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Jack Renshaws Plan ist konkret und brutal: Er kauft eine fast 50 Zentimeter lange Machete, googelt, wie man eine Person so langsam und schmerzhaft wie möglich töten kann, und macht zwei Frauen als Opfer ausfindig: eine Polizistin, die gegen ihn wegen rassistischer Hetze und Cybergrooming ermittelt, sowie die Labour-Abgeordnete Rosie Cooper. Dass ausgerechnet er, ein gewaltbereiter Neonazi, wegen Sexualverbrechen gegen minderjährige Jungen für immer in Erinnerung bleiben wird und ins Gefängnis gehen muss, dagegen möchte der 23-Jährige aus Lancashire offenbar etwas tun – mit einem rechtsterroristischen Anschlag. Schließlich seien belastende Beweise auf seinem Handy nur gefunden worden, weil es von Antifaschist*innen gehackt worden sei, als Teil einer „jüdischen Verschwörung“ gegen ihn. Er sei weder Pädophiler noch Homosexueller (vgl. Independent).
Der Ablauf: Renshaw will zunächst die Politikerin Rosie Cooper ermorden. Das kündigt er bei einem Meeting der rechtsterroristischen Gruppe „National Action“, deren Sprecher er ist, in einer Kneipe im nordenglischen Warrington an. Nach dem Mord an Cooper will er die Polizistin ködern und sie ebenfalls umbringen. Wenn die Spezialkräfte eintreffen, wird er eine imitierte Sprengstoffweste tragen, damit er erschossen wird. So wird er zum „Saint“ statt Kinderschänder. Es ist der 1. Juli, 2017 und der Plan geht nicht auf.
Stattdessen wendet sich ein Informant der Gruppe, der beim Kneipentreffen anwesend war, an die antifaschistische Organisation „Hope not Hate“. Sie informiert wiederum die Polizei. Eine Blamage für die Behörde: Denn eigentlich ist „National Action“ seit Dezember 2016 verboten – als erste rechtsextreme Organisation in Großbritannien überhaupt seit dem Verbot von Oswald Mosleys „British Union of Facsists“ im Jahr 1939. Dass „National Action“ also nach dem Verbot weiterhin aktiv ist und sogar einen Terroranschlag plant, davon scheinen die Behörden nichts zu wissen. Im Gegenteil: Sie drohen Mitarbeitern von „Hope not Hate“ mit Verhaftung – weil sie mit ihrem Informanten Kontakt zu einer verbotenen Organisation pflegen würden. Dazu kommt es nicht. Doch Renshaw wird festgenommen: Am 17. Mai 2019 wird er vor dem Krongericht im Old Bailey zur lebenslangen Haft verurteilt.
Von der BNP zum Brexit
Die politische Laufbahn von Jack Renshaw ist in vielerlei Hinsicht sinnbildlich für den Wandel der extremen Rechten in Großbritannien in den vergangenen zehn Jahren: Die rechtsextreme British National Party (BNP) fungierte einst als Sammelbecken des Spektrums und träumte von parlamentarischen Erfolgen. Der Höhepunkt kam 2009, als die Partei zwei Mandate bei der Europawahl sichern konnte. Doch der große Durchbruch blieb aus: Heute haben die britischen Nationalist*innen keinen einzigen Sitz, weder auf Lokalebene, in Westminster oder in Brüssel. Auch Jack Renshaw war früher in der Jugendorganisation der Partei aktiv, der „BNP Youth“. 2014 trat er zur Gemeinderatswahl in Blackpool an. Er bekam lediglich 17 Stimmen.
Der Brexit hat viel Energie gekostet: Ab 2016 dominierte der Austritt aus der EU die politische Landschaft, die rechtspopulistische Partei UKIP setzte die Agenda und drängte die regierenden Tories sogar zeitweise in die Defensive – auf Kosten der BNP, die in die Bedeutungslosigkeit verschwand. „Der Brexit war wie ein schwarzes Loch“, erklärt Joe Mulhall, ein Rechtsextremismusforscher bei „Hope not Hate“, im Gespräch mit Belltower.News. „Spektrumübergreifend war er der politische Hauptfokus“. Doch auch hier ließen sich die inhaltlichen Erfolge der euroskeptischen Rechten aufgrund des archaischen Mehrheitswahlsystems nicht in Parlamentssitze übersetzen. Der Einfluss des Brexits ist dennoch messbar: Er hat den gesellschaftlichen Diskurs deutlich nach rechts verschoben, das politische Klima vergiftet – und die extreme Rechte gestärkt.
