Von Madeleine Warsitz
Rentner, Studenten und quirlige Kleinkinder mit ihren Eltern – eine bunte Mischung kam am Sonntagvormittag auf dem Weimarer Theaterplatz zusammen, um der Opfer der Shoah zu gedenken und ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen. Nach Angaben des Veranstalters trotzten rund 300 Menschen der nasskalten, ungemütlichen Witterung in Thüringens Kulturstadt, in gedämpfter Stimmung marschierten sie durch die historischen Straßen Weimars in Richtung Hauptbahnhof.
Eine ursprünglich von der NPD am Holocaust-Gedenktag geplante Kundgebung in der Innenstadt wurde auf Druck von Öffentlichkeit und Politik hin abgesagt. WeimarsZivilgesellschaft hatte eine solche Propagandaaktion nicht hinnehmen wollen. Die Neonazis zeigten sich daraufhin nicht. Vier Tage zuvor war das noch anders verlaufen: Ab 9 Uhr wurde auf dem Marktplatz ein thematischer Stadtrundgang angeboten, der auf die Schicksale Weimarer Juden im Nationalsozialismus aufmerksam machte. Prompt versammelten sich ca. 20 Nazis und folgten wie zum Hohn dem Stadtrundgang auf einige Entfernung.
Vor dem Hintergrund zahlreicher rechtsextremer Gewaltdelikte in jüngster Zeit mahnte Weimars früherer Oberbürgermeister Volkhardt Germer (parteilos) in seiner Rede: „Wir haben allen Grund, wachsam zu sein.“ Die damalige Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski (CDU) und OB Stefan Wolf (SPD) warnten eindringlich vor dem Einzug rechtsextremer Parteien ins Parlament bei der bevorstehenden Landtagswahl im nächsten Jahr. Die NPD hat sich Thüringen als neues Zielgebiet vorgenommen.
Lehrreicher „Zug der Erinnerung“
Schipanski hieß die Überlebenden willkommen, die zum Holocaust-Gedenktag nach Weimar gereist waren. Sie alle waren als Kinder von den Nationalsozialisten ins KZ Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar deportiert worden. Im Anschluss an die Kundgebung besuchten sie zusammen mit Dagmar Schipanski den „Zug der Erinnerung“, der das Wochenende auf Gleis 5 des Weimarer Hauptbahnhofs Sation machte.
Im Vorfeld hatte es viel Aufregung um das Projekt gegeben. So hatte die Deutsche Bahn sich standhaft geweigert, das rollende Mahnmal zu unterstützen – das Unternehmen erhob Trassen-, Stations- und Anschlussgebühren, deren Höhe eine Ausdehnung der Strecke auf weitere Stationen in Frage stellte. Bundesweit gründeten sich daraufhin Initiativen vor Ort, um die Finanzierung zu gewährleisten. „Das Projekt kostet mehrere 10.000 Euro. Darin enthalten sind die professionell umgesetzte Ausstellung, die Gleisnutzung und die Ausstellungsbetreuer“, erzählte Tatjana Engel vom Verein „Zug der Erinnerung“. Inzwischen ist der Zug seit Oktober 2007 auf den Schienen, 60.000 Interessierte haben ihn bisher besucht.
In Weimar standen die Menschen auf dem zugigen Bahnsteig Schlange, um in den stickigen Waggons mehr über die im Nationalsozialismus deportierten Kinder zu erfahren. Deportationsrouten, tragische Familientrennungen und die gnadenlose Selektion am Bahnhof Auschwitz – der „Zug der Erinnerung“ thematisiert all das. Rund eine Million Kinder wurden zwischen 1940 und 1944 verschleppt. Die Ausstellung gibt diesen Kindern ein Gesicht und zeichnet individuelle Lebensgeschichten nach. Wortwörtlich werden die Leiden der NS-Zeit damit „er-fahr-bar“.
Nicht zuletzt ist auch die Mitschuld der Deutschen Reichsbahn ein Aspekt, den die Macher des Zuges beleuchten. Etlichen Bahn-Angestellten, die Deportationen mitorganisiert haben, wurde nach Kriegsende eine Karriere innerhalb des Unternehmens ermöglicht, auf eine eingehende Prüfung ihrer NS-Vergangenheit wurde dabei oftmals verzichtet.
Angesichts des bisherigen Erfolges des „Zuges der Erinnerung“ appellierten Politiker wie Thüringens früherer Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) und Martin Döring, damals bildungspolitischer Sprecher der Thüringer SPD, an die Bahn, ihre finanziellen Forderungen zurückzunehmen. Ziel des Zuges der Erinnerung ist Auschwitz am Jahrestag des Kriegsendes, dem 8. Mai.
Fotos: M.Warsitz / Mehr zu der Initiative: www.zug-der-erinnerung-weimar-apolda.de