispielsweise in der journalistischen Berichterstattung eine Rolle gespielt haben, angeknüpft werden kann.
Weitere Ideen für Spiele im Unterricht
- Spiele wie eine Lektüre oder einen Film zu analysieren, ist eine von mehreren Möglichkeiten, wie sie Teil des Unterrichts werden können. Darüber hinaus sind zum Beispiel auch die folgenden und weitere Optionen denkbar, die losgelöst von den drei vorgestellten Games funktionieren und sich auf unterschiedliche Fächer übertragen lassen.
- Schüler:innen stellen ihr Lieblingsspiel vor (zum Beispiel in Form eines Referats).
- Die gesamte Klasse samt Lehrer:in spielt Spiele zusammen, die primär der Unterhaltung und der sozialen Interaktion der Anwesenden untereinander dienen. Dafür eignen sich zum Beispiel einfache Browser-Spiele, wie „Gartic Phone“ (eine Mischung aus „Stiller Post“ und „Montagsmaler“ oder „Stadt, Land, Fluss”.
- Kooperation mit einem lokalen E-Sport-Verein, um Teamplay zu fördern, Technik-Unterstützung zu erhalten und Wettbewerbe in einzelnen Spielen zu ermöglichen.
- Charaktere oder einzelne Elemente aus Spielen nehmen und diese auf die Aufgaben übertragen.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:
Amadeu Antonio Stiftung / Good Gaming – Well Played Democracy:
„Unverpixelter Hass. Toxische und rechtsextreme Gaming-Communities.“
Berlin 2022
90 Seiten
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