Seit dem Referendum blüht der Rassismus im Land rasant: In den 38 Tagen nach der Brexit-Wahl zählte die Metropolitan Police 2.300 rassistische Vorfälle in London, im ganzen Land ist die Zahl an Hate Crimes in den zwei Wochen nach der Wahl um 42 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr gestiegen. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts „Opinium“ haben 2019 71 Prozent der Menschen mit einem asiatischen oder schwarzen Hintergrund rassistische Diskriminierung erlebt, im Vergleich zu 58 Prozent vor der Brexit-Wahl – was immerhin eine besorgniserregende Statistik ist.
Doch schon vor dem Brexit wandten sich immer mehr Rechtsextreme von ihren parlamentarischen Ambitionen ab. „Britain First“, eine Nachfolgeorganisation der British National Party, ist zum Beispiel nicht mehr als politische Partei registriert und tritt zu keinen Wahlen an. Ihre Ex-Vize, Jayda Fransen, kandidierte im Mai 2021 in Glasgow bei der Regionalwahl in Schottland. Sie bekam lediglich 46 Stimmen. Auch die rechtsextreme Kleinparteien „For Britain“ hatte ein desaströses Ergebnis bei den Gemeindewahlen am selben Tag, mit weniger als 50 Stimmen in den meisten Gemeinden – und keine Sitze (vgl. Guardian). Das hat auch damit zu tun, dass die Rhetorik vom Premierminister Boris Johnson immer weiter nach rechts rückt. Gleichzeitig driften andere in der Szene, wie Jack Renshaw, zum Rechtsterrorismus ab.
Der weiße Dschihad
Ein alarmierender Trend, denn die Ideologie der „National Action“ ist brandgefährlich: Sie verfolgt einen revolutionären Nationalismus und radikalen Akzelerationismus, der den gesellschaftlichen Zusammenbruch beschleunigen will, um einen „weißen Ethnostaat“ zu errichten. Amber Rudd, bis 2018 noch Innenministerin Großbritanniens, beschrieb die Gruppe als eine „rassistische, antisemitische und homofeindliche Organisation, die Hass schürt, Gewalt verherrlicht und eine abscheuliche Ideologie verbreitet“. Ihre Rhetorik ist explizit und menschenverachtend: Die Gruppe ruft zum „weißen Dschihad“ auf, um Großbritannien „von Parasiten zu säubern“.
Inzwischen sitzen mindestens 21 Kader der „National Action“ unter anderem wegen Mitgliedschaft in der Gruppe hinter Gittern – von schätzungsweise 100 Mitgliedern insgesamt. So wurde im März 2018 Mikko Vehvilainen, Unteroffizier in der britischen Armee, zu acht Jahren Haft verurteilt. Vehvilainen war früher beim finnischen Ableger der „Nordischen Widerstandsbewegung“ aktiv, für die „National Action“ soll er als Rekrutierer in den Streitkräften fungiert haben (über die „Nordische Widerstandsbewegung“ berichtete Belltower.News). Im April 2021 wurde Benjamin Hannam, ein aktiver Polizeibeamter der Metropolitan Police in London, wegen seiner Mitgliedschaft bei „National Action“ und des Besitz von terroristischen Materialien verurteilt. Auf seinen Datenträger fanden Ermittler*innen Terroranleitungen, das „Manifest“ des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik sowie Kinderpornografie. Ein Skandal für die Metropolitan Police.
Verboten wurde die „National Action“ wegen ihrer expliziten Unterstützung des Rechtsterroristen Thomas Mair, der 2016 die Labour-Abgeordnete Jo Cox auf offener Straße ermordete – ein Attentat, das das ganze Land erschütterte. Mair hatte zwar keinen Kontakt zur „National Action“, die Gruppe verehrte ihn aber immer wieder als Held und Märtyrer. Trotz Verbot ist das Netzwerk unter neuen Namen weiterhin aktiv: „Scottish Dawn“, „NS131“, „System Resistance Network“ und „TripleK Mafia“ gelten als Nachfolgeorganisationen. Auch die international vernetzten Gruppen „British Hand“ und „National Partisan Movement“, die vor allem Minderjährige auf Telegram und Instagram rekrutieren, weisen personelle Überschneidungen mit „National Action“ auf oder teilen ihre Propaganda. Ein Nutzer der „British Hand“-Chatgruppe nennt sich „Free Renshaw“, in Bezug auf den verhafteten Jack Renshaw.
