Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Griechenland Neonazipartei „Goldene Morgenröte“ ist jetzt eine kriminelle Vereinigung

Von|
Unterstützer*innen von Chrysi Avgi bei einer Demonstration in Komotini. (Quelle: Wikimedia / Ggia / CC BY-SA 3.0)

Die Partei „Goldene Morgenröte“ wurde 1985 gegründet und verbrachte ihre Anfangsjahre mehr oder weniger in der politischen Bedeutungslosigkeit. Erst 2005 errang sie mit 5,3 Prozent der der Stimmen ihr erstes Mandat im Athener Stadtrat. Während der Finanz- und Wirtschaftskrise, die Griechenlands Wirtschaft extrem geschwächt hatte und in der das Land unter der „Austerity“-Politik der Bündnispartner litt, erreichte „Chrysi Avgi“ bei den Parlamentswahlen im Mai 2012 fast sieben Prozent der Stimmen und stellte damit 21 Abgeordnete. Mehrere Wahlerfolge schlossen sich an. Erst die EU- und Parlamentswahlen 2019 brachten eine Trendwende. Die Partei verlor die Hälfte der Stimmen in der Europawahl und ihr Wiedereinzug ins griechische Parlament scheiterte an der 3%-Hürde.

Zur Politik von „Chrysi Avgi“ gehörte dabei neben offenen Rassismus und Antisemitismus auch immer Gewalt gegen Migrant*innen und politisch Andersdenkende sowie offene Ablehnung des Rechtsstaates. Mitglieder der Partei warfen Handgranaten auf Migranten, griffen ausländische Fußballfans oder linke Demos an. Dabei wurden immer wieder Menschen zum Teil schwer verletzt. 2012 griff Illias Kasidiaris, der Sprecher der Partei, während einer Livesendung zwei Parlamentarierinnen an und musste in einen Raum im Fernsehstudio eingesperrt werden, aus dem der ehemalige Soldat jedoch ausbrach. Kasidiaris, gegen den bereits ein Verfahren wegen Mittäterschaft bei einem Raubüberfall und illegalem Waffenbesitzes anhängig war, behauptet – mit Rückhalt seiner Partei –, die Angegriffenen hätten ihn provoziert und seien deswegen die eigentlich Schuldigen. Im gleichen Jahr kam es zu Ausschreitungen rund um das Athener Hytirio Theater, in dem „Corpus Christus“ aufgeführt wurde, ein Stück, dass sich kritisch mit dem Christentum auseinandersetzt. Mitglieder und Unterstützer von „Chrysi Avgi“ belagerten zusammen mit christlichen Fundamentalist*innen das Theater und bedrohten Zuschauer*innen und Küstler*innen massiv. Nachdem ein Demonstrant verhaftet wurde, konnte der „Chrysi Avgi“-Abgeordnete Christos Pappas ihn ungehindert aus einem Gefangenentransporter befreien.

Paul Mason im Podcast von Hope not Hate zum Urteil gegen „Chrysi Avgi“. 

Vor Ort war damals auch der britische Journalist Paul Mason, der unter anderem für „BBC“ und „Channel4“ aus Griechenland berichtet hat. In einem Podcast mit der britischen NGO „Hope not Hate“ schätzt er den Prozessausgang ein.

Im September 2013 wurde der HipHop-Musiker Pavlos Fyssas von einem „Chrysi Avgi“-Mitglied ermordet. 15 weitere Mitglieder waren dabei. Der anschließende Prozess, der jetzt beendet wurde und damit auch die Urteile gegen die Anführer der Neonazis haben sehr viel dem zivilgesellschaftlichen Druck und Engagement zu verdanken, wie Mason anmerkt. Nach dem Mord kam es zu landesweiten Protesten gegen die Neonazis und auch gegen die Polizei, die zum Teil eng mit Vertretern der Partei verbandelt war.

Paul Mason beschreibt die Struktur der Partei dreiteilig. Nach außen hin habe sie sich hauptsächlich als „populistisch und rechtsradikal“ dargestellt: „Eine Bewegung, die zwar die Demokratie akzeptiert, aber so tut, als stände sie kurz vor ihrem Zusammenbruch. Eine Bewegung, die permanent über Gewalt spricht, aber sie nicht unbedingt selbst ausübt.“ Hinter dieser leicht zu durchschauenden Fassade sei aber schnell massive Gewalttätigkeit sichtbar gewesen. Mason erinnert sich dabei an ein Gespräch mit einem führenden „Chrysi Avgi“-Mitglied. Der Abgeordnete erklärte dem Journalisten, dass Gewalt selbstverständlich zur Ideologie seiner Partei gehöre. Gewalttätige Aktionen und Übergriffe, die Mitglieder Partei orchestriert gegen vermeintlich migrantische Marktverkäufer*innen oder andere nicht-griechisch gelesen Menschen durchführten, seien eigentlich nur der „Volkswille“: „Würden wir diese Taten nicht symbolisch begehen, würde die griechische Jugend das Gleiche chaotisch tun.“

Auch journalistische Recherchen führten zu der erdrückenden Beweislast, die zu dem aktuellen Urteil geführt hat. Erst 2014 wurde nämlich ein dritter Aspekt der Parteistruktur öffentlich: Verherrlichung des Nationalsozialismus. Tausende Fotos und andere Beweisstücke tauchten auf, die Mitglieder in Nazi-Zeremonien zeigten, beim Kampftraining, beim Zeigen des Hitlergrußes. Äußerungen von hochrangingen Mitgliedern zeigte ihre Nähe zu NS-Ideologie.

Der Schuldspruch wird hoffentlich den Angehörigen und Freund*innen von Pavlos Fyssas und den Überlebenden der zahlreichen Übergriffe helfen, weiterzumachen und ein neues Kapitel aufzuschlagen. Er ist aber auch ein schwerer Schlag gegen „Chrysi Avgi“. Paul Mason beschreibt, wie sehr die Partei dem „Führerprinzip“ anhängt. Jetzt sind große Teile der Führungsriege schuldig gesprochen, die Partei im Ganzen kriminalisiert: „Wenn die Führungsetage ausfällt, kann die Partei nicht mehr funktionieren“, so Mason.

Foto: Wikimedia / Ggia / CC BY-SA 3.0

Weiterlesen

Das abgebrannte Geflüchtetenlager in Moria: Ursprünglich wurde es für 2.800 Menschen gebaut. Zum Höhepunkt wohnten hier 20.000 Geflüchteten.

Interview mit „Mare Liberum“ zu Moria „Wir erleben rechtsextreme Anwohner*innen, aber auch hilfsbereite“

In der Nacht zum 9. September 2020 brach ein Brand im drastisch überfüllten Geflüchtetenlager Moria auf der griechischen Insel Lesbos aus. Das Camp wurde ursprünglich für 2.800 Menschen gebaut, doch zuletzt wohnten über 13.000 Geflüchtete dort unter erbärmlichen Zuständen. Diese müssen jetzt auf der Straße ausharren – teilweise ohne Versorgung und medizinische Behandlung. Vor Ort sind Paul Hanewinkel und Ari Henning vom Berliner Menschenrechts-Verein „Mare Liberum“. Mit einem Schiff dokumentiert die Organisation seit 2018 Menschenrechtsverletzungen in der Ägäis. Momentan dürfen sie nicht ausfahren und beobachten die Situation auf dem Festland – und sind alarmiert. Ein Gespräch über das Schicksal der Geflüchteten, die rechtsextreme Szene auf Lesbos und die Komplizenschaft der örtlichen Polizei.

Von|
Eine Plattform der