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Hintergrund Wenn aus Worten Brandsätze werden

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Dachstuhlbrand einer Flüchtlingsunterkunft in Rüdesheim am 17. März 2015; Foto: Wiesbaden112.de (CC BY-NC-ND 2.0)

Die rechten Krawalle in Heidenau markieren den Höhepunkt einer drastischen Entwicklung: Der Hass gegenüber Asylsuchenden wird zunehmend offen zur Schau gestellt. Eine Auswertung der Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle der Aktion Schutzschild der Amadeu Antonio Stiftung in Kooperation mit Pro Asyl ergibt für den Monat August 82 Einträge. Besonders besorgniserregend: allein im August gab es 18 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte – fast die Hälfte der insgesamt 40 im gesamten Jahr.

Heidenau: mangelhafte Gegenwehr seitens der Polizei

Offenbar schöpft die rechtsextreme Szene aus der aktuellen Eskalation neuen Mut. Dass es in Heidenau an mehreren Abenden nacheinander zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, dürfte nicht allein der mangelhaften Gegenwehr seitens der Polizei geschuldet sein, die mit zu wenigen Kräften vor Ort war und selbst am zweiten Abend keine entschlossene Reaktion zeigte. Der braune Mob schien sich zusätzlich bestärkt zu fühlen, weil die rechte Gewalt längst nicht von allen Bürgern verurteilt wurde. Im Gegenteil: In Heidenau kamen viele vermeintlich besorgte Bürger auch nach der ersten Krawallnacht wieder, um sich den Rechtsextremen anzuschließen.

Anhaltend hohe Zahl flüchtlingsfeindlicher Demonstrationen

Dafür spricht auch die anhaltend hohe Zahl flüchtlingsfeindlicher Demonstrationen – im August waren es deutschlandweit 27. Wie schon zu Beginn der 90er Jahre hat die organisierte Rechte das Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik als wichtiges Agitationsfeld erkannt. So hetzt sie seit Monaten vor Asylunterkünften. Seit dem vergangenen Jahr gründen sich zu diesem Zweck vielerorts Facebook-Seiten unter dem harmlos klingenden Namen “Nein zum Heim”. Dahinter steht vermutlich eine Kampagne der NPD. Das Aussehen der Seiten ist fast immer identisch. Neben Artikeln aus der Lokalpresse werden meist auch Inhalte rechtsradikaler Seiten geteilt. Die NPD selbst verschafft den “Nein zum Heim”-Seiten regen Zulauf, indem sie diese auf ihrer Facebook-Seite “Keine weiteren Asylantenheime in Deutschland” bewirbt. So tummeln sich nicht selten Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet auf den lokalen Seiten – das erhöht nicht nur die Deutungshoheit zugunsten der Rechten, sondern vermittelt in den oftmals kleinen Ortschaften auch den Eindruck einer großen Bewegung.

Doch längst nicht allerorts lassen sich die Bürger die rechte Hetze gefallen. Selbst in kleinen Orten gibt es häufig Gegendemonstrationen, die sich mit Asylsuchenden solidarisieren. Aber auch Flüchtlingsunterstützer leben inzwischen gefährlich, wie entsprechende Übergriffe in den letzten Wochen belegen.

Provokantes Auftreten der rechten Szene

Zudem lässt sich seit einigen Wochen eine besorgniserregende Entwicklung beobachten. Bisher schienen die Anführer der rechten Szene darauf bedacht, die Auflagen der Polizei zu erfüllen, schließlich wollen sie ihre Demonstrationen nicht dadurch gefährden, dass einzelne Kameraden verbotene Symbole auf der Jacke tragen oder mit einem Hitler-Gruß auf sich aufmerksam machen. Zwar reizten die Rechten bereits in der Vergangenheit häufig die Grenze des Erlaubten aus. Inzwischen jedoch tritt die Szene besonders provokant auf und ruft in einigen Fällen offen zur Missachtung der Versammlungsauflagen auf: Am Wochenende nach den Ausschreitungen von Heidenau veranstaltete die NPD in der Kleinstadt erneut eine Demonstration. Trotz einer Sperrzone um die inzwischen bezogene Asylunterkunft forderte ein Redner die Teilnehmenden dazu auf, Polizeisperren zu überwinden und sich im Anschluss an die Kundgebung erneut in Richtung Asylunterkunft zu bewegen. Die Polizei musste später etwa 100 gewaltbereite Rechte auf dem der Unterkunft gegenüberliegenden Parkplatz einkesseln.

11 tätliche Übergriffe auf Flüchtlinge im August

Insgesamt kam es im August zu elf gewaltsamen Übergriffen auf Asylsuchenden, bei denen mindestens 16 Menschen verletzt wurden. Wie drastisch die Täter inzwischen vorgehen, zeigt ein Beispiel aus dem Dresdner Stadtteil Friedrichstadt: zwei Männer und eine Frau sprachen einen jugendlichen Asylsuchenden zunächst mit “Bist du Ausländer?” an. Dann schlugen die drei unvermittelt auf ihr Opfer ein. Ähnliche Vorfälle gab es im August  deutschlandweit.

28 sonstige Angriffe auf Flüchtlingsunterkünft im August

In ganz Deutschland flogen auch im August wieder Steine und Böller auf Asylunterkünfte, insgesamt 28 mal. Auch in Parchim in Mecklenburg-Vorpommern verhinderte lediglich das schnelle Handeln des Sicherheitsdienstes und das baldige Eintreffen der Polizei Schlimmeres: zwei mit einem Messer bewaffnete Männer drangen abends auf das Gelände einer Asylunterkunft vor. Ebenfalls nur durch viel Glück kam bei einem Brandanschlag im niedersächsischen Salzhemmendorf niemand zu Schaden, als drei Täter einen Molotowcocktail durch ein Fenster in eine von Flüchtlingen bewohnte Wohnung warfen.

Rechte begrüßen Angriffe auf Unterkünfte in den sozialen Netzwerken euphorisch

Zu dieser zunehmend gewaltverherrlichenden Einstellung passt, dass die NPD, Die Rechte und Der III. Weg die Gewalt gegen Asylsuchende vor allem auf ihren Facebook-Seiten immer weniger zurückhaltend kommentieren, die Anschläge teils gar euphorisch begrüßen. Während die Rechten auf diese Weise ihr wahres Gesicht zeigen, scheitern soziale Netzwerke wie Facebook daran, die rassistische Hetze zu unterbinden.

Taten werden auch von Alltagsrassisten begangen

Doch längst nicht bei allen Übergriffen auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte ist die Nähe der Täter zur rechten Szene auf den ersten Blick so eindeutig zu erkennen. Im Gegenteil scheint ein Brand in einer Asylunterkunft inzwischen Botschaft genug – und ganz offenbar verstehen Nachahmer diese Botschaft.

Marius Münstermann

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

 

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