Schneeball der Radikalisierung
„Seit dem Verbot wurde der rechtsextremen Szene klar, dass Logos, Namen und feste Strukturen sich wesentlich leichter verbieten lassen“, erklärt Joe Mulhall von „Hope not Hate“. „Ähnlich wie in Europa und den USA sehen wir daher immer dezentralisiertere und klandestinere Gruppen in Großbritannien. Sie organisieren sich in der Regel in geschlossenen Telegramgruppen, wo sie Nazi-Memes teilen und ihre rechtsextreme Hetze verbreiten.“ Mulhall spricht von einer „postorganisatorischen extremen Rechten“.
Diese Taktik zieht immer jünger Briten in den Kampf für die vermeintliche „weiße Rasse“: Die Führungsfigur der rechtsterroristischen Gruppe „British Hand“ ist 15 Jahre alt, der Kopf des britischen „Feuerkrieg Division“-Ablegers war erst 13, als er begann, Bauanleitungen für Bomben und selbstgebastelte Sturmgewehre zu sammeln (inzwischen wurde er wegen der Vorbereitung terroristischer Straftaten verurteilt). „Viele dieser Neonazi-Gruppen sind ausschließlich jugendorientiert“, berichtet Mulhall. Wo man sich früher in rechtsextremen Straßengangs mit Gewalt und körperlicher Stärke Respekt verdiente, beweisen sich junge Menschen heute im digitalen Zeitalter vor allem durch immer extremere menschenverachtenden Aussagen in geschlossenen Online-Gruppen. „So erleben wir einen Schneeballeffekt der Radikalisierung“, so Mulhall weiter.
Inzwischen sind die „Sonnenkrieg Division“, „Feuerkrieg Division“ und das „System Resistance Netzwerk“ in Großbritannien ebenfalls verboten. Auch die „Atomwaffen Division“, auf deren Konto in den USA mindestens fünf Morde gehen, und die dazugehörende Folgegruppe „National Socialist Order“ wurden im April 2021 vom Innenministerium verboten. Wer in Großbritannien Mitglied einer verbotenen Organisationen ist, kann bis zu zehn Jahre im Gefängnis landen. Doch Beobachter*innen der extremen Rechten kritisieren, dass solche Verbote einfach zu spät kommen. Bis eine Gruppe verboten wird, ist die nächste schon längst aktiv.
Satanistische Nazisekte
Gleichzeitig gibt es viele Doppelmitgliedschaften in der Szene. Und eine besonders gefährliche Gruppe, deren Mitglieder auch in Gruppen wie „National Action“, „Sonnenkrieg Division“ und „Atomwaffen Division“ aktiv gewesen sein sollen, bleibt weiterhin nicht verboten: Der „Order of Nine Angles“ (O9A) (vgl. Hope not Hate). So war beispielsweise der „National Action“-Mitglied Ryan Fleming auch eine wichtige Figur im O9A und war der Anführer des Yorkshire-Ablegers der Gruppe. Auch Fleming ist wegen Kindesmissbrauch und Vergewaltigung vorbestraft.
Doch neu ist die Gruppe nicht: Laut eigenen Angaben wurde der rechtsextreme Orden bereits in den 1960er Jahren von „Anton Long“ gegründet, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Pseudonym von David Myatt. Die Gruppe kombiniert satanistische Ritualen mit nationalsozialistischer Ideologie, praktiziert Magie und soll Menschenopfer durchführen. Auch Hitler-Verehrung spielt eine wichtige Rolle: Der jährliche Kalender des Ordens beginnt am Geburtstag des „Führers“. Die Überschreitung von „moralischen Grenzen“ spielt für den O9A ebenfalls eine wichtige Rolle: Mitglieder posieren in Fotos an den Tatorten von bekannten Morden und Vergewaltigungen, die sie auf Social Media hochladen. In ihren Reihen sollen laut Ermittlungsbehörden zudem zahlreiche Pädophile vorhanden sein.
Auch der Lebenslauf des mutmaßlichen Orden-Gründers David Myatt liest sich wie ein Werdegang des Schreckens: Er war ab den 1970er Jahren eine führende Figur des britischen „Combat 18“, Kopf des „National Socialist Movement“ und soll den britischen Rechtsterroristen David Copeland mit einem Pamphlet über die „arische Revolution“ beeinflusst haben. 1998 konvertierte er zum Islam, hieß dann Abdul-Aziz Ibn Myatt und propagierte den Dschihad gegen Ungläubigen, Juden und Jüdinnen. Osama bin Laden diente ihm als Vorbild. 2010 wandte er sich vom Dschihad und dem Islam ab, heute verfolgt er eine hellenistische Weltanschauung, die er „Way of Pathei-Mathos“ oder „The Numinous Way“ nennt und die auf Empathie und Liebe basieren soll.
