Interview: Simone Rafael
Für die internationale Studie „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Europa“ wurden je 1.000 Menschen in Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, den Niederlanden, Portugal, Polen und Ungarn befragt. Sie bestätigte dass es das Syndrom der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ europaweit gibt: Vorurteile, die andere abwerten, wie Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Obdachlosenfeindlichkeit, beeinflussen einander verstärktend; wer etwa rassistisch denkt, neigt auch dazu, Juden und Homosexuelle abzuwerten.
Die Ergebnisse der Studie kommentiert Professor Andreas Zick von der Universität Bielefeld im Interiview. Er leitete mit seiner Kollegin Beate Küpper die Untersuchung.
Was sind die drei wichtigsten Ergebnisse Ihrer Forschungen zu Menschenfeindlichkeit und Vorurteilen in Europa?
Erstens wissen wir jetzt tatsächlich, dass es das Syndrom der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, also diese ganze Palette von Vorurteilen, die miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig verschärfen, in allen europäischen Ländern gibt.
Zweitens gibt es zu vielen der abgefragten Vorurteile hohe Zustimmung. Besonders Islam- und Fremdenfeindlichkeit ist ausgesprochen weit verbreitet – fast jeder Zweite in den befragten Ländern äußert sich so! Das ist erschreckend. In der harten Ablehnung von Vielfalt gibt es darüber hinaus besonders hohe Werte in den östlichen und südlichen Ländern Europas. Insgesamt aber scheint es die europäische Mentalität zu sein: Wir machen die Schotten dicht. Zuwanderung trifft europaweit auf Widerstand. Die Hälfte der Europäer stimmt der Aussage zu: „Es gibt zu viele Einwanderer.“
Und drittens: Es gibt klare Gefährdungsquellen. Menschen haben mehr Vorurteile, wenn sie Autoritarismus pflegen, also überzogene Regelkonformität gepaart mit Law&Order-Wünschen, Rufen nach einem starken Staat und Traditionalismus, wenn sie Vielfalt ablehnen und sich Homogenität für ihr Umfeld wünschen, wenn sie mangelnde oder zu wenig Bildung haben oder fundamentalistische Religiösität ausüben und Immigration als Bedrohung ansehen anstatt einfach als Aufgabe oder Fakt. Und: Je älter sie sind, desto mehr Vorurteile äußern sie auch.
Genauso gibt es aber auch Schutzfaktoren: Der wichtigste ist positiver Kontakt zu einer als „fremd“ erlebten Gruppe – es reicht sogar, nur jemand zu kennen, der einen Immigranten zum Freund hat, um selbst weniger Vorurteile gegenüber Einwanderern zu haben. Eine positive Einstellung zu Vielfält des Glaubens, der Meinungen und Kulturen schützt ebenso vor abwertenden Vorurteilen wie eine positive Haltung zu demokratischer Mitbestimmung und zu Migration.
Welche Ihrer Ergebnisse haben Sie selbst schockiert?
Das sehr hohe Ausmaß an Islamfeindlichkeit mit durchschnittlichen Zustimmungswerten von um die 50 Prozent, ebenso das sehr hohe Ausmaß an Antisemitismus – in den östlichen Ländern eher Zustimmung zu ‚klassischem‘ Antisemtismus, in den westlichen zu ‚modernem‘ in Form überzogener Israelkritik. Aber auch Vorurteile, über die wir gesellschaftlich kaum noch sprechen, haben äußerst hohe Zustimmungsraten, wie etwa klassischer Sexismus. Wenn man sich unserer Zahlen anschaut und weiß, dass die abgefragten Einstellungen nicht nur da sind, sondern sich irgendwann einmal auch in Handlungen manifestieren, frage ich mich, ob die Länder genügend Schutzmöglichkeiten für ihre Minderheiten haben.
Der zentrale Befund unserer Arbeit ist die Gleichwertigkeitseinstellung der Menschen. Das ist das Herzstück, wenn es um die Anfälligkeit für Vorurteile und die Gefährdung der Demokratie geht. Wer zu hierarchischem Denken neigt oder Menschen aufgrund von ökonomischen Prinzipien einteilt, statt alle als gleichwertig zu begreifen, leistet der Abwertung größerer Gruppen von Menschen Vorschub und gefährdet so das Zusammenleben für alle.
Welche Gegenstrategien sehen Sie zu dieser beunruhigenden Entwicklung?
Von der Politik wünsche ich mir ein europaweites Monitoring der Vorfälle von Menschenfeindlichkeit – dann könnte man auf empirisch belegter Grundlage ideologiefrei über Fakten reden.
Für die Praxis gegen Menschenfeindlichkeit heißt es: der Kampf gegen Ungleichwertigkeit auf allen Ebenen ist zentral. Wir brauchen politische Bildung, Kontaktprogramme, Demokratiepädagogik. Wir müssen für Akzeptanz und demokratische Grundprinzipien werben. Und wenn es uns wichtig ist, irgendwann einmal eine europäische Identität zu entwickeln, braucht es Netzwerke über Ländergrenzen hinweg.
Und jede und jeder Einzelne sollte sich überlegen, nicht leichtfertig abwertenden Meinungen zuzustimmen. Der Stammtisch-Effekt: Wer Abwertungen zustimmt, auch wenn er es ‚eigentlich gar nicht so meint‘, macht damit eine Tür auf, die Menschenfeindlichkeit hereinlässt und ihr hilft, sich als „Normalität“ zu etablieren. Wie etwa Befragten, die Rassismus ablehnen, aber dann doch angeben, dass sie lieber nicht in Wohnviertel ziehen möchten, in den Immigranten leben.
Die Ergebnisse der Studie zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Europa“ finden Sie auf der Seite der