Gute Arbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus hat viele Gesichter. Der Dresdner Verein „Hatikva e.V. war 2007 für den Sächsischen Förderkreis für Demokratie nominiert. Hatikva e.V. vermittelt Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, dass Juden normale Menschen sind – „bevor Vorurteile und Neonazis ihnen ein anderes Bild in den Kopf setzen.“
Das Ziel der Aktivitäten des Dresdner Vereins „Hatikva – Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Kultur und Geschichte Sachsen“ klingt zunächst simpel. Gunda Ulbricht, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Vereins (Foto), benennt es schlicht: „Juden sind normale Menschen.“ Praktisch ist das aber gar nicht einfach in einer Region, die so säkularisiert ist, dass vielen Menschen Religion grundsätzlich suspekt ist und in der es zugleich Tatsache ist, dass Jugendliche mit zehn Jahren ihre ersten Kontakte zu rechtsextremen Kameradschaften haben.
Bildungsarbeit gegen Befangenheit
In der Äußeren Neustadt in Dresden liegt, verschlafen und zugewachsen zwischen den umgebenden Häusern, in der Pulsnitzer Straße der älteste noch erhaltene jüdische Friedhof in Sachsen. Im Altbau direkt daneben hat ein Verein seinen Sitz, der sich Hatikva e.V. nennt – „Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Kultur und Geschichte Sachsen e.V.“. Auf den ersten Blick macht dieser Verein Dinge, die erwartbar sind, wenn es um Erfahrungen mit jüdischer Kultur geht: Angeboten werden Synagogenbesuche und Friedhofsführungen, Kleszmer-Konzerte und Vorträge. Ein großer und wichtiger Teil der Arbeit von Hatikva e.V. verbirgt sich aber hinter dem sperrigen Wort „Bildungsarbeit“ – nämlich das Bemühen um Kinder und Jugendliche, deren Unkenntnis von Religionen und Einflüsterungen aus der rechtsextremen Szene sie oft anfällig machen für antisemitische Vorurteile.
Gunda Ulbricht ist eine Frau mit einer unaufgeregten, bodenständigen Ausstrahlung, der man sofort glaubt, dass sie ruhig und besonnen bleibt, wenn die Wirkung gezielter Provokationen an ihr ausprobiert wird oder hanebüchene Vorurteile als vermeintliche Wahrheiten präsentiert werden. Die Historikerin und Pädagogin ist eine von derzeit sechs hauptberuflichen Mitarbeitern von Hatikva e.V., der insgesamt rund 80 Mitglieder hat. Sowohl Mitarbeiter als auch Vereinsmitglieder sind Juden und Nichtjuden – was auch dazu führt, das Jugendliche, die Vorurteile über das Aussehen von Juden äußern, kurzerhand aufgefordert werden: „Dann lauf mal durch die Räume und such die Juden raus.“ Ulbricht schmunzelt: „Das ist immer eindrucksvoll, denn die meisten Kindern und Jugendlichen haben noch nie bewussten Kontakt mit jüdischen Menschen gehabt. Viele haben ja sogar den Eindruck, es habe Juden nur zwischen 1933 und 1945 gegeben.“
Jugendlichen neue Perspektiven auf das Judentum eröffnen
Entsprechend verfolgen die Vorträge, Spiele und Entdeckungsideen für Jugendliche zwischen 6 und 20 Jahren das Ziel, die Normalität von jüdischem Leben in Deutschland zu vermitteln. „Hier geht es genau nicht nur um Verfolgung, Vorurteile und Shoa“, sagt Ulbricht, „sondern darum, dass Juden und Nichtjuden in Deutschland auch jahrhundertelang friedlich zusammen lebten und leben und eine gemeinsame Geschichte haben.“ Und diese Normalität soll nach Möglichkeit nicht nur an den erwartbaren Stellen auftauchen: In den schulischen Alltag übertragen heißt so eine Empfehlung für Pädagogen, im Mathematikunterricht für Spiegelungsübungen als Beispiel statt eines Teddybären mal einen Menora-Leuchter zu nehmen. Im Arbeitsalltag von Hatikva e.V. heißt das auch, das Stadtmuseum Dresden zu überzeugen, dass es keine Sonderausstellung zu Juden in Dresden geben sollte, sondern dass diese Fakten in die normale Stadtausstellung integriert werden sollten. Dass dies 2006 gelang, wertet Gunda Ulbricht als besonderen Erfolg.
Seit 15 Jahren wird geforscht und vermittelt
Der Verein Hatikva e.V. feierte im September 2007 sein 15-jähriges Jubiläum. An neuen Ideen mangelt es nicht, sie potenzieren sich sogar im Laufe der Arbeit. Schüler aus der 12. Klasse etwa kamen zu Gunda Ulbricht und sagten, die Führungen und Spiele wären ja nett, aber sie wollten auch einmal auf eigene Faust losziehen. Daraus entstand ein Stadtplan zum jüdischen Dresden, der heute auch bei Touristen reißenden Absatz findet, und ein passendes Stadtspiel. Bei anderen Problemen ist es gut, dass zum Verein Hatikva e.V. auch der Bereich der Forschung gehört. „Auch Kinder, die sich als nicht antisemitisch einschätzen, identifizieren sich, wenn es um den Holocaust geht, stark mit den Tätern. Das geht von ‚Wir hätten doch auch Täter sein können’ bis zu ‚Der Holocaust war natürlich schlecht, aber alles andere war unter Hitler doch ganz okay’. Um mit den verschiedenen Facetten pädagogisch gut umgehen zu können, gibt es bisher weder Materialien noch Ideen“, berichtet Ulbricht. Sie leitete ein Forschungsprojekt, das entsprechende Methoden und Materialien erarbeiten will.