Einen Rechtsterror-Prozess umweht eine Stimmung des Angespannten. Viel Polizei im Gericht, auch in schwerster Bewaffnung und Schutzmontur. Ausgiebige Sicherheitskontrollen für Presse und Besucher*innen. Das macht etwas mit den Beteiligten, oft auch mit den Angeklagten. Manche sind betroffen, andere wie versteinert, andere schlicht gelangweilt. Stephan B., der Attentäter von Halle, nicht. Er lacht. Er kichert. Er amüsiert sich. Der Prozess ist offenbar der Höhepunkt eines armseligen Lebens. Am gestrigen, siebten Prozesstag, geht es um seine Welt: Das Internet. Imageboards, Gaming, digitale Kontakte, um so relevanter bei einem Mann, der in der Offline-Welt offenkundig recht vollständig isoliert war (vgl. Belltower.News). Dabei wurde nicht B. befragt – das geschah bereits zuvor, und so gern er über seine Waffen sprach, so einsilbig wurde er bei seinen Online-Kontakten, weil er niemand verraten wolle (vgl. democ). Befragt wurden Ermittler*innen des Bundeskriminalamtes (BKA) zu ihren Erkenntnissen.
Hätte jemand der vereinsamten Mutter zuhören können?
Der Beginn des Prozesstages zeigt allerdings, dass B. sich nicht über alles amüsiert, auch wenn es bereits zuvor Prozesstage gab, an denen Richterin Ursula Mertens den kleinen, blassen Mann ermahnen musste, nicht so viel zu lachen (vgl. mdr). Am Anfang des 26.08.2020 geht es nämlich um seine Mutter. Das findet B. nicht lustig, hier sitzt er eher verschlossen-ausdruckslos im Gerichtssaal. Befragt wird die Schulleiterin der Grundschule, an der B.s Mutter ausgerechnet Ethik-Lehrerin war. Es ist offenkundig, dass die Zeugin B.s Mutter keinen weiteren Ärger machen möchte. Immer wieder betont sie die „Verlässlichkeit“ der Lehrerin, lobt Schüler*innen, die glauben, dass Mutter B. „nicht schuld“ sei. Klar wird aber auch, wie einsam B.s Mutter im Kollegenkreis der kleinen Grundschule offenkundig war. Man arbeitete zwar jahrzehntelang zusammen, aber persönliche Kontakte? Nein, es gab nur Gespräche bei der Pausenaufsicht. Nach dem Attentat ist die Mutter krankgeschrieben, quittiert dann den Schuldienst. Hat jemand aus der Schule sie hinterher noch einmal kontaktiert, gefragt, wie es ihr geht? Die Schüler*innen haben eine Postkarte geschrieben. Ansonsten: Nein.
Trotz des offenkundig recht unpersönlichen Verhältnisses im Kolleg*innen-Kreis gibt es aber Aussagen, die verblüffen. So erzählt die Zeugin, wie sehr Frau B. ihren Sohn geliebt hätte, geradezu „vergöttert“, sich um ihn gesorgt, etwa weil er krank war, sich gegen „den Vati“ gewehrt, der wollte, dass der Sohn noch eine Ausbildung machen solle, obwohl er doch noch nicht gesund sei. Im Kolleg*innenkreis hat Frau B. öfter davon erzählt, dass Stephan B. fände, es gäbe „zu viele andere Kulturen in Deutschland“. Kräftiges Kopfnicken der Zeugin, zur Bekräftigung: „Das hat sie öfter erzählt!“ Aber ob Frau B. auch dies Ansichten teile? Nein, das wohl nicht. Leider wurde nicht gefragt, ob eine solche Aussage ein an der Schule übliches Pausenhof-Konversationsthema ist oder doch vielleicht ein Ruf nach Hilfe? Nach den Sommerferien 2019 sei Frau B. plötzlich „sehr dünnhäutig“ gewesen, einer Kollegin gegenüber äußerte sie, sie habe Angst um Stephan B., „dass bald etwas Schlimmes passiert.“ Aber was? Da hat wohl keine*r nachgefragt: „Ich dachte, da ginge es wohl wieder um seine Krankheit.“ Jetzt sehe sie das in einem anderen Licht. Genauso wie andere Information, die die Mutter auf dem Pausenhof berichtete, ihr Sohn lerne jetzt Schweißen, interessiere sich nun für Bitcoins oder er kommuniziere seit Wochen zu Hause nur noch in Englisch, sie müsste manchmal Sachen nachschlagen, weil sie die nicht kennt. „Im Nachhinein kommen einem so die Gedanken. Damals habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht.“ Es entsteht der Eindruck, Frau B. habe durchaus eine Ahnung gehabt, dass ihr Sohn eine Bedrohung sein könne. Aber auch, dass sie offenbar keine Vertrauensperson hatte, mit der sie hätte sprechen können, und dass sie keine Hilfe gesucht hat.
Bis hierhin bleibt Stephan E. ernst. Nur bei der Frage, wie die Schulleiterin es fände, dass ausgerechnet der Sohn einer Ethiklehrerin das macht, grinst er. Es sieht höhnisch aus.
„Catgirls“ und Menschenverachtung amüsieren den Täter
Doch dann geht es um das Internet und B.s Manifeste, und B.s Stimmung steigt. Er freut sich besonders über die Anime-„Catgirls“, die er in sein Dokument eingebaut hat, grinst jedes Mal, wenn er eines sieht auf den Monitoren der Prozessbeteiligten. Tausende Anime-Girls, gern mit NS-Symboliken, Hakenkreuzen und „schwarzen Sonnen“, hat B. auf seinem Computer, seinem Laptop und dem USB-Stick gespeichert, den er bei der Tat bei sich hatte. In einer Vernehmung hat er, so berichtet ein Kriminalkommissar im Prozess, dann auch gefragt: „Ich bekomme die Daten nicht wieder, oder? Mir liegen einige der Daten am Herzen, die 3.000 Anime-Bilder, die Musik [rassistischen und antisemitischen Rap von „Moon Man“ aus der amerikanischen „Alt-Right“-Bewegung], das hätte ich ganz gerne wieder.“ Ebenfalls auf dem USB-Stick, den der Täter zur Tat bei sich trug: ein Video des Christchurch-Attentäters. Daneben fand die Polizei zwei Videos der neonazistischen „Atomwaffen Division“, die auch mehr Menschen zu rechtsterroristischen Attentaten motivieren will.
Aber B. freut sich nicht nur über seinen Fetisch, er freut sich genauso, wenn seine rassistischen oder antisemitischen Texte und Memes Gegenstand des Prozesses sind. Er freut sich, wenn sie verlesen werden, er freut sich aber fast noch mehr, wenn sich Gericht, Nebenklage-Anwält*innen und Zeug*innen bemühen, sie nur zu umschreiben, sie zusammenzufassen, statt sie abzubilden, sich dabei auch gegenseitig ermahnen müssen. Im Attentats-Prozess in Christchurch in Neuseeland – gerade mit einer lebenslangen Haft beendet, vgl. Spiegel – war das Verdikt souverän umgesetzt worden, dem Täter so wenig Plattform wie möglich zu geben. Im Landgericht Magdeburg bemüht man sich auch, aber Normalität ist es noch nicht. B. amüsiert sich auch, wenn Begriffe aus der Internet-Welt falsch ausgesprochen werden, wenn das Gericht rassistische englische Chiffren nicht versteht und sie sich übersetzen lässt. Der international agierende Online-Rechtsterrorismus, man ahnte es schon und es zeigt sich in diesem Gerichtssaal überdeutlich, ist für die deutschen Strafverfolgungsbehörden, für die Justiz und für die Polizei noch viel mehr „Neuland“ als geahnt. Jeder am 26.08.2020 geladene Zeuge oder Zeugin belegt das.
Ermitteln im Neuland
Nach dem Attentat von Halle hieß es, dass Bundeskriminalamt solle seine Internetkompetenzen stärken, 5.000 neue Beamt*innen wurden in Aussicht gestellt (vgl. Süddeutsche Zeitung). Wie dringend sie benötigt werden, zeigt dieser Prozess überdeutlich. Immerhin ist das Verfahren gegen den Attentäter von Halle neben dem Prozess gegen den Mörder von Walter Lübcke der wichtigste rechtsterroristische Prozess des Jahres. Und die Ermittlungen dazu führen? Junge Polizeikommissar*innen, größtenteils direkt von der Universität, möglicherweise durch ihre Jugend auserkoren, „diesem Internet“ Informationen zu entlocken. Sie sind als Zeug*innen vor das Landgericht geladen. Jede*r Einzelne hat sich ohne Zweifel so viel Mühe gegeben, wie er oder sie konnte. Und doch wird die Befragung ein Desaster.
Offenkundig wurde für die Ermittlungen von B.s Online-Umfeld nur wenig Zeit gegeben. Das ist schon erstaunlich angesichts der Tatsache, dass dieser Täter ja vor allem ein Online-Umfeld hatte. Die Beamt*innen haben alle Informationen zusammengetragen, die sich in der Fachliteratur und im Fachjournalismus zum Thema so finden lassen, und ab und zu eine Email an ein Netzwerk geschrieben, und wenn das sagte, es gibt keine Daten, dann war es das mit der Ermittlung. Dies ist zumindest der Eindruck, der in der Befragung entsteht (niemand wäre glücklicher als die Autorin, wenn er nicht stimmt). Mal eines der Chan-Netzwerke besucht, 4Chan, Nanochan, Meguca oder Julay.world, die der Täter frequentierte? Geguckt, wie dort kommuniziert wird, welche Inhalte geteilt werden, ob der Täter oder andere Vorgänger-Täter glorifiziert werden? Nein. Versucht, an Kontaktdaten zu kommen, an Verbindungsdaten zu Chats des Täters? Nein. Man erinnert sich: Das Tatvideo war auf dem „Meguca“-Forum eingestellt worden. Journalist*innen hatten dies rund eine Woche nach der Tat recherchiert. Zwei Wochen nach der Tat löschte das Imageboard alle Daten. Die Anfrage der Polizei traf erst später ein. Offenbar war niemand auf die Idee gekommen, dass hier die Zeit drängen könnte. Wurden seine verschlüsselten Dateien geknackt? Nein. Ob das noch versucht werde? Unklar. B. grinst. Einen Bericht mehr gibt es noch: Eine Bitcoin-Spende, von der B. selbst berichtet hat, kann über die den Ermittlern vorliegenden Emailadressen des Täters nicht ermittelt werden. Schade.
Wenn Fragen peinlich werden
Als die Rede auf das Gaming-Verhalten des Täters kommt, wird es noch skurriler: „Hat man versucht die Spielstände auf den Gaming-Plattformen zu ermitteln, die der Täter besucht hat?“, fragt die Nebenklage. Damit könnte man vielleicht Aufschlüsse darüber gewinnen, ob B. in den Kriegsspielen, die er gern spielte, oft die Deutschen gespielt und damit seine Ideologie auch in der Freizeit ausgelebt hätte. B. spielte auch ein Spiel, bei dem der Spieler Waffen auseinander baut und zusammensetzt, 82 Stunden lang. Interessant wäre doch: Welche Waffen wählte er dabei? Ähnelten sie den späteren Tatwaffen? Die Nebenklage traut sich kaum noch, so etwas Gezieltes zu fragen, denn die Antwort ist nein, nein, nein. Die Plattform „Steam“ habe zwar Daten zur Verfügung gestellt, aber nach Spielständen habe man nicht gefragt. Schließlich kulminiert es auf der Frage aus der Nebenklage: „Sie wurden also beauftragt, das Gaming-Verhalten des Angeklagten zu untersuchen, obwohl Sie keine Ahnung von Gaming haben?“. „Ja.“ Es gäbe aber, wurde sogleich versichert, einen Kollegen im BKA, der kenne sich mit Gaming aus. Das Gericht interessiert sich für seinen Namen. Der ist bis Ende des Prozesstages nicht auffindbar.
Einen ähnlich unguten Eindruck hinterlässt auch der Kriminalkommissar, der die zur Tat hinterlassenen Schriften der Attentäter von Christchurch und von Halle vergleichen sollte. Der sagt immer wieder, dass er viele Ausdrücke und Chiffren in den Schriften gar nicht verstanden hätte, das habe er sich erst mal erarbeiten müssen. Und so habe er mehr mit Formalitäten gearbeitet: Der eine Text sei lang, der andere kurz, im einen ginge es viel um Antisemitismus, im anderen um Waffen. Also gäbe es keinen Zusammenhang zwischen den Taten. Er scheint inzwischen zu ahnen, dass dies keine der Realität entsprechende Einschätzung ist, und quittiert etwa alle Belege der Nebenklage-Anwält*innen zu Antisemitismus in der Schrift des Halle-Attentäters mit, ja, das sähe er jetzt auch als antisemitisch an. Die BKA-Einschätzung der Schriften werde aber trotzdem nicht geändert.
Kein Wunder also, dass am Ende des Prozesstages ein Nebenklage-Anwalt feststellt, er habe den Eindruck, die Ermittlungsbehörden hinkten den online organisierten Tätern mittlerweile meilenweit hinterher. Die offenkundigen Wissenslücken in der Strafverfolgung, das mangelhafte Sichern von Daten und die mangelnden Kenntnisse über Inhalte und Chiffren machen es schwer, Motivationen, Radikalisierung und Tatvorbereitung des Täter nachzuvollziehen, was für die Prävention aber sehr wichtig wäre.
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