Der „Order of Nine Angles“ gilt als gefährlich: Im Jahr 2020 alleine seien laut „Hope not Hate“ in Großbritannien mindestens sechs Neonazis wegen terroristischer Straftaten mit Verbindungen zum O9A verurteilt. „Ihre Weltanschauung ist äußerst extrem“, erklärt Joe Mulhall. „Extremer geht nicht: Sie vermischen Satanismus mit Kindesmissbrauch und Nationalsozialismus“. Eine Telegram-Gruppe aus dem Milieu der Gruppe nennt sich „RapeWaffen“ und glaubt nach eigenen Angaben an „esoterischen Vergewalterismus“. Aus eben diesem Grund fordert „Hope not Hate“ die britische Regierung dazu auf, die Gruppe ebenfalls zu verbieten. Bislang vergeblich.
Doch manche Beobachter*innen der Szene sind skeptisch, wie groß die Bedeutung von O9A für die extreme Rechte wirklich ist. „Red Flare“, ein investigatives Recherchekollektiv in Großbritannien mit einem Fokus auf die extreme Rechte, sieht die Bedeutung und den Einfluss der Gruppe auf die Szene als übertrieben. Eine Sprecherin des Kollektivs erklärt im Gespräch mit Belltower.News: „Neonazi-Satanismus ist guter Clickbait, wir sehen den O9A allerdings nicht als eine ernstzunehmende Bedrohung“ – auch wenn bestimmte Texte des Ordens in manchen Neonazi-Kreisen durchaus beliebt seien.
Tatsächlich ist es schwierig zu beweisen, wie viel Einfluss der Orden hat: Schätzungen der Mitgliederzahlen variieren zwischen einer Handvoll und bis zu 2.000 satanistischen Neonazis weltweit. Die Gruppe agiert zudem bewusst klandestin und verfolgt eine Taktik der Infiltration in andere Organisationen. Nicht ohne Gegenwind: Denn die satanistische Sekte hat durchaus auch Kritiker*innen in der Neonazi-Szene. Dass aber immer mehr Personen mit Verbindungen zum O9A festgenommen werden, spricht für einen wachsenden Einfluss der Gruppe in der Neonazi-Szene.
The Great Fascist Bake Off
Die extreme Rechte in Großbritannien hat gleichzeitig auch ein freundlicheres Gesicht: die „Patriotic Alternative“. Statt satanistischer Pädophilenritualen setzt die Gruppe auf eine massentauglichere Strategie: Keine Bomberjacken und Springerstiefel, dafür Krawatten und Kleider. Die Vize-Chefin Laura Tyrie, die unter dem Pseudonym Laura Towler agiert und als rechtsextreme YouTuberin bekannt ist, lancierte im November 2020 ein eigenes Teeunternehmen, „Grandma Towler’s Tea“. Die Firmengründung kam, nachdem ihre Lieblingsmarke, „Yorkshire Tea“, ihre Unterstützung der „Black Lives Matter“-Bewegung auf Twitter verkündete. „Grandma Towler’s Tea“ werde niemals „antibritische Organisationen“ unterstützen, heißt es auf der Webseite, stattdessen sei das Unternehmen stolz auf die Geschichte Großbritanniens. Die Gewinne aus dem Tee-Geschäft fließen direkt in die Kasse der „Patriotic Alternative“, das gibt Towler sogar offen zu.
Backwettbewerbe wie „The Great British Bake Off“ gehören in Großbritannien zu den erfolgreichsten Fernsehsendungen überhaupt. Auch an dieses popkulturelle Phänomen will die „Patriotic Alternative“ anknüpfen. Im Januar 2021 startete die Gruppe in Zusammenarbeit mit „Grandma Towler’s Tea“ eine „Baking Competition“. In Wirklichkeit scheint der Wettbewerb allerdings eher eine Fundraising-Kampagne für die „Patriotic Alternative“ und ein PR-Move für „Oma Towler“ zu sein: Teilnehmer*innen müssen etwas backen (natürlich sind nur „britische Rezepte“ erlaubt) und das Ergebnis zusammen mit einer Packung „Grandma Towler’s Tea“ fotografieren. Die Fotos will Towler für Werbezwecke verwenden, die Rezepte werden in einem Rezeptbuch abgedruckt. Die Einnahmen vom Buch finanzieren wiederum die Arbeit der „Patriotic Alternative“. So unverschämt britisch war der Faschismus noch nie.
Das macht aber die „Patriotic Alternative“ nicht weniger gefährlich, im Gegenteil: Die Gruppe verfolgt eine rechtsextreme, weißnationalistische Ideologie, hetzt gegen die LGBTQ-Community und Migrant*innen und leugnet die Shoah. Der Gründer und Chef, Mark Collett, ist ein antisemitischer Verschwörungsideologe und Neonazi. Zuvor war er Vorsitzender der „Youth BNP“, später Öffentlichkeitsleiter der British National Party. Er wurde sogar zweimal aus der BNP ausgeschlossen, zuletzt 2010. Die „Patriot Alternative“ gründete Collett erst im September 2019 – doch die Bewegung wächst schnell.
Trotz Teegeschäft und Backwettbewerb: Der Hass bleibt beim Alten. Nicht-Weiße sollen Großbritannien verlassen, so lautet die rechtsextreme Kernbotschaft der Gruppe. Konkret heißt das, dass Menschen mit Migrationsbiografie, auch wenn sie in Großbritannien geboren wurden, abgeschoben werden sollten. „Leute, die zuvor der ‚National Action‘ beigetreten wären, machen jetzt bei der ‚Patriotic Alternative‘ mit“, erklärt eine Sprecherin von „Red Flare“. „Ihre Politik ist genauso extrem, ihre Optik ist aber ausgebuffter – und das macht sie gefährlicher“. „Red Flare“ sieht in der „Patriotic Alternative“ aktuell sogar die gefährlichste Gruppe der extremen Rechten überhaupt in Großbritannien.
Metapolitik der Medienguerilla
Mit medienwirksamen Aktionen verbreitet die „Patriotic Alternative“ ihre hasserfüllten Botschaften gegen Migrant*innen: Im August 2020 projizierten sie ihr Logo sowie die Schriftzügen „White Lives Matter“ und „Migrants Not Welcome“ auf die sonst malerischen Kreidefelsen von Dover. Der Seeweg von Calais nach Dover ist eine viel befahrene Route von Geflüchteten: 2020 überquerten 8.400 Migrant*innen die Strecke, im Vergleich zu 1.844 im Vorjahr. Seit 1999 sind 300 Geflüchteten im Ärmelkanal gestorben.
Auch die „Patriotic Alternative“ versucht, jungen Nachwuchs auf Social Media zu rekrutieren: Mit Livestream-Veranstaltungen auf YouTube versucht die Gruppe, Kinder und Teenager zu indoktrinieren, manche erst zwölf Jahre alt (vgl. The Times). Auch über Gaming will die „Patriotic Alternative“ Jugendliche erreichen – und organisiert zum Beispiel „Call of Duty“-Turniere für ihre Unterstützer*innen (vgl. Guardian). Community-Events statt Straßenschlachten – so scheint die Strategie der „Patriotic Alternative“ zu sein.
Gleichzeitig gibt es viele Überschneidungen mit der „National Action“: Laura Towler ist mit einem Ex-Mitglied der rechtsterroristischen Gruppe verheiratet, dem Neonazi Sam Melia. Melia ist Regionalorganisator der „Patriotic Alternative“ in der nordenglischen Grafschaft Yorkshire. Im April 2021 wurden Towler und Melia festgenommen, unter anderem wegen Volksverhetzung und Melias Mitgliedschaft in der „National Action“. Die beiden sind wieder auf freiem Fuß, ihre Datenträger und Computer werden von Ermittlungsbehörden ausgewertet. „Es gibt eine erhebliche Zahl an Ex-National-Action-Mitglieder, die jetzt in der ‚Patriotic Alternative‘ aktiv sind“, sagt Joe Mulhall von „Hope not Hate“. Auch Steven Stone (auch als „Sven Longshanks“ bekannt) und Kris Kearns (alias „Charlie Big Potatoes“), die früher als Unterstützer der „National Action“ galten, sind inzwischen bei der „Patriotic Alternative“ gelandet.
In ihrer kurzen Lebenszeit blieb „National Action“ eher eine radikale Randgruppe mit einer sehr überschaubaren Zahl an Mitgliedern. Doch wichtige Figuren sind weiterhin in anderen Gruppen aktiv – wie die „Patriotic Alternative“. „Trotz der Schlagzeilen konnte die ‚National Action‘ nie eine Massenbewegung aufbauen“, resümiert die Sprecherin von „Red Flare“. „Doch die Gefahr ist, dass die nächste faschistische Gruppe aus ihren Fehlern lernt“. Vieles spricht dafür, dass die „Patriotic Alternative“ das schon getan hat: Denn zum gesellschaftlichen Umsturz sollen offenbar Tee und Scones serviert werden. Eine äußerst britische Revolution.