Zwei Jahre, nachdem am 19. Februar 2020 ein rechtsextremer Attentäter in Hanau neun Menschen, seine Mutter und schließlich sich selbst ermordet hat, fanden bundesweit Gedenkveranstaltungen statt. Leider versuchen Propagandist:innen das Erinnern an die Ermordeten von Hanau für ihre antisemitische Agenda zu nutzen. So waren hier Sprechchöre wie „Von Hanau bis nach Gaza – Yallah Intifada“ zu hören. Es wehten neben zahlreichen palästinensischen Flaggen auch Samidoun-Fahnen, die zur PFLP gehören, außerdem sprachen Leute von BDS-Gruppen. Israelbezogener Antisemitismus auf einer Gedenkkundgebung für rechte Todesopfer und das, obwohl sich auch der rechtsextreme Täter von Hanau in seinem Manifest wünscht, dass Israel „komplett vernichtet“ werden müsse.
Sascha Tretja war am Samstag, dem 19. Februar auf der Demonstration in Berlin-Wedding dabei. Zerrüttet fragt sie sich, wo sie als jüdische Person in einer linken Bewegung steht. Ein Gastkommentar:
Was ist mein Platz in einer linken Bewegung, in der das Gedenken an einen rechtsextremen Terroranschlag zur Plattform eines nationalen Befreiungskampfes wird? Der Sturm Zeynep zieht seine Nachböen hinter sich und bringt eine Handvoll Antifa-Flaggen sowie vereinzelt rote Flaggen und eine große Palästinaflagge zum Wabern. Zwei Jahre sind vergangen seit dem Anschlag in Hanau, bei dem Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov von einem Rechtsextremen ermordet wurden.
Hanau war kein Einzelfall, Widerstand überall. Die Parole wird immer wieder gerufen. Vorne ein Transparent: Rechten Terror stoppen. Wir stehen zusammen, in Solidarität, gegen Rassismus und rechten Terror. Alle zusammen. Und dazwischen die Palästinaflagge. You get the narrative, right?
Warum mich das triggert? Weil israelbezogener Antisemitismus der Alltag meiner linken Bubble ist. Ich frage meine Begleiter:innen, warum diese Flagge da weht. Ja, sei schon unangebracht. Wir können da jetzt aber auch schlecht als Gruppe weißer Personen intervenieren, höre ich eine Freundin sagen. Okay.
Es sind genau diese Momente, in denen ich mich frage, wo ich als jüdische Person in einer linken Bewegung – wenn man das so nennen möchte – stehe. Im Land der Täter scheint die Linke unfähig, Rassismus und Antisemitismus unter einen Hut zu bekommen. Viel zu groß die Gefahr, am Ende als Rassist:in oder Antisemit:in beschimpft zu werden – das will mensch vermeiden, also vermeidet mensch den Konflikt. Weiter hallt die Parole: Hanau war kein Einzelfall, Widerstand überall. Die Palästinaflagge weht im Wind.
Komm mal klar jetzt, schrei ich mir im Kopf selber entgegen, du mit deinen white-passing Privilegien. Hier geht es um einen konkreten Terroranschlag, um Gedenken und darum, zusammenzuwachsen, zusammenzuhalten, wütend zu sein und sein zu lassen, dafür Sorge zu tragen, dass migrantische und migrantisierte Menschen keine Angst mehr haben müssen. Es ist immerhin auch dein eigener Kampf als migrantische, jüdische Person gegen die faschistische Mobilisierung, die global Aufwind hat, oder nicht? Aber warum lässt es mich trotzdem nicht los? Die Palästinaflagge weht vor meinem inneren Auge weiter, selbst wenn ich stur versuche, auf die Redner:innen zu schauen.
Vielleicht, weil ich der Sache nicht traue. Ich traue der Solidarität nicht. Nicht im Land der Täter, nicht in der deutschen Linken, nicht im ständigen Aushalten von antisemitischen Narrativen – for the sake of the movement, for the sake of the political work we are doing which is too important, sei keine Spalterin. Warum wird diese Flagge zugelassen, als einzige nationale Flagge? Warum ist das ein Sonderfall, warum wird nicht darüber nachgedacht, wie es Jüd:innen triggert, die israelbezogenen Antisemitismus erfahren? Warum wird diese Flagge unangefochten eingebettet in das Narrativ, rechten Terror beenden zu müssen? Fällt nur mir auf, wo diese Erzählung endet?
Ich verlasse die Veranstaltung. Wo stehe ich in einer linken Bewegung? Ich brauche keine Solidarität von konservativen Heiopeis, die ihren Antisemitismus nach ‘45 überwunden sehen (lol) und Israel nur aufgrund ihres antimuslimischen Rassismus feiern. Ich brauche die Solidarität einer Linken, die endlich lernt, Widersprüche auszuhalten. Ich möchte Teil einer migrantischen, antifaschistischen Bewegung sein als eine migrantische, antifaschistische Person, um gemeinsam die deutschen Verhältnisse zum Wanken zu bringen. Und immer wieder werde ich darauf zurückgeworfen, dass die einen Gedächtnistheater spielen, die anderen antizionistischen Antisemitismus normalisieren und ein Großteil einfach schweigt – weil alles zu kompliziert ist.
Und die Faschist:innen freuen sich. Ihnen ist es scheißegal, ob Rom:nja, Kurd:innen, Jüd:innen, Palästinenser:innen, BIPoCs, Feminist:innen – tot sind für sie alle gleich gut. Es braucht eine linke Bewegung: solidarisch, kritisch, liebevoll und schlagkräftig. In meiner Brust hämmert es laut und schnell und ich wäre gerne zurück beim Gedenken, an der Seite meiner Mitstreiter:innen.
Nach der Flucht ihrer Eltern aus der UDSSR wuchs Sascha Tretja in den 90er Jahren in Berlin-Neukölln auf. Seit knapp 10 Jahren ist sie in antifaschistischen und antirassistischen Strukturen aktiv, besonders im freedom of movement Kontext.