Schlussstatement von Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Halle, zum Halle-Prozess
In den Plädoyers der Bundesanwaltschaft sowie der zahlreichen Nebenkläger wurde bereits vieles über die abscheuliche Tat sehr zutreffend gesagt. Ich möchte gern Wiederholungen vermeiden, obwohl das nicht einfach ist. Ein Mord ist ein Mord und ein Mörder ist und bleibt ein Mörder.
Für mich persönlich war es wichtig zu verstehen: Worin liegt die Quelle dieses bestialischen Hasses gegen die Juden bei dem Angeklagten? Und: War er wirklich ein Einzeltäter oder hatte er Mitwisser, geistige Unterstützer oder sogar Komplizen?
Ich meine jetzt Antworten zu haben. Es wird behauptet, dass er sich im Internet in anonymen Online-Foren radikalisiert habe und, wie er selbst einmal sagte, im Jahr 2015 verstanden habe, dass man „die weiße Rasse schützen müsse“. Nach meiner Überzeugung liegt der Ursprung für diesen Hass weder im Internet noch in den Ereignissen vor fünf Jahren. Die Quelle ist die Familie des Angeklagten. Sicherlich steht der Mutter und dem Vater ein Zeugenaussageverweigerungsrecht zu. Es ist schade, dass die Eltern, insbesondere die Mutter, von diesem Recht Gebrauch gemacht haben. Somit haben sie möglicherweise verhindert, zumindest bisher, eine detaillierte Aufklärung zu bieten, wie ein Kind in familiärer Umgebung zu einem Mörder voller Hass und Verschwörungsmythen werden konnte. Ich hoffe dennoch, dass der Rechtsweg für die Klärung der Rolle der Eltern und dementsprechend das einschließende Ahnden nicht ausgeschöpft ist.
Der Attentäter wollte in seinem Hassgewand eine „weiße Rasse“ schützen – was auch immer er unter diesem Begriff verstehen möge. Dabei hat er eine unverzeihliche Spur des Leidens hinterlassen.
Es ist wichtig für ihn zu wissen: Die von ihm gehassten deutschen Juden haben für die zwei von ihm ermordeten deutschen Nichtjuden – Jana und Kevin – ein Denkmal auf dem Synagogengelände errichtet und zwei Gedenktafeln an der Mauer vor der deutschen Synagoge und vor dem deutschen Kiez-Döner angebracht, finanziert gemeinsam mit vielen weiteren deutschen Organisationen und Privatpersonen. Er soll wissen, dass sehr viele deutsche Christen, Muslime und Nichtgläubige, deutsche Weiße und deutsche Schwarze, deutsche Kinder, deutsche Frauen und deutsche Männer nach seinem Attentat den deutschen Juden ihre grenzenlose Solidarität geschenkt haben. Ihm soll bewusst sein, dass er weder jemanden geschützt noch etwas Gutes in seinem Leben vollbracht hat. Mehr noch soll ihm klar sein, dass die deutschen und nichtdeutschen Steuerzahler bisher seine Existenz finanziert haben und, wie zu erwarten ist, es auch bis zu seinem Ableben tun werden.
In zwei Tagen beginnt das Chanukka-Fest, das jüdische Lichterfest. Zwei Wochen nach Chanukka-Beginn werden alle Christen Weihnachten, auch ein Lichterfest, feiern. Wir freuen uns auf beide Feste und grüßen unsere Freunde. Denn wir, die absolute Mehrheit der Menschen, mögen Licht und Helligkeit und glauben an Gott, der diese Welt hell und fröhlich erschaffen hat. Wir glauben auch, dass die Seelen von beiden Mordopfern des Angeklagten – Jana und Kevin – bei diesen Festen des Lichtes uns von Himmel leuchten werden.
Der Angeklagte hat einen anderen Glauben: Er glaubt an die Verschwörungen, an Hass, an Mord. Er glaubt an Dunkelheit und Finsternis. Jedem steht es frei nach seinem Glauben oder seiner Weltanschauung zu leben. Wir haben das Licht gewählt, der Angeklagte die Dunkelheit. So wird er auch in Zukunft in Dunkelheit leben müssen.
Unser Interview mit Max Privorozki:
Hört auf die Opfer, nehmt ihre Sicht wahr – nicht nur die Ideologie des Täters! Dies ist eine Aktion des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG), in Kooperation mit OFEK e.V. – Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung, belltower.news, NSU Watch, democ.de und RIAS. Wir dokumentieren die Abschluss-Statements einiger der Menschen, die angegriffen und attackiert worden sind. Danke an die Opferberatungsstellen, die diese Menschen im Prozess begleitet haben.
Unsere Berichterstattung zum Halle-Prozess: