Neulich hat es Udo Voigt die Sprache verschlagen. Der Chef der NPD schwieg allerdings nicht, weil mal wieder einer seiner Vorzeige-Kader wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, sondern wegen einer komplizierten Kieferoperation. Kaum genesen, stellte Voigt klar, dass die Aussagen des hessischen NPD-Chefs Marcel Wöll unglücklich seien, dass man aber davon ausgehe, in zweiter Instanz einen Freispruch zu bekommen. Wöll hatte vom „sogenannten nationalsozialistischen Terror“ gesprochen und fand, in den Gedenkstätten zum Mord an den Juden würden die Schüler einer „Gehirnwäsche“ unterzogen.
Voigt nerven solche Vorfälle. Seit Jahren versucht er, seiner Partei einzutrichtern, sie möge sich mit rückwärtsgewandten Diskussionen zurückhalten. Nicht etwa aus Überzeugung, sondern weil sie der Partei nur schaden. Voigt will sich nicht mit Hitler beschäftigen müssen, den er für einen großen Staatsmann hält, sondern mit der Zukunft der Partei, die er 2009 in den Bundestag führen will.
Grundlage dieses ehrgeizigen Ziels ist die „geräuschlose völkische Graswurzelrevolution“, die NPD-Cheftheoretiker Jürgen Gansel als Losung ausgegeben hat und zu der laute Nazi-Töne nicht passen. So rückt, wie der Verfassungsschutz es ausdrückt, immer mehr die soziale Frage ins Zentrum der Agitation.
Im Jahr 2007 sollte es nach Ansicht Voigts zum Durchbruch kommen: Erst sollte der G-8-Gipfel zum Vorzeigen neuer Kompetenz in Sachen Globalisierungskritik herhalten , dann wollte man sich mit gesteigertem Bekanntheitsgrad in neuen Bürgerbüros den sozial Schwachen als Heilsbringer anbiedern. Doch in Heiligendamm ging die Stimme der NPD in der allgemeinen Berichterstattung völlig unter. Es half auch nichts, dass die NPD ihr Zentralorgan, die Deutsche Stimme , mit einer Auflage von einer Million Exemplaren verteilte. Und mit den Bürgerbüros klappt es auch nicht so recht. In Berlin bekommt die NPD keine Räume angemietet. Deshalb soll es jetzt „mobile Bürgerbüros“ geben, wie Voigt dem Tagesspiegel sagte, „die Mittel für die Autos sind schon bewilligt“.
Fragt man bei den Meinungsforschern nach, ob die Strategie der NPD schon messbar sei, erntet man ratloses Schweigen. Die NPD spielt höchstens in wenigen Landstrichen eine Rolle, ansonsten heißt es bei Infratest dimap lapidar: „Die gegenwärtige Themenlage liefert keinen Rückenwind für rechte Parteien.“ Außerdem werde die Mobilisierungsfähigkeit noch beschränkt durch die Linke. Der Verfassungsschutz ist direkter: Der Einfluss der NPD seit weit und breit „nicht in Spurenelementen erkennbar. Ansätze von Erfolgen sind nicht zu vermelden“.
Was nun genau stimmt, wo genau die NPD steht – es ist eine Frage der Betrachtung. Sieht man die Gefahr aus Sicht von Karl-Georg Ohse, dann „ist etwas dran an der Graswurzelrevolution“, wie der Projektchef des mobilen Beratungsteams für demokratische Kultur in Mecklenburg-Vorpommern sagt: „Die haben Stützen in allen Milieus von Mecklenburg-Vorpommern.“ Die Strategie der kleinen Schritte sei erfolgreich.
NPD-Leute geben sich als sympathische, interessierte Bürger und landen in Elterngruppen oder Ortsvereinen. Ohse weiß, dass das nur dort funktioniert, wo es kaum Widerstand gibt. Und kaum Widerstand gibt es vor allem auf dem Land – speziell da, wo viele arbeitslose Männer und wenig Frauen wohnen. Für Ohse ist weniger die NPD-Strategie das Problem als die Einstellung der Bürger: „Wieso, die sind doch demokratisch gewählt und ganz sympathisch“, hört Ohse oft. Das macht ihm Sorge.
In Sachsen hat der Extremismusforscher Eckhard Jesse eine ganz andere Ansicht. Er stellt nicht in Abrede, dass die NPD in bestimmten Regionen erfolgreich ist, aber im Allgemeinen, sagt Jesse, „ist die NPD die Gruppe, die gesellschaftlich am meisten isoliert und geächtet ist“. Das werde leider häufig vergessen. Er hält das Gerede von der „Graswurzelrevolution“ für „großen Blödsinn“. „Wir fallen darauf rein, was die Partei als Wirklichkeit ausgibt.“
Jesse gibt zu, dass Udo Voigt es verstanden habe, eine schlagkräftige Partei zu formen. Aber er warnt: „Man muss doch die Proportionen sehen.“ Er plädiert für einen nüchternen, argumentativen Umgang. Aber das fällt vielen schwer, auch den Politikern, die sich beispielsweise in Sachsen schon mal Rat von Experten holen wollen, wenn die NPD einen Antrag im Landtag stellt. Die inhaltliche Auseinandersetzung ist gar nicht so einfach: In Niedersachsen rief die NPD kürzlich dazu auf, den Naturschutzbund im Kampf um den Vogelschutz zu unterstützen – und der Nabu hatte Mühe, sich von diesem Beistand zu distanzieren.
Was die mobilen Bürgerbüros in Berlin angeht, hat zumindest der Verfassungsschutz eine entspannte Sicht. In Anspielung auf das linksautonome Potenzial der Stadt sagte ein Verfassungsschützer: „Da braucht die NPD gute Garagen für ihre Autos.“
Dieser Text wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Tagesspiegel.de
Erscheinungsdatum 17.08.2007