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Hambacher Schloss „Querdenken“ und Reichsbürger:innen stürmen ein Demokratiefest – und die Polizei ist zufrieden

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Unter der umgedrehten Deutschland-Flagge zieht die Demonstration von Maßnahmengegner:innen zum Hambacher Schloss. (Quelle: Screenshot von Telegram)

Schon im Januar 2022 hatte der Unternehmer Wolfgang Kochanek aus Neustadt an der Weinstraße zum „Marsch aufs Schloss“ am 28. Mai aufgerufen. Unter dem leicht sperrigen Titel „Die aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland als Wiederholung der Geschichte von 1918 und 1930“ wollte der Mann, der immer wieder auf Demonstrationen aus dem „maßnahmenkritischen Milieu“ auftritt, 30.000 Menschen mobilisieren. Zur Teilnahme aufgerufen hatte unter anderem der AfD-Kreisverband Neustadt, aber auch andere Rechtsaußen-Akteure, etwa die „Freien Pfälzer“, eine Gruppe von Aktivist:innen, sie sich mindestens beim Namen an der Neonazi-Sammelbewegung „Freie Sachsen“ zu orientieren scheint. Im Telegramkanal der Aktivist:innen gab es seit Wochen nur ein Thema: Den „Marsch aufs Schloss“.

Doch zunächst wurde die Demonstration durch die Stadtverwaltung verboten: Zu viele Menschen in zu engen Straßen befürchtete die Stadt. Zum 190. Jubiläum des Hambacher Festes sollte ohnehin ein Demokratiefest stattfinden, mit der „Hambacher Intervention“ sollte ein Zeichen gesetzt werden gegen die Instrumentalisierung des historischen Ortes. In den vergangenen Jahren hatte ausgerechnet Max Otte, ehemaliger Chef der Werte-Union und ehemaliges Mitglied des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung , mehrmals ein „Neues Hambacher Fest“ veranstaltet und dazu rechtsalternative Akteure wie Jörg Meuthen, andere AfD-Größen und den rassistischen Bestsellerautor Thilo Sarrazin eingeladen.

Doch in diesem Jahr sollte mit dem Demokratiefest alles anders kommen. Initiativen und Organisationen aus der Region, die sich für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit und Verschwörungserzählungen einsetzen, hatten Stände und planten Aktionen.

Doch die „Querdenken“-Szene erschien trotzdem, wie im Aufruf angekündigt, ganz in weiß gekleidet. Zunächst verhinderte die Polizei, dass ein größerer Aufzug zum Schloss gelangen konnte, doch nachdem ein offizieller Programmpunkt, unter anderem mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz, beendet war, ließen die Beamt:innen die Demonstrierenden offenbar gewähren. In Videos der Szene, die in einschlägigen Telegramgruppen geteilt wurden, ist zu sehen, wie die Menschenmenge fahnenschwingend den Schlossberg hinauf läuft. Dabei zum Beispiel Russlandfahnen, aber auch Erkennungszeichen der sogenannten „Reichsbürger:innen“, zum Beispiel die Flagge des Königreichs Preußen oder die umgekehrte Deutschlandflagge. Mehrmals ist im Video zu hören, wie Teilnehmende zum „Durchbruch“ oder „Stürmen“ aufrufen.

„Es war eine aufgepeitschte Menge, die auf dem Schloss aufmarschiert ist,“ beschreibt Rüdiger Stein, Regionsgeschäftsführer des DGB, die Situation vor Ort gegenüber Belltower.News. Zusammen mit der Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt wollte die Gewerkschaft auf dem Demokratiefest unter anderem auf Verschwörungserzählungen hinweisen und über die eigene Arbeit aufklären. Doch der Mob, „darunter waren auch Leute in Thor-Steinar-Kleidung,“ so Stein, verhält sich aggressiv.

„Uns haben weißgekleidete Leute erzählt, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht das Gleiche sei wie die Ausgrenzung von Juden und Jüdinnen durch die Nazis,“ berichtet Anja-Maria Bassimir, die stellvertretende Vorsitzende der Gedenkstätte. „Demonstrationsteilnehmer:innen haben behauptete, die NS-Geschichte werde in Gedenkstätten wie unserer falsch dargestellt und als wir holocaustrelativierende Darstellungen berichtigen wollten, wurde wir bezichtigt, andere Meinungen nicht aushalten zu können.“

Die Demonstrierenden umringten die zivilgesellschaftlichen Stände und beschimpften die Mitarbeitenden und warfen schließlich sogar mit Müll. Sowohl Stein als auch Bassimir berichten, dass Polizist:innen sie vor den Demonstrierenden schützen mussten. Was schließlich auch dazu führte, dass die Aufklärungsarbeit auf dem Demokratiefest nicht mehr weitergehen konnte. „Die Gedenkstätte und der angrenzende Stand des Regionalen Bündnis Gegen Rechts wurden aufgefordert, ihre Banner einzurollen und die Stände abzubauen, um die Weißgewandeten nicht zu provozieren. Unsere ehrenamtlichen Festaktiven mussten unter Polizeischutz ausharren, bis der Zug der Weißgewandeten das Schloss wieder freigab,“ heißt es in einer gemeinsamen Presserklärung des DGB und der Gedenkstätte.

Dieses Einknicken vor den Befindlichkeiten des Mobs findet sich nicht in der Pressemitteilung der Polizei: „Das Demokratiefest und auch die Versammlung verliefen friedlich. Die Stadt Neustadt und das Polizeipräsidium ziehen somit insgesamt eine positive Bilanz. Bis auf Beeinträchtigungen für den Straßenverkehr kam es zu keinen besonderen Vorkommnissen.“ Beschimpfungen, das Bewerfen mit Müll, Holocaustrelativierungen, Reichsbürger-Symbolik: keine besonderen Vorkommnisse. „Ich kann nicht bestätigen, dass es friedlich abgelaufen ist. Wir wurden immer wieder beschimpft und angeschrien. Es war eine schlimme und bedrohliche Situation“, fasst Stein zusammen.

Was als Fest der Demokratie geplant war, wurde ausgerechnet für Menschen, die sich für Demokratie und Gleichwertigkeit einsetzen, eine Gefahrensituation und macht deutlich, wie groß die Bedrohung durch das „Querdenken“-Milieu mittlerweile geworden ist. Dass Gegenwehr bei dieser Art der Demokratieverachtung mehr als nötig ist, macht Anja-Maria Bassimir deutlich: „Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat am nächsten Abend auf dem Hambacher Schloss die wehrhafte Demokratie beschworen. Meine Hoffnung ist, dass die beim nächsten Mal tatsächlich verteidigt wird.“

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