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Hausdurchsuchungen in Hessen Neue rechtsextreme Gruppe „NSC 131“ in Deutschland

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Die internationale, Rechtsterrorismus-interessierte Gruppe "NSC 131" kommuniziert auf "Telegram" - Hier posieren Mitglieder mit Hakenkreuz-Flagge im Wald (Unkenntlichmachung des Hakenkreuzes von der Redaktion). (Quelle: Screenshot)

Während in Nordrhein-Westfalen eine rechtsextreme Gruppe innerhalb der Polizei für Aufsehen sorgt (vgl. Belltower.News), wurden nahezu zeitgleich am Mittwochmorgen in Hessen sechs Wohnungen durchsucht. Das Innenministerium spricht in einer Pressemitteilung von Personen, die „bereits im Bereich der politisch motivierten Kriminalität rechts aufgefallen waren“. Chatverläufe, die Belltower.News vorliegen, erhärten nun den Verdacht eines online organisierten rechtsextremen Netzwerkes, das über die Grenzen Deutschlands hinaus aktiv ist.

Der Verdächtige einer Hausdurchsuchung soll zu einer rechtsextremen Gruppe gehören, die sich  „NSC 131“ nennt. Die Chiffre „NSC“ steht für „Nationalist Social Club“ und „131“ für die Buchstaben „ACA“, was als Zahlencode so viel wie „Anti-Communist-Action“ bedeuten soll. Die Gruppe “NSC 131” hat sich Anfang diesen Jahres (2020) gegründet. Ihre Mitglieder sind teilweise ehemalige Mitglieder rechtsterroristischer Gruppen wie „The Base“ (vgl. The Guardian), die Terroranschläge planten, um einen „Rassekrieg“ loszutreten, oder von „Combat18“, dem militärische Arm des verbotenen „Blood&Honor“-Netzwerkes, das auch in Deutschland aktiv ist.

„NSC 131“ = „National Socialist Club – Anti-Communist-Action“

„NSC 131“ rekrutiert in den USA zahlreiche neue Mitglieder und inszeniert sich als Schutzgruppe für „Weiße“. Die Mitglieder posten Fotos, auf denen sie mit Hitlergrüßen, Waffen und eigenem Merchandise posieren. Mittlerweile haben sich weitere Ableger in den USA geformt, die stetig anwachsen. Das größte Rekrutierungsmedium dieser Struktur scheinen Chat-Gruppen zu sein. Am 20. August 2020 wurde in dem Infokanal der Gruppe ein Bild gepostet, das den Aufbau einer „NSC 131“-Gruppe in Deutschland nahelegte.

Zu „NSC 131“ in den USA:

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Interne Chatverläufe, die Belltower.News vorliegen, bestätigen diese Vermutung. Die Gruppe für Deutschland umfasst nur eine Hand voll Mitglieder, aber die Gruppe soll dem Willen der Mitglieder entsprechend schnell anwachsen. Ein Nutzer, der sich als „Paulo“ ausgibt, eröffnet die Gruppe auf „Telegram” mit den Worten „Wir sind erst am Anfang und im Aufbau leute zufinden und uns zuvernetzen [sic]“.

Die Gruppenmitglieder sind motiviert. Bereits nach wenigen Tagen wird ein Bild von frisch gedruckten Stickern veröffentlicht. Dem Chatprotokoll zufolge sollen jeweils 5.000 Sticker in West- und Ostdeutschland verteilt werden. Zwar erstreckt sich die Planung der Gruppe bislang nur auf Merchandise, aber die Gesinnung der Mitglieder und deren Vernetzung zeigt einen eindeutigen Hang zur Gewaltbereitschaft: Die Mitglieder teilen ein Propagandavideo, auf dem Namen von Opfern rechtsextremer und rechtsterroristischer Gewalt verbrannt werden. Auch der explizite Hass auf Jüd*innen findet sich wieder. Kurz nach der Gründung wird ein Bild veröffentlicht, dass vier vermeintliche Mitglieder der deutschen „NSC 131“-Gruppe mit freien Oberkörpern zeigt und mit der Bildunterschrift „NSC Deutschland boys met up and patrolled their district looking for reds“ („NSC Deutschland Mitglieder treffen sich und patrouillieren durch das Viertel auf der Suche nach Kommunisten“) versehen ist.

Online vernetzt, Waffen in der Offline-Welt

Welche Gefahr von dieser Gruppe ausgeht, zeigt sich in den Beschlagnahmungen der Hausdurchsuchung. In der Pressemitteilung der Polizei heißt es, es seien „Waffen und NS-Devotionalien” sichergestellt worden und die zuständige Ermittlungseinheit „Besondere Aufbauorgnaisation (BAO) Hessen” übernehme „auch Verfahren wegen des Verdachts des illegalen Waffenbesitzes, die immer wieder auch zum Auffinden rechter Devotionalien” führe und die Verdächtigen „als rechtsmotivierten Straftäter entlarven und sie dann dauerhaft in den Fokus der Polizei rücken”.

Deutsche „NSC 131“-Mitglieder posieren.

Im Laufe der Recherche werden weitere Infos über den Gruppengründer „Paulo“ bekannt. Auf seinem Instagram-Profil posiert er vermummt und mit einschlägiger rechtsextremer Szenebekleidung in der Frankfurter Innenstadt. Auf seinem Ellbogen prangt als Tattoo das neonazistische Symbol einer „Schwarzen Sonne“ und seine Freunde posieren im „Kampf der Nibelungen“-Shirt. „Kampf der Nibelungen” ist ein Neonazi-Kampfsportevent, das auch der Vernetzung der gewaltbereiten rechtsextremen Szene dient. Ein anderer Post eines Propaganda-Accounts auf Instagram lässt vermuten, dass „Paulo” einen Teil seiner Ausgaben beim Merchandise-Druck zudem durch den Versand von rechtsextremen Stickern deckt.

Ein anderes Mitglied der deutschen „NSC 131”-Gruppe taucht auch in einer weiteren internationalen „Telegram”-Chat-Gruppe auf, in der verfassungsfeindliche Symbole, gewaltverherrlichende Videos und verbotene Neonazi-Musik geteilt wird. Das Mitglied verbreitet dort Propaganda der rechtsterroristischen Organisation „National Socialist Order” (vgl. Vice), einer Nachfolgevereinigung der rechtsterroristischen Struktur „Atomwaffen Division”, und Beiträge, die Rechtsterroristen glorifizieren. In dieser Gruppe befinden sich mindestens vierzig deutsche Mitglieder, die angeben, zum Teil in Biker-Gruppen oder Neonazi-Strukturen aktiv und bestens vernetzt zu sein.

Ausschnitt aus dem Chat einer weiteren Telegram-Gruppe, in der offen Mordfantasien gegenüber Jüd*innen geäußert werden.

Enger Kontakt zwischen den Gruppen in den USA und in Deutschland

Ein weiteres Mitglied der Telegram-Gruppe ist „131 guy“ und offensichtlich die Brücke zu den verbrüderten Neonazis in den USA. Er vermittelt den Kontakt zu den deutschen Neonazis und motiviert den deutschen Ableger immer wieder, aktiv zu werden. So bietet er beispielsweise an, deutsche Designvorschläge für Sticker entgegen zu nehmen und von einem Grafiker entwickeln zu lassen. Die rechtsextreme Gruppe lässt sich als Dach-Organisation begreifen, die Neonazis-Gruppen international miteinander verbindet und ihnen dennoch Handlungsfreiräume verschafft. Dieses Konzept des „führerlosen Widerstands“ ist Teil rechtsterroristischer Strategie und soll den Neonazi-Gruppen sowohl Vernetzung als auch Autonomie versprechen.

Das Monitoring-Projekt „de:hate“der Amadeu Antonio Stiftung warnt schon länger vor Deutschen, die sich zunehmend in internationalen terror-affinen Communitys auf Imageboards und Telegram bewegen: „Aus diesen Online-Vernetzungen sind 2019 weltweit vier Terroranschläge hervorgegangen”, warnt Projektleiter Miro Dittrich. „Dass Mitglieder von ‘NSC131 Deutschland’ hier aktiv sind und in kurzer Zeit einen deutschen Ableger einer neuen Gruppe aus den USA etablieren, zeugt von einem konkreten Bedrohungsszenario und zeigt, dass der Terroranschlag in Halle keine unerwartete Ausnahme darstellt.”

Laut der vorliegenden Chatprotokolle wurde die „NSC 131 Deutschland“-Gruppe am gestrigen Morgen kurzerhand aufgelöst. Ein Mitglied schrieb: „Grund dafür sind Hausdurchsuchung (sic) im Wiesbadener Raum“. Offensichtlich gibt es einen direkten Zusammenhang mit den sechs Wohnungsdurchsuchungen in den frühen Morgenstunden. Dazu sagt der hessische Innenminister Peter Beuth: „Wir halten den Druck auf die rechte Szene hoch und lassen im Kampf gegen den Rechtsextremismus Taten sprechen.“ Inwieweit die Hausdurchsuchungen die Bildung einer neuen rechtsextremen oder rechtsterroristischen Vereinigung verhindern konnten, wird sich zeigen. Auf eine Anfrage von Belltower.News bei den zuständigen Behörden gab es bislang noch keine Antwort. Auch bleibt die Frage offen, ob die Ermittlungen mit internationalen Sicherheitsbehörden abgestimmt werden, denn eine lediglich lokale Untersuchung würde nicht die Tragweite der internationalen rechtsextremen und rechtsterroristischen Vernetzung erfassen können